Eine Reise in den Süden
Für Viele war Italien in früheren Jahren ein Sehnsuchtsort. Ob der Sonne, der archäologischen Stätten oder einfach der Lebensart wegen, man reiste gerne hierher, trotz Mafia und Handtaschenklau.
Der Mezzogiorno
, der tiefe Süden Italiens, eine Region, in die es sicher nicht viele Touristen verschlug, war mein Ziel. Zwar stieß ich damit bei einigen meiner Mitmenschen auf Unverständnis, aber immer nur Harz und Ostsee war mir dann doch zu wenig. Vorher noch schnell Christus kam nur bis Eboli
von Carlo LeviGraziadio Carlo Levi oder Carlo Lèvi (geboren 29. November 1902 in Turin; gestorben 4. Januar 1975 in Rom) war ein italienischer Schriftsteller, Maler, Arzt und Politiker. Weil er zusammen mit Carlo und Nello Roselli 1929 die antifaschistische Gruppe Giustizia e Libertà („Gerechtigkeit und Freiheit“) gegründet hatte und sie zusammen mit Leone Ginzburg leitete, wurde Levi von der faschistischen Regierung im Frühjahr 1934 für zwei Monate in Rom inhaftiert und im Mai 1935 in die süditalienische Region Lucania (Lukanien, heute Basilicata) verbannt. Dort verbrachte er, nach einiger Zeit im Städtchen Grassano, die Zeit von September 1935 bis Mai 1936 in dem Dorf Aliano, wo er wegen des Elends der Einwohner unentgeltlich und mit geringen Mitteln als Arzt praktizierte, bis die Provinzverwaltung ihm auch dies untersagte und Behandlungen nur noch heimlich möglich waren. gelesen, einen großen Rucksack gekauft, dann saß ich Anfang April 1991 im Flugzeug nach Neapel.
Es sollte eine Rucksackreise werden, zu Fuß, mit Bus und Bahn. Reiseführer hatte ich fleißig studiert und eifrig daraus abgeschrieben. Eine Autokarte im Maßstab 1:200.000 war dabei, es fehlte nur noch ein Kursbuch für Bus und Bahn, welches ich am Bahnhof von Neapel erstand, die wichtigsten Seiten herausriss, so war ich gewappnet, meinen Weg zu finden.
Mein Ziel war Lukanien, die Provinz Basilicata
am Golf von Tarent. Von Neapel ging es zuerst mit der Bahn nach Barletta an der Adria und von dort mit dem Bus zum Castel del Monte
, dem Schloss Friedrich des Zweiten. Einsam und erhaben erhebt sich Die Krone Apuliens
über die weite Landschaft der Murge
. Der Weiterweg, wieder über Barletta, wo ich in einem kleinen Hotel übernachtete, brachte mich nach Bari und von hier mit dem Bus nach Altamura, wo ich nun wirklich im Mezzogiorno
angekommen war.
Es war Sonntag, die Menschen kamen aus der Kirche und flanierten über die Piazza. Wahrscheinlich passte ich nicht so ganz ins Bild, blieb aber noch bis zum späten Nachmittag, auch um mir das Konzert auf dem Platz, es wurde wohl hauptsächlich Verdi gespielt, anzuhören.
Bis zum Dunkelwerden war noch viel Zeit, so wanderte ich noch zwei Stunden zur Il Pulo
, der größten Doline (Höhleneinsturz) Italiens. Mit fünfhundert Metern Durchmesser und einer Tiefe von fünfundsiebzig Metern sehr beeindruckend. Keine Menschenseele weit und breit, so konnte ich mein kleines Zelt, welches ich für alle Fälle und zur Kostenersparnis dabeihatte, für die Nacht aufbauen. Zugleich wurde der Rucksack einer Inspektion unterzogen. Er hatte sich doch als etwas zu schwer erwiesen, sodass es noch Einiges zu entsorgen galt.
Am nächsten Tag weiter über Gravina di Puglia, einem Städtchen, interessant gelegen an einer tiefen Schlucht und mit verwinkelter Altstadt, führte mich mein Weg nach Matera. Diese Stadt erwies sich nun als einer der Höhepunkte der Reise. Bekannt durch die in den weichen Tuffstein gegrabenen Höhlenwohnungen fasziniert sie auf ganz besondere Weise. Nachdem ich mich für zwei Nächte in einem kleinen günstigen Hotel eingemietet hatte, machte ich mich auf, die Sassi
, die Viertel mit den Höhlenwohnungen zu erkunden. Einige waren verschlossen, wahrscheinlich als Lager genutzt, aber viele auch noch begehbar, und ein kleines Museum zeigte die damaligen Lebensverhältnisse. Früher hausten hier Mensch und Tier gemeinsam in einer Höhle, welche, wenn sich die Familie vergrößerte, durch weiteres Graben im Tuffstein vergrößert wurde. Vor die Höhle wurde meist eine Fassade aus Kalkstein gesetzt. Anfang der 1950er Jahre wurden die letzten Höhlen dann zwangsgeräumt, nicht immer zur Freude der Bewohner, denn in den heißen Sommern herrschte hier ein angenehmes Wohnklima.
