Mit den Enkeln auf Reisen
Ich hatte vor, eine Europareise in Begleitung meiner Frau anzutreten, um die Ausstellung Schiff, Maschine und Meerestechnik (SMM)
zu besuchen und die Gelegenheit zu nutzen, neue Geschäftskontakte für meine Zeitschrift anzuknüpfen; 1986 war es mal wieder soweit.
Diesmal kam aber unsere älteste Tochter auf die Idee, wir könnten doch ihre zwei Söhne (damals 9 und 11 Jahre alt) auf die Reise mitnehmen, damit sie auch etwas von der Welt kennen lernen könnten. Sie war bereit, finanziell zu den Reisekosten beizusteuern und sich um einen Sonderurlaub in der Schule zu kümmern. Gesagt, getan, und nun flogen wir zu viert in die weite Welt.
Vorerst sei erwähnt, dass der jüngste der zwei Enkel, Horacio, schon immer den Wunsch geäußert hatte, eine bestimmte Stelle des Flughafens Ezeiza (Buenos Aires) zu überschreiten, die nur für Passagiere mit einer Boarding Card
zugänglich war. Es handelte sich um eine Rolltreppe, die zu den Passkontrollen und anschließenden Abflugräumen führte. Jedes Mal, wenn ich auf meinen Reisen mich am Flughafen verabschiedete, um diese Rolltreppe zu betreten, wollte Horacio unbedingt mitkommen und sehen, was da oben zu sehen war
. Er musste mit Gewalt zurückgehalten werden, so stark war seine Neugierde, diesen exklusiven Bereich zu erkunden.
Endlich, auf einer Flugreise nach Brasilien, wurde sein Wunsch erfüllt. Wie besessen raste er die Rolltreppe hinauf und, oben angekommen, strahlte er vor Freude. Als wir jetzt unsere Europareise antraten, fühlte er sich schon in diesem Sinne wie ein Veteran. Aber da kommt noch eins. Auf der besagten Brasilienreise, wollte er in Rio de Janeiro nicht aussteigen, weil er unbedingt den Film sehen wollte, der allerdings erst auf dem Weiterflug über dem Atlantik ausgestrahlt werden sollte.
Diesmal konnte er alles haben: Rolltreppe und Kinovorstellung auf dem Weiterflug. Die wahre Freude! Aber da kam noch etwas dazu. Als wir über dem Ozean die Broschüre, die als Flugbegleiter in der Sitztasche steckte, durchblätterten, entdeckte er eine Weltkarte mit den Fluglinien, die die Fluglinie betreute. Als er Ägypten als Anflugsziel sah, wollte er unbedingt dorthin einen Abstecher machen, um die Pyramiden zu sehen
. Wir mussten ihn auf ein andermal
vertrösten. Langsam wurde uns klar, was es bedeutete, mit Enkelkindern zu reisen ...
Unser erstes Reiseziel in Deutschland war Augsburg, wo wir meinen Freund Heinz (ehemaliges Besatzungsmitglied der Graf Spee
) und seine Frau Marianne besuchen wollten. Bei früheren Besuchen wurde uns in deren Wohnung ein Gästezimmer
bereitgestellt, aber diesmal sind wir ja zu viert angereist, und der Platz reichte nicht mehr aus. Also hatte uns Heinz in einem Hotel, direkt an der Autobahn, zwei Zimmer reserviert, um dort die Nächte zu verbringen. Tagsüber verbrachten wir die Zeit mit dem befreundeten Ehepaar.
In diesem Hotel verweilten hauptsächlich Lkw-Fahrer und Handelsvertreter. Als wir mit den Jungs noch in der Bar saßen, um einige Getränke einzunehmen, betraten zwei Männer das Lokal. Sie waren in schwarzes Lederzeug gekleidet, trugen einen Helm unter dem Arm und waren tätowiert.
Es waren offensichtlich Motorradfahrer, die mit ihrem bizarren Auftreten auf die Jungs einen einschüchternden Eindruck machten. Sie setzten sich an die Theke und der dickste von ihnen bestellte mit flötentöniger Stimme: ZWEI GLAS MILCH! Der ursprüngliche Schrecken unserer Enkel verwandelte sich in ein unkontrolliertes Gelächter und wir hatten große Mühe, sie wieder ruhig zu stellen, um die Aufmerksamkeit der Motorradfahrer nicht auf uns zu lenken.
