Schwiegermutter wird mit Hüftgold bestochen!
Anfang der 70er Jahre lernte ich meine jetzige Frau kennen. Aber wie geht man mit der zukünftigen Schwiegermutter um? Man hört immer nur von den bösen Schwiegermüttern, aber nicht von den netten. Also muss man klarstellen, es gibt solche und solche. Nun wollte ich es auch einmal testen.
Meinen Schichtdienst legte ich so, dass ich Freitags früh bis ca.12 Uhr arbeitete, und hatte dann am Wochenende frei. Der kommende Montag wurde so getauscht, dass ich zum Spätdienst erscheinen musste. Die Arbeitsstätte war ca. 15 Minuten vom Hamburger Hauptbahnhof entfernt. Ich wohnte noch bei meinen Eltern in Hamburg Barmbek-Süd. Meine Mutter hatte dann die Reisetasche für das Wochenende in der Südheide schon gepackt. Essen hatte sie schon auf dem Tisch. Dann ging es auf die Piste der Straßen und der Autobahn. Über die Norderelbbrücken Richtung Veddel. In Höhe der Peute war ein anderer Geruch als in Barmbek Süd. Die Industrieschornsteine gaben viel dunklen Qualm ab. Ich bedauerte die Mitmenschen, die hier wohnten. Jetzt fuhr ich an der Raststätte Stillhorn in Richtung Horster Dreieck vorbei. Natürlich war ich schon auf der Autobahn, der A1. Weiter ging es auf der A7 Richtung Süden. An der Abfahrt Evendorf musste ich die Autobahn verlassen. Jetzt ging es über die Landstraße weiter über Amelinghausen, Wriedel, Ebstorf und Uelzen. Die Umgehungsstraße der Bundesstraße 4 um Uelzen gab es noch nicht. Der Bau der Straße wurde erst später in Angriff genommen. Nun war ich in der Innenstadt von Uelzen angelangt. In der Lüneburger Straße war auf der rechten Seite kurz vor der Kreuzung eine tolle Bäckerei. Nun musste ich mir für wenige Minuten einen Parkplatz suchen. Ich muss sagen, ich hatte immer Glück, denn die Altstadt ist eng. Im Laden duftete es nach frischen Backwaren und nach leckerem Kuchen. Den Tipp bekam ich von meinem früheren Nachbarn, später Chef und Trauzeuge. Was nehme ich bloß, dachte ich mir, es sah alles ganz toll aus. Also bestellte ich Schwarzwälder Kirschtorte (Hüftgold
), Nusstorte für Schwiegervater und noch einige Tortenstücke, sowie Butterkuchen und Berliner. Schnell ins Auto und links ab zum Hammerstein. Im Kreisverkehr wurde noch schnell getankt. Zu der Zeit gab es noch zwei Tankstellen, heute nur noch eine. Mein VW-Käfer brauchte ja nicht viel, aber mehr als die heutigen Autos. Dafür kostete Benzin um die 0,79 D-Mark der Liter. An der Tankstelle kam ich dann mit 20 D-Mark immer aus. Ich war und bin dafür, immer zu einem bestimmten Zeitpunkt zu tanken. Dann ging die Fahrt auf einer Kreisstraße Richtung Wieren weiter. Auf Höhe der jetzigen Esterholzer Kanalbrücke war eine Baustellenampel, meistens musste ich warten. Es war die Großbaustelle für den Elbe-Seitenkanal. Ein Streckenposten an jedem Ende sicherte die Fahrbahn ab. Große Sand-Lkw mit einer Sandmulde fuhren über die Straße, man konnte sagen im Konvoi. Das hatte natürlich zur Folge, dass es staubte wie nichts Gutes.
Erster Rammschlag für den Elbe Seitenkanal war am 6. Mai 1968, mit einer Bauzeit von acht Jahren. Gesamtkosten 1,7 Milliarden D-Mark und einer Länge von ca. 115,14 Kilometer. Der Kanal verbindet die Elbe bei Lauenburg mit dem Mittellandkanal bei Wolfsburg. Er hat eine Höhendifferenz von 61 Metern. Im Schiffshebewerk Scharnebeck bei Lüneburg sind es 38 Meter Hubhöhe. In Esterholz bei Uelzen beträgt die Hubhöhe 23 Meter. Die Wassertiefe des Kanals liegt bei vier bis viereinhalb Meter und einer Wasserspiegelbreite von 54 bis 70 Metern. Lüneburg, Uelzen, Wittingen bekamen einen Hafen. Ein trauriges Ereignis gab es auch, den Dammbruch wenige Wochen nach Eröffnung des Elbe Seiten Kanals am 18 Juli 1976 bei Lüneburg.
