Im Kreislauf der Schmarotzer
Abenteuer Ägypten
Die Stadt gehörte den Katzen – oder besser, der Göttin in Gestalt einer Katze, Bastet hieß sie und wurde äonenlang feierlich angebetet. Und in den 80er Jahren des 20.Jahrhunderts sangen die bunten Frauen, wenn sie die schwarzen Gummigefäße mit dem Aushub von dannen trugen, um ihn auf wachsenden Hügeln abzuladen. Die bunten Frauen waren es, die den männlichen Ausgräbern zur Hand gingen gegen kargen Lohn, um den Geheimnissen dieser uralten ägyptischen Stadt im östlichen Nildelta nahe zu kommen. Sie gruben in den dreitausend Jahre alten Fundamenten der Handelsmetropole namens Bubastis und holten sündteure Gold- und Silberschätze der frühen Pharaonen an den Tag. An Katzen dachten sie nicht, Haustiere haben in Ägypten ein schweres Dasein.
So wurde Bubastis nur ein kleines Kapitel in der langen Ausgrabungsgeschichte des Pharaonenlandes, kaum gut genug für die Scharen schwitzender Touristen, die im Lande umher stampften.
Der Assi zwinkerte lüstern den bunten Frauen zu, doch die sangen weiter. Der Kameramann maß das trübe Frühlicht und murrte. Die Ägyptologin plauderte kokett mit dem Chef der Altertümer, der uns im VW-Bus von Kairo hierher brachte, um unsere filmischen Taten zu überwachen, denn hier herrschen strenge Bräuche in Sachen Pharaonen. Ich hockte auf einem archäologisch wertvollen Steinhügel und dachte nach über Würmer und Zerkarien in Öl, Schnecken, Nymphen von Wanzen, Entamoeba, Pärchenegel und kleine Schnecken und Kreisläufe der Erreger. Folker hatte vor Wochen im Keller des alten Kieler Zoologischen Instituts die kleinen Biester abgefilmt: Ascariden-Eier, Trichuris-Arten, Tricho-Strongiliden, leider hüpften die niedlichen Flöhe ihm immer davon und waren nur sehr schwer wieder einzufangen. Nicht die Schönheit archaischer Architektur war das Ziel unserer Mühen, sondern eine schicksalsträchtige Seuche, deren Ursprünge im Wasser der Nilkanäle wohnen. Auch die Pharaonen werden sie gekannt und gefürchtet haben. Man nennt das Leiden Bilharziose nach dem deutschen Doktor, der es einst entdeckte. Und die Pharmaindustrie leistete sich einen Wettlauf um das beste und teuerste Medikament.
So verließen wir die Distrikthauptstadt Zagazig, an deren Ostrand die Ruinen von Bubastis sich finden und eilten in einfallender Dunkelheit nach Kairo. Auf den braunen Feldern stapften die Fellachen hinter ihren frommen Büffeln her und ich glaubte sie zu sehen in heißer Fron unter den herrschenden Pharaonen – war das heute so sehr anders?
In Kairo stieg ein noch strengerer Inspektor der Altertümer in unseren Wagen und leitete uns nach Sakkara-Gisa zu den uralten Gräbern. Eines hatte unsere Ägyptologin herausgesucht, das kleine versteckte Grab des königlichen Schreibers Nefer. Doch ewige Sände hatten den Eingang zugeweht, und es brach eine nahöstliche Diskussion auf, wer denn wohl womit und wie dies Grab freibekäme? Rigoros griff sich Karen, die Ägyptologin, eine herumliegende Schaufel und begann zu graben.
Das ließen sich unsere Mannen nicht gern vormachen, und unter den höhnischen Blicken der Ägypter buddelten alle Mann den Eingang frei. Und betraten ein lichtloses Gemach, das im Schein der Lampen zu einem Bilderparadies unglaublicher Schönheit sich entpuppte. Farbige Landschaften, Flussauen mit hohem Schilf, Bauern bei der Arbeit – in Bildfolgen die Heimatwelt des Nefer vor Jahrtausenden. Ich träumte mich in seine Zeit, wen mochte er gekannt, geliebt haben, wem war er hörig, wie waren die Speisen auf seinem Tisch. Irgendwie sah das alles aus wie eine Illustration zu Josef und seine Brüder von Mann. In schweren Gedanken verließ ich das Grab und geriet in einen braungelben Staubsturm, der jedes Fotografieren dem verbot, der seine Linsen liebt.
