Bauen für die Sowjetunion
Als ich im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine in der Presse ein Foto vom Russischen Generalkonsulat in Hamburg sah, das von Radio Hamburg am 22. März 2022 ab 19:30 Uhr für kurze Zeit mit der blau-gelben Flagge der Ukraine angestrahlt wurde, kamen Erinnerungen an dieses Gebäude. Anfang der siebziger Jahre hatte ich das Haus entworfen, nicht gleich als Konsulat, sondern zuerst als Mehrfamilienhaus.
Eine Norderstedter Wohnungsbaugesellschaft erwarb das Filetstück
zwischen der Sierichstraße, dieser Bereich heißt heute Herbert-Weichmann-Straße, und Am Feenteich
. Unser Architekturbüro bekam den Auftrag, für dieses Grundstück ein Mehrfamilienhaus zu planen. Es war meine Aufgabe, ein Gebäude mit unterschiedlich großen Wohnungen zu entwerfen und dabei die Grundstücksfläche voll auszunutzen, sowie die von der Behörde vorgeschriebene Angleichung der Bauhöhe an die Nachbarhäuser einzuhalten.
Nachdem die Baugenehmigung erteilt war und noch vor Baubeginn, hatte die Sowjetunion den Bau einschließlich Planung und Fertigstellung gekauft. Hier sollte das neue Generalkonsulat in Hamburg entstehen. Die Fassade musste gemäß Baubehörde, wie in der Baugenehmigung geplant, ausgeführt werden, allerdings durften wir die Balkone weglassen. So ist ein Konsulat entstanden, das von außen einem Wohnhaus gleicht, von innen aber entsprechend den Ansprüchen des Konsulats völlig umgestaltet wurde.
Bei den ersten Besprechungen mit den sowjetischen Beauftragten war ich dabei. Das waren sehr zähe Verhandlungen, obwohl vertraglich bereits alles geregelt war. Eine Delegation reiste aus Moskau an und hatte immer neue Forderungen und unendlich viel Zeit mitgebracht. Es wurde Stunde um Stunde verhandelt und diskutiert. Später kam noch die Wodkaflasche auf den Tisch. Aber Zeit ist Geld, und um die Verhandlungen endlich zu beenden, ließ sich die Norderstedter Wohnungsbaugesellschaft auf so manchen Kompromiss ein.
Damals wurden die Ausschreibungen von den Ingenieuren noch von Hand geschrieben und dann von der Sekretärin abgetippt. Und hier beim Maschineschreiben schlug der Fehlerteufel zu: Statt 🗝 Erschließungsgang
im Untergeschoss stand da nun 🔫 Erschießungsgang
, was erst viel später von den Handwerksfirmen bemerkt wurde und zum Schmunzeln anregte.
In der ganzen Bauphase hatte unser Bauleiter einen russischen Kollegen zur Unterstützung oder vielleicht auch nur zum Aufpassen an seiner Seite. Beim Richtfest und der Einweihung des Konsulats war ich nicht mehr dabei, weil ich inzwischen den Arbeitsplatz gewechselt hatte und in Blankenese tätig war. Der Bau des Konsulats brachte dem Norderstedter Architekturbüro einen Folgeauftrag, die Handelsvertretung der Sowjetunion in Köln, bestehend aus Bürohaus und Wohngebäude für die Mitarbeiter.
Als ich zwei Jahre später wieder in das alte Büro in Norderstedt zurückkehrte, war der Bau der Handelsvertretung in vollem Gang. Der Norderstedter Kollege A. übernahm in Köln die Bauleitung, und auch er hatte die ganze Zeit einen russischen Kollegen an seiner Seite.
Das Architekturbüro stellte Herrn A. ein Einzimmerappartement im gerade fertiggestