Festnetz – was ist das?
Meine Enkel und deren Freunde haben kein Festnetz mehr, sie benutzen alle ein Taschentelefon - ein Handy - oder besser ein Smartphone – einen Taschencomputer, mit dem man auch telefonieren kann. Meine Tochter sagte mir vor kurzem, dass sie den Festnetzanschluss nur noch für uns und ihre Schwiegermutter hat, also uns Alten, denn mit allen anderen kommuniziert sie über das Smartphone. Auch ich rufe sie meistens auf dem Handy an oder schicke über WhatsApp eine Kurznachricht, dass sie zurückrufen soll. Doch ich telefoniere immer noch lieber mit dem guten alten Festnetztelefon und habe den vertrauten Telefonhörer in der Hand, obwohl ich ein Smartphone besitze.
Als ich Kind war, hatten Privatpersonen kein Telefon. Wer telefonieren musste, ging zum gelben Telefonhäuschen, amtlich Öffentlicher Fernsprecher
genannt. Oft waren da lange Warteschlangen, und wenn eine Quasselstrippe den im Häuschen angebrachten Hinweis Fasse dich kurz
nicht beachtete, kam es auch mal zum Streit mit den Wartenden. Man musste immer genug Kleingeld dabeihaben. Ein Ortsgespräch kostete 20 Pfennige, Ferngespräche 20 Pfennige pro Einheit. Wie lange eine Einheit dauerte, wurde vom Postministerium festgelegt. Wenn die Entfernung zum Gesprächspartner sehr groß war, konnte es schon recht teuer werden und die Groschen fielen im Sekundentakt in den Münzbehälter. So ein Telefonhäuschen war für mich kein angenehmer Ort, denn es roch unangenehm, es war oft verschmutzt und Zigarettenkippen auf dem Boden die Regel. Doch die öffentlichen Fernsprecher waren dringend notwendig, wenn man Hilfe brauchte.
Manchmal war auch ein netter Ladenbesitzer bereit, einen Kunden telefonieren zu lassen und auch manche Gastwirtschaft stellte ihr Telefon gegen Gebühr zur Verfügung.
An meinen ersten Telefonkontakt kann ich mich noch gut erinnern. Es war 1952 und ich war in der ersten Klasse. Der Vater meiner neuen Schulfreundin war Herrenschneider und versorgte die Honoratioren der Stadt mit Maßanzügen. Um die Termine mit den vielbeschäftigten und bedeutenden Herren absprechen zu können, benötigte er schon damals ein Telefon. Es war ein großes schwarzes Bakelit-Telefon mit einer Wählscheibe. Es stand im Flur auf einem sehr hohen Pult. Wahrscheinlich deshalb, dass die kleine Tochter nicht daran kommen sollte. Aber Kinder sind erfinderisch und so holten wir einen Hocker, kamen so an das Telefon und probierten die Wählscheibe aus. Wenn sich jemand meldete, legten wir sofort wieder auf. Plötzlich hatte meine Freundin die Feuerwehr am Apparat, vor Schreck vergaß sie das Auflegen. Der Mann am anderen Ende sagte ganz eindringlich zu ihr: Du darfst das nicht wählen, wir müssen sonst kommen und deine Eltern müssen Strafe zahlen
. Da kam der Vater meiner Freundin hinzu und es gab ein großes Donnerwetter. Und ich sah zu, dass ich so schnell wie möglich nach Hause kam.
Es dauerte dann noch viele Jahre, bis ich mich wieder traute zu telefonieren. Es war in meiner Lehrzeit. In der Mitte von zwei gegenüberstehenden Schreibtischen stand ein ähnliches Telefon wie bei den Eltern meiner Freundin auf einem Schwenkarm. So konnten jeweils zwei Mitarbeiter das Telefon benutzen. Die Wählscheibe wurde meistens mit einem Bleistift gedreht. Mit einer Kurzwahl konnte man auch alle anderen Mitarbeiter im Haus erreichen, was eine große Erleichterung im Arbeitsalltag war.