Der Flieger brachte uns über Assuan nach Luxor, am Tempel vorbei wanderten wir gemächlich ans Ufer des Nil. Vertäut lag dort ein Holzschiff namens Triton
, dem ich ein würdiges Alter zutraute. Ein Jüngling wies uns die Schlafkammern zu und verlangte das übliche Bakschisch. Mit dem frühesten Tau legte das Schifflein ab und trieb in den braunen Fluten an den flachen Ufern vorbei. Nach wenigen Stunden erlebten wir das Anlegemanöver in Dendera. Touristen hüpften lachend über die Gangway, wir machten uns auf ins Dorf und konnten nicht treten, weil überall schmutzige Kinder herumstanden und Bakschisch
kreischten und die Hände ausstreckten. Mit einem Matrosen, der als Übersetzer und Beschützer diente, wanderten wir über eine lange, gerade, staubige Straße zum Tempel. Der Weg war mühsam, Kinder und Fellachen versuchten mit allen Mitteln, uns ihre Landschaft zu verkaufen, wenn sie sahen, dass der Kameramann sein Gerät zückte. Die Last wurde leicht im Anblick des Juwels ptolemäischer Architektur, 200 Jahre hat man gebaut am Tempel für die Himmelsgöttin Hathor, bis in die Zeit Neros. Hathor, die Dame mit dem Kuhschädel auf dem Haupt, die Regentin der Liebe und Lust, jene Ägypterin, der die Griechen den Namen Aphrodite gaben und den Eros bei ihr gut aufgehoben wussten. Wie ungern habe ich den herrlichen Tempel verlassen, um zum Anleger der Triton zurück zu eilen, sofort legte sie ab und brachte uns in die Industriestadt Abydos, wo aus militärischen Gründen jede Kamera strengstens verboten war und nur ein rascher Gang sich als möglich erwies. Ich war unzufrieden mit dem Ablauf der Dinge, die Sache mit dem Pärchenegel kam nicht voran. Die Zeit lief uns davon.
Vor Tau und Tag Abfahrt mit dem Taxi und mitten hinein in die Feldbahnen, die keuchend dahin schaukelten mit ihrer Last an Zuckerrohr, der eben geerntet wurde. Dahinter der wuchtige Tempel – einer von unzähligen – die Pharao Ramses II hatte errichten lassen. Ich bewunderte den bunten Fries des Nilgottes Hapi, der einst eine gewichtige Rolle spielte, denn er wachte darüber, dass der Nil seine fruchtbringenden Fluten rechtzeitig über die Lande spülte. Wir standen an den dunklen Kanälen, stinkende Tierleichen schwappten umher wie seelenlose Geister.
Hier saßen sie, die gefährlichen Zerkarien und warteten auf nackte Beine der Badenden, um sich einzubohren ins Fleisch und weiter zu wandern bis in die Leber. Der Tod wartet im Kanal, kein schlechter Krimititel. An Bord bat der Käptn mich auf die Brücke und erzählte von seiner Jugend am Ufer des Nil. Die Weiterfahrt verzögerte sich durch einen Sandsturm, der uns vor Luxor am Ufer festhielt.
Dann tauchten wir tief ein in die Geschichte dieses wundersamen Reiches am Nil. Mit leicht frustriertem Gesicht führte uns Karen wie eine bezahlte Fremdenführerin nach Theben, in die Hauptstadt Ägyptens seit der 18.Dynastie um 1400 vor Chr. Hier offenbarte sich mir die ganze Bauwut der Pharaonen zu Ehren des Reichsgottes Amun. Gewaltige Säulen türmten sie auf, geschmückt mit Bildern, Hieroglyphen und Geschichten. Die Kolonnaden von Luxor, das Tempelhaus mit der Vorhalle. Der ehrgeizige Pharao Ramses II baute weiter, vergrößerte die Tempel mit gewaltigen Pylonen, mit einer riesigen Säulenhalle, mit Reliefs und Statuen. Zwei Obelisken ließ er errichten, einen klauten dann die Franzosen und schmückten damit ihren Place de la Concorde. Nicht weit von Luxor die ehrwürdigen Ruinen des Amuntempels von Karnak mit der Widder-Sphinx-Allee und dem unglaublichen Säulensaal mit 134 Säulen in 16 Reihen und dem Chontempel. Ich fühlte mich erschlagen von diesen Riesen, dieser Gewalt des Glaubens, dem der Reichtum des Landes geopfert wurde. Welch ein Unsinn, hier als ahnungsloser Tourist herumzulaufen, man brauchte ein Leben, um das Rätsel dieser ältesten Kultur auf Erden zu begreifen.
