Auf wackeligem Boden
Im Jahr 1976 hatte ich mein Büro - die Redaktion meiner Zeitschrift NAVITECNIA — in der Straße Alsina in Buenos Aires. Parallel zu dieser Straße verläuft die Straße Moreno, an der sich das Zentrale Polizeipräsidium befindet. Dieses massive Gebäude wird täglich von vielen Personen besucht, die dort ihre Personalausweise oder Reisepässe beantragen oder abholen. Wenige Meter entfernt vom Präsidium befinden sich die Büros des Polizeilichen Sicherheitsdienstes (Superintendencia de Seguridad), in dessen Restaurant die meisten Polizeibeamten, aber auch Besucher, ihr Mittagsmahl einnehmen.
Anfang Juli des oben genannten Jahres saß ich zur Mittagsstunde in der Redaktion an meinem Schreibtisch, als ich plötzlich spürte, dass der Boden unter meinem Sessel wackelte, dann fühlte ich mich für einen Augenblick schwerelos und gleich danach hörte ich einen fürchterlichen Knall. Im ersten Moment wusste ich nicht, was passiert war. Ich schaute zum Fenster hinaus und sah einige Personen, die vorbei rannten, indem sie riefen Eine Bombe, eine Bombe!
. Kurz danach wurden schon die Straßen von Polizeibeamten gesperrt und man hörte die jaulenden Sirenen der Rettungsdienste. Unser Hausmeister hatte versucht, sich auf die Straße zu begeben, um sich zu erkundigen, was geschehen war, wurde aber von der Polizei aufgefordert, zurück in das Gebäude zu gehen.
Bald sickerte die Nachricht von Mund zu Mund durch: Im Restaurant der Polizei war eine Bombe hoch gegangen und es gab mehrere Tote und Verwundete. Der Explosionsdruck war so gewaltig, dass Teile des Mobiliars auf die Straße geschleudert und Passanten verletzt wurden. Knappe 100 Meter entfernt davon hatte sogar ich die Explosion zu spüren bekommen!
Erst abends konnte ich über das Fernsehen das ganze Ausmaß der Tragödie erfahren. Im Polizeirestaurant befanden sich zur Zeit des Attentats etwa 100 Personen. Nach der Explosion wurden 22 Tote und 60 Verwundete — darunter elf Schwerverletzte — geborgen. Die Polizei ermittelte, dass der Täter einen Sprengsatz unter dem Tisch platziert hatte, an dem er in aller Ruhe seine Mahlzeit verspeiste. Knappe sieben Minuten, nachdem er das Lokal verlassen hatte, detonierte die Bombe durch einen Zeitzünder. Die Bombe selbst bestand aus 9 Kilogramm TNT und fünf Kilogramm Stahlkügelchen, die einen verheerenden Effekt auf die anwesenden Polizisten und Besucher verursachten. Die Terroristenbande Montoneros bekannte sich zu dieser feigen Tat.
Diese Gruppierung verursachte noch im selben Jahr mehrere Anschläge und Morde, wie zum Beispiel die Ermordung des Brigadegenerals Carlos Actis in der Provinz Buenos Aires. Dieser General befand sich schon im Ruhestand und war Präsident der Organisation, die die Fußballweltmeisterschaft 1978 in Argentinien veranstalten sollte.
Im Oktober 1976 sprengten Montoneros die Dienststelle des stellvertretenden Polizeichefs der Provinz Buenos Aires. Der Beamte verlor dabei seinen linken Arm und erlitt mehrere Wunden am Körper. Drei weitere Polizeibeamte wurden auch schwer verletzt. Hier wurde ein Sprengsatz mit fünf kg TNT und fünf kg Schrapnell angewandt.
Auch ein im Bau befindliches Kriegsschiff fiel den Terroristen zum Opfer. Im September 1975 setzten Kampftaucher der Montoneros einen Sprengsatz unter den Rumpf des Zerstörers Santisima Trinidad
, der sich am Ausrüstungskai der Werft Rio Santiago befand. Die gewaltige Explosion verursachte große Schäden am Heck des Schiffes, die den Untergang desselben zur Folge hatten.
Dieses Attentat verzögerte die Fertigstellung des Zerstörers erheblich, jedoch konnte er schließlich in Dienst gestellt werden und spielte danach eine hervorragende Rolle im Malvinas (Falkland) Krieg.
Im Monat August 1978 sprengten Montoneros die Wohnung des Generalstabschefs der Marine, Vizeadmiral Armando Lambruscini. Der Admiral und seine Frau befanden sich zu der Zeit außer Haus, die Explosion zerstörte aber das ganze Gebäude und drei Personen kamen ums Leben, darunter die 15-jährige Tochter des Ehepaars.
Ich erwähne diese Beispiele nur, um die Grausamkeit und Hinterlist dieser Stadtguerilla- Organisation hervorzuheben. Tatsächlich wurden im Laufe der Jahre 1970 bis1977 über 1.500 Menschen in Argentinien von Terroristen ermordet, darunter Armeeangehörige, Polizisten und Zivilpersonen. Es gab einen buchstäblich schmutzigen Krieg, der die Regierung zu drastischen Maßnahmen zwang. Erst, nachdem der größte Teil der Terroristen ausgelöscht
war, löste sich die Montoneros - Organisation auf und ihre Führung ging ab 1978 ins politische Exil.
Als unbeteiligter Bürger musste man zu dieser Zeit vieles ertragen. Nicht nur die täglichen Nachrichten über Grausamkeiten der sich gegenüberstehenden Fraktionen belasteten das Gemüt, sondern auch die Möglichkeit, dass man selber oder einer der Familienangehörigen in eine gefährliche Situation kommen könnte.
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Nachtrag
Das Tragische dieser Geschichte ist, dass die Nachfolger der geschlagenen
Terroristen aus ihrem Exil zurückgekehrt sind und heutzutage führende Posten in der argentinischen Regierung besetzen.
Als Ironie des Schicksals sei noch zu erwähnen, dass der Zerstörer Santisima Trinidad
, der das Bombenattentat und den Falklandkrieg überstanden hat, schließlich an Mangel von Unterhaltungsarbeiten an seinem Liegeplatz im Marinestützpunkt Puerto Belgrano im Januar 2013 ruhmlos gesunken ist. Der Marine wurde eben die benötigte Finanzierung systematisch untersagt. Eine späte Rache der Montoneros.