Gute Butter
Panik macht sich breit im Land, Die Butter wird so teuer wie noch nie!
, skandieren die Zeitungen. Schuld daran sei angeblich, dass es immer weniger Kühe und Agrarbetriebe gebe. In unserer globalisierten Welt sind die Zusammenhänge aber meistens wesentlich komplizierter und deshalb oft schwer zu durchschauen. So hat sich beispielsweise der Überfall Russlands auf die Ukraine hierzulande ebenfalls im Preis für ein Zweihundertfünfzig-Gramm-Butterpäckchen gespiegelt. Kostete das halbe Pfund im Februar noch 1,79 Euro, stieg der Preis bis November 2022 auf ein Rekordhoch von durchschnittlich 2,39 Euro. So hoch liegt der Preis seit dieser Woche wieder bei Discountern und Supermärkten. Verantwortlich dafür gemacht werden geringere Anlieferungsmengen, geringere Fettgehalte der Milch und die Blauzungenkrankheit bei Rindern, wahrscheinlich auch die Zunahme von Sonnenflecken auf unserem Zentralgestirn.
Nirgends wird das nachwirkende Trauma der beiden Weltkriege so deutlich wie bei der Butter. Sie scheint Indikator zu sein für unser Wohlergehen, und das machen wir gerne an der Verfügbarkeit und dem Preis der Butter fest. Wohl deshalb wurde in den Jahren 1979 bis 1985 im Dezember die sogenannte Weihnachtsbutter
zu einem Preis unter zwei D-Mark angeboten. Diese Wohltat für das Volk
sollte in erster Linie den Überbestand an der für Notzeiten eingelagerten Butter reduzieren und damit den sogenannten Butterberg
abbauen helfen. Die 250-Gramm-Pakete trugen die Aufschrift Molkereibutter aus Interventionsbeständen
. Es handelte sich bei der Weihnachtsbutter also um Molkereibutter
, die nach der Butterverordnung minderwertiger als Markenbutter
, eingestuft wird.
Auch wurden ab 1953 in Deutschland sogenannte Butterfahrten
angeboten. Per Bus ging es meistens an einen der Ostseehäfen und von dort per Schiff in Richtung Dänemark. Außerhalb der Hoheitsgewässer wurden dann Waren billiger und abgabenfrei im Duty-free-Shop verkauft. Beliebte Mitbringsel waren Parfum, Tabak, Alkohol und die in Dänemark sehr viel preiswertere Butter. 1999 ging diese Ära zu Ende, weil diese Praxis mit dem EU-Recht unvereinbar war.
Fette spielten immer schon eine große Rolle bei der Ernährung der Bevölkerung eines Landes. Schaut man zurück in das vorige Jahrhundert, fallen die Schlagworte Fettlücke
, Erzeugungsschlacht
und Hitlers Vierjahresplan
ins Auge. Innerhalb dieses Zeitraums wollte Hitler ab 1936 Deutschland autark, also unabhängig von Importen und damit kriegsfähig machen.
Das Deutsche Reich, gemeint ist damit der deutsche Nationalstaat, der von 1871 bis 1945 existierte, litt besonders am Rohstoffmangel an Fetten und Ölen. Diese Versorgungslücke wollte besonders der NS-Staat ab 1933 durch Ertragssteigerung und Verbraucherlenkung regulieren und damit die Abhängigkeit von Fettimporten beseitigen. Als konkrete Maßnahme verkündete 1934 der Reichslandwirtschaftsminister Richard Walther Darré auf dem Reichsbauerntag in Goslar ein Konzept, das er Erzeugerschlacht
nannte. Eine der Maßnahmen war die Anhebung des Selbstversorgungsgrads bis zur wirtschaftlich noch möglichen Grenze. Andere Maßnahmen waren die Erfassung und Registrierung aller Betriebe, Verbesserung der Böden, Vergrößerung der Anbauflächen für Ölfrüchte, Kredite für Bauern, Bau von Wohnheimen für Wanderarbeiter, Verbesserung der staatlichen Beratung und die Einsparung der Erzeugnisse.
Not macht bekanntlich erfinderisch. Eine Unterversorgung an Lebensmitteln bestand auch während des Ersten Weltkrieges, die vor allem durch die Kontinentalblockade der englischen Seemacht hervorgerufen wurde. So wurde damals ein Verfahren entwickelt, die Buttermasse mit Molke zu verlängern. Heraus kam die sogenannte Streckbutter. Nicht nur die Meiereien waren erfinderisch, auch die Hausfrauen entwickelten Rezepte, die teure Butter zu strecken. So wurden beispielsweise Wasser und Mehl zu einem dicken Brei verrührt und aufgekocht. Anschließend wurde die Butter schaumig gerührt und der erkaltete Mehlbrei löffelweise darunter gezogen.
Weniger bekannt ist, dass Fett auch für militärische Zwecke notwendig war. Aus Fetten wurde Glycerin hergestellt, das als Ausgangsstoff für Sprengstoffe gebraucht wurde. Außerdem waren viele landwirtschaftliche Helfer in der Armee, worunter die Erzeugung von Lebensmitteln ebenfalls litt.