Wir Lehrlinge mussten abwechselnd die Telefonistin in deren Mittagspause, die eineinhalb Stunde dauerte, vertreten. Die Telefonzentrale war in einer Art Abstellkammer untergebracht, denn die Büroräume lagen noch provisorisch in den Resten der Firmengebäude, die der Krieg stehen gelassen hatte, untergebracht. Der schöne große Neubau kam erst später. Die Telefonvertretung war bei uns sehr beliebt, denn in dieser Kammer konnte keiner beobachten, dass wir auch privat telefonierten. Es war auch ein unbeobachteter Treffpunkt unter uns Lehrlingen. Allerdings hatten nur wenige von uns private Telefonkontakte und so hörten wir alle Telefondienste ab, die es damals gab. Das waren nicht nur die Auskunft und die Zeitansage, es gab auch Kochrezepte, Horoskope, Wetter und vor allem Ausschnitte aus der aktuellen Hitparade. Wir waren damals akustisch noch nicht verwöhnt und die Hitparade aus dem Telefon während der Arbeitszeit zu hören, war eine nette Abwechslung. Noch heute denke ich an den Telefondienst, wenn ich The Lion sleeps tonight
von The Tokens höre, denn ich habe es unzählige Male am Telefon angehört.
Als ich Mitte der 1960er-Jahre heiratete und eine eigene Wohnung hatte, kam es langsam in Mode, dass auch Privatpersonen ein Telefon besaßen. Jedoch vergingen von der Beantragung bis zum Anschluss eines Telefons Wochen und Monate.
Wir kannten aber jemanden, der jemand kannte, der in einer höheren Position in der Anmeldestelle für Fernmeldeeinrichtungen saß. Diese Person konnte es ermöglichen, dass man innerhalb von 14 Tagen ein Telefon bekam. Der Preis dafür war eine halbe Gallone amerikanischer Bourbon Whisky in einer Henkelflasche. Diesen bekamen wir ganz billig von jemanden, der jemand kannte, der in der P-EX arbeitete. Das waren die Läden, in denen US-Soldaten ihre Waren in US-Dollar steuerfrei einkaufen konnten. Über diesen nicht ganz legalen Weg haben wir dann nach und nach unseren ganzen Bekanntenkreis mit Telefonanschlüssen versorgt und wir konnten bald alle miteinander telefonieren. Ab diesem Zeitpunkt gab es keine spontanen Besuche mehr, man kündigte sich jetzt vorher telefonisch an.
Man benötigte auch bei jedem Umzug ein neues Telefon und wenn schon ein Anschluss vorhanden war, bekam man eine neue Telefonnummer. Mit der Whisky-Währung klappte es auch immer umgehend. Wer der trinkfreudige Beamte in der Anmeldestelle war, habe ich nie herausgefunden.
Unser Telefon sah inzwischen anders aus als die schwarzen Bakelit-Apparate. Es war hellgrau und kompakter, hatte aber immer noch eine Wählscheibe. In der Mitte der Wählscheibe befand sich ein runder Aufkleber, auf dem die Notrufnummern der Feuerwehr und der Polizei standen und noch Platz zum Eintragen für die eigene Telefonnummer war.
Manche haben das Telefon etwas aufgehübscht und schenkten ihm ein Brokatmäntelchen und ein Häubchen für den Hörer. Es stand dann oft auf einem Brokatdeckchen auf einer Telefonbank im Flur. Ein extra für das Telefon konstruiertes Möbelstück. Ich habe es häufig bei älteren Leuten gesehen, die ganz stolz darauf waren. Das Brokathäubchen führte häufig dazu, dass der Hörer nicht richtig aufgelegt werden konnte. Das wiederum führte manchmal, besonders wenn Ferngespräche geführt wurden, zu unverschämt hohen Fernmelderechnungen die die Teilnehmer nicht nachvollziehen konnten.
Ein paar Jahre später, nach unserem Umzug in einen anderen Stadtteil, bekamen wir dann ein orangefarbenes Telefon mit Tastatur. Hiermit hatte ich zuerst einige Probleme. Wem zum Kuckuck ist es denn eingefallen, das Tastenfeld beim Telefon anders anzuordnen als auf der Addiermaschine und jetzt auch auf dem Taschenrechner und Computer? Während die Zahlen bei der Addiermaschine von 1 bis 9 von links unten nach rechts oben laufen, ist es beim Tastentelefon genau umgekehrt. Hier ist die 1 links oben. Da ich durch meinen Beruf das Tastenfeld der Addiermaschine blind betätigen konnte, habe ich das Tastenfeld am Telefon oft falsch bedient und so ungewollte Telefonbekanntschaften gemacht.
Man konnte ein Telefon nicht kaufen, sondern musste es gegen eine monatliche Gebühr von der Post mieten. Auch Zusatzeinrichtungen konnte man mieten, wie Zweithörer und ein längeres Kabel.
