Abenteuerliche Dienstreise
Ich war in den 1950er Jahren als Chef der Division für Technische Dokumentation in der Material-Direktion der Argentinischen Luftwaffe tätig und musste in dieser Eigenschaft öfters Inspektionsreisen zu den verschiedenen Stützpunkten antreten, um dort den Bestand und die korrekte Anwendung der von der Zentrale versandten Handbücher und Rundschreiben zu überprüfen.
Eine dieser Reisen führte mich zur Regionalen Werkstatt in Rio Cuarto, Provinz Cordoba. Diesmal begleitete mich einer meiner untergebenen Abteilungsleiter (mein Freund Oscar) da es sich um, zur Unterhaltung der neu eingetroffenen Avro Lancaster und Lincoln Flugzeuge, wichtige, technische Unterlagen handelte.
Nach einer Woche intensiver Arbeit nahmen wir uns einen Nachmittag frei, um die gebirgige Landschaft zu erkunden. Wir mieteten uns zwei Pferde und ab ging es ins Abenteuer.
Mein Freund Oscar hatte sich einige Wochen zuvor eine Waffe gekauft. Es handelte sich um einen vernickelten Colt Revolver, den er unbedingt auf dieser Reise ausprobieren wollte. Wir ritten eine Weile, bis wir eine beträchtliche Höhe erreicht hatten und suchten einem einsamen Platz aus, wo wir ungestört unsere Schießübungen ausführen könnten.
Wir stiegen ab und ich hielt die Pferde fest, während Oscar auf einen mannshohen Kaktus zielte und dreimal abdrückte. Zu meinem Erstaunen hörte ich lediglich drei trockene Knällchen
. Ganz anders als auf dem Schießstand, dachte ich. Klar, hier in der offenen Landschaft hört es sich ja ganz anders an.
Aber dann kam die Überraschung: Als das Echo von den vielen Gipfeln zurückhallte, hörte es sich wie drei kräftige Donnerschläge an. Wir zuckten zusammen und schon sahen wir überall in der anscheinend einsamen Gegend, hinter jedem Hügel Menschen auftauchen, die sich neugierig umsahen um zu erfahren, von woher die donnernden
Schüsse kamen.
Man muss bedenken, dass sich zu dieser Zeit die argentinischen Sicherheitskräfte in höchster Alarmbereitschaft befanden, da es immer wieder Terroristenanschläge gab. Kaum war das Donnern verhallt, sahen wir schon im Tal, wie Bahnbeamte die Schienen entlang liefen um festzustellen, ob Sabotage verübt worden war. Wir fühlten uns bedrängt und dachten: Nichts wie weg von hier!
.
Schnell saßen wir im Sattel und ritten in kurzem Galopp davon. Um unterwegs nicht von Polizeipatrouillen angehalten zu werden, ritten wir weiter ins Gebirge hinein. Bald befanden wir uns auf einem schmalen Pfad. Wir ritten hintereinander, links von uns die Bergwand und rechts der Abgrund. Die Pferde tasteten sich vorsichtig Schritt für Schritt voraan und schienen sich sicher zu fühlen.
Als ich an einer etwas breiteren Stelle des Weges angekommen war, versuchte ich zu wenden. Ich lenkte das Pferd mit dem Zügel behutsam vorwärts gegen die Felswand und zwang es, sich langsam zu drehen. Hinter mir hörte ich Felsbrocken in die Tiefe fallen, die das Pferd mit den Hinterhufen gelöst hatte. Zur Beruhigung streichelte ich den Hals des Tieres und langsam, sehr langsam, vollendeten wir die Drehung. Zitternd konnte ich dann den Rückweg antreten.
Mein Freund, der vor mir ritt, hatte diese Stelle verpasst und es blieb ihm nichts anderes übrig, als den schmalen Pfad weiterzureiten. Er rief mir noch zu, ich sollte schon in die Stadt reiten und auf ihn im Hotel warten. Er würde versuchen, irgendwie um den Berg herum zu kommen.
Bange Stunden wartete ich dann in meinem Hotelzimmer auf meinen Kumpel. Er war ja nicht nur mein Freund, ich trug ja auch als sein Vorgesetzter die Verantwortung für ihn. Ich dachte mir dabei, dass es eigentlich besser gewesen ist, einzeln zurückzureiten, da man sicher nach zwei
vermutlichen Terroristen fahndet.
Endlich kam Oscar ins Hotel zurück und wir konnten unser glimpflich abgelaufenes Abenteuer mit einem Bier begießen.
Am nächsten Tag nahmen wir den Zug, um nach Buenos Aires zu fahren. Die Reise verlief ganz normal, bis wir auf einmal an einer unbedeutenden Haltestelle stehenblieben. Die Station
hieß Vicuña Mackenna
. Wir hatten noch nie zuvor diesen Namen gehört. Nach einer Weile fragten wir den Schaffner, wieso wir nicht weiterfuhren. Er antwortete uns, dass es auf der Strecke heftige Regenstürme gegeben hätte und der Bahndamm vor uns ziemlich beeinträchtigt sei. Es könnte noch einige Stunden bis zur Weiterfahrt dauern.