Eine weitere Erfindung wurde 1915 aus der Not geboren, man trennte den Maiskeimling vom Korn und presste daraus Maiskeimöl. Aus hundert Kilo Mais ließen sich durchschnittlich ein Kilogramm Öl pressen.
Raps (Brassica napus) wurde schon von den Römern (Lat.: Rapa) wegen seiner ölhaltigen Samen zur Gewinnung von Lampenöl angebaut. In unseren Breiten verstärkte sich der Rapsanbau erst im frühen 19. Jahrhundert, als sich wegen Überjagung der Lampenbrennstoff stark verteuerte, welcher bis dahin überwiegend aus Waltran gewonnen wurde.
Als Lebensmittel wurde das Rapsöl wegen seines bitteren Geschmacks nur in Notzeiten genutzt, auch als Futtermittel erwies er sich ungeeignet und war nur zur Herstellung von Margarine, vor allem aber als technischer Schmierstoff zu gebrauchen. Der Rapsanbau wurde dann unrentabel, als Mitte des 19. Jahrhunderts preiswerte Erdölimporte und tropische Speiseöle auf den Markt kamen. 1919 erreichte der Rapsanbau einen Rekord, auf 0,7 Prozent der gesamten Ackerfläche wurde im Deutschen Reich Raps angebaut. Ab 1933 kam der Rapsanbau fast völlig zum Erliegen. Doch im Rahmen der Erzeugerschlacht
wurden bis 1944 die Anbauflächen für den Rapsanbau auf fast zwei Prozent der gesamten Ackerfläche gesteigert.
In den 1970er Jahren gelang es durch intensive Züchtung, die Bitterstoffe aus dem Raps zu entfernen und ihn damit als Nahrungs- und Futtermittel interessant zu machen. Seither ist das Rapsöl aus dem Angebot der Supermärkte und Discounter nicht mehr wegzudenken. Streckbutter
wird heute wie selbstverständlich als die gesündere Butter
vermarktet und auch gekauft, obwohl sie, dank geschickten Marketings, erheblich teurer als Deutsche Markenbutter ist. Gestreckt wird heute mit Rapsöl, Wasser und den benötigten Hilfsstoffen, damit sich die Masse nicht trennt. Das Verhältnis der Zutaten beträgt dabei laut Herstellerangabe: 63 Prozent Butter, Wasser und 13 Prozent Rapsöl. Stabilisatoren, die für die Herstellung benötigt werden, um Wasser und Fett dauerhaft zu verbinden, müssen nicht deklariert werden, wenn sie im Endprodukt nicht mehr enthalten sind.
Ein anderes Beispiel für den Ersatz von Genuss- oder Lebensmitteln ist der viel geliebte Kaffee. Ich erinnere mich an die Nachkriegszeit und an den Kaffee
der Marke Kornfrank
. Der wurde aus geröstetem Getreide hergestellt. Aber auch Feigen, Zichorien und Malz wurden als Streckmittel verwendet. Im Krieg wurde Kaffee
aus gerösteten Eicheln, Dörrobst, Karotten, Zuckerrüben und Traubentrester getrunken. Diesen falschen
Kaffee nannte man Muckefuck
, was vermutlich auf die Verballhornung des aus der Franzosenzeit stammenden Ausdrucks Mocca Faux
(französisch für falscher Kaffee
) zurückzuführen ist.
Noch viele andere Produkte, im Ersten Weltkrieg oder in den Jahren danach entwickelt, sind uns heute selbstverständlich geworden. Dazu gehören Pökelsalz, Fertigsuppen, Backmischungen und Vanillinzucker. Fertigsuppen wurden entwickelt, um die Ernährung von Soldaten sicherzustellen.
Eines der ältesten industriell hergestellten Fertiggerichte ist die Erbswurst, heute nur noch den Älteren bekannt. Es handelt sich dabei um Portionstabletten, zu mehreren wurstförmig in einer aluminiumbeschichteten Papierhülle verpackt. Löste man eine Portion in kaltem Wasser auf und kochte sie einige Minuten, erhielt man eine sämige Erbsensuppe. Die Idee dazu hatte 1867 Johann Heinrich Grüneberg aus Berlin. Er verkaufte seine Erfindung an die Verpflegungsabteilung der preußischen Armee, welche die Erbswurst als Eiserne Ration
1870 im Deutsch-Französischen Krieg an ihre Soldaten ausgab. Die Gebrüder Knorr in Heilbronn übernahmen 1889 die Produktion der billigen, nahrhaften und nahezu unbegrenzt haltbaren Fertigsuppe. Sie erfreute sich großer Beliebtheit bei Wanderern, Bergsteigern und Expeditionen. Bis 2018 wurde die Erbswurst noch in den Varianten gelb
oder grün
angeboten, die Produktion wurde dann aber wegen zu geringer Nachfrage eingestellt.