Carlo LeviWeltberühmt wurde Levi durch sein in 37 Sprachen übersetztes Buch Cristo si è fermato a Eboli („Christus kam nur bis Eboli“, 1945), das Francesco Rosi 1979 mit Gian Maria Volonté in der Hauptrolle verfilmte. Obwohl es wegen seiner literarischen Form oft als Roman bezeichnet wird, handelt es sich um seine zwischen Dezember 1943 und Juli 1944 niedergeschriebenen Erinnerungen an die Verbannung nach Aliano (1935/1936), das Levi aus Diskretionsgründen in 'Gagliano' umtaufte, so wie er auch durch bewusste Fehlangaben der Himmelsrichtungen von der genauen Lage des Dorfes ablenkte. Trotzdem wurde die Identität des Ortes ebenso schnell enttarnt wie das Buch berühmt wurde., während der Zeit des Faschismus zwei Jahre in einem kleinen Ort in der Nähe in Verbannung, hat in seinem Buch Christus kam nur bis Eboli
die Zustände in Matera eindrucksvoll beschrieben. Da die Stadt an einer tiefen wasserführenden Schlucht liegt, war die Malaria ein alltäglicher Begleiter. Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht kann man noch die Wohnhöhlen aus der Jungsteinzeit erkunden. Somit gilt Matera als eine der ältesten Siedlungen der Erde. Auch in der weiteren Umgebung stieß ich immer wieder in kleineren Schluchten auf Wohnhöhlen aus alter Zeit.
Zwanzig Jahre später, 2011, war ich mit meiner Frau noch einmal in Süditalien. Natürlich führte uns die Reise auch nach Matera. Hier hatte sich inzwischen einiges getan. Künstler waren in die Sassi
gezogen, und auch Ferienwohnungen konnte man finden. 2019 wurde Matera Kulturhauptstadt Europas. Somit haben sich die Wohnhöhlen vom Schandfleck zum Aushängeschild der Stadt entwickelt.
Nun ging es weiter nach Pisticci, das ich günstig mit der Bahn erreichte. Wobei der Bahnhof im Tal lag und ich, um den Ort zu erreichen, erst noch gut dreihundert Höhenmeter bewältigen musste. So wie bei vielen kleineren Orten in der Gegend, die bevorzugt auf Bergen erbaut wurden. Dafür hatte ich dann einen wunderbaren Blick über das weite Land und konnte in der Ferne schon mein nächstes Ziel erblicken: die Geisterstadt
Craco. Durch Erdrutsche, welche die Standfestigkeit der Häuser stark beeinträchtigten, wurde der Ort 1963 aufgegeben. Hier war natürlich Eintritt verboten
, weshalb ich mich auch nicht allzu weit hineinwagte.
Nach der gestrigen fünfzehn Kilometer langen Wanderung und der Nacht im Zelt war mir nun einmal wieder nach Busfahren. So erreichte ich bei der Fahrt durch die Calanchi
, einer durch Wasser geformten Lehmlandschaft, Aliano, den Verbannungsort Carlo Levis. Ein kleiner Ort im Nirgendwo mit einem kleinen Museum, in dem die Verbannung Levis thematisiert wurde. Für einen Menschen aus der Großstadt Turin, von allem abgeschnitten, sicher keine leichte Zeit. Dann hatte ich mal wieder Glück. Ein netter Autofahrer hielt und ich quetschte mich mit meinem großen Rucksack in einen kleinen alten Fiat 500. Der Rucksack auf dem Schoß fungierte nun ganz praktisch als Airbag
. So kam ich nach Campomaggiore Vecchio, einem weiteren Ruinenort, der 1885 durch ein Erdbeben zerstört wurde.
Auf meinem Weiterweg änderte sich die Landschaft und wurde um Einiges schöner. Ich kam in die Piccolo Dolomiti
, die kleinen Dolomiten. Vielleicht etwas übertrieben, aber der kleine Ort Castelmezzano lag wirklich malerisch vor einer pittoresken Felskulisse. Die Pension, in der ich übernachten wollte, war leider geschlossen, also wieder mal ins Zelt. Weiter ging es dann über die Provinzhauptstadt Potenza, die sich als wenig sehenswert entpuppte, bis Eboli. Wir erinnern uns: Bis hier kam laut Carlo Levi, Christus. Besonders die Altstadt zeigte sich in einem erbärmlichen Zustand, was sicher auch dem letzten Erdbeben von 1980 geschuldet war. Darum nach kurzem Aufenthalt weiter in Richtung Golf von Salerno.
Damit kam so langsam das Ende der Reise in Sicht. Ich fand einen schönen Campingplatz nahe der archäologischen Stätte von Paestum, welche sich mit ihren gut erhaltenen Tempeln als sehr sehenswert erwies. Eine günstige Bahnverbindung brachte mich nach Ercolano, schon nahe Neapel. Von hier ging es mit dem Bus auf den Vesuv. Natürlich nicht bis zum Kraterrand, etwas laufen musste man schon. Oben angekommen grummelte und rauchte er ein bisschen, blieb sonst aber ruhig. Anschließend hatte ich noch Zeit, mir am Fuße des Vulkans die Ausgrabungen von Herculaneum anzuschauen. Nicht so riesig wie Pompeji, dafür nicht so überlaufen und deshalb nach meiner Meinung empfehlenswerter. Meine letzte Nacht auf dieser Reise verbrachte ich auf dem Flughafen von Neapel, da der Rückflug am nächsten Morgen sehr früh ging und ich natürlich rechtzeitig vor Ort sein wollte. So war ich dann am nächsten Tag mittags wieder zu Hause. Ich denke auch heute noch gerne an diese interessante Reise zurück.