Wir stiegen aus, um uns auf dem Bahnhof die Beine zu vertreten. Der Stationsvorsteher schien völlig überfordert zu sein. Er fummelte an seinem Magnet-Telefon herum und versuchte, irgendwie die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Wir erklärten ihm, dass wir Beamte seien und uns unverzüglich bei unserer Dienststelle melden müssten. Auch unsere Familien wollten wir benachrichtigen. Er bedauerte, uns mitteilen zu müssen, dass es außer der bahninternen Telefonlinie keine Telefonverbindung mit der Hauptstadt gäbe. Wir könnten aber beruhigt sein: per Radio wüssten schon alle über die Zugunterbrechung Bescheid…
Etwas später erfuhren wir, dass es mit der Weiterfahrt heute nicht mehr klappen würde: die Reparaturarbeiten an den Schienen würden noch bis zum nächsten Tag dauern. Also fragten wir den Bahnhofschef, ob er uns ein Hotel in der Gegend empfehlen könnte. Nicht dass er wüsste, war die Antwort, aber ganz in der Nähe gäbe es eine Herberge, in der wir übernachten könnten.
Also nahmen wir unsere Koffer und machten uns auf den Weg. Bald erreichten wir eine Gaststätte, an deren Fenster ein Schild mit der Aufschrift Zimmer zu vermieten
befestigt war. Das sollte also unsere Herberge sein…
Als wir das Lokal betraten, wurden wir von den wenigen Stammgästen neugierig angeglotzt. An der Kleidung und dem Gepäck erkannten sie sofort unsere großstädtische Herkunft. Seltene Figuren in einem Dorf, an dem die meisten Züge einfach nur so vorbeirasten.
Wir versuchten uns cool zu verhalten und bestellten vorerst etwas zu essen. Inzwischen machte die Wirtin uns ein Zimmer mit zwei Betten zurecht. Als wir dieses betraten, fiel uns die Kommode mit Waschschüssel und dem dazugehörenden Wasserkrug auf. Daneben lagen zwei Handtücher. Ich fragte gleich, wo es eine Toilette gäbe. Die Wirtin zeigte auf den Hof hinaus und sagte uns: Dort hinten, am Ende vom Patio (Hof)
. Wir versuchten über den mittlerweile dunkel gewordenen Hof, der noch zusätzlich von einer Pergola überdeckt war, etwas zu entdecken, aber vergebens. Die Frau beruhigte uns und zeigte auf eine Petroleumlampe, die neben einer neuen Streichholzschachtel auf dem Tisch stand und sagte uns: Die müssen Sie unbedingt mitnehmen, denn auf dem Klo gibt es kein Licht.
Nun wussten wir Bescheid!
Als wir dann alleine waren, untersuchten wir das Zimmer genauer. Die Bronzebetten knirschten zwar heftig, aber die Bettwäsche schien verhältnismäßig sauber zu sein. Der Boden des Kleiderschranks und die Schubladen der Kommode waren mit frischen Papierbögen belegt, womöglich, um den Staub zu verbergen. Das Schlimmste aber war, dass das veraltete Türschloss überhaupt nicht funktionierte. Also beschlossen wir, die Tür mit einem verkeilten Stuhl zu sichern, die Koffer nicht auszupacken und uns bekleidet auf das Bett zu legen. Zusätzlich steckte Oscar noch seinen geladenen Revolver unter das Kissen. Sollte einer von uns nachts mal über den Hof müssen
, dann würde ihm der andere von der Tür aus mit dem Revolver Rückendeckung geben.
Unsere Furcht war nicht unbegründet, denn damals gab es ja keine Bankkarten und wir trugen das Bargeld für die Reisespesen mit uns…
Wir verbrachten eine unruhige Nacht und lauschten auf jedes verdächtige Geräusch. Aber schließlich überwältigte uns der Schlaf und wir wachten erst auf, als die Sonne schon längst aufgegangen war. Jetzt sah alles harmloser und friedlicher aus. Wir nahmen rasch das Frühstück an der Theke ein und eilten zum Bahnhof.
Die Lok stand schon unter Dampf und alles deutete darauf hin, dass die Fahrt bald fortgesetzt würde. Wir nahmen unsere Plätze ein und warteten auf die Abfahrt. Aber die Stunden vergingen und nichts passierte. Plötzlich, als wir schon fast wieder eingeschlafen waren, ertönte ein lauter Pfiff und mit einem Ruck setzten sich die Wagons in Bewegung.
Der Albtraum war vorbei!
Die ersten Kilometer fuhr der Zug noch behutsam mit geringer Geschwindigkeit, da er ja die just reparierten Schienen passierte. Dann ging es aber mit normalem Tempo der Hauptstadt entgegen.
Zu Hause hatten wir dann viel über die Nebenwirkungen
unserer Dienstreise zu erzählen.