Ein seltsames Traumerlebnis
Schweißgebadet wache ich mitten in der Nacht auf. Was war das? Was habe ich gerade erlebt? War es nur ein Traum? Seltsamerweise fühlte sich dieser Traum sehr real an:
Ich war an einem Bahnhof und wollte eine Fahrkarte lösen, doch konnte ich nirgends einen Schalter oder wenigstens einen Fahrkartenautomaten entdecken. Dann sah ich aber Leute aus einem kleinen Unterstand kommen, offenbar mit der begehrten Fahrkarte in der Hand. Dort also konnte man die Karten kaufen. Als ich den überdachten Bereich betrat, hing an der Wand ein merkwürdiger Apparat mit einem Computerbildschirm und verschiedenen Bedienelementen. Ich machte mich damit vertraut und versuchte dem Kasten mein Fahrziel mitzuteilen, leider nur mit mäßigem Erfolg, das angezeigte Fahrziel war nicht der Ort, zu dem ich wollte. Mehrere weitere Versuche, dem dummen Kasten mitzuteilen, wohin ich wollte, scheiterten kläglich. In der Zwischenzeit hatten sich hinter mir einige Leute angestellt und eine Schlange gebildet. Die Dame hinter mir, im Rollstuhl sitzend, lachte laut über den dummen Kerl, der zu blöd war, eine Fahrkarte zu kaufen, das brachte mich so aus der Fassung, dass ich die Bedienung des Apparates nicht mehr in Ruhe studieren konnte. Also ließ ich die Dame vor, die sich offenbar damit auskannte, vielleicht konnte ich dabei etwas lernen. Allerdings blieb ihr Bemühen ebenso erfolglos, und die Leute hinter ihr lachten.
Am Bahnhof sah ich einen anderen Automaten und ließ die Frau im Rollstuhl, die mich ausgelacht hatte, allein beim ersten Automaten. Das Ergebnis war immer dasselbe, unabhängig davon, welches Ziel ich über die Tastatur eingab: Der Bildschirm zeigte immer wieder ein falsches Ziel an. Auch hier bildete sich hinter mir wieder eine Schlange und die Leute lachten ungeduldig. Was für eine Hölle! Warum hilft mir denn niemand? Schweißgebadet schrecke ich hoch – Gott sei Dank, nur ein Traum.
Ab 1. Januar werden im Bus keine Fahrkarten mehr gegen Bargeld verkauft, war eine der Meldungen, mit denen das neue Jahr begann. Zunächst hat mich diese Meldung nicht so sehr interessiert, ich fahre ja ein Auto und bin nicht unbedingt auf den Bus angewiesen. Außerdem fahre ich seit Corona nur sehr ungern mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu groß ist die Ansteckungsgefahr. Doch standen da einige Termine in der Innenstadt an, und das Auto war wegen fehlender Parkmöglichkeiten keine Option. Also musste ich mich nun doch mit der neuen Situation auseinandersetzen.
Zwei Möglichkeiten gab es zur Auswahl: Seit Anfang Januar sollten an Tank- und Lottoannahmestellen Prepaidkarten zum Kauf angeboten werden, die jetzt im Bus ausschließlich als Zahlungsmittel anerkannt wurden. „Wir haben nur zehn Karten bekommen, die waren sofort ausverkauft“, sagt die freundliche Frau an der Tankstelle, als ich danach frage. „Wir sollen aber wieder welche bekommen“ fügt sie noch hinzu. Eine sehr unbestimmte Aussage, und der Termin in der Innenstadt, wegen fehlender Parkplätze nur mit Bus und Bahn zu erreichen, rückte näher. Auch in der nächsten Woche waren die begehrten Karten sofort wieder ausverkauft.
Möglichkeit zwei ist mir nicht geheuer, man lade sich eine App aufs Handy und bezahlt via Smartphone im Internet seine Fahrkarte. Klingt kompliziert und stellt sich in der Praxis als völlig unzumutbar heraus, ist in der Praxis so nicht brauchbar, welcher … hat sich das nur wieder ausgedacht?
Aber das muss doch anders gehen, so etwas kann man doch nicht auf die Menschheit loslassen, denke ich bei mir und befrage zu Hause an meinem Rechner die „allwissende“ Suchmaschine im Internet. Die führt mich auf die Homepage des HVV und dort gibt es tatsächlich eine Lösung des Problems. Einmal angemeldet und registriert, eine Abbuchungsvollmacht für das Girokonto und ein Passwort hinterlegt, funktioniert die Handy-App als Bezahlmethode einwandfrei. Anders als in meinem Traum gebe ich das Fahrziel ein, bekomme verschiedene Fahrzeiten angeboten, wähle Zeit und Tarif, gebe mein Passwort ein und erhalte per Mail meine Fahrkarte. Die kann ich aufrufen und beim Busfahrer vorzeigen. Prepaidkarten gab es auch im März keine, die waren ständig ausverkauft.
Eine Freundin erzählte von ihren fruchtlosen Versuchen, eine der begehrten Karten irgendwo zu ergattern, vergeblich. Sie bekam eine dann im Februar von ihrer Tochter zum Geburtstag geschenkt. Seltsame Früchte treibt die Zeit, früher bekam sie einen schönen Schal, eine wohlriechende Seife oder etwas zum Naschen. Seither hat sie einige Erfahrung mit dem neuen Bezahlsystem machen können und berichtet, dass sie schon wieder einmal mit Wissen des Busfahrers „schwarz“ gefahren ist, weil der Automat nicht funktionierte, der das Fahrgeld von der Prepaidkarte abbuchen sollte. Und das in einer „Weltstadt“ wie Hamburg, dem „Tor zur Welt“, die um Touristen buhlt wie keine andere. Schöne neue bargeldlose Welt.
Schweißgebadet wache ich mitten in der Nacht auf, ich habe das Passwort vergessen, mit dem ich meine Handy-App aktiviere und der Akku ist fast leer. Gott sei Dank – das war nur ein Traum. Aber je digitaler unsere Welt wird, desto kälter fühlt sie sich an. Menschen sprechen nicht mehr miteinander, das hat jetzt die KI übernommen und das nennt sich Kommunikationszeitalter? Ich habe den Verdacht, irgendetwas stimmt hier nicht.