Moped-Träume und Traum-Mopeds
Ich begann 1965 eine Lehre als Fernmeldelehrling bei der Post. Das Wort Auszubildender
wurde damals noch nicht verwendet und ich wurde auch in regelmäßigen Abständen daran erinnert, dass Lehrjahre schließlich keine Herrenjahre
sind, denn ich war ja ein Lehrling. Im letzten Schuljahr bekam ich die Gelegenheit, während eines Berufspraktikums im technischen Bereich der Post den Beruf des Fernmeldehandwerkers kennenzulernen. Mir gefiel, was ich dort sah und machen durfte und so bewarb ich mich um eine Lehrstelle. Da mehr Bewerber als Ausbildungsplätze da waren, wurde nach einer Prüfung aussortiert. Ich gehörte zu den Glücklichen, die einen Platz ergattern konnten. Dreieinhalb Jahre sollte ich lernen und dabei auch die entferntesten Ecken Hamburgs kennenlernen. Die Ausbildungsorte Stellingen, Lokstedt und Wandsbek bedienten die einzelnen Fachgebiete, die Berufsschule in Harburg, auf der anderen Seite der Elbe war noch mit der Straßenbahn erreichbar. Mit Bus und Bahn kam ich überall hin, die Fahrpreise fraßen allerdings die Ausbildungsvergütung von gerade einmal 105 D-Mark schnell auf. Einige meiner Kollegen waren bereits motorisiert und fuhren mit Kleinkrafträdern Kreidler Florett
und Herkules K50
zur Berufsschule nach Harburg. Das erweckte bei den Bahnfahrern natürlich Neid, aber mit den paar Kröten, die monatlich in die Kasse kamen, war an einen fahrbaren Untersatz nicht zu denken, bis sich zufällig eine Gelegenheit ergab.
Mein Vater hörte von einem seiner Kollegen, dass der Sohn mit dem nagelneuen Kleinkraftrad gestürzt war. Der auslaufende Kraftstoff hatte sich dabei entzündet und das gute Stück in einen abgebrannten Schrotthaufen verwandelt, aber der Motor war noch ganz. Mit einem zinslosen Darlehen von 20 D-Mark, das ich bei meinen Eltern aufnahm, konnte ich dieses rostige Gebilde kaufen.
In den nächsten Monaten brachte ich jede freie Minute damit zu, meine Neuerwerbung komplett zu zerlegen, zu entrosten, bis auf das blanke Metall abzuschleifen, um mit Pinsel und Farbe zu restaurieren, was das Feuer zerstört hatte. An der Wandsbeker Chaussee gab es die Firma NSU-Löwe
Der Fahrradschlossermeister Emil Löwe ließ die Firma am 10.Mai 1911 in das Hamburger Handelsregister eintragen. Früher noch als reines Motorradgeschäft und bis 1957 sogar größter NSU Groß- und Einzelhandel in Hamburg, kamen im Laufe der Zeit auch Fahrräder hinzu.Aus der Firmengeschichte, dort konnte ich einen Scheinwerfer und eine Sitzbank für meine recht seltene NSU-Qick50, denn um ein solches Fahrzeug handelte es sich, preiswert erstehen. Mit diesen Teilen war mein Kleinkraftrad NSU Quick 50, Baujahr 1962, mit Sachsmotor 4,3 PS, Vierganggetriebe und Fußschaltung, wieder komplett und fahrbereit. Einen Führerschein der Klasse vier hatte ich während der Restauration nebenher erworben, es war nur die theoretische Prüfung erforderlich, um den Schein im Oktober 1966 zu bekommen.
Von nun an gehörte ich zu den Privilegierten, die mit dem eigenen Fahrzeug zu Berufsschule fuhren, während meine Kollegen mit der Straßenbahn über die Brücke des 17.Juni nach Harburg rumpeln mussten.
Auf der Wilhelmsburger Reichsstraße waren 80 km/h erlaubt, die edlen Rösser der Marken Kreidler, Herkules und NSU bekamen hier ordentlich die Sporen und wurden zur Höchstleistung angetrieben. Dazu machten wir uns hinter dem Tacho so klein wie möglich, legten den Oberkörper flach auf den Tank und dachten uns jede Menge Tricks aus, um den Luftwiderstand zu verringern und das Moped schneller zu machen. Gegen die rotlackierte Konkurrenz sah die Quick mit dem altertümlichen Scheinwerfer und dem zweifarbig grauen Outfit ein wenig wie das hässliche Entlein
aus, aber an Fahrspaß hatte sie einiges zu bieten und fuhr den roten Flitzern oft davon.
Als die Lehrwerkstatt nach Wandsbek umzog, fuhr ich täglich mit der NSU über die Fuhlsbüttler Straße. In Klein-Borstel war einmal ein Straßenbahndepot, die Straßenbahn fuhr zwar nicht mehr, aber die Schienen lagen noch und verzweigten hier in Richtung des ehemaligen Depots, liefen also quer zur Fahrbahn. Wenn man hier nicht aufpasste und es auch noch nass war, segelte man mit dem Zweirad regelmäßig über das Pflaster. Aber wer nie gestürzt war, ist auch nie Moped gefahren.
Eine Fahrt mit Sozius an die Ostsee endete mit einem kapitalen Getriebeschaden. Auf der Rückfahrt klemmten die Gänge, so konnte ich gerade noch im zweiten Gang nach Hause schleichen, die letzten 20 Kilometer schaffte das Gefährt nicht mehr, so schob ich das Moped bis nach Hause, allerdings mit Unterstützung meines Beifahrers, geteiltes Leid …
Der Ausbau des Motors mit dem defekten Getriebe war einigermaßen schwierig, die Ersatzteilbeschaffung fast unmöglich geworden. Die Firma Löwe verkaufte nur noch Fahrräder und das Internet gab es noch nicht. Mit Kleinanzeigen schaffte ich es, ein gebrauchtes Getriebe für die Quick zu bekommen, das sofort in alle Einzelteile zerlegt wurde. Mit den nun zur Verfügung stehenden Ersatzteilen konnte die Reparatur durchgeführt und das Kleinkraftrad wieder in Betrieb genommen werden.
Im Oktober 1968 bestand ich meine Gesellenprüfung und bekam eine Anstellung als Fernmeldehandwerker, damit hatte ich erstmals ein regelmäßiges Einkommen. Mein NSU-Moped habe ich verkauft um nach fünfjähriger Abstinenz und Erweiterung des Führerscheins um die Klassen eins und drei ein richtiges
Motorrad eines japanischen Herstellers zu erwerben. Diese kleine Suzi
hatte bereits 27 PS und einen Zweizylinder-Zweitaktmotor, war leuchtendrot lackiert und passte so richtig gut zu dem zweifarbigen Lederkombi mit weißer Jacke und roter Hose.
Das war eine handliche, schnelle Maschine, mit der ich oft nach Dänemark in den Urlaub fuhr, bis ich genug Geld gespart hatte, um eine noch größere und schnellere Maschine kaufen zu können. Die Wahl fiel auf eine 50 PS starke, Honda CX500, die wegen ihres wassergekühlten Zweizylindermotors in Fachkreisen
oft als Güllepumpe
bezeichnet wurde. Der Spitzname wurde durch eine Verunglimpfung der Maschine in einem Werner-Comic
etabliert, wo man hinkam hörte man sofort zur Begrüßung: Oh ne Güllepumpe
, was einigermaßen nervte.
Trotzdem war es ein sehr bequemes Reisemotorrad, das ich bei der Fa. Suck im Nagelsweg gekauft habe. Die Firma Suck ist ein Unternehmen, das schon lange mit Motorräder der Marke Harley-Davidson handelt und eine Zeit auch Honda-Motorräder verkaufte. Der Verkaufsraum war voll mit amerikanischen Edelrössern mit ihrem typischen Zweizylinder V-Motor, Chrom und Lack vom feinsten, aber leider unbezahlbar. Der Wunsch, einmal ein solches Moped
zu fahren war geboren.
Die neue Honda diente mir etliche Jahre als solides und zuverlässiges Fahrzeug für den täglichen Arbeitsweg und Urlaubs- und Wochenendfahrten.
Eine abendliche Spritztour in der näheren Umgebung Hamburgs sollte mir aber den Fahrspaß gründlich und für viele Jahre verderben.
Zu Beginn der Motorradsaison im Frühjahr, nach monatelanger Abstinenz beginnt man verhaltend, sich an das Fahrgefühl auf zwei Rädern zu gewöhnen. An einem Abend im April, es war sonnig und schon recht warm, lud mich ein Freund zu einer abendlichen Tour ein. Also fuhren wir beide, jeder mit dem eigenen Motorrad Richtung Pinneberg, Barmstedt, weil die Straße dort schön kurvig und wenig befahren ist. Ich fuhr mit knapp 100 km/h durch eine langgestreckte Linkskurve, rechts und links mit Chausseebäumen gesäumt und mit tiefen Wassergräben versehen, als es geschah. Das Motorrad schlitterte plötzlich nach außen zum Fahrbahnrand weg. Ich reagierte reflexartig, indem ich gegenlenkte und den linken Fuß immer wieder auf die Fahrbahn setzte, um die schlingernde Maschine zu fangen. So durchfuhr ich die gesamte Kurve wie ein Rennfahrer auf der Sandbahn. Die Schlingerbewegung hatte sich mit jedem Manöver aber so verstärkt, dass ausgangs der Kurve ein Sturz unvermeidbar war. Das Motorrad stürzte auf seine rechte Seite, begrub mein rechtes Bein unter sich und bewegte sich funkensprühend noch gute 50 Meter voran, bis es zum Stillstand kam. Der angebaute Sturzbügel hatte mir so viel Beinfreiheit verschafft, dass mir ernsthafte Verletzungen erspart blieben. Allerdings war das massive Rohr nur noch dünn wie ein Blech, ebenso war der Lenker auf dem Asphalt um fünf Zentimeter abgeschliffen worden.
Die Straßenmeisterei Itzehoe war mit ihrer Straßenbaukolonne am Tage tätig geworden, hatte flüssig Teer gespritzt und mit ganz viel Rollsplitt abgedeckt. Da sie ja fertig waren und erst am nächsten Tag weiter arbeiten wollten, wurden die Warnschilder abends im Graben und für mich unsichtbar versenkt.
Der Lederkombi rotweiß und die Lederstiefel waren auf dem Asphalt ebenfalls völlig durchgescheuert und nicht mehr brauchbar, hatten mich aber vor Schlimmerem bewahrt. An der Maschine entstand ein erheblicher Sachschaden. In der Folge hatte ich das erste Mal Einblick, wie staatliche Instanzen Schäden regulieren, die durch ihr Verschulden entstanden sind, nämlich gar nicht. Erst ein angestrengter Prozess und eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen den Leiter der Straßenmeisterei konnte das Land Schleswig-Holstein zum Ausgleich des entstandenen Schadens bewegen.
Ein halbes Jahr später, im Oktober lief mir ein achtjähriger Junge vor das Krad, der schnell die vierspurige Kieler Straße zum Bus überqueren wollte und mich übersehen hatte. Der unvermeidliche Zusammenprall ging nicht so glimpflich aus wie bei dem Unfall im April, der Knabe brach sich das Bein und ich mir das Becken.
In der Folge tauschte ich Motorrad gegen Auto, und fuhr lange unfallfrei mit vier Rädern.
Als ich eines Tages wegen einer Kleinigkeit mit dem Auto in die Werkstatt musste, hatte ich Gelegenheit im Verkaufsraum des Autohauses kaffeetrinkend und auf die Reparatur wartend, die ausgestellten Fahrzeuge zu bewundern. Ein Fahrzeug fiel mir besonders auf, weil es dort nicht zu passen schien. Es handelte sich um eine Harley-Davidson 883er Sportster, der alte Traum wurde wach. Ein Traum in schwarz mit herrlich blubberndem Auspuffgeräusch, viel Chrom und gar nicht so teuer…
Mit Satteltaschen und einer Sissy-Bar
ausgerüstet war es auch für die Sozia, meine Frau, ein bequemes schnelles Sofa
. Gemütliches und langsames Fahren, den Fahrtwind genießend macht das Reisen mit der Harley aus, ein Auto kann das nicht bieten. Schöne Landstraßen Schleswig-Holsteins haben wir befahren und genossen.
Den ersten schönen Tag im Februar 1999, es war Freitag, der Dreizehnte, tauschte ich Auto gegen Harley und fuhr morgens mit dem Motorrad zum Dienst. Am Abend, auf der Rückfahrt war es nicht mehr so schön, leichter Nieselregen, als plötzlich fünf Meter vor mir ein Auto aus der Parklücke ausscherte, um auf der Straße zu wenden. Ein Ausweichen war aussichtslos, auch bei einer relativ niedrigen Geschwindigkeit erfährt man gnadenlos die Gesetze der Fahrphysik. Bänderriss, Kapselriss, Bruch der Halswirbelsäule zwischen dem zweiten und dritten Wirbel. Die Diagnose wurde erst 14 Tage nach dem Unfall gestellt. Der Unfallgegner war nicht versichert, weil er mit einem Dienstfahrzeug des Landes Schleswig-Holstein unterwegs war und das Land ist Selbstversicherer – na die Regulierungsmentalität des Landes hatte ich ja bereits kennengelernt. Dazu kam, dass der Unfallverursacher dort in Hamburg nicht hätte sein dürfen, also eine Schwarzfahrt
, oder wie es Juristen formulieren, eine nicht genehmigte Dienstfahrt
gemacht hatte.
Die Folgen in Kürze: Ein Jahr nicht laufen können, mühsam wieder laufen lernen, einen Prozess anstrengen gegen das Land Schleswig-Holstein (der gewonnen wurde), Verschrottung der Harley-Sporster, Kuraufenthalt und letztendlich vorzeitige Zurruhesetzung wegen dauernder Dienstunfähigkeit. Dabei kann ich von Glück sagen, nicht im Rollstuhl gelandet zu sein. Freitag der Dreizehnte ist für mich ein Glückstag gewesen. Allerdings hat es eine Weile gedauert, bis ich mein Glück fassen konnte.
Erschrecken ließ ich mich davon allerdings nicht wirklich, in die Reha fuhr ich mit steifem Bein bereits mit dem neuen fetten Moped, einer Harley-Davidson Superglide, wieder in schwarz, diesmal mit 1,34 Liter Hubraum und 65 PS.
Nach einem Jahr habe ich mich dann doch noch einmal verliebt – diesmal in eine Harley-Davidson Fat Boy
, die ich noch einige Zeit, aber nur bei gutem Wetter gefahren habe. Dieses schwarze Ungetüm hatte statt der üblichen Speichen, Vollmetallräder aus Aluminium, hochglanzpoliert, einen Zweizylinder-V-Motor mit 1340 Kubikzentimeter Hubraum und vor allem einem satten, tiefen, blubbernden Motorgeräusch – einfach herrlich für Auge und Ohr.
Dieses Moped
war mit einem Einzelsitz ausgestattet, was ein sehr tiefes, bequemes Sitzen in
der Maschine ermöglichte. Ein schnelles Sofa für Großväter, oder auch Großvaterschaukel hörte man von anderen Motorradbesitzern, was natürlich nur der Ausdruck von blankem Neid war. Mitleid bekommt man umsonst, Neid muss man sich verdienen!
Im Mai fand in Hamburg alljährlich vor der Michaeliskirche, dem Michel, ein Motorradgottesdienst statt. Dort mitzufahren war schon ein besonderes Erlebnis. Die Ost-West-Straße wurde komplett, das heißt alle sechs Spuren, gesperrt um Platz zu schaffen für die aus ganz Deutschland eintreffenden Motorradfahrer mit ihren Maschinen. Es kamen Tausende und der Block der Harley-Fahrer wurde besonders umschwärmt. Allerdings auch von Spitzbuben, man musste schon höllisch aufpassen, damit keine Teile oder gar ganze Mopeds
abhanden kamen. Die anschließende Fahrt durch die Stadt bis zur Autobahnanschlussstelle Schnelsen und die Fahrt bis nach Kaltenkirchen über die für Autos gesperrte Autobahn war schon ein besonderes Highlight der Motorradsaison. Auf der Party in Kaltenkirchen konnte man dann mit anderen Motorradfahrern herrlich Benzin
reden, also fachsimpeln.
Das Handy hat mir dann das Motorradfahren endgültig verdorben. Ich habe mit der Fat Boy
noch zwei Situationen erlebt, wo ein weiterer Unfall gerade noch durch beherztes Ausweichen und Bremsen vermieden werden konnte. Beide Male hatte der Autofahrer, der den Unfall verursacht hätte, das Handy am Ohr und war nicht mehr auf den Straßenverkehr konzentriert. Die Fat Boy
hat ein junges Paar gekauft, die leuchtenden Augen, mit denen sie mein letztes Moped abgeholt haben, werde ich nie vergessen.