Wie kommt man eigentlich an einen Oldtimer?
Kapitel 4
Beim TÜV durchgefallen
Ein Vierteljahr später fiel es mit Pauken und Trompeten durch den TÜV: Die Bremsen an Vorder- und Hinterachse zogen schief, außerdem war die Vorderachse völlig schief, der kleine Unfall
. Gut 900 D-Mark ärmer hatte die Mercedeswerkstatt auch dieses Problem für mich gelöst – später musste ich feststellen, dass sie dabei die Hinterradbremse völlig verpfuscht hatten, wie das Auto anschließend zu seiner TÜV-Plakette kam, blieb ein Rätsel.
Wenige Tage oder Wochen danach brach der erste Wagenheberansatz weg – dabei besteht der aus richtig massivem Blech. Nochmals ein halbes Jahr später waren die anderen drei Wagenheberansätze auch Geschichte, dazu waren die vorderen Kotflügel durchrostet, die Stehblechkanten, an denen sie befestigt wurden, fast nicht mehr vorhanden, alle vier Türen unten durchgerostet, die Träger unter den Türen vorn und hinten, die hinteren Radläufe, die Kofferraumkanten, die Kofferraumhaube, das Bodenblech …
Aber das war es nicht allein. Jetzt stellte sich nach und nach auch heraus: Das Auto hatte einen mehrfachen seitlichen Überschlag hinter sich, auf dem Dach klebten bis zu zehn Zentimeter dicke Spachtelschichten. Die waren einfach auf den alten Lack darunter aufgetragen – deswegen war damals der Lack etwas matt
und wurde erneuert. Und weil sie auf dem alten Lack nicht so recht hafteten, kam ich nun alle paar Tage zu meinem ehemals fast neuen Auto – das war noch nicht ganz ein Jahr her! – es lag ein neuer größerer Brocken Spachtel mit dem schönen neuen Lack auf dem Boden und ich hatte freien Durchblick auf den Altlack …
Jeder vernünftige Mensch hätte den Rosthaufen zusammengekehrt, möglicherweise den Hinterhofhändler mit unsicheren Aussichten verklagt und das Auto entsorgt. Zumal mit meinen wahrhaft nicht zu profunden Kenntnissen der Autotechnik. Aber so langsam erwies sich die Mechanik nach Behebung der anfänglichen Schäden als ziemlich robust – wenn sie nicht gerade in einer anderen Mercedes-Werkstatt landete, wo man Stein und Bein schwor, das 270 D-Mark teure Ölfiltergehäuse sei nicht beim Ölwechsel zerbröselt, sondern habe schon lange einen Riss
gehabt. Heute weiß ich, dass man über die Gehäuse schon mit einem Panzer fahren muss, um sie zu zerstören – nur wenn man bei der Montage nach dem Ölwechsel nicht Obacht gibt und schief montiert, zerstört man die Dichtungskante beim beherzten Festziehen …
Vor allem aber: Wie hätte ich meinem Opa erklären sollen, dass seine fast 7.000 D-Mark binnen eines guten Jahres weitgehend zu Staub zerfallen waren, zu braunem Roststaub? Also suchte ich, mittlerweile nach Zivildienstende wieder als Student an der Braunschweiger Uni eingeschrieben, einen anderen Studenten, der bereits recht behände mit Blech und der Flamme eines Azetylenbrenners umgehen konnte, und flickte mit ihm in wochenlanger Arbeit wieder zusammen, was zerbröselt war. Ab jetzt standen diese Arbeiten alle zwei Jahre zum TÜV-Termin an, das Auto wurde regelrecht süchtig nach der Flamme. Es dauerte dann auch nicht lange, bis der Student verständlicherweise keine Lust mehr hatte, mein Opa musste dann ein Schutzgasschweißgerät finanzieren und ich erledigte fortan die wochenlange Arbeit allein.
Denn so langsam hatte ich – learning by doing – doch schon einiges dazu gelernt. Dennoch, das wusste ich aber damals noch nicht, stand ich noch ganz am Anfang meiner Autobastlerkarriere …
1987 ging es dann erstmal nicht mehr weiter. Wieder stand der TÜV an, deutlich zu erkennen war der Bedarf an entsprechenden Arbeiten, aber ich konnte einfach nicht: Mittlerweile arbeitete ich im Schnitt täglich sechseinhalb Stunden, um mein Studium zu finanzieren, das hatte natürlich nur Sinn, wenn ich parallel auch merklich etwas für das Studium tat, und neben diesen beiden zeitzehrenden Aufgaben war einfach keine Möglichkeit, um mal eben wieder zehn Wochen inklusive Samstagen und Sonntagen in 12-Stunden-Schichten am Auto zu arbeiten.
Wieder hätte jeder Vernünftige das mittlerweile nachgezählt zehnfarbige Auto einfach entsorgt, zumal ich mir mittlerweile einen fahrbaren Ersatz-Untersatz besorgt hatte – aber sollte ich mein erstes Auto wegwerfen? Das zudem auch jetzt, mit mittlerweile 280.000 km mechanisch immer noch grundsolide war, nur weil das Blechkleid mittlerweile etwas gelitten hatte? Wir Menschen legen uns ja auch nicht ins Grab, nur weil unser Kleid gelitten hat …
In dieser Situation tat ich das einzig Sinnvolle – auch wenn meine Mutter in allabendlichen Telefonaten ihr bestes gab, um mich von meinen Plänen abzubringen: Ich mietete mich in einer Schrauberhalle ein. Das Auto wurde zerlegt, die Teile verschwanden in einem Hochregal – bis ich drei Jahre später 1991 mit abgeschlossenem Studium das Projekt wieder aufnahm. Nur etwa 1.770 Stunden und 12.000 D-Mark später stand das Auto wieder auf den Rädern – optisch wahrlich nicht schön, mit vielen Gebrauchtteilen geflickt, aber ansonsten sicherlich insgesamt in deutlich besserem Zustand als damals beim Kauf …
Seitdem fahre ich ihn nur noch im Sommer: Siebzigerjahre-Autos sind rostanfällig, ich habe meine Lektion gelernt, auch wenn er heute wesentlich besser konserviert ist, als die Neuwagen je waren. Aber ich fahre ihn noch, er hat jetzt 390.000 km runter, immer noch den ersten Motor, die Optik ist eher noch schlechter geworden, aber vermutlich wird er mich überleben, denn aus dem damals 20-jährigen Besitzer ist mittlerweile ein 61-Jähriger mit semiprofessioneller Schrauberwerkstatt und 20 Jahren Entwicklererfahrung in der Autoindustrie geworden, den man leider nicht bei Bedarf einfach immer mal wieder schweißen kann, er dagegen ist mit über 47 Jahren offenbar im besten Alter …