Wir haben später beides gemietet, den Zweithörer, damit bei Gesprächen der Anrufer nicht alles doppelt erzählen musste, das lange Kabel, damit unsere Tochter ungestört in ihrem Zimmer telefonieren konnte. Ein Zweitanschluss wäre zwar möglich gewesen, war aber aus Kostengründen nicht vorgesehen.
Wir konnten dann beobachten, wie das Pubertier
- unsere Tochter - nach der Schule mit dem Telefon in ihrem Zimmer verschwand und mit den Freundinnen, mit denen sie gerade eben noch zusammen war, telefonierte. Wenn ich verbotenerweise doch mal an der Tür lauschte, konnte ich hören, wie rückständig wir Eltern doch waren, die ihr nicht alles erlauben würden. Doch die damals nicht ganz billigen Telefonrechnungen für die Endlosgespräche durften wir bezahlen.
Ja, die Deutsche Bundespost hat damals bei den Telefongebühren richtig zugelangt. Eine Bekannte von mir hatte in einer schweren Zeit das Bedürfnis, sich mit ihrer engsten Vertrauten, ihrer Schwester, einmal auszusprechen. Leider wohnte diese damals in den USA. Es wurde ein langes Telefongespräch. Als die Telefonrechnung kam, musste meine Bekannte, die einen guten Job hatte und nicht schlecht verdiente, einen Kredit aufnehmen, um die Rechnung für dieses Gespräch zu begleichen.
Einige Jahre später gab es eine große Erleichterung beim Telefonieren. Das schnurlose Telefon, mit dem die meisten Festnetzbenutzer und auch ich heute noch telefonieren, hielt seinen Einzug. Man kann mit dem Hörer überall in der Wohnung umher gehen und beim Telefonieren sogar die Arbeit fortführen, sofern das mit einer Hand möglich ist. Doch es hat auch einen großen Nachteil: Man musste immer wissen, wo man es abgelegt hatte. Wie oft suche ich nach meinem Telefon, und wenn es klingelt, finde ich es auch nicht immer sofort. Oft entdecke ich es erst dann, wenn der Anrufer bereits aufgegeben und abgeschaltet hat. Den Hörer auflegen kann man jetzt nicht mehr.
Zum Jahresbeginn 1998 fiel das Monopol der Deutschen Bundespost im Kommunikationsbereich. Auch das Postministerium wurde aufgelöst, wodurch auch der Postminister seinen Job verlor. Es gibt jetzt einen freien Markt mit konkurrierenden Anbietern. Jetzt muss man kein Telefon mehr mieten, sondern kann sich sein Wunschtelefon kaufen. Es gibt jetzt Inklusiv-Verträge von verschiedenen Anbietern, mit denen man für einen monatlichen Festpreis im Festnetz solange und sooft man will in der ganzen Welt telefonieren kann. Man braucht keine Angst mehr zu haben, dass man wegen der Telefonrechnung einen Kredit beantragen muss. Mit den Handyverträgen sieht es etwas anders aus – doch das ist ein anderes Thema.
In diesem Zusammenhang fällt mir ein Kollege ein, der ein Telefon für den Notfall in seinem Schrebergarten haben wollte. Er stritt sich jahrelang mit der Deutschen Bundespost, die sein Anliegen mit Hinweisen auf verschiedene Paragraphen, unter anderem mit der Begründung ablehnte, dass ein Telefonanschluss nur mit einer festen Wohnadresse genehmigt werden darf und man in einem Schrebergarten keinen festen Wohnsitz haben könne. Mit dem Erwerb des ersten Mobiltelefons war das Problem auf der Stelle gelöst.
Trotz vieler Erleichterungen macht mir das Telefonieren heute oft keinen Spaß. Fast jedes Unternehmen ist heute an ein Callcenter
angeschlossen. Beim Anruf bekommt man erst eine lange Begrüßung vom Band und man versichert, wie sehr man sich über den Anruf freut. Anschließend wird man über die Datenschutzrichtlinien belehrt. Dann kommt die Frage: Wollen sie dies, dann drücken Sie bitte die 1
, wollen Sie jenes, dann drücken Sie bitte die 2
und so weiter. Wenn man brav den Anweisungen folgt, kommt anschließend die Nachricht Tut uns leid, aber unsere Mitarbeiter sind derzeit alle im Gespräch, bitte legen Sie nicht auf
, dann kommt Musik in Dauerschleife. Heute bin ich bei der Musikqualität anspruchsvoller als früher und das Gedudel am Telefon geht mir auf die Nerven.
Genervt lege ich dann nach einer gefühlten Stunde auf und schreibe eine Mail.