Nun zurück zu meiner erlebten Geschichte. Nach einigen Minuten wurde die Straße wieder freigegeben. Das hatte zur Folge, dass die Autofahrer hinter mir wie wild überholten. Nur viel gewonnen hatten sie nicht, ich sah sie dann am geschlossenen Bahnübergang Wieren wieder. Jetzt ging es weiter nach Bodenteich. Der Name Bad Bodenteich kam erst später. Mitunter hatte man einen Trecker vor sich auf der Straße, aber den konnte man leicht überholen. Aber noch wenige Kilometer und der Kuchentransport hatte ein Ende. Bei meiner Schwiegermutter hatte ich vormittags angerufen, über Festnetz und eine bestimmte Uhrzeit ausgemacht, wann ich erscheine. Handys gab es noch nicht zu kaufen. Das Auto roch wie eine Bäckerei. Lüftung anmachen bei einem VW-Käfer lohnte sich nicht, es hätte nichts gebracht. In Schafwedel angekommen, wurde das Auto zwischen Schweinestall und Küchenfenster geparkt. Am Küchenfenster sah man schon die leuchtenden Augen von Schwiegermutter. Schnell mit den Sachen in die Küche. Kaffee war schon gekocht. Die Augen von Schwiegermutter wurden immer größer bei dem Kuchenpaket und natürlich freute sie sich auch auf mich. Bei der Begrüßung musste ich aufpassen, dass der Kuchen oder die Torte nicht auf dem Fußboden landete, die Katzen hätten sich gefreut. Jetzt freute sich Schwiegermutter über die Schwarzwälder und Schwiegervater über seine Nusstorte. Beide aßen ihre Torte mit Genuss, der Teller war blank, als ob er aus dem Schrank gekommen wäre. Eine Spülmaschine hatten sie erst später angeschafft. Somit hatte ich meine Schwiegermutter immer auf meiner Seite, was ich sagte, war immer richtig! Abends war der Tisch mit Brot, Butter und verschiedenen Wurstsorten gedeckt. Es stand dann Leberwurst in der Dose auf dem Tisch, oder auch gekochte Mettwurst und andere Sorten. Keine gekaufte, nein selbst gemachte Wurst aus eigener Schlachtung, von dem Fleisch, das vom eigenen Hof stammte. Die Schwiegereltern freuten sich, wenn es mir schmeckte, einem aus der Großstadt.
Mitunter holte Schwiegermutter auch eingefrorene Wurst aus dem Kühlhaus in Schafwedel. Dieses Dorfgemeinschaftskühlhaus stand in der Nähe des Hofes. Die Kühltruhen standen hintereinander in einer Reihe. Dorfbewohner hatten die Kühlmöglichkeit für ihre selbstgeschlachteten Fleischvorräte. Dieses Kühlhaus wurde dann in den 80er Jahren abgerissen. Auf dem Grundstück wurde ein Einfamilienhaus errichtet, in dem jetzt seit vielen Jahren die zweiten Hausbesitzer wohnen. In der großen Küche bei Schwiegereltern war immer was los, meistens waren Nachbarn zu einem kurzen Klönschnack gekommen. So schwärmte Schwiegermutter immer bei allen Nachbarn von ihrem Schwiegersohn aus Hamburg. Unterhielt man sich mit ihnen, so sagten sie immer, dass du heute kommst, wussten wir schon seit gestern
. Auch Viehhändler oder Futtermittelhändler wussten, der Besuch aus Hamburg ist da. Bei einem Kaffee wollte der Futtermittelhändler immer viel verkaufen. Spritzmittel für die Ackerflächen, Kälbermilchpulver, Bindegarn für die Heu- und Strohpresse und vieles mehr. Natürlich gab es auch einen Vertreter für Kartoffeln und Zuckerrüben. Der hatte den gleichen Namen wie Schwiegereltern und seine Firma war in Soltendieck. Mitunter waren die Kaffeetassen gerade erst abgewaschen, da waren schon neue Klönschnacker in der Küche. Hier im Dorf nennt man den Nachnamen zuerst und dann den Vornamen. zum Beispiel: Schusters Willi
. Das machte man dann aber bei allen Dorfbewohnern. In der ersten Zeit musste ich mich erst einmal daran gewöhnen. Wie sagt man, der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Ein Nachbar war der frühere Bürgermeister im Dorf, bis das Dorf eingemeindet wurde, nach Bodenteich. Wenn er mich am Auto sah, war immer gleich ein Plausch am Zaun im Gange. Er war oft am Holzhacken und hatte Einblick auf den Hofplatz. Unterhielt man sich mit ihm, war eine halbe Stunde nichts. Schön war es, wenn er über die Geschichte von Schafwedel erzählte. Er hatte alle Zahlen im Kopf, einfach toll. Schwiegervater wusste auch viel zu erzählen, denn er ist in Schafwedel (Kreis Uelzen) geboren. Ich fühlte mich, als wäre ich ein Prominenter im Dorf.
Am Abend fuhr ich mit meinem VW-Käfer 44 PS zur Arbeitsstelle meiner Frau nach Gifhorn. Hatte sie Feierabend, fuhren wir nach Wolfsburg zu ihrer Tante oder, woanders hin. Am Samstag musste meine Frau bis mittags arbeiten und kam dann mit ihrem grauen VW-Käfer 1200 nach Hause. Ich selber fuhr Freitagnacht wieder nach Schafwedel zurück. Hier wusste ich, erwartet mich ein gemachtes Bett bei meiner Schwiegermutter, einfach super!
Jahre später bekam sie einen zweiten Schwiegersohn, auf den sie auch nichts kommen ließ. Natürlich hat ein Schwiegersohn in der Nähe die besseren Karten, aber sie behandelte beide Schwiegersöhne gleich. Mein Schwager und ich lassen auf unsere Schwiegermutter nichts kommen, obwohl sie schon über fünf Jahre verstorben ist. Eine bessere Schwiegermutter mit ihrem roten Kopftuch konnte ich mir nicht vorstellen.