Dramatisches Ende einer Wanderfahrt
Juli 2015, es fing so schön an. Eigentlich war es eine sehr schöne Wanderfahrt. Am Freitagabend trafen wir uns, 14 fröhliche Frauen, zum Sektempfang und Abendessen in Kiel. Wir übernachteten im Hotel Düvelsbek und waren am Samstag um 9 Uhr am Steg des Ruderclubs Germania Kiel verabredet. Die erste Störung: Uta fand an ihrem Auto eine Aufforderung der Polizei, dort zu erscheinen. Ihr Seitenspiegel war beschädigt worden, sie sollte auf der Wache zur Klärung vorsprechen. Es stellte sich heraus, dass die Polizei selbstEigentlich beging die Polizei hier Fahrerflucht. Wir Normalsterbliche müssen in so einem Fall warten, bis der Geschädigte kommt. Zettel an der Windschutzscheibe reicht nicht.
Soweit die rechtliche Theorie. mit einem Streifenwagen den Seitenspiegel kaputt gemacht hatte. Okay, Uta bekam alle Hinweise zur Schadensregulierung, der Seitenspiegel wurde provisorisch gerichtet, und wir waren schnell am Steg, wo bereits das erste Boot zu Wasser gelassen wurde.
Wir starteten gegen 10.15 Uhr in zwei Vierern und einem Dreier und ruderten flott bei Windstille und Sonnenschein zur Schleuse vor dem Nord-Ostsee-Kanal. Hier erlebten wir eine Tücke dieser Tour: Es ist unberechenbar, wann der Schleusenwärter geruht, die Sportboote mitzunehmen. Die Containerfrachter haben Vorfahrt. So verharrten wir eineinhalb Stunden in dynamischer Warteposition, Wind und Strömung treiben natürlich trotzdem immer etwas, so dass wir manövrieren mussten. Es wurde immer heißer, aber schließlich wurden alle Sportboote, mit uns viele Segler, in die Schleuse gerufen. Es setzte ein heißes Rennen ein, jeder wollte nun schnellstmöglich hinein. Wir lagen dann auf der Seite der Sportboote – schön getrennt von den großen Frachtern – zwischen diversen Seglern. Die Schleusung ging schnell, nach ungefähr 20 Minuten ruderten wir auf den Nord-Ostsee-Kanal hinaus. Der ist breit genug und wir kamen gut voran. Bei Kilometer 85,5 bogen wir hinter einer stillgelegten Schleuse in einen kleinen Nebenarm ab, den Flemhuder See, und legten an einem kleinen Sandstrand an, der nicht leicht zu finden war. Dort nahmen wir die Boote aus dem Wasser und trugen sie einen ziemlich steilen Hang hinauf. Gut, dass wir so viele waren, die Boote waren schwer. Nach der Mittagspause ließen wir die Boote an einer sehr schmalen Stelle in die Eider ein, nacheinander ein bei ein. Die Eider ist hier nicht sehr breit, sehr gewunden und romantisch. Wir mussten des Öfteren wegen überhängender Bäume und wegen des Gegenverkehrs die Skulls lang machen,d.h. man führt die Griffe der Skulls am Körper vorbei, so dass die Skulls parallel zum Boot liegen, so dass man besser durch enge Stellen hindurch kommt. Schließlich bogen wir auf den Westensee ein und legten am frühen Abend an einem Sandstrand neben einem Restaurant an. Einige hielten dies schon für die Jugendherberge und waren etwas enttäuscht, als sich herausstellte, dass wir noch eine gute Viertelstunde zu laufen hatten. Mit dem Gepäck zu laufen fanden nicht alle spaßig. Aber einige hatten noch die Kraft, im Westensee zu baden, das Wasser war warm und schön.
Am nächsten Morgen schien die Sonne, allerdings wehte ein kräftiger Wind. Wir sind über den Westensee zurück und durch die Eider bis zur Umtragestelle gerudert. Nach dem Umtragen machten wir auf dem Gelände des Anglervereins eine gemütliche Pause. Uta und ich schwammen in dem warmen salzigen Wasser des Flemhuder Sees. Nach einer Stunde ruderten wir weiter. Im Nord-Ostsee-Kanal hatten wir kräftigen Gegenwind, die Wellen waren auch schon nett, aber sie waren gut zu beherrschen. Vor der Schleuse mussten wir warten und immer in Bewegung bleiben, um nicht abgetrieben zu werden. Sicherheitshalber legten wir schon mal die Rettungswesten an.
