Dorfmädchen in der Nachkriegszeit
zu Hause im Dorf Bockhorn
Bockhorn, gelegen im Segeberger Forst zwischen Bad Segeberg und Bad Bramstedt, hatte damals etwa 200 Einwohner und hier war ich zu Hause. Jeder kannte jeden und den anderen besser als sich selbst. Man sprach fast nur Plattdeutsch, was ich gut verstand, allerdings nie selbst gesprochen habe. Natürlich hatte ich erst mal den brandenburgischen Dialekt meiner Eltern übernommen. Nicht immer wurde ich verstanden, wenn ich Begriffe wie Bouletten, Mostrich, Kartoffelplinse, Kompott oder Kienäppel gebrauchte. Etwa mit Beginn der Schulzeit habe ich mehr und mehr die norddeutschen Bezeichnungen verwendet und versuchte, verständliches Hochdeutsch zu sprechen.
Meine Eltern besaßen in den ersten Jahren als Fahrgelegenheit nur ein Fahrrad, mit dem Papa in den Wald zur Arbeit fuhr und Mutti abends zum Einkaufen. Mein Vater rodete Stubben im Wald und startete mit dem Verkauf von Brennholz. Abends hatte er manchmal eine Überraschung für mich: Hasenbrot
, seine übriggebliebenen Stullen.
Als ich etwa vier Jahre alt war, folgte auf unser Mini-Holzhaus ein massiver Bau, für den meine Eltern alle Steine mit einer Form und Zement selbst herstellten. Unser neues Zuhause hatte jetzt mehrere Räume: Wohnraum, Schlafzimmer, eine große Küche sowie eine Speisekammer. Ein kleiner Kellerraum und der Dachboden waren anfangs nur über eine Leiter erreichbar. Die Fenster hatten, wie damals üblich, Einfachverglasung, und bei frostigen Temperaturen konnte man morgens die wunderschönen Eisblumen bewundern.
Unser Leben fand überwiegend in der Küche statt, und der Küchentisch war ein Allrounder, ob Gemüseputzen, Essen, Näharbeiten, Bügeln und Abwaschen, auch für meine Hausaufgaben und zum Spielen wurde er genutzt. Samstags war Badetag. Dazu wurde eine Zinkwanne in die Küche gestellt und nur einmal mit Badewasser befüllt. Ich durfte immer als Erste baden.
Als Wärmequelle diente meist der Küchenherd, denn das Wohnzimmer, unsere gute Stube, wurde nur sonntags oder an Feiertagen geheizt. Damit wir es im Winter warm hatten, hackte meine Mutter den Sommer über riesige Mengen Brennholz, die dann aufgestapelt im Schuppen lagerten. Jetzt im neuen Heim besaßen wir elektrisches Licht. Das Wasser kam aber weiterhin aus der Pumpe auf dem Hof, die im Winter mit Stroh umwickelt wurde, damit sie nicht einfror. Das Toilettenhäuschen war ebenfalls auf dem Hof. Hatte man nachts ein Bedürfnis, stand ein Nachttopf dafür unter dem Bett.
Es war in unserem Dorf nicht üblich, die Haustüren tagsüber abzuschließen. Man konnte überall einfach ins Haus marschieren. So auch die fliegenden Händler, die gleich den Weg in die Küche nahmen. An einen Handelsreisenden kann ich mich besonders gut erinnern. Er hatte nur einen Arm und kam mit dem Fahrrad. Seine Aktentasche mit Artikeln wie Seife, Creme und Zahnpasta legte er auf den Küchentisch und meine Mutter kaufte ihm immer etwas ab. Spannend fand ich es zuzuschauen, wie er aufs Fahrrad stieg und weiterfuhr.
Bis ich sechs war, schlief ich bei meinen Eltern mit im Bett. Dann bekam ich einen eigenen Schlafplatz, ein Feldbett in der Speisekammer neben Pökeltonne, Schmalz- und Gurkentöpfen.
Erst als die Treppe zum Dachboden fertig war, wurde ein Zimmer für mich ausgebaut. Die Möblierung war spartanisch, Bett und Nachttisch, aber ich war glücklich, schon mit acht Jahren ein eigenes Zimmer zu haben. Keines meiner gleichaltrigen Freunde hatte einen Raum für sich. Einen Ofen gab es nicht im Zimmer und im Winter war es eisig kalt, aber mit einem Ziegelstein, der vorher im Backofen gewärmt wurde, hatte ich ein warmes Bett. Im restlichen nicht ausgebauten Dachbodenteil trocknete im Winter die Wäsche, manchmal hing sie dort tagelang im gefrorenen Zustand. Auch die Räucherkammer, in der Schinken, Speck und Würste mit Buchenspänen geräuchert wurden, war hier.
