Überlebensdrang
Dieses auf der Webseite der Erinnerungswerkstatt veröffentliche Zitat von Charles R. Darwin hat mich angeregt, folgende Geschichte aus meiner Militärzeit aufzuschreiben.
Es war 1945 und ich lag im Militärkrankenhaus der Provinzhauptstadt Paraná. Nach monatelanger Ausbildung als Reserveoffizier der argentinischen Armee hatte ich fast 30 kg abgenommen und mir eine schwere Bronchitis eingefangen. Die Ärzte meinten, ich könnte mich nur durch eine ausreichende Ernährung erholen. Aber wie sollte das bei den spärlichen Rationen, die im Krankenhaus verabreicht wurden, bloß geschehen?
Not macht erfinderisch, sagt man. Also habe ich mich, kaum dass ich wieder aufstehen konnte, zum Essen austragen gemeldet. Ein aus Buenos Aires stammender Kamerad half mir bei dieser Beschäftigung. Das Essen wurde damals auf einer Handkarre auf die verschiedenen Stationen verteilt. Diese Karre enthielt vier große Metalltöpfe, die durch in unteren Behältern enthaltene glühende Kohlen warm gehalten wurden.
Die Patienten, die an Infektionskrankheiten litten, bekamen zum Beispiel Kartoffelpüree ohne Salz.
Also sorgten wir dafür, dass immer etwas Püree für uns über blieb, gaben etwas Salz dazu und stillten unseren eigenen Hunger. Aber das war nicht alles. Mein Kamerad, der klein und gelenkig war (wegen seines Aussehens nannten wir ihndie Ratte
), hatte im hinteren Zaun des Hospitals ein Schlupfloch entdeckt, durch welches er nach draußen gelangen konnte. So kam er ins nächste Dorf, wo er für uns Proviant einkaufte. Er besorgte uns Reihen von Bratwürsten (chorizos) und einige Flaschen Rotwein. Von den 3 Brötchen, die jeder Kranke zu Mittag bekommen sollte, hielten wir eine angemessene Menge für unseren eigenen Bedarf zurück.
Also benutzten wir die glühenden Kohlen, um die Würste zu braten und aßen sie mit unserem Püree. Den Rest der Würste verkauften wir dann mit denübrig gebliebenen
Brötchen an die hungrigen Kranken. Natürlich nur an jene, die nicht auf Diät angewiesen waren. Wer es mochte, bekam auch einen Schluck Rotwein dazu. Der Duft der gegrillten Würstchen lockte unsereKunden
in Scharen heran.
Die Geldeinnahmen benutzen wir, um neuen Proviant zu kaufen, und es blieb noch etwas übrig, um einen Spezialfond zu bilden. Diesen hatten wir bestimmt, um einem unserer Kumpanen seine Heimreise zu finanzieren. Der Betreffende hatte nämlich großes Heimweh und wollte seine Mutter in Buenos Aires besuchen. Da er öfters unter Arrest gestanden hatte, war er nicht dazu gekommen, seinen normalen Urlaub wahrzunehmen. Es war eigentlich ein rauer Bursche, der schnell mit seinen Fäusten zuschlug. Da er jedoch einen gutenKern
hatte, mochten wir ihn bei seinemschwarzen
Unternehmen unterstützen. Natürlich wurde seine Abwesenheit bald entdeckt und er wanderte nach seiner Rückkehr wieder in den Knast. Unsere Beihilfe blieb zum Glück unentdeckt…
Gelegentlich besorgte mirdie Ratte
eine Flasche Vermouth, das Lieblingsgetränk eines unserer Pfleger (Sergeant). Ich schenkte ihm die Flasche und bekam als Gegenleistung einen Ausgangspass, mit dem ich ungehindert das Hospital verlassen konnte. In Zivilkleidung, die ich heimlich unter meinem Bett verborgen hatte, machte ich mich dann auf dem Weg in die Stadt Hier besuchte ich erst ein Kino und ging dann in mein Stammrestaurant, um mich ordentlich satt zu essen.
Als Vorspeise bestellte ich meistens ein mariniertes Rebhühnchen, dann ein tellergroßes Schnitzel mit Pommes und zwei Spiegeleiern, zum Dessert einenflanflan: eine Art Milchpudding, sehr beliebt in Argentinien* mit Schlagsahne. Dazu ein kleines Fläschchen Rotwein. Gut gelaunt marschierte ich dann zurück in das in einem Vorort gelegene Militärhospital, im Bewusstsein, etwas für meine Genesung getan zu haben.
Zum Glück bekam ich von meinem Vater regelmäßige Geldüberweisungen, so konnte ich mir dieseKur
ja nur leisten. Außerdem schickten mir meine Eltern öfters Flaschen mit emulsionierten Lebertran, den ich zwar nicht gerne, aber gesundheitsbewusst artig einnahm.
So kam ich langsam wieder auf die Beine und wurde am Ende des Jahres vom Militär entlassen mit der Bemerkung:Zeitweilig Dienstunfähig
. Ich fand das gut, denn der Zweite Weltkrieg war ja schon vorbei und an den nächsten brauchte ich sicher nicht mehr aktiv teilzunehmen.