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Kalte Ente

…über die Zitrone wird gleichzeitig je eine Flasche Wein und eine Flasche Sekt in die Bowlenschüssel gegossen und fertig ist die kalte Ente.
Zeichnung: Margot Bintig

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Kalte Ente

Nachdem ich die Lehre beendet hatte, arbeitete ich noch einige Zeit in meiner Lehrfirma als kaufmännische Angestellte. Obwohl ich dort immer noch als Lehrling angesehen wurde, fand ich die Arbeit und das kollegiale Verhältnis ausgesprochen gut, eigentlich war alles bestens.

Leider war die Bezahlung sehr gering. Die Liste der Wünsche war aber groß. Ganz oben auf meiner Wunschliste standen der Führerschein und ein Auto.
Damit es nicht nur beim Wünschen blieb, musste ich sehen, dass ich an das erforderliche Kleingeld kam.
Eine Bekannte erzählte mir, dass sie auf der Frankfurter Messe einen Nebenjob als Bedienung hatte und dabei gutes Geld verdiente. Ich bewarb mich also für die demnächst anstehende Automobilausstellung 1965 als Aushilfskellnerin. Es war kein Problem, eine Anstellung zu bekommen, denn es wurden dringend Messeaushilfen gesucht.
Ich nahm ein paar Tage Urlaub und stürzte mich, ohne die geringste Vorahnung, was auf mich zukam, in den Messetrubel.

Die vorgeschriebene Arbeitskleidung war ein schwarzes Kleid, das ich mir extra dafür kaufte (…ein kleines Schwarzes kann man immer brauchen), eine gestärkte weiße Servierschürze, darunter eine schwarze Taschenschürze in die die Geldtasche gesteckt wurde. Auf dem Kopf musste man ein kleines, weißes Häubchen tragen. Wir waren in dem Hauptrestaurant der Frankfurter Messe ganz viele junge Aushilfen und einige alte Hasen. Diese erklärten uns auch gleich einige Tricks, wie man viel Umsatz machen konnte. Ich verzichte hier auf die detaillierte Wiedergabe, denn manche Tricks waren scharf am Rande der Legalität.
Das Bedienungspersonal bekam damals kein Gehalt, sondern auf die ausgewiesenen Nettopreise wurde ein Bedienungszuschlag, nicht zu verwechseln mit dem Trinkgeld, von zehn Prozent erhoben. Der Verdienst richtete sich ausschließlich nach dem erzielten Umsatz. Dies änderte sich erst mit der Einführung der Mehrwertsteuer 1968. Ab diesem Zeitpunkt mussten die angegebenen Preise ausschließlich Endpreise sein.

Es gab noch keine Selbstbedienung, jeder Gast konnte eine individuelle Bestellung aufgeben und wurde am schön gedeckten Tisch bedient. Da es alle Besucher der Messe sehr eilig hatten, bestellten wir mehrere Essen der oberen Preisklasse auf Verdacht, also ohne Bestellung und verkauften es sofort an die nächsten Tische. Genauso wurde auch mit den Getränken verfahren. Die Gäste freuten sich über die schnelle Bedienung, auch wenn sie nicht unbedingt ihr Wunschgericht bekamen und gaben ein entsprechend gutes Trinkgeld. So wurden die Tische schnell wieder frei und mussten sofort für die nächsten Gäste neu eingedeckt werden, die bereits ungeduldig auf ihre Plätze warteten.
Es war eine wirklich harte, ungewohnte Arbeit für mich und abends hätte ich gerne nicht nur die Schuhe, sondern auch die Füße gewechselt. Aber nach Ende der Automobilmesse hatte ich das Geld für den Führerschein zusammen. Es fehlte nur noch etwas Kapital für mein erstes Auto.

Ich gab bei der Messeverwaltung an, dass ich auch in Zukunft für Aushilfsarbeiten zur Verfügung stehen würde, allerdings nur an den Wochenenden.
Ich wurde noch ein paar Mal bei großen Firmenveranstaltungen und Bunten Abenden, mit den damaligen Unterhaltungsstars wie Ivan Rebroff und Hazy Osterwald sowie Conférenciers (so sagte man damals zu den Moderatoren) wie Heinz Schenk eingesetzt. Das waren alles Massenveranstaltungen und es wurde kein Wert auf spezielles Können an den Service gelegt.

Dann kam der Abschlussball der Internationalen Pelz- und Rauchwarenmesse. Dieser Ball fand in der Kongresshalle der Frankfurter Messe statt. Diesmal war es keine Massenveranstaltung, sondern es war alles sehr edel und elegant, obwohl auch hier viele Gäste geladen waren. Die Garderobe war entsprechend, die Damen im schulterfreien, langen Abendkleid. Schulterfrei wohl deshalb, weil man dann auch die Pelzstola am Tisch zeigen konnte. Die Herren kamen im Smoking oder mindestens im schwarzen Anzug. Ich glaube, viele Banktresore wurden speziell für diesen Abend geöffnet, denn der getragene Schmuck sah nicht nach Imitation aus, soweit ich das überhaupt beurteilen konnte.
Es herrschte Weinzwang. Das war keine Aufforderung für kollektives Tränenvergießen, sondern die vom Gastronom aufgestellte Forderung, ausschließlich vergorenen Rebensaft in Form von Wein oder Sekt, es durfte auch Champagner sein, zu bestellen. Wer unbedingt ein Bier trinken wollte, bekam dies nur in Form eines Herrengedecks. Das war eine Flasche Pils und ein Glas Cognac. Der Preis war genauso hoch wie der einer Flasche Wein, die auch wesentlich teurer war als bei anderen Veranstaltungen.
Es gab ein großes kaltes Buffet, jedoch ohne Selbstbedienung. Die Gäste zeigten den Köchen, was sie auf dem Teller haben wollten und bekamen eine entsprechende Nummer. Mit dieser Nummer holte dann die Bedienung die Teller mit den schön angerichteten Speisen ab und brachte sie zum Tisch.

Zum Tanz spielte Kurt Edelhagen mit seiner Bigband. Ich hatte nur einen einzigen großen Tisch mit zirka zwölf Personen zu versorgen. Es schien alles ganz einfach. Das Essen entsprechend der Nummern abzuholen und zu servieren, war kein Problem. Man brachte die bereits im Vorraum vom Kellermeister wie am Fließband geöffneten Flaschen (was heute undenkbar ist) in Wein- und Sektkübeln an den Tisch und schenkte in die entsprechenden Gläser ein. So war es jedenfalls an den anderen Tischen.

Mein Tisch bestellte aber KALTE ENTE!

Ich fragte am Tresen, was das sei und erfuhr, dass es eine Bowle aus Wein, Sekt und Zitrone ist. Es gibt dafür auch spezielle Gefäße, aber auf diese Bestellung war man nicht vorbereitet. Ich solle halt improvisieren.
Man gab mir ein großes Glasgefäß das etwa wie ein Goldfischglas aussah. Dann sollte ich eine Zitrone sorgfältig schälen, sodass es eine makellose Spirale ergab, ein Rest musste mit der ganzen Zitrone verbunden bleiben. Seitlich sollte in die Zitrone je eine Gabel gesteckt und das Ganze so über die Glasschüssel gelegt werden, dass die Zitrone in der Mitte lag und die Zitronenschale sich in das Gefäßringelte. Dann solle über die Zitrone gleichzeitig je eine Flasche Wein und eine Flasche Sekt in die Bowlenschüssel gegossen werden und fertig ist die kalte Ente.

Ich bekam das mit der Zitronenschale wunderbar hin, steckte die Gabeln in die Enden der Zitrone und brachte das Bowlengefäßauf den Tisch. Dann begann ich den Wein und den Sekt darüber zu schütten. Ich hatte allerdings die Gabel falsch auf die Schüssel gelegt, sodass die Enden der Gabeln nicht nach oben zeigten, sondern nach unten.
Ich starrte das perlende Gebräu an, wie es über die Zitrone an den Gabelenden herunter auf die Tischdecke lief und lief. Ich war unfähig irgendetwas anderes zu tun, als dem Ganzen fassungslos zuzusehen. Heute würde ich es als Blackout bezeichnen.
Ein älterer Herr am Tisch erfasste die Situation und nahm mir die Flaschen ab. Er sagte zu mir: So Frolleinsche, damit Sie das lernen, machen wir erst mal den Tisch wieder sauber und dann bringen Sie uns eine neue kalte Ente.
Ich wollte am liebsten mit meinem hochroten Kopf in den Boden versinken. Da das leider nicht möglich war, versuchte ich es mit Schadensbegrenzung und brachte neue Tischdecken. Die ganze Tischgesellschaft half mir, den Tisch neu einzudecken. Das Malheur blieb zum Glück von den Kollegen unentdeckt.

Ich brachte im Laufe des Abends noch viele kalte Enten an den Tisch. Allerdings wirklich nur bis an den Tisch, denn der ältere Herr nahm mir jedes Mal mit einem launischen Spruch die Flaschen ab, um die Bowle selbst zusammen zu schütten und sie dann seinen Gästen einzuschenken. Ich durfte tatenlos zusehen, was mir recht peinlich war. Mit jeder neuen kalten Ente wurde die Stimmung am Tisch, im Gegensatz zu meiner, immer fröhlicher.
Nach einer gefühlten Ewigkeit endete zum Glück auch diese Veranstaltung. Der gleiche Herr, der mir den ganzen Abend die Arbeit abnahm beglich die Rechnung für den ganzen Tisch. Der Betrag war um ein vielfaches höher als mein Monatsverdienst als kaufmännische Angestellte. Zum Rechnungsbetrag kam noch das Bedienungsgeld von zehn Prozent. Zusätzlich bekam ich ein Trinkgeld von 100 D-Mark! Das war sehr viel Geld damals und ich war sprachlos im wahrsten Sinne des Wortes. Die Gesellschaft verabschiedete sich fröhlich und winkte mir noch aufmunternd zu.

Nachträglich sehe ich den hohen Betrag nicht als Trinkgeld, sondern als Gage an, denn ich trug unfreiwillig sehr zu Heiterkeit am Tisch bei.
Ich habe diese Aushilfstätigkeit bald darauf aufgegeben und auch bei meiner Lehrfirma gekündigt, um eine besser bezahlte Stelle anzunehmen.
Dass ich trotz der guten Verdienstmöglichkeiten nicht dauerhaft in der Gastronomie arbeiten wollte, war mir von Anfang an klar.
Die ersten zwei Punkte meiner Wunschliste waren ja auch schon abgehakt.

  • Autorin: Margot Bintig, März 2013
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