Meine Führerscheine
Wenn früher jemand davon sprach, dass er zwei Führerscheine hatte, dann dachte man an den Moped-Führerschein, den man ab 16 machen konnte, und an den PKW-Führerschein, der dann meistens später folgte.
Wenn heute jemand von zwei Führerscheinen spricht, dann denkt man an den grauen Lappen
(meine Generation) oder den rosa Lappen
(Generation meiner Kinder) und an den Führerschein im Scheckkartenformat, den man ab 1999 gegen seinen Lappen
eintauschen kann.
Ich habe meinen grauen Lappen
von 1967 behalten und ihn nicht gegen die Scheckkarte eingetauscht. Der Hauptgrund ist absolut nostalgisch. Außerdem, darf ich mit dem Lappen
bis zu 7,5 t schwere Lastwagen fahren — auch wenn ich so gut wie nie davon Gebrauch mache.
Aber ich habe noch ein paar andere alte Führerscheine, und das kam so:
Mein Vater wurde 1960 als Propst an die Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem (damals noch Jordanien) berufen, und natürlich kam die Familie mit. Damals war es bei solchen Auslandsaufenthalten üblich, dass man nach drei Jahren Heimaturlaub
in Deutschland machen konnte. Unser Heimaturlaub fiel also auf den Sommer 1963. Und für diesen Urlaub brauchte ich einen Führerschein, weil ich dort fahren sollte.
Seit dem Schuljahr 1961/62 besuchte ich die Deutsche Auslandsschule in Kairo und konnte nur dreimal im Jahr in den Schulferien nach Jerusalem kommen, nämlich in den Sommerferien, die drei Monate dauerten, zu Weihnachten und im Frühjahr entweder zum Bayramfest oder zu Ostern. In den Sommerferien 1962 — ich war damals 17 — stellte mir mein Vater in Arabisch eine Fahrerlaubnis aus. Natürlich tat er das nicht selbst, denn so gut war sein Arabisch nicht. Der Clerk aus dem Kirchenbüro tippte die Erlaubnis auf der arabischen Schreibmaschine, und mein Vater unterschrieb sie. Damit erklärte der Unterzeichner, dass sein Sohn das Auto führen darf. So einfach war das. Natürlich durfte ich nicht allein auf dem Dienstwagen, einem alten Opel Rekord Caravan üben, sondern ich übte mit Ishaq (arabische Form von ‚Isaak‘), unserem Chauffeur, der auf dem Beifahrersitz saß und zitterte. Aber es klappte recht gut und Ishaq meldete mich zur Prüfung an.
Eine theoretische Prüfung musste ich in Jordanien nicht ablegen, aber eine praktische. Jeder, der den Straßenverkehr im Vorderen Orient kennt, wird nicht an der Notwendigkeit einer praktischen Prüfung zweifeln.
Die praktische Prüfung begann am Jaffator. Der Prüfer dirigierte mich entlang der südlichen, dann der östlichen Stadtmauer oberhalb des Kidrontales. Alles lief zu meiner Zufriedenheit. Dann ging es durch das Wadi el-Joz hinauf auf den Kamm des Ölbergs in den Stadtteil At-Tur, der oberhalb von Getsemani liegt. Dort ist es sehr hügelig und die Bebauung ist sehr eng. Als ich nun bergab durch eine kurvenreiche Gasse fuhr, die kaum breiter war als der Opel Rekord selbst, bat mich der Prüfer, anzuhalten und rückwärts zu fahren…
Rückwärts, bergauf und um die Kurve in der engen Gasse! Ich scheiterte und war durchgefallen. Der Prüfer hatte mich zu Recht durchfallen lassen, denn ich hatte die Aufgabe nicht bewältigt. Im Nachhinein denke ich, ob er mich auch durch die Gasse gelotst hätte, wenn er vorher ein Bakschisch bekommen hätte? Eine müßige Spekulation.
Was nun? Die Sommerferien waren vorbei und mein Bruder und ich mussten wieder zurück in die Schule. Weihnachten waren wir wieder zu Hause, aber das war kein geeigneter Zeitpunkt, die Führerscheinprüfung zu wiederholen. Die nächste Möglichkeit bot sich im Frühjahr. Ob es die Oster- oder Bayramferien waren, weiß ich nicht mehr.
Inzwischen war meine Jordanische Residenzkarte abgelaufen. Die brauchte ich aber für die Prüfung. Mein Vater ließ sie im März 1963 erneuern, und so konnte ich die Prüfung am 2. April wiederholen — und bestand! (Von einem Bakschisch ist mir nichts bekannt.)
Im Juni wurde mir dann ein internationaler Führerschein ausgestellt, den mir meine Eltern mitbrachten, als sie uns in Kairo abholten, um den gemeinsamen Heimaturlaub anzutreten. Nun stand dem Fahren in Deutschland nichts mehr im Wege.
Mit dem jordanischen Führerschein bin ich auch in Ägypten gefahren. Ob das legal war, weiß ich nicht, da ich nie nach meinem Führerschein gefragt worden bin. Aber er verlor seine Gültigkeit nach drei Jahren, also im April 1966. Ende Januar 1966 hatte ich die Gelegenheit, eine Wüstentour nach Mons ClaudianusLesen Sie auch meinen Reisebericht »Mons Claudianus« in die Arabische Wüste mitzumachen und dabei eines der Autos zu fahren. Und da ich im Mai das Abitur machen und danach nach Deutschland zurückkehren würde, brauchte ich außerdem einen gültigen Führerschein, um mir wieder einen Internationalen ausstellen lassen zu können. So beantragte ich Mitte Januar 1966 unter Vorlage des Jordanischen Führerscheins und einer Augenuntersuchungsbescheinigung von Dr. Mughrabi, die mich 1 LE (~10 DM) kostete, den Ägyptischen Führerschein. Eine erneute Fahrprüfung war nicht erforderlich.
Zurück in Deutschland habe ich erst einmal den Internationalen Führerschein benutzt. Als dieser nach einem Jahr seine Gültigkeit verlor, besorgte ich mir im Mai 1967 den Deutschen Führerschein.
Eine praktische Prüfung musste ich in Deutschland nicht ablegen, aber eine theoretische. Jeder, der die Bürokratie in Deutschland kennt, wird nicht an der Notwendigkeit einer theoretischen Prüfung zweifeln.