Als wir in die Schleuse einfuhren, sagte uns der Schleusenwärter, wir sollten ganz nach vorn fahren und bei Öffnung der Tore schnell starten und kräftig rudern, um vor den großen Pötten aus der Schleuse zu kommen. Wir dachten uns dabei nichts Besonderes. Als wir aber hinausfuhren, fanden wir uns quasi auf dem Meer wieder. Es wehte wie vorher ein kräftiger Wind aus Nord-Nord-Ost, aber auf der Kieler Förde waren die Wellen meterhoch. Außerdem kamen sie von allen Seiten, immer wieder ging eine Welle über ins Boot. Ich steuerte den Dreier und meine Schlagfrau rief immer wieder entsetzt: Das ist ja Selbstmord, was wir hier machen. Das ist ja Selbstmord.
Ich antwortete nur: Das hilft nun nichts. Ruder weiter. Da müssen wir durch
. Es gab auch keine Alternative. Nachdem wir aus der Schleuse raus waren und nach Steuerbord Richtung Kiel abgebogen waren, ruderten wir parallel zur Scheermole am Marinehafen. Wegen der gemauerten Wände brachen sich die Wellen, deshalb hielten wir uns möglichst weit ab von der Mole, konnten aber nicht verhindern, dass immer mehr Wellen über Bord kamen. Als wir schließlich am Ende der Mole nach SteuerbordFür alle Landratten
: Wir bogen nach rechts ab … zur Tirpitzmole abbogen, wurde es etwas ruhiger, aber nun sahen wir vor uns den Vierer versinken. Zuerst sank die Steuerfrau, dann der Rest der Mannschaft. Eigentlich sanken sie nicht, sie gingen baden, die Bordwand des Bootes schloss mit dem Wasser ab, so dass kein Rudern mehr möglich war. Ich rief sofort 110 an, Gott sei Dank stand groß an Land Tirpitzmole
geschrieben, so dass die Ortsbestimmung eindeutig war. Es dauerte auch nicht lange, bis wir ein Tatütata
hörten. Derweilen legten der Dreier und der andere Vierer, die beide nur halb vollgeschlagen waren, an einem kleinen Sandstrand an. Alle waren nass und geschockt. Wir holten das Gepäck raus und zogen die Boote möglichst weit aus dem Wasser. Währenddessen beobachteten wir, wie die Kameradinnen aus dem gesunkenen
Vierer von der Feuerwehr geborgen wurden. Ich versuchte in Erfahrung zu bringen, wie es ihnen geht, man ließ mich aber nicht auf das Marinegelände. Militärisches Sperrgebiet, Gefährdungsstufe Alpha
.
Eine freundliche Seglerin, die das Drama beobachtet hatte, fuhr dann drei Autofahrerinnen zum Ruderclub und diese holten die anderen samt Gepäck ab. Der Notarztwagen brachte die Gestrandeten wenig später auch dorthin, immerhin waren alle gesund und munter. Gisela kochte noch Kaffee und wir fuhren zurück nach Hamburg.
Wie wir später erfuhren, hatten die Kieler noch am selben Abend die Boote aus dem Wasser holen müssen, weil zu erwarten stand, dass der Sandstrand überflutet würde. Auch an der Kieler Förde gibt es die Gezeiten, die sich aber normalerweise dort kaum auswirken. An diesem Sonntag war der Wind aus östlichen Richtungen das Problem, weil dieser das Hochwasser verursachte. Das gesunkene
Boot wurde mit einem Kran von der Feuerwehr geborgen, dabei entstanden leider Löcher und Risse. Die Versicherung hat nach langen, zähen Verhandlungen gezahlt.
Also: eigentlich ein sehr schönes Wochenende bis auf das Ende, aber auf jeden Fall hatten wir viel zu erzählen.