Die zwei Zimmer, die für uns reserviert waren, befanden sich ziemlich weit von einander entfernt und auf verschiedenen Gängen. Wir erklärten den Jungs, dass sie uns jederzeit über das Haustelefon erreichen könnten. Meine Frau legte sie zu Bett und wir gingen auf unser Zimmer. Kaum angekommen, klingelte schon das Telefon. Wir wollten mal probieren, wie das funktioniert
, war die Meldung. Kurz danach, wieder ein Anruf: Dürfen wir noch etwas fernsehen?
. Und so weiter und so fort. Schließlich musste ich ein Machtwort sprechen, damit der Spaß mit dem Telefonieren ein Ende bekam.
Als wir am nächsten Morgen beim Frühstück saßen, fragte mich die Kellnerin ob die Jungs nicht in die Schule müssten. Ich erklärte ihr, dass wir aus Argentinien kämen und sie einen Sonderurlaub bekommen hatten, um mit uns auf Reisen zu gehen. Die Antwort werde ich nie vergessen: Sooo einen Opa möchte ich auch haben!
.
In Augsburg verbrachten wir herrliche Tage. Spaziergänge in den Wäldern, Pilze suchen, den Lech bewundern und Shopping in der Stadt. Ich reiste frühzeitig nach Hamburg und meine Frau blieb mit den Enkeln in Augsburg. Da wir alle einen Eurail Pass besaßen, benutze meine Frau die Gelegenheit, den Jungs Salzburg zu zeigen. Sie kannte schon diese Stadt von früheren Reisen her.
Kurz entschlossen warteten sie am Hauptbahnhof von München auf einen Inter City Zug, um nach Österreich zu fahren. Als der Zug einrollte, bemerke Pablo (der älteste Enkelsohn), dass an den Wagons Orient Express
stand. Begeistert stiegen sie ein und Pablo war ganz außer sich, als ihm bewusst wurde, dass er - wenn auch auf einer kurzen Strecke — in solch einem berühmten Zug mitfahren durfte.
Bald darauf trafen wir uns dann alle in Hamburg wieder und ich hatte die Sorge für meine Familie, in der ausgebuchten Hansestadt ein Hotel zu besorgen. Ich nahm die Hilfe der Pressestelle der Hamburg Messe in Anspruch, und die netten Damen vermittelten uns zwei Zimmer in einem etwas abgelegenen Hotel. Uns wurde erklärt, wie wir nach Ohlsdorf gelangen konnten und schon standen wir vor dem Wirt, der uns erklärte, dass er diese Bleibe erst kürzlich eröffnet hatte und wir ganz neu möblierte
Zimmer bekämen.
Das stilvolle Familien-Hotel hieß Am Hasenberge
und wir bekamen zwei nebeneinander liegende Zimmer, die durch eine Tür verbunden waren. Als wir im Frühstücksraum saßen, sahen wir durch das Fenster auf der anderen Straßenseite, einen massiven, von hohen Backsteinmauern umgebenen Gebäudekomplex, in den mehrere gut gekleidete Herren mit Aktentasche ein und aus gingen. Wir versuchte zu erraten, was das wohl sein könnte. Ein Lagerhaus, ein Museum? Ich versprach den Jungs, in den nächsten Tagen mal rüberzugehen um mich danach zu erkundigen.
An diesem Wochenende flog ich nach Berlin, um meine Verwandten zu besuchen. Ich musste leider alleine diese Reise antreten, da es zu viert viel zu aufwändig gewesen wäre. Inzwischen erkundete meine Frau mit den Enkeln die Stadt Hamburg. Der Hafen, das Museum für Völkerkunde und der Hagenbeck Zoo waren die beliebten Ziele.
Als ich nach zwei Tagen wieder in Fuhlsbüttel angekommen war, nahm ich ein Taxi, um ins Hotel zu gelangen. Ich gab dem Taxifahrer den Namen des Hotels an, und dieser antwortete prompt: Ach, sie wohnen ja direkt vor dem Gefängnis?
. Da fiel der Groschen! Das für uns unheimliche Gebäude war nichts weniger als die JVA Fuhlsbüttel, besser bekannt als Santa Fu
!
Ich konnte es kaum abwarten, es meiner Familie zu erzählen. Nach dem ersten Erstaunen gab es ein herzliches Gelächter. So etwas wäre uns nicht einmal im Traum eingefallen: in einem Hotel zu wohnen, in dem vielleicht auch Verwandte oder Anwälte von Häftlingen hausten! Dennoch haben wir uns dort sehr wohl gefühlt.
Als die SMM zu Ende war, wollten wir nach Frankfurt fahren, um von da aus einen Abstecher nach Paris zu machen und später unseren Rückflug über die USA anzutreten. Als ich mich wieder über die Pressestelle um ein Hotel bemühte, erfuhr ich zu meinem Schrecken, dass in ganz Frankfurt kein einziges Bett vorhanden war - Buchmesse!
Als Alternative wurde mir ein kleines Hotel in Würzburg angeboten, kaum
120 km von Frankfurt entfernt und mit guter Bahnverbindung. Es handelte sich eigentlich um ein Wirtshaus, dass über einige Zimmer zur Übernachtung verfügte und den niedlichen Namen Zum Winzermännle
trug.
Notgedrungen nahmen wir das Angebot an, waren jedoch später mit diesem Entschluss sehr zufrieden.
In Würzburg besuchten wir als erstes die Festung Marienburg. Die Jungs fühlten sich ins Mittelalter versetzt und erkundeten jeden Winkel der imposanten Anlage. Sämtliche Toranlagen und Basteien wurden durchlaufen und am Abend konnten wir vor Erschöpfung kaum ins Bett kommen. Auf weiteren Spaziergängen konnten wir viele der Sehenswürdigkeiten dieser bezaubernden Stadt kennen lernen, die alte Mainbrücke mit ihren vielen Statuen eingeschlossen.
Eines Tages fuhren wir nach Frankfurt, um die Reise nach Paris zu organisieren. Da es in Frankreich zu dieser Zeit mehrere Bombenanschläge und politische Unruhen gegeben hatte, benötigte man als Ausländer ein besonderes Einreisevisum, um das Land besuchen zu können. Wir machten uns auf den Weg zum französischen Konsulat. Als wir auf einer menschenleeren Straße die Hausnummer dieser Behörde suchten, wurden wir auf einmal vom Geheule der Luftalarm- Sirenen überrascht. Wir sahen uns besorgt um, konnten aber nichts Weiteres wahrnehmen als diesen furchterregenden Krach.
Dann sahen wir eine Person in Uniform aus einer Wohnung kommen. Ich erkannte sofort einen amerikanischen Oberst (Colonel). Ich dachte, wir wären in einen Kriegsfilm geraten!
Ich sprach ihn sofort an: Excuse me, Sir
und bat ihn (auf Englisch), uns zu erklären, was diese Sirenen zu bedeuten hätten und wie wir uns verhalten sollten. Er antwortete lächelnd: Don't worry
, es handelt sich lediglich um eine Übung, um die Betriebsfähigkeit des Alarmsystems zu prüfen. Dann stieg er in sein Auto und fuhr fort. Soweit waren wir dann beruhigt, aber der Schreck blieb stecken.
Als wir das Konsulat betraten, merkten wir schon an der Zahl der Antragssteller, die dort warteten, dass wir uns eine nicht leichte Aufgabe vorgenommen hatten. Endlich kamen wir dran, und die Beamtin sagte uns vorneweg, ob wir es wirklich nötig hätten, mit Kindern in solch eine gefährliche Zone zu reisen. Außerdem, müssten wir unsere Reisepässe für einige Tage abgeben, um die gewünschten Visen zu erhalten.
Damit wurde klar, dass es sich nicht lohnte, nach Frankreich zu reisen und wir entschlossen uns, diesen Abstecher auszulassen. Also gingen wir zum Reisebüro und ließen uns die Flugtickets nach New York bestätigen.
Am nächsten Tag saßen wir in unserem Flieger auf dem Weg in die USA und neuen Überraschungen entgegen.