Lehrjahre
oder
Fernmeldelehrling bei der Post
Meine Schulzeit war im März 1965 vorbei, mein Abschlusszeugnis hatte ich in der Tasche und ein SchülerpraktikumLesen Sie auch meine Geschichte:
Schülerpraktikum beim Fernmeldeamt 4 bereits hinter mir. Jetzt war es an der Zeit, einen der begehrten Lehrplätze bei der grauen PostDie graue Post = Fernmeldedienst,
die gelbe Post = Post- und Paketdienst. zu ergattern, im technischen Fernmeldedienst. Ich hatte einige Bewerbungen geschrieben, wollte einen technischen Beruf ergreifen, am liebsten als Fernmelder oder, zweite Wahl, als Radio- und Fernsehtechniker. Meine Bewerbungsschreiben mit Lebenslauf hatte ich an verschiedene Firmen und an die Ausbildungswerkstatt der Deutschen Bundespost in Hamburg geschickt. Anfang 1965 bekam ich eine Einladung zu einer Eignungsprüfung in die Lehrwerkstatt der Post in Hamburg-Stellingen.
Um einen guten Eindruck zu machen, hatte ich mir meine beste Kleidung herausgesucht und war mit Bus und Bahn zum Vorstellungsgespräch gefahren. Auf zwanzig der angebotenen Lehrstellen kamen einhundertzwanzig Bewerber, die sich in den nächsten Wochen einem Auswahlverfahren unterzogen. Das Vorstellungsgespräch
entpuppte sich als eine den ganzen Tag dauernde Prüfung. Mehrere Prüflinge lösten wie in einem Klassenzimmer der Schule Mathematikaufgaben und schrieben ein Diktat und einen Aufsatz. Es wurde das Allgemeinwissen abgeprüft, ein Einzelgespräch geführt und mit Denksportaufgaben die Fähigkeit des logischen Denkens geprüft. Ich erinnere mich an ein Blatt, auf dem viele verschieden große Zahn- und Kegelräder, Zahnstangen und Walzen zu sehen waren, die alle mit ihren Zähnen ineinandergriffen. Ich sollte nun zeichnerisch diese Elemente an eine Welle anschließen und die Drehrichtung jedes einzelnen Bauelements einzeichnen, was mir gut und ohne Probleme gelang.
Unterbrochen von einer Mittagspause, in der die Bewerber möglichst wenig, und wenn, nur in Allgemeinfloskeln miteinander sprachen, um sich keine Chancen zu verbauen, denn heute war jeder des anderen Feind, begann am Nachmittag der praktische Teil. Beim Hantieren mit den Bauelementen, die ich bereits aus meinem Berufspraktikum kannte, gab es wenige Probleme und ich hatte am Ende der Veranstaltung ein gutes Gefühl, was mein Abschneiden bei der Prüfung betraf.
Allerdings folgten jetzt bange Wochen des Wartens und auch eine enttäuschende Absage eines kleinen Betriebes, bei dem ich mich auf eine Lehrstelle als Radio- und Fernsehtechniker beworben hatte. Ein anderer Betrieb dieser Branche lud mich zu einem Vorstellungsgespräch ein. Da ich von der Ausbildungsstelle der Post lange nichts mehr gehört hatte, kam ich jetzt unter Druck, da mich dieser Betrieb einstellen wollte und eine sofortige verbindliche Zusage forderte. Endlich kam auch das ersehnte Schreiben der Post und ich war einer der zwanzig, die eine Lehrstelle ergattert hatten.
Eine Woche später wurde ich zusammen mit meinen Eltern eingeladen, den Lehrvertrag zu unterzeichnen. Wir fuhren zusammen in die Oberpostdirektion am Stephansplatz, wo Oberpostdirektor F. als Vertreter des Unternehmens, meine Eltern als Erziehungsberechtigte und ich als zukünftiger Lehrling den Lehrvertrag unterschrieben. Einige Tage später wurden meine Eltern und ich zur Besichtigung der Lehrwerkstatt, meiner zukünftigen Wirkungsstätte eingeladen. Dort führte uns der Werkstattleiter herum und erklärte den Lehrbetrieb und meine zukünftigen Aufgaben.
Der Werkstattleiter Herr W. war eine Respekt einflößende Persönlichkeit mit strengem Blick, dem kaum etwas entging. Wir Fernmeldelehrlinge nannten ihn deshalb später sehr zutreffend Mandra
nach dem Magier mit dem dritten Auge auf der Stirn, dessen Fortsetzungsabenteuer jeden Morgen in der Hamburger Morgenpost als Comic abgedruckt waren.
Am 1. April 1965 begann mein Berufsleben, oder wie meine Eltern es ausdrückten, der Ernst des Lebens
. Ich hatte mich pünktlich um 7 Uhr beim Fernmeldezeugamt in Hamburg-Lokstedt eingefunden und im ersten Stock in der Metallwerkstatt gemeldet. Das erste halbe Jahr der Ausbildung begann mit den Grundlagen der Metallbearbeitung. Zunächst wurden wir aber zu Lehrtrupps zu je zehn Lehrlingen zusammengestellt, die die gesamte Ausbildungszeit zusammenbleiben sollten. Zwei meiner neuen Kollegen waren körperlich noch zu klein, um an den Schraubstock zu gelangen, ihnen wurde je eine dicke Holzplatte unter die Füße gelegt, damit sie mit ihrer Feile ergonomisch am Werkstück arbeiten konnten.
Unser Ausbilder stellte sich als Herr Reimers
vor, er trug einen mausgrauen Kittel über seinem krummen Rücken und hatte gelbe Raucherfinger. Vorbereitend hatte er von einem U-förmigen Profileisen zehn ungefähr zehn Zentimeter lange Werkstücke abgeschnitten, die er jetzt verteilte. Ein halbes Jahr sollte die Metallausbildung dauern und das U-Stück hat mich in diesem halben Jahr bis in den Schlaf verfolgt. Zunächst wurde mit der groben Feile (Hieb 1) das U-Stück grob bearbeitet und es bekam rundherum ein blankes metallisches Aussehen. Mit der Schieblehre und dem Winkel wurde immer wieder nachgemessen, ob das geforderte Maß bereits erreicht war. Auf den zehntel Millimeter genau sollte gearbeitet und immer der rechte Winkel eingehalten werden. Nach der groben Bearbeitung erfolgte die Feinbearbeitung mit der feineren Schichtfeile (Hieb 3), und die tiefen Riefen wurden aus dem Metall entfernt. Am Abend dieses ersten Arbeitstages war ich zu Hause nicht ansprechbar, hatte müde Arme und ging früh schlafen.
Von Mai bis Juni zog die gesamte Lehrwerkstatt in ein neues Gebäude am Holstenhofweg nach Hamburg-Wandsbek um und ich hatte nun einen Arbeitweg von täglich eineinhalb Stunden pro Tour mit Bus und Hamburger Hochbahn. Das ehemalige Verwaltungsgebäude der EDEKA-Handelsgruppe beherbergte jetzt sämtliche Ausbildungsbereiche unter einem Dach und die Metallwerkstatt war mit einer neuen Fräsmaschine und mehreren Drehbänken neuester Bauart ausgestattet worden. Mein Lehrtrupp hatte das Glück, direkt hinter der Maschinenabteilung in einem verglasten Raum unterzukommen, so konnten wir durch die Scheiben rechtzeitig sehen, wenn unser Ausbilder oder Mandra
kam.
Einmal die Woche gab es Fachunterricht und anschließend Sport. Alle vierzehn Tage fuhr ich am Montagmorgen mit der Straßenbahn über die Elbbrücken bis nach Hamburg-Harburg zur Berufsschule. Im Fachunterricht lernten wir, technische Zeichnungen unserer Werkstücke in drei Ansichten anzufertigen und sie in NormschriftNormschrift ist eine nach EN ISO 3098 genormte Schriftart, die dazu verwendet wird, Bezeichnungen und Messgrößen auf technischen Zeichnungen zu vereinheitlichen.Bild: Normschriftschablone, Quelle: Wikipedia.org zu beschriften. Da die Normschrift von Hand immer ein wenig
krakelig
aussah, durften wir Normschriftschablonen und Tintenfedern der entsprechenden Strichstärken benutzen. Außerdem wurde die Anschaffung eines Rechenschiebers für das Fachrechnen dringend empfohlen.
Wir erhielten eine Ausbildungsvergütung entsprechend des Tarifvertrages, der am 1. Januar 1965 in Kraft trat, ausgehandelt zwischen der Deutschen Postgewerkschaft und dem damaligen Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen, Richard Stücklen. Dort hieß es im Paragraph 1:
Die Vergütung beträgt
im ersten Lehrjahr 105,– DM,
im zweiten Lehrjahr 134,– DM,
im dritten Lehrjahr 159,– DM und
im vierten Lehrjahr 182,– DM.
Von meiner ersten ausgezahlten Ausbildungsvergütung wurden zunächst die Zeichengeräte der Firma Rotring gekauft und bezahlt. Den Rechenschieber

Ein Rechenschieber oder Rechenstab ist ein analoges Rechenhilfsmittel zur mechanisch-optischen Durchführung von Grundrechenarten, vorzugsweise der Multiplikation und Division. Je nach Ausführung können auch komplexere Rechenoperationen (unter anderem Wurzel, Quadrat, Logarithmus und trigonometrische Funktionen oder parametrisierte Umrechnungen) ausgeführt werden.Quelle: Wikipedia.org konnte ich mir davon nicht leisten, den bekam ich dann zu Weihnachten geschenkt. Übrigens musste ich nach dem Willen meiner Eltern von der Ausbildungsvergütung, gemessen an der Höhe der Vergütung einen erheblichen Betrag regelmäßig sparen, einen weiteren kleineren Betrag in eine Lebensversicherung investieren und den Gewerkschaftsbeitrag entrichten. Der Rest blieb mir als Fahrgeld für Bus und Bahn und als Taschengeld. So wurde es schwer, am Wochenende einmal auszugehen oder gar meinem Laster, dem Rauchen zu frönen. Zigaretten der Marke Lloyd mit fünf Zigaretten Inhalt in einer gelben Hartbox gab es für 40 Pfennige am Kiosk auf dem Bahnhof und die S-Bahn hatte noch Raucherabteile. Da am Ende des Geldes meistens noch viel Monat übrig war, stellte sich mir immer wieder die Gewissensfrage:
Schwarzfahren und Rauchen - oder die Fahrt bezahlen und Schmachten. Ein guter Kompromiss war
Schnorren, das ging manchmal morgens auf dem Bahnsteig, indem ich wildfremde Raucher um eine Zigarette anging, wenn sie sich gerade eine ansteckten, oder ich schnorrte bei den Kollegen. Aber diese Quelle versiegte meistens schon nach wenigen erfolgreichen Manövern. Schwarzfahren war mit
gut aufpassenverbunden, aber ich vertraute auf die Schnelligkeit meiner Beine. Außerdem war ich trainiert, unser Betriebssport musste schließlich zu irgendwas gut sein. Nach dem Fachunterricht gingen wir am Nachmittag vom Holstenhofweg zum Sportplatz der Schule Schimmelmannstraße über eine Straßenbrücke, die über die Eisenbahnstrecke nach Bad Oldesloe führte. Hatten wir Glück, kam in dem Moment eine Dampflok angebraust und spuckte schwarzen Qualm und weißen Dampf aus. Das führte dann zu einer Mutprobe. Ganz Verwegene stellten sich vorne an das Brückengeländer und rührten sich nicht von der Stelle. Der Qualm der Lok stieg vor dem Delinquenten immer bedrohlicher auf, bis der Zug die Brücke erreichte. Dann plötzlich war er unter der Brücke verschwunden und es gab ein Loch in der langen schwarzen Rauchfahne, die der Zug hinter sich herzog. Der Mutige am Brückengeländer war der schwarzen Fahne entkommen und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Der Fachunterricht war meistens eine willkommene Abwechslung zur öden Bearbeitung des U-Stücks. Glaubte man, das geforderte Maß war erreicht, das Stück hatte auf den zehntel Millimeter genau die Länge, Breite und Höhe nach Vorgabe und alle Winkel stimmten, wurden neue Maße ausgegeben, auf die das Werkstück nun zu bringen war. Viel lieber hätte ich an einer der Drehbänke gearbeitet, oder etwas anderes Sinnvolles gemacht. Schwierig war es, die Flächen im rechten Winkel zueinander zu halten. Wir versuchten es mit Tricks und Mogeleien, wenn der Winkel nicht genau stimmte und ölten den Winkel kräftig ein. Wenn man nun gegen das Licht den Winkel auf das Werkstück setzte, verhinderte das Öl, dass Licht durch den Spalt scheinen konnte. Aber wir waren nicht die Ersten, die das bei Herrn Reimers versuchten. Er warf das Werkstück dann in die Schrottkiste, gab das rohe, lange U-Eisen aus und zeigte, wie man die elektrische Kaltsäge bedient. Dann durfte man sich ein neues Stück absägen und mit der groben Feile von vorn beginnen. Spätestens nach dieser Erfahrung waren unsere Winkelmessgeräte ölfrei.
Zu bemerken ist, dass auch das langweilige U-Stück irgendwann zu klein war, um noch etwas Vernünftiges daraus machen zu können. Es landete mit einem Seufzer der Erleichterung in der Schrottkiste. Wir verlegten uns danach auf die Anfertigung sinnvoller Gegenstände, vor allem von Werkzeugen, die in der weiteren Ausbildung benötigt wurden. Auch durften wir an den Maschinen arbeiten, wobei wegen der langen Mähnen einiger Lehrlinge besonders an den Säulenbohrmaschinen Haarnetze getragen werden mussten. Die fortgeschrittenen Kenntnisse in der Elektrotechnik wurden sofort in praktische
Anwendungen umgesetzt. Aus dem Bauteilelager ging ganz unauffällig ein großer Elektrolytkondensator von sagenhafter Kapazität mit. Den hatten wir erst an der 60-Volt-Stromversorgung des Lehrvermittlungssaales aufgeladen und dann an einen der metallischen Becher mit Bohrmilch angeschlossen, die immer zum Kühlen der Bohrer an der Säulenbohrmaschine standen. Tauchte unser Opfer den Pinsel in die Bohrmilch, bekam es einen elektrischen Schlag, und die gesamte Ladung des Elko’s floss über die Hand zur Bohrmaschine. Dabei flog der Becher mit der Bohrmilch in hohem Bogen über den Werktisch und bis auf das Opfer hatten alle Spaß. Als einmal einer auf die Idee kam, einen Pol des geladenen Kondensators an der Türklinke unseres Glaskäfigs zu befestigen, haben wir nicht aufgepasst, denn in dem Moment kann R. in die Tür. Er versuchte es jedenfalls, bekam einen mächtigen Schlag und wir alle eine Sechs in Betragen
in unserem Wochenbericht. Im wöchentlich von uns zu führenden Bericht wurde in Normschrift festgehalten, was an Ausbildungsinhalten vermittelt wurde, die technischen Zeichnungen der von uns angefertigten Werkstücke und die Zensuren, die unsere Ausbilder uns dafür gaben.
Herr D. war ein kleiner untersetzter Mann mit Bauchansatz und gab technisches Zeichnen, was mir besonders viel Spaß machte. Die meisten Ausbilder waren verträgliche Menschen, mit denen es keinen Stress gab. Als aber im zweiten Lehrjahr die Wechselstromlehre
dazukam, lernte ich den Lehrbeamten M.
kennen und fürchten. Er war ein langer, hagerer Mensch, ein unangenehmer Zeitgenosse mit eingefallenen Wangen und einem kantigen Schädel und wirkte wie aus einer anderen Zeit übrig geblieben. Er trug einen dunkelgrünen Ledermantel, der ihm bis über die Waden reichte und den wir Lehrlinge als Gestapomantel
bezeichneten. Wenn M. Unterricht hielt, versuchten wir möglichst nicht aufzufallen, um nicht von ihm an die Tafel zitiert zu werden. Denn dann kam es: Was sind die unverzichtbaren Grundsätze eines Schwingkreises?
fragte er und wehe dem, der sie nicht wortgetreu auswendig aufsagen, oder an die Tafel schreiben konnte, den machte er vor den anderen Lehrlingen so fertig, dass er nicht mehr wusste, wo vorn und hinten war und M. hatte seine sadistische Freude daran. Ich habe Kollegen weinen sehen.
Im zweiten Lehrjahr stieg die Ausbildungsvergütung nach Tarif auf sagenhafte 134,– D-Mark, was die finanzielle Not nur wenig milderte, aber wir mussten nun nicht mehr auf Eisen herumfeilen. Wir wurden im Außenbereich auf die kommenden beruflichen Aufgaben vorbereitet. Dazu ging es in den Lehrbereich Hamburg-Stellingen, denn dort befanden sich mehrere alte Garagen, die als Übungsanlage für das Verlegen von Fernmeldekabeln an Außenwänden geeignet waren. Hatte ich mein Kabel schön ordentlich verlegt, alle Kabelschellen im Abstand der Hammerstiellänge und auch alle Nägel in die harte Wand bekommen, gab es eine Note dafür und der Ausbilder D. riss das Kabel wieder von der Wand, gab Anweisung, die Löcher mit Gips zu füllen und die nächste Strecke zu nageln. Das war fast wie ein U-Stück und machte keinen richtigen Spaß. Wir bekamen aber in der Garage mit, dass Herr D. uns von Außen durch die Löcher im Mauerwerk beobachtete. Ein wenig Gips in Pulverform wurde nun in allen Löchern platziert, wenn er wieder einmal durchs Loch guckte, hat einer von uns von der anderen Seite gepustet. Das gab zwar wieder eine schlechte Note im Wochenbericht, brachte uns aber unbeobachtete Ruhe.
Ein weiteres spannendes Kapitel der Ausbildung war Oberirdisch
. So nannten wir die Arbeitsabläufe beim Aufbau oberirdisch geführter Fernmeldestrecken, wie sie damals jeder Fahrgast eines Fernzuges kannte. Auf Holzmasten waren glockenförmige Isolatoren an Eisenträgern verschraubt, die blanke Drähte über Kilometer entlang der Bahnstrecken trugen. Wir lernten auf dem Übungsgelände das Ausheben der Mastlöcher in zwei Schritten, das Setzen und Aufstellen der schweren Holzmasten und das Anbringen der Eisenträger mit den Isolatoren, an denen dann die Bronzedrähte von drei Millimeter Durchmesser angebracht wurden. Mit den Steigeisen an den Füßen sah ich wie ein Hirschkäfer aus und das Steigen damit an den Masten will geübt sein. Um den Bauch gab es einen Sicherheitsgurt mit einem starken Seil, das außen um den Mast gelegt wurde. Auf das Seil wurde der am Boden vormontierte Eisenträger gelegt. Dann versuchte man mit dem Gewicht nach oben zu kommen. Deshalb also Sport nach dem Fachunterricht
, dachte ich. Als die gesamte Strecke fertig war, durfte der Paralleltrupp alles wieder abbauen.
Diese oberirdischen Fernmeldestrecken mit Blankdrahtleitungen fielen in den 1960er Jahren dem technischen Fortschritt zum Opfer und wir hatten das Glück, über mehrere Wochen bei einem Außeneinsatz in Rissen solch eine Strecke abbauen zu dürfen. Bei der Gelegenheit kam es zu einem Unfall, der aber ohne nennenswerte Folgen blieb. An den VW-Pritschenwagen wurde ein Anhänger, ein Nachläufer
, angehängt, um die Holzmasten damit transportieren zu können. Auf der Blankeneser Chaussee machte der sich mitsamt dem Mast selbstständig, weil die Lehrlinge vergessen hatten, die Anhängerkupplung richtig einrasten zu lassen. Die schlechte Note im Wochenbericht musste der Ausbilder allerdings zurücknehmen, weil man ihn davon überzeugen konnte, dass er allein für die Verkehrssicherheit von Fahrzeug und Anhänger verantwortlich ist und diese Verantwortung nicht an Lehrlinge delegieren kann.
Die Ausbildung umfasste auch die Fachbereiche Entstörung und Linientechnik sowie Vermittlungstechnik und Telegraphie. Neben der Montage von dicken Fernmeldekabeln mit Bleimantel und Papierisolierung lernten wir, die kleine Nebenstellenanlage W 1-2 von Bosse oder Merkur ZwW180
mit drei Nebenstellen in Relais-Technik aufzubauen und zu entstören, wobei das Einbauen
der Fehler in der Anlage des Kollegen besonderen Spaß machte. Über den Stromlaufplänen brütend dachte man sich Teuflisches aus, um die Kollegen zur Verzweiflung zu bringen. Mit Nagellack wurde da mal ein Relaiskontakt isoliert, sodass beim Einschalten der Anlage sämtliche Relais zu klappern begannen und einen Höllenlärm veranstalteten. Das Gemeinste war, unter einer Kabelschelle das Kabel durchzuschneiden und mit der Schelle wieder zu verdecken. Das angeschlossene Telefon war beim besten Willen nicht mehr zum Leben zu erwecken und der Fehler
doch zu einfach, dass man nicht drauf kam. In der Abschlussprüfung kam uns dieser Sport
sehr zugute, unsere Fähigkeiten als Entstörer waren derart gut geschult, dass die Prüfer uns nicht hereinlegen konnten.
Die gesamte Lehrzeit dauerte dreieinhalb Jahre und der Dienstherr spendierte uns im September des letzten Lehrjahrs eine Lehrabschlussfahrt nach Berlin. Die halbjährige Metallausbildung war nur zu dem Zweck Bestandteil der Ausbildung, damit der Beruf bei der Handwerkskammer als metallverarbeitend
anerkannt wurde. Nach Lehrzeit, Prüfung und Freisprechung habe ich noch vier Jahre im Beruf als Fernmeldehandwerker
gearbeitet, bevor ich dann wieder die Schulbank drückte. Späteren Lehrlingen, die dann Auszubildende
genannt wurden, blieb das U-Stück erspart, und irgendwann waren aus Fernmeldelehrlingen Kommunikationselektroniker
geworden, mit einer Lehrzeit von nur noch zwei Jahren. Das liegt jetzt fast ein halbes Jahrhundert zurück und meine damaligen Lehrkollegen haben wie ich inzwischen das Rentenalter erreicht. Heute bin ich dankbar für alles, was ich damals habe lernen dürfen, wenn es auch nie für den Beruf gebraucht wurde, habe ich mir mit den erlernten Fähigkeiten manches Mal selbst helfen können und keinen Handwerker teuer bezahlen müssen.

Foto: Kennhöfer,1968

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