Die überfüllte Fähre brachte uns hinüber nach Theben West zu den Königsgräbern, den Pilgerstätten für Archäologen und Touristen. Tief stiegen wir hinab bis in die schweigende Grabkammer. Von Totenruhe war keine Rede. Laut schwatzend und schwitzend von zuviel Cocacola stampften die leicht bekleideten Amerikaner und Deutschen die Treppe hinunter, ihr Schweiß hatte längst dazu geführt, dass kaum noch eines der wunderschönen Wandgemälde leuchtete, alles vergammelt, viel gestohlen.
Also rasch wieder in die staubige Sonnenlandschaft und zurück ins eigentliche Thema, die Ökologie des Flusses, die Kreisläufe der Schmarotzer. Das Segelboot Memnon
brachte uns zur Bananeninsel und das abbröckelnde Nilufer. Man zeigte uns ein Dorf, in dem fleißige Männer den braunen Schlamm des Nil in hölzerne Formen schütteten, stehen ließen und die Form entnahmen, so dass die Ziegel in freier Luft trockneten. Häuser mit diesem naturgemäßen Material sind gut für die Überschwemmungen, sie lösen sich einfach auf, hinterlassen keine Trümmer.
Während das Team im Nubierdorf Elefantine Dorfleben drehte, fuhr ich mit der Eisenbahn durch faszinierende Bauernlandschaft nach Assuan, wo mir trotz zahlreicher Verbote einige Fotos gelangen. Auf der Rückfahrt begegnete mir der ägyptische Arzt Dr. Beschir, der mir etwas erzählte von seiner Alltagsbehandlung. Frische Fälle, so meinte der Arzt, kämen nicht zu ihm in die Praxis, denn die Leute hätten keine Schmerzen. Alte Fälle mit Schmerzen kämen wohl, oft aber zu spät. Traditionsgemäß werde Bilharziose noch mit Pflanzenmitteln und magischen Ritualen bekämpft, die Patienten trauten der modernen Medizin nicht.
Der Parasitenkundler Gerhard Piekarski hatte mir in Bonn gesagt: Die Pärchenegel schwächen die Fähigkeiten der Menschen zu überleben, sie wirken direkt auf das Zentralnervensystem und machen den Patienten mit ihrem Gift lahm und gleichgültig. Die chronischen Infektionen sind eine Last für die Bevölkerung, sie besteht über Jahre, denn die Egel leben lange.
Das Niltal wurde um 10.000 vor Chr. besiedelt. Um 3000 vor Chr. zwangen Klimaänderungen die Bauern zur Bewässerung ihrer Felder. Aus dieser Zeit schon findet man Mumien mit Pärchenegeleiern. Festgesetzt hat sich die Seuche wohl um 2000 vor Chr. Vielleicht wurde sie eingeschleppt aus Mesopotamien und gefördert von mangelhaften hygienischen Bedingungen unter der Herrschaft der Ramessiden. Der moderne Assuandamm, insgesamt ein ökologisches Desaster für den Nil und sein Umland, stoppt die jährlichen Überschwemmungen und erlaubt den Schnecken, sich das ganze Jahr über zu vermehren. Zudem nahm die Bewässerungsfläche stetig zu, weil die explodierende Bevölkerung Ägyptens mehr Nahrung anbauen musste. In den 70er Jahren waren annähernd 20 Millionen Ägypter mit der Bilharziose infiziert.
Es war mühsam, mit zwei Wagen und einigen Doktoren den weiten Weg nach Imbaba-Giza zu bewältigen. Dort empfingen uns die Mitarbeiter von Bayer Leverkusen. Wir fuhren in das 600-Seelen Dorf im Nildelta. Schlangen weißgekleideter Patienten bildeten sich vor der Ärztin am Medikamententisch, wo ein jeder die Probe des neuen Bayer-Mittels Biltrizid in den Mund bekam und zu schlucken hatte. Dies sollte nun der gefürchteten Seuche Einhalt gebieten, einer Seuche, an der gewiss schon die Feldarbeiter unter den Pharaonen gelitten hatten.
Die Luft war raus im Team. Frohen Herzens machten wir uns auf den Weg zum Flughafen Cairo und bestiegen die Maschine nach Athen, um dort weiter zu drehen zum Thema Wanderungen der Bevölkerungen am Mittelmeer
– aber das ist eine andere Geschichte. Unsere Ägyptologin vermochte es nicht, ihre gute Laune wieder zu gewinnen.