Im Frühjahr kauften meine Eltern immer zwei Ferkel, die sie bis zum Winter groß fütterten. Ein Schwein wurde zur Aufbesserung der Haushaltskasse verkauft, das andere war für unsere Versorgung. Beim Schlachten durfte ich als Kind nicht zuschauen, auch nicht, wenn das Blut in eine Schüssel floss, erst wenn das Schwein aufgeschnitten und ohne Eingeweide an der Leiter hing, durfte ich zuschauen. Abends kam der Fleischbeschauer und ich fand es interessant, wenn er das Mikroskop auspackte und Fleischteile nach Trichinen untersuchte. Wenn alles in Ordnung war, drückte er mehrere lila Stempel, angeblich aus Blaubeersaft, auf die Schweinehaut. Zum Abendessen kamen dann gleich ein paar Fleischstücke in die Pfanne.
Am nächsten Tag ging es ans Wurstmachen. In Zinkwannen vermengte mein Vater das mit dem Fleischwolf durchgedrehte Fleisch und würzte es mit verschiedenen Zutaten. Das Wurstbrät wurde in saubere Schweinedärme gestopft und die Würste dann in einem großen Kessel gekocht, dabei platzten einige und eine gehaltvolle Brühe entstand. Üblich war es, mit den Nachbarn und Freunden die Wurstbrühe zu teilen. Mit der Milchkanne voll Brühe wurde ich losgeschickt und überall freudig empfangen. Manchmal kam ich dann mit einem Apfel oder Keks zurück.
Schinken und Speck wurden in einem großen Holzfass mit speziellem Salz gepökelt und später geräuchert. Mit den gepökelten Schweinepfoten kochte meine Mutter Eintöpfe, und das Eisbein wurde immer als Festmahl zubereitet. Ich freute mich besonders auf das Ringelschwänzchen.
Bratkartoffeln mit Speck und Zwiebeln waren bei uns fast täglich auf dem Tisch. Ebenso Milchsuppe, oft schon zum Frühstück, mit Haferflocken oder etwas Puddingpulver, und wenn beides nicht da war, mit Mehlklümpchen.
Wir waren überwiegend Selbstversorger, fütterten auch Hühner und Enten, hatten einen großen Garten mit reichlich Gemüse und Obst, das eingeweckt wurde. Kartoffeln lagerten im dunklen Keller, und Möhren wurden in einer Kiste in Sand frisch gehalten.
In Urlaub fahren kannte kein Kind im Dorf, aber Langeweile auch nicht. Wir hatten zwar keine Vereine, keine Freizeitangebote, aber immer viele Ideen.
Meine Eltern wussten oft nicht, wo ich mich aufhielt, Hauptsache, ich war zum Essen oder wenn es dunkel wurde zu Hause. Wir spielten eigentlich nur draußen und trafen uns ohne Verabredung. Überall konnte man Kippel-Kappel, Murmeln oder Himmel und Erde spielen, auch für Völker- oder Fußball war auf den Höfen genug Platz. Auf der Dorfstraße, heute die vielbefahrene Bundesstraße 206, malten wir mit weißen Steinen. Wenn wirklich mal ein Auto kam, gingen wir kurz zur Seite.
Auf den Bauernhöfen brachte das Spielen am meisten Spaß, im Sommer auch in den leeren Kuhställen, im Winter auf den Heuböden. Besondere Freude hatten wir beim Springen von den hohen Heuhaufen oder beim Höhlenbauen mit Stroh und Heu. Interessant waren auch die Scheunen mit den vielen landwirtschaftlichen Geräten, auf denen man herumklettern konnte, aber eigentlich nicht durfte.
Als die ersten Bauern ihre Pferde gegen Traktoren tauschten, gab es für uns Kinder ein neues Vergnügen. Stundenlang auf dem Trecker mitfahren, während der Bauer Reihe für Reihe den Acker pflügte. In Zeiten, wenn die Kühe auf der Weide grasten, fuhren wir abends gern mit zum Melken und spielten auf der Wiese und sprangen über Gräben.
Im Winter fehlte uns ein Teich oder See nicht, denn auf den überschwemmten Wiesen entstanden riesige Eisflächen. Alle Altersgruppen trafen sich nachmittags auf dem Eis, einige hatten schon Schlittschuhe, wir anderen schlitterten auf dem Eis.
Im Wald gab es viele Hügel zum Schlittenfahren. Manchmal waren wir tagelang jeden Nachmittag mit dem Schlitten unterwegs und vergnügten uns. Frostbeulen an den Füßen waren an der Tagesordnung, denn die Gummistiefel mit Wollsocken wärmten nicht genug.