Monte Klamott
Im August 1972 habe ich meinen Mann Hans-Joachim in Hamburg Fuhlsbüttel geheiratet. Mein Wohnsitz und mein Arbeitsplatz waren aber in Köln. Mit dem Versetzungsantrag nach Hamburg innerhalb der Oberpostdirektion (OPD) von Köln nach Hamburg klappte es leider nicht. Wenn ein Kollege oder eine Kollegin aus Hamburg den gleichen Wunsch hatte, im Tausch nach Köln, ging das seltsamerweise reibungslos. Erst nachdem ich Trennungsgeld beantragte, ging alles sehr schnell.
Am 1. Oktober 1972 war mein erster Arbeitstag bei der OPD Hamburg. Alles war neu und völlig anders. Drei Tage bekam ich Einarbeitungszeit. Hier im Norden ging alles steif zu und reserviert, zumal ich nicht erwartet wurde. Wo der Fehler lag, dass eine neue Kraft aus Köln kommt und niemand davon wusste, habe ich nie erfahren. Ich hatte aber ein Schreiben dabei mit der Bewilligung der Versetzung nach Hamburg und der Anschrift der Dienststelle, in der ich mich melden sollte.
Nach einigen Tagen haben mich die Kollegen mit in die Kantine genommen. So langsam wurden sie gesprächiger und ich war akzeptiert. Später war das meine schönste Zeit in meinem Arbeitsleben. Die üblichen Fragen: Wo kommst du her?
und wieso Hamburg?
Einer meinte, Du bist doch aus NRW, da sind doch alle katholisch?
Ja, das bin ich
, darauf meinte er wie, und dann kannst du uns leiden?
Was war das denn? Ja
, meinte der Kollege, hier lebst du in der Diaspora
.
Dass ich in Langenhorn wohne, fand ein Kollege interessant. Da habe ich auch gewohnt, im Wakendorfer Weg, das ist doch Klein Texas
. Das wird ja immer schöner
, dachte ich. Ich wohne in der Heidberg-Siedlung und mir gefällt es da. Meine Nachbarn haben mich gut aufgenommen
. Da ist doch auch der Monte Klamott, meinte ein anderer Kollege
. Was ist das denn?
war meine Gegenfrage. So nannte man die Mülldeponie an der Glashütter Landstraße, uns gegenüber. Das hörte ich zum ersten Mal. Ich muss zugeben, im Moment war ich leicht geschockt. Nur Negatives, das konnte ich so nicht stehen lassen. Mir gefällt es da, der dörfliche Charakter, mein Garten und genügend Freiraum. Ich könnte nicht in der Innenstadt leben
war meine Antwort. Damit war das Thema erledigt.
Im Sommer 1981 wurde unsere Tochter Catrin geboren. Damals waren gerademal sechs Wochen Mutterschutz. Deshalb habe ich mich für sechs Jahre vom Dienst befreien lassen. Ich wollte für mein Kind da sein.
Anfang 1982 hatte meine Tochter öfter Husten. Es passierte häufig in der Nacht. Der Kinderarzt sprach von Pseudokrupp. Auf Anraten des Arztes sollte ich kurz das Fenster öffnen oder nasse Tücher im Zimmer aufhängen, das sollte die Atemwege beruhigen. Eines Nachts, nachdem ich das Fenster geöffnet hatte, kam mir eine schwarze, stinkende Wolke entgegen. Ich habe sofort das Fenster wieder geschlossen und mich um meine Tochter gekümmert. Der Sache wollte ich nachgehen und beschloss, am nächsten Abend wieder Kontrolle zu machen. Gegen dreiundzwanzig Uhr brannte wieder ein Feuer auf dem Müllberg und verpestete die Luft. Da habe ich die Polizei in Langenhorn verständigt, dass illegal Müll auf der Deponie verbrannt wird. Darauf antwortete man mir, wir sind nicht dafür zuständig. Rufen Sie die Polizei im Alstertal an
. Das habe ich gemacht, aber leider hat das nichts geändert.
Jede Nacht die Feuer und der Gestank. Es wurden Kabel und alte Reifen abgebrannt. Es roch immer nach verbranntem Gummi. Ich habe mit den Nachbarn gesprochen, aber die gaben an, nachts zu schlafen und nichts gerochen zu haben.
Da kam mir die Idee, mich an Hannelore Schmidt, die Frau des Bundeskanzlers, zu wenden. Sie hatte doch das nahegelegene Raakmoor als Naturschutzgebiet ausweisen lassen. In einem Brief, den ich ihr nach Bonn, dem damaligen Regierungssitz geschickt habe, schilderte ich die Lage.
Es dauerte nicht lange und ich bekam einen Brief vom Bundeskanzleramt in Bonn. Sie wollte sich um das Problem kümmern. Der Erfolg war, dass auf dem Müllberg keine Kabel und Reifen mehr verbrannt wurden.
In den kommenden Jahren haben wir aber doch wegen der Deponie viel Lärm und Staub ertragen müssen. Morgens um sechs Uhr kamen die LKWs und Bagger. Im Sommer staubte es oft bis in unsere Gärten. Nach Protesten hat die Betreiberfirma Eggers dann manchmal einen Wassersprenger aufgestellt, und der Bauer Moor hat Weihnachten mal ein Geschenk zum Trost bekommen. Ein Shampoo mit dem Hinweis, Damit können Sie Ihren Schmutz abduschen.
Nun ist seit einigen Jahren Ruhe eingekehrt. Geplant wurde ein neuer Kiesabbau auf dem Feld hinter unseren Gärten. Nach einem uns vorliegenden Landschaftsgutachten lagert hier eine 13 Meter mächtige Kiesschicht.
Nach der Ausbeutung sollte die riesige Grube, etwa 13 Hektar groß, später mit Haus- und anderem Müll verfüllt werden. Durch unsere Initiative Heidberg
und der Unterschriftensammlung konnten wir Siedler 1985 dieses Vorhaben erfolgreich verhindern. Wir haben die Unterschriften dem Senat der Hansestadt im Rathaus überbracht. Die Initiative hatte zu einer politischen Veranstaltung in der Grundschule Glashütte wegen der Deponie eingeladen. Fast alle in der Bürgerschaft vertretenen Parteien hatten zugesagt. Am Vorabend der Veranstaltung fuhr abends eine Senatslimousine vor unserem Haus vor und uns wurde mitgeteilt, dass die Planung eingestellt wird, und ich bekam eine rote Rose überreicht.
Damit hatte sich die Veranstaltung eigentlich erledigt, wir sind trotzdem hingegangen und haben uns riesig über unseren Erfolg gefreut.
Seit 1985 wurde das Thema Deponie immer wieder aktuell und bis heute gibt es keine Sicherheit, ob die Behörden die Pläne wieder aufleben lassen.
Als ich im Sommer in unserer Runde der Erinnerungswerkstatt den Brief vorgelesen habe, meinte Bernd, das musst du unbedingt aufschreiben und den Umschlag dazutun
. Wunschgemäß ergänze ich meinen Bericht mit dem Brief und Umschlag.
Nun ist Bernd leider nicht mehr unter uns — wir behalten ihn in guter Erinnerung.