Zu erwähnen sind noch die Streckungsmittel im Brot, die 1915 bis zu fünfzig Prozent betragen konnten. Da wurde den Roggen- und Weizenbroten Gerste, Hafer, Mais und Kartoffelmehl, manchmal auch verbotenerweise Sägespäne zugesetzt. Das war das sogenannte Kriegs- oder Hungerbrot
, nicht mit dem Kommissbrot zu verwechseln, das 1552 bereits urkundlich erwähnt, ein einfaches haltbares Brot zur Versorgung der Soldaten ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg verteilten die Besatzungsmächte an die Bevölkerung Maisbrot. Zeitzeugenberichten zufolge soll es sich dabei um ein Missverständnis durch einen Übersetzungsfehler handeln. Als die Engländer fragten, was die Deutschen am dringendsten zur Ernährung brauchen, lautete die Antwort: Korn
. Das hörte sich in den Ohren der Engländer wie englisch Corn
an, bedeutet aber Mais.
Eine weitere Maßnahme der Erzeugungsschlacht
des Jahres 1934 war die Verringerung des Verbrauchs von Erzeugnissen. In den Zeitungen wurden öfter Eintopfgerichte als Vorschlag veröffentlicht, auch ein Eintopf-Kochbuch der Erna Horn. Zur Umsetzung ihrer Ziele übernahm das NS-Regime die Eintopf-Idee und führte am 1. Oktober 1933, kurz nach der Machtergreifung, den Eintopfsonntag
ein. Hitler und Goebbels nutzen das öffentliche Eintopfessen für ihre Propagandazwecke:
Eintopfsonntag soll nicht nur materiell [durch die Spende], sondern auch ideell dem Gedanken der Volksgemeinschaft dienen. Es genügt nicht, dass jemand zwar eine Eintopfspende gibt, aber seine gewohnte Sonntagsmahlzeit verzehrt. Das ganze deutsche Volk soll bei diesem Eintopfsonntag bewusst opfern, […] um bedürftigen Volksgenossen zu helfen.
Die sogenannte Fettlücke
konnte dadurch aber nur marginal verringert werden. Von Oktober bis März sollte in allen deutschen Haushalten einmal im Monat Eintopfgerichte gegessen werden. Die Differenz von Sonntagsbraten zum Eintopfgericht wurde einheitlich mit fünfzig Pfennig berechnet, die der Blockwart dann an der Türe von den Hausfrauen kassierte und dem kurz zuvor gegründeten Winterhilfswerk
zuführte.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der Eintopfsonntag
in Opfersonntag
umbenannt. Mit dieser Bezeichnung wurde der eigentliche Zweck ungewollt enttarnt. Mit dem gesammelten Geld wurde nicht nur der Staat von Sozialausgaben entlastet, vor allem aber wurde der Gedanke der Volksgemeinschaft
propagiert und der Durchhaltewillen gestärkt, eine Vorbereitung auf den nachfolgenden Krieg, ein Glanzstück nationalsozialistischer Volkserziehung
oder eher Gehirnwäsche.
Vieles von dem, was einst aus der Not geboren wurde ist uns heute noch sehr vertraut, doch wir haben vergessen, aus welcher Zeit, aus welcher Not diese Maßnahmen und Produkte geboren wurden. Heute kehrt vieles zurück, wie beispielsweise das fleischlose Essen unter dem Begriff Vegan
, zugunsten des Klimas. Oder das Kartoffelbrot, das gestern noch Hungerbrot
war, ist heute ein teures Lifestyleprodukt. Bei vielen heutigen Lebensmitteln ist die Zutatenliste so lang, dass sie, lesbar, nicht mehr auf die Verpackung passt. Wohl deshalb wird sie in einer Schriftgröße gedruckt, die aussieht, als ob eine Ameise mit Tinte an den Füßchen über das Papier gerannt ist. Rapsöl gehört meiner Meinung nach immer noch in die Öllampen und Wasser in den Tee — aber nicht in meine gute Butter!
Nachsatz
Was genau ist eigentlich Butter? Die Butterverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1234/2007) definiert es so:
Butter
bezeichnet ein landwirtschaftliches Erzeugnis in Form einer festen, plastischen Emulsion ausschließlich bestehend aus Milch und/oder bestimmten Milcherzeugnissen mit Fett als wesentlichem Wertbestandteil und mit einem Milchfettgehalt von mindestens 80 % und weniger als 90 %, einem Höchstgehalt an Wasser von 16 % sowie einem Höchstgehalt an fettfreier Milchtrockenmasse von 2 %.
Die Qualität der Butter wird durch unterschiedliche Handelsklassen gekennzeichnet. Deutsche Markenbutter
wird ausschließlich aus der Milch von Kühen oder der daraus gewonnenen Sahne hergestellt werden und mindestens vier von fünf möglichen Punkten erreichen. Butter aus anderen EU-Staaten, die diese Qualitätsanforderungen erreicht, darf als Markenbutter
beworben werden. Deutsche Molkereibutter
darf auch aus Molkenrahm hergestellt werden und muss bei der Prüfung mindestens drei von fünf Punkten erreicht haben. Schlechtere Qualitäten sind unter Bezeichnungen Dreiviertelbutter
, Halbfettbutter
und Milchstreichfett
im Handel. Gute Butter
meint also die höchste Qualität, die Markenbutter, die aus der Sahne der Kuhmilch hergestellt wird.