Meine Soldatenzeit 1942 bis 1945
Kapitel 4, Teil 2
Nach dem Krieg
Wie schon an anderer Stelle angedeutet, hatte ich bei meinem Arbeitgeber, der Gemeinde Garstedt, einen vierwöchigen Urlaub erwirkt und Kurt Frischmuth und ich trafen uns fast täglich in Hamburg. Für gewöhnlich war das Orchideen-Café in Planten un Blomen unser erstes Ziel. Dort war eine sehr nette Kapelle mit einem sehr freundlichen Kapellmeister, wir trafen ihn einige Wochen später im Altonaer HofLesen Sie auch den Zeitzeugenbericht über den Altoner Hof
, einem besonderen Gasthaus am Ochsenzoll auf Garstedter Gebiet wieder. Die Erkennungsmelodie war Wochenend und Sonnenschein…
.
Wir ließen uns also musikalisch berieseln und genossen das schöne Wetter im August 1945. An einen großartigen Verzehr war nicht zu denken, denn wir hatten weder Geld noch Bezugsmarken, die immer noch nötig waren, um Lebensmittel jeder Art zu kaufen. Na ja, etwas Geld musste man schon haben, aber es reichte nicht für große Sprünge.
Anschließend machten wir uns auf in die Innenstadt und dann in Richtung Reeperbahn. Im Café Faun
am Gänsemarkt spielte die Kapelle Bernhard Ditrieu ihre fetzige Jazzmusik ‒ American Patrol, In the Mood pp. ‒ und insbesondere das weibliche Publikum war oft sehr interessant ‒ Ilonka
der Schwarm aller Männer!. Und im Trichter
auf der Reeperbahn trafen wir auf leibhaftige deutsche Soldaten in voller Uniform, die sich dort die Zeit vertrieben. Zu meiner Überraschung war einer der drei ein Kamerad aus der Kriegsschule in Dresden. Der Leutnant Erhard befand sich mit seinen beiden Kameraden auf dem Weg in die Heimat. Er stammte aus Süddeutschland und war der beste Schwimmer in unserer Lehrgangskompanie.
Abends gingen wir gern in das Regina
, einer kleinen, kuscheligen Bar in der Großen Freiheit. Ein harmloses
Trio spielte dort und eine Dame versuchte sich als Sängerin. Ich hörte einmal, wie sich der Chef der Bar am Nebentisch mit einem Gast unterhielt und darüber klagte, wie teuer ihn die Kapelle komme. Er wollte damit andeuten, dass auch er der Meinung war, dass Preis und Qualität nicht ganz im Einklang waren.
Weil Kurt und ich in der Bar schon bekannt waren, hatten wir das Privileg, Wein bestellen zu dürfen. So eine Flasche Wein
war damals durchaus bezahlbar. Aber der Inhalt war nun wirklich nicht erste Sahne. Der Wein war sauer. Aber es sah nach was aus, wenn man eine solche Flasche auf dem Tisch stehen hatte.
An einem Abend, wir hatten schon unserem Wein ziemlich zugesprochen, bemerkten wir in der Nachbarnische aufkommende Unruhe. Es saßen dort zwei Nachrichtenhelferinnen mit zwei Zivilisten, die sich wohl über die weitere Entwicklung des Abends nicht so recht einig werden konnten. Die Männer gingen und die Mädels waren allein, ja wirklich allein, denn sie kannten sich in Hamburg nicht aus.
Sie konnten aber von Glück sagen, dass zwei Kavaliere alter Schule in ihrer Nähe waren, die sich ihrer annahmen. Sie erkundigten sich nach Unterkünften und Kurt, der sich auskannte, empfahl die Übernachtungsstelle in der Großen Allee in der Nähe des Hauptbahnhofes.
Also machten wir uns auf. Wir mussten sie schon begleiten, denn der Weg war ihnen nicht bekannt. Es waren nette Mädels und unterwegs wurde manches Küsschen gewechselt. Nun kann man im Gehen schlecht küssen und so blieb jedes Paar mal kurz stehen bis das andere Paar ankam und sagte weiter!
. Es war eine Art überschlagender Einsatz, der den Nachteil hatte, zeitaufwendiger zu sein, als normales Vorwärtsgehen.
Wir bewegten uns durch die Wallanlagen auf den Gorch-Fock-Wall zu, als wir plötzlich barsch gestoppt wurden. Es war ein englischer Soldat der Besatzungsmacht, so eine Art Feldgendarmerie, der uns auf die Sperrstunde aufmerksam machte. Ja, so etwas gab es! Uns unzivilisierten Deutschen durfte man nachts nicht auf die Straße lassen! Wir konnten für die lieben Engländer gefährlich werden! Ab 22.00 Uhr war curfew (= körv-ju = Ausgangssperre). Mit meinen paar englischen Vokabeln versuchte ich ihm klar zu machen, dass die Sperrzeit noch nicht eingetreten sei, dass noch einige Minuten verfügbar wären. Go on! War seine Reaktion und wir eilten über die Lombardsbrücke Richtung Hauptbahnhof!
Dort lieferten wir die Damen ab. Wir durften nicht folgen, weil die Unterbringungsräume für Männlein und Weiblein streng getrennt waren. Also ab zur Ferdinandstraße, wo Kurt seine Wohnung im HAPAG-Gebäude hatte. Irgendwie schalteten wir nicht richtig, was das Abbiegen vom Glockengießerwall anbelangte und so erhielten wir plötzlich den Anruf: Stop! Hands up!
.
Es war die Wache vor der Kommandantur die wir geistig
übersehen hatten, die uns so freundlich willkommen hieß. Der Gefreite Tailor (= Schneider), der uns in Empfang nahm, hielt kurz Rücksprache in seiner Wachstube und beförderte uns dann ‒ wir mit erhobenen Händen, oh, waren wir gefährlich! ‒ mit dem Gewehr im Anschlag zur Polizeiwache im Bieberhaus auf der anderen Seite des Hauptbahnhofes und lieferte uns dort ab.
Dort war es eigentlich ganz gemütlich, zumindest wurde dort deutsch gesprochen, aber mich sperrte man in eine der üblichen Zellen, weil meine Identität nicht hinreichend kontrolliert werden konnte. Ich war ein Ausländer! Aus Schleswig-Holstein kommend! Kein Hamburger! Kurt hingegen, der in der Nachbarschaft zu Haus war, erfuhr eine bessere Behandlung.
Zunächst einmal konnte er seinen Alkoholspiegel dadurch steigern, dass er mit einer Dame, die sich an einem Gemisch aus Äther und Wasser berauschte und schon vorher ganz schön zugelangt hatte, deren Sucht teilte.
Mitten in der Nacht ‒ so schien es mir ‒ klopfte er dann an meine Zellentür und teilte mir mit, dass er jetzt seine Wohnung aufsuchen dürfe, und ich musste elend zurück bleiben. Am nächsten Tag brachte mich ein Polizist, dem ich sein Päckchen mit rohen Tabakblättern tragen durfte
, ins Polizeigefängnis HüttenDer Straßenname Hütten entstand aus der Bezeichnung Bei den Hütten
. Mit Hütten
wurden kleine, freistehende Häuschen benannt. Diese wurden den angeworbenen Soldaten zur Verfügung gestellt, nach der Errichtung der Wallanlagen zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges.Siehe Wikipedia.org.
Auch das noch! Ich musste zunächst meine Taschen leeren und alles Sonstige, was man so bei sich trägt, abliefern, das heißt, die Dinge wurden in ein kleines Pappkästchen gelegt und dieses verschnürt. Da entdeckte der überaus aufmerksame Beamte meine Armbanduhr! Die dürfe ich auch nicht mit in die Zelle nehmen! Ich nahm sie ab, übergab sie ihm und er band die Uhr außen an das Päckchen. Das sah richtig lustig aus.
Aber sonst gab es keine Lustigkeiten. Ich wurde in eine Zelle gebracht, in der schon drei Mann hausten. Das letzte freie Bett war also meines. Dann bekam ich noch ein Schüsselchen für die Verpflegung ausgehändigt. Messer und Gabeln gab es nicht, vermutlich nur einen Löffel. Als es dann Kaffee(-Ersatz) gab, bemerkte ich, dass mein Schüsselchen ein kleines Löchlein hatte, aus dem der Kaffee tropfte. Ich musste es mit dem Finger schließen, um so trinken zu können, dass meine Hose nicht nass wurde.
Das Leck in dem Schüsselchen hatte sich dadurch ergeben, dass das Eisenblech an einer Stelle, an der die Emaillierung abgeplatzt war, durchgerostet war. Das war ähnlicher Mist wie meine Feldflasche in Dänemark! Dort hatte es den Vorteil, dass man sie auseinandernehmen konnte, um die Pistole unterzubringen. Hier ergaben sich keine Vorteile!
Als Mittagsmahlzeit gab es Pellkartoffeln in der Schale mit irgendwas. Das muss nichts Dolles gewesen sein, denn da fehlt mir jegliche Erinnerung. Auf jeden Fall begann nach dem Essen eine schweißtreibende Beschäftigung: Das Reinigen der Kartoffelschalen. Die Schalen wurden fein säuberlich von allen Kartoffelresten befreit, auf einer Zeitung ausgebreitet und mit einem anderen Blatt abgedeckt. Dann wurden sie zum Trocknen zwischen Betttuch und Strohsack gelegt. Wozu das Ganze? Das war original Hüttener Feinschnitt, Tabak natürlich!
Ich habe so etwas aber nicht geraucht. Wollte mich doch nicht vergiften! Aber bei Rauchern fand das Produkt reges Interesse.
Am Nachmittag schauten wir in den Gefängnishof. Den konnten wir aus unserem Zellenfenster sehen. Da gab es ganz was Besonderes zu sehen! Es hatte sich herumgesprochen, dass wir einen prominenten Mithäftling hatten: Max Schmeling! Maxe sollte wohl ‒ so hieß es ‒ Autoreifen verschoben haben. Er durfte ganz allein seine Runden drehen, während wir ‒ separat ‒ nach alter Tradition im Kreis laufen mussten.
Als es schummrig wurde, konnten wir auf dem Gorch-Fock-Wall die Kinder mit ihren Laternen und flanierende Pärchen laufen sehen ‒ und wir saßen hier in der Sch…! ‒ Kurt war es irgendwie gelungen, Telefon hatten wir noch nicht, meine Mutti von meiner bescheidenen Lage zu unterrichten. Sie nahm dann auch am nächsten Wochentag, am Montag sofort mit dem Polizeichef Dennert Verbindung auf und erklärte dem die Situation.
Der hatte Verständnis und ordnete meine Entlassung an ‒ wovon ich aber zu diesem Zeitpunkt nichts wusste. Wir hockten nach wie vor in unserer Zelle und lauschten auf jedes Geräusch! Es konnte ja sein, dass sich die Tür öffnete und… aber das war viel zu schön zu bedenken. Aber dann wurde doch der Riegel zur Seite geschoben, ein tolles Geräusch ‒ beim Öffnen, und man teilte mir die Entlassung mit. Der Meier, deshalb in der Erinnerung bat mich noch, eine Nachricht zu überbringen an so und so. Er gab mir schnell einen Zettel mit der Adresse. In der Rezeption
bekam ich dann alle meine Sachen zurück, auch die Uhr, und durfte gehen. Ein unbeschreibliches Gefühl, wieder frei zu sein. Tun und lassen können, was man will! Danke Mami!
Die Nachricht habe ich dann auch an einem der nächsten Tage überbracht. Es gab aber noch ein Nachspiel! Ich bekam einige Wochen später eine Vorladung zu Militärgericht der britischen Besatzungsmacht. Ich hatte mir eine Anklage eingehandelt wegen Überschreitung der Sperrzeit. Kurt nicht! Der hatte inzwischen das Wohlwollen der Engländer gefunden und war beim Regional Food Office angestellt worden. Das war eine Stelle, die verantwortlich war für die (Unter-)Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und hatte ihren Sitz im Phönix-Haus, so hieß es später einmal.
Schuld an dieser Entwicklung hatte Paulchen Weiß. Paulchen Weiß war ein Faktotum der besonderen Art. Was er eigentlich tatsächlich machte, weiß wohl niemand so ganz genau. Wahrscheinlich war er Bote einer Hamburger Behörde. Er umgab sich gern mit dem Nimbus der Besonderheit. Seine Adlernase unter dem schwarzen Brillenrahmen und der lange Mantel unterstrichen dies und verliehen ihm Glaubwürdigkeit.
Paulchen muss auch eine Verdrahtung zu den Engländern gehabt haben - direkt oder indirekt. Und so gelang es, Kurt einzuschleusen
! Das hatte zunächst den Vorteil, das seine Untat
unter den Tisch fiel, weil er ein Permit (= Erlaubnis) zur Sperrstundenüberschreitung nachweisen konnte und keine Anklage erhielt.
Ich musste aber vor den Kadi. Es war beeindruckend! Etwas erhöht saß der Richter und schaute auf mich herab wie eine Kröte, die jeden Augenblick ihr Opfer verschlingen will. Es war ein etwas älterer Herr in englischer Uniform und einer dicken Brille auf der breiten Nase. Davor saß die Dolmetscherin, die ein nettes Mädel hätte sein können, säße sie nicht hier. Die Sache wurde vorgetragen und dann sagte er zu mir, das heißt, die Dolmetscherin übertrug es so: Ich bin ja nicht viel älter als Sie, möchte Ihnen aber trotzdem den guten Rat geben, geben Sie sich nie mit betrunkenen Damen ab, denn die könnten ihnen die Handtasche stehlen!
Na ja, nun wusste ich es und durfte 150,- Reichsmark Strafe zahlen, etwas mehr, als ein Monatseinkommen! Und noch etwas zu Paulchen Weiß: Er war allein, Kurt und ich haben ihn sogar einmal in seiner etwas düsteren Wohnung besucht, und das war besonders schwer in damaliger Zeit. Er war des Öfteren auf dem Hamburger Sommerdom- anzutreffen und ließ sich in der Dombäckerei Feldmann verwöhnen mit leckerem Backwerk, kostenlos natürlich, das wieder angeboten wurde.
Auch Kurt und ich gingen gern einmal über den Dom. Da war immer etwas los! Jetzt gab es auch wieder Würstchen zu kaufen! Sie waren angeblich aus Ziegenfleisch gemacht, weil das nicht unter Bewirtschaftung stand. Uns war es egal. Die Würstchen schmeckten prima, gar nicht nach Ziege! ‒ Ich wollte diese Geschichte meines Gefängnisaufenthaltes nicht übergehen. Man muss eben alles einmal mitgemacht haben, um mitreden zu können. Hoffentlich halten mich meine Nachkommen deshalb nicht für einen Verbrecher, das wäre schade!