Bevor ich vergesse zu erzählen;
Das Gedicht
Dies ist eine Begebenheit aus den 1960er Jahren. Wir hatten zu jener Zeit unseren Seifen-, Farben- und Tapeten-LadenLesen Sie auch von diesem Autor:Freud und Leid eines Einzelhändlers
Klick … am Schmuggelstieg in Hamburg-Ochsenzoll.
Eines Tages betrat ein Kunde den Laden, der mir bis dahin noch nicht bekannt war. Er verwickelte mich in ein Gespräch und wir kamen von Pinseln und Farben auf Gott und die Welt. So erfuhr ich, dass Herr Lohse, so hieß der Kunde, im Stockflethweg wohnte.
Der Stockflethweg geht von der Langenhorner Chaussee ab und liegt auf Hamburger Gebiet. Biegt man, von Hamburg kommend, rechts in den Stockflethweg ein, war gleich vorn auf der Ecke das Schuhgeschäft Jenisch, und zugehörig, direkt dahinter, ein wahres Kleinod: Der Bärenhof – eine Phantasie-Burg mit einem Hauptturm, vielen Erkern, Zinnen, Türmchen und ziegelgedeckten kleinen Dächern. Alles überragte aber kaum die daneben liegenden Geschäfte.
Es war wie im Märchenwald im Weserbergland. Der Bärenhof spielt in meiner Erzählung und in dem Gedicht weiter keine Rolle. Erwähnenswert fand ich ihn nur aufgrund seiner Einmaligkeit und dass er nicht Burg genug war, sich gegen ein Autohaus zu wehren.
Bei einem der nächsten Besuche des Herrn Lohse in unserem Geschäft erfuhr ich, dass er sich für Nachlassauflösungen, speziell Bilder, Porzellane und Skulpturen interessierte. Ich war von seinen Erzählungen immer ganz begeistert. Und zweimal ist es ihm auch gelungen, uns mehr als nur zu begeistern: Bei den kleinen Reiterbildern und Die Lesende
Die Lesende
von Jean-Honoré Fragonard von Jean-Honoré Fragonard konnten wir nicht widerstehen. Da wir zu der Zeit aber nicht in der Lage waren, Geld für Dinge, die man nicht unbedingt benötigt, die das Leben aber schöner und reicher gestalten können, bereit zu halten, hatte Herr Lohse einen hübschen Einfall.
Wochen später stand Herr Lohse in der offenen Ladentür und rezitierte: Ich hatte mir mal vorgenommen
. Ging er am Laden vorbei, oder ich war vor der Ladentür, sprach er schon von weitem laut: Ich hatte mir mal vorgenommen …
. Dies geschah jetzt häufiger, und so wurde ich motiviert nachzusprechen.
Sie, liebe Leserin, lieber Leser, müssen jetzt dieses Gedicht nicht nachsprechen, ich schreibe es auf.
Ich hatte mir mal vorgenommen,
von holden Musen unterstützt,
auf jenen grünen Zweig zu kommen,
auf dem der Mensch so gerne sitzt.Ich habe viel darum gerungen
und manchen Stiefel abgewetzt,
bisher ist es mir nicht gelungen,
der Zweig war immer schon besetzt.Ich könnt euch Leute nennen,
die sitzen immer oben auf,
obwohl die gar nicht klettern können.
Da stimmt was nicht, das fällt doch auf.Wenn ich mich auch dem Schicksal beuge,
die Frage liegt doch ziemlich nah,
sind denn die grünen Zweige
nur für bestimmte Leute da?Drum mach ich mir den Spruch zu eigen:
Entbehre gern, was du nicht hast,
der eine sitzt auf grünen Zweigen,
der andre auf dem dürren Ast.
Diese Verse haben es in sich, sie machen etwas mit einem.
Der eine, der bislang auf einem grünen Zweig zu sitzen glaubte, empfindet ihn jetzt eventuell doch ein wenig zu biegsam und zart. Der andere empfindet seinen dürren Ast aber als eine sehr robuste Sitz- und Lebensgrundlage.
Mich hat die Dichtung nach all den Höhen und Tiefen im Leben dahin geführt, wo ich hingehöre.
Ich bin zufrieden.