Schülerpraktikum beim Fernmeldeamt
Als das Ende meiner Schulzeit 1964 in Sicht kam, hörte ich immer öfter die Frage Was willst du denn einmal werden
und Hast du schon eine Lehrstelle
? Eigentlich hatte ich mir bis dahin noch keine großen Gedanken darüber gemacht, ob ich überhaupt etwas werden müsste. Aber nach meiner Konfirmation wurde in meiner Familie ständig darüber spekuliert, womit ich wohl zukünftig mein eigenes Geld verdienen wollte.
Einige meiner Mitschülerinnen und Mitschüler hatten bereits ganz konkrete Vorstellungen von ihrem weiteren Lebensweg und wollten Arzthelferinnen, Autoschlosser, Frisörinnen, Busfahrer, Stewardessen oder gar Pilot bei der Lufthansa werden. Ich hatte solche Berufswünsche nicht, überhaupt wusste ich nicht, was da auf mich zukommen würde.
Meiner Schule wurden von verschieden Firmen Praktikumsplätze für Schulabgänger angeboten, damals wurden Lehrlinge noch umworben. Meine Mitschülerinnen und Mitschüler erhielten so die Möglichkeit, im Rahmen eines Berufspraktikums als Schülerpraktikant verschiedene Berufe kennenzulernen. Eine örtliche Kraftfahrzeugwerkstatt bot einen heißbegehrten Platz an, der ausgelost werden musste, weil so viele meiner Mitschüler Autoschlosser werden wollten. Mir war der Gedanke, jeden Tag mit ölverschmierten Händen einer Arbeit nachgehen zu müssen, nicht gerade angenehm und ich verzichtete auf diesen Gewinn. Stattdessen entschied ich mich für eine Stelle bei der Post, was mir bei manchen Schulkameraden Spott einbrachte. Sag mal, was bedeutet denn POST überhaupt?
fragte mich einer. Auf mein keine Ahnung
, hin, bekam ich unter Gelächter prompt die Antwort: Personenkreis ohne sinnvolle Tätigkeit
. Da lachte mich einer aus und entfernte sich anschließend schnell, ich habe wohl sehr grimmig geschaut.
Vermiesen ließ ich mir aber meinen Praktikumsplatz nicht, das war doch nur der Neid derer, die keinen Praktikumsplatz ergattern konnten. Anfang Dezember 1964 war es dann so weit, die folgenden vier Wochen durfte ich morgens sehr viel früher aufstehen und mich mit den Bussen und Bahnen der Hamburger Hochbahn AG nach Hamburg-Stellingen befördern lassen, denn dort befand sich die Ausbildungsstätte des Fernmeldeamtes 4. Ich war bei der grauen Post, dem Fernmeldewesen, als Schülerpraktikant angenommen worden.
Nach einem straff gegliederten Ausbildungsplan wurden wir Schülerpraktikanten, ich war nicht der einzige aus Hamburg, denn auch anderen Schulen waren Plätze angeboten worden, von den Ausbildern in die verschiedenen Arbeitsabläufe des Fernmeldewesens eingeführt zu werden. Sehr interessant war der Vermittlungsraum in der Lehrwerkstatt, eine voll funktionierende Einrichtung zum Aufbau von Wählverbindungen zur Sprachübertragung, kurz Wählersaal
genannt. Dort ratterten, entsprechend der gewählten Ziffern, die Hebdrehwähler, die elektromechanischen Schalter und Relais, die dem Verbindungsaufbau dienten. Verschiedenfarbige Signallampen signalisierten die Betriebszustände und auch die auftretenden Störungen. Das war alles sehr interessant und es gab jeden Tag eine andere Lektion in den sehr unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Wartung und Bau fernmeldetechnischer Anlagen wurde uns gezeigt, aber auch die Entstörung und Fehlersuche.
So wurde ich für einige Tage auch einem Schnelleinrichter
zugeteilt, der erst vor ein paar Jahren ausgelernt hatte und mit einem grauen VW-Bus unterwegs war, um Telefonanschlüsse einzurichten. Schnelleinrichter deshalb, weil er nur Aufträge bekam, die sich innerhalb weniger Stunden realisieren ließen. Dazu gehörte auch die Entstörung und Wiederinbetriebnahme gestörter Telefonanschlüsse.
Nach Ablauf dieser Praktikumswochen glaubte ich, einen umfassenden Einblick in den Beruf des Fernmeldehandwerkers bekommen zu haben. Der Leiter der Lehrwerkstatt verabschiedete mich mit freundlichen Worten und überreichte mir zum Andenken ein kleines Büchlein Hamburger Originale und originelle Hamburger
mit der Widmung Das Fernmeldeamt 4, Hamburg, überreicht Ihnen dieses Buch zur Erinnerung an Ihr Schülerpraktikum, Hamburg, den 15. Januar 1965
.
Für mich stand danach fest – ich werde Fernmelder! Zum 1. April 1965 suchte die Post für den Bereich Hamburg zwanzig Fernmeldelehrlinge. Ich schrieb meine Bewerbung mit Lebenslauf, Lichtbild und Schulabschlusszeugnis und schickte sie an das Fernmeldeamt 4. Nach einigen Wochen bekam ich tatsächlich Post von dort, man lud mich zu einer Eignungsprüfung ein. Zwar waren die Lehrstellen zu der Zeit noch so reichlich vorhanden, dass jeder, der sich bemühte, auch eine Stelle bekam, doch waren in manchen Lehrberufen mehr Bewerber als Ausbildungsstellen vorhanden. Auf die Lehrstellen beim Fernmeldeamt hatten sich über Einhundertzwanzig Schulabgänger beworben und zwanzig wurden nur angenommen.
Der Test dauerte einen ganzen Tag und brachte mich zum Schwitzen. Es wurden, wie in der Schule, Diktate geschrieben, Rechenaufgaben gelöst und über logischen Problemen gebrütet. Eine Zeichnung auf einem Blatt DinA4 enthielt jede Menge Zahnräder und Transmissionen, das antreibende Rad war mit seiner Drehrichtung bezeichnet. Nun sollte ich die Drehrichtungen aller Räder und Wellen richtig einzeichnen, dazu hatte ich fünf Minuten Zeit. Diese und andere Aufgaben gab es in schneller Folge zu lösen, viel Zeit blieb uns nicht und jeder war des anderen Feind, denn es gab zur Belohnung
eine der wenigen Lehrstellen. Niemand ließ sich deshalb von seinem Nachbarn auf sein Papier schauen, oder ließ gar abschreiben!
Wochen danach quälte mich der Gedanke, ich könnte durchgefallen sein, bis ich einen Brief und damit einen Ausbildungsplatz erhielt. Ich hatte mich erfolgreich gegen die Konkurrenz durchsetzen können. Mit meinen Eltern wurde ich zu einem Vorstellungstermin gebeten. Im Gebäude der Oberpostdirektion Hamburg am Stephansplatz unterschrieb Oberpostdirektor Frahm den Lehrvertrag für den Arbeitgeber, meine Eltern als Erziehungsberechtigte, so sagte man damals, und ich als Auszubildender. So begann ich am 1. April 1965 als Fernmeldelehrling beim Fernmeldeamt 4 meine berufliche Laufbahn.