Weihnachten früher und heute
Als wir Kinder waren gab es noch keine Berge von Geschenken zum Weihnachtsfest. Die Puppe bekam ein neues Kleid oder ein Bett.
Der Teddy hatte wieder beide Arme. Der Holzroller war neu angestrichen.
Das große Puppenhaus hatte mein Vater selbst gebastelt – in Nachtarbeit im Krieg. Im Rucksack hatte er es nach Hause getragen und war vor der Haustür unter der Last zusammengesackt, Mutti hat es später erzählt, ich war zu klein, um mich daran zu erinnern. Aber das Haus - zwei Etagen hoch, grün mit einem roten Dach - sehe ich noch vor mir. Wo ist es geblieben?
Am Heiligabend war die ganze Familie zusammen, dazu gehörte auch Oma und ihre beiden Schwestern, Tante Martha und Tante Frieda. An Opa kann ich mich kaum erinnern, er war gestorben, als ich drei Jahre alt war.
Wenn unser Vater den Baum schmückte, war die Stube verschlossen. Sogar das Schlüsselloch war verstopft. Voller Spannung warteten wir auf das Klingen des Glöckchens.
Der Tannenbaum im Lichterglanz war immer wieder eine Überraschung, obwohl der Schmuck der gleiche war wie im Vorjahr.
Jedes Jahr neue Kugeln: einmal gold, einmal lila, einmal blau oder so ähnlich – das war undenkbar. Die Kugeln wurden immer wieder sorgfältig verpackt, damit nichts kaputt geht.
Natürlich hatten wir echte Wachskerzen, was zwar immer zu Wachsflecken auf dem Teppich führte, aber elektrische Kerzen kannten wir noch gar nicht. Besonders beliebt bei uns Kindern waren die Süßigkeiten im Baum.
Vor der Bescherung mussten wir ein Gedicht aufsagen. Aufregend war das, besonders wenn der Weihnachtsmann kam. In der Küche bei Mutti hatten wir noch tüchtig geübt.
Dann bekam jeder ein Päckchen aus dem großen Sack. Wird wohl ein Wunsch erfüllt? dachten wir. Und irgendwie haben die Eltern auch damals Wünsche erfüllt.
Für die Erwachsenen war das Weihnachtsessen etwas ganz Besonderes, nicht etwa der Kartoffelsalat mit Würstchen, sondern das gemeinsame Essen mit der großen Familie.
Nach dem Essen las Vater Geschichten vor, spielte auf der Geige oder dem Schifferklavier. Wir sangen alle zusammen Weihnachtslieder und Tante Martha las die Weihnachtsgeschichte vor.
An diese Zeit denke ich oft zurück, wenn ich meine Enkelkinder sehe, wie sie Paket für Paket aufreißen, dass die Fetzen fliegen. Dann gucken sie das Geschenk kurz an und schon geht’s zum nächsten Paket. Inmitten der vielen Geschenke wissen sie kaum, womit sie nun spielen sollen.
Vor einigen Jahren hatte ich einen großen Pappkarton für das viele Papier hingestellt. Eines der Kinder setzte sich hinein – brumm, brumm – ab ging die Fahrt. Als wir fragten: Was ist denn das schönste Geschenk?
kam die Antwort prompt: Das Auto – brumm, brumm – tut – tut
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Vielleicht lassen wir Erwachsenen den Kindern zu wenig Freiraum für Kreativität, weil wir schenken möchten, was wir nicht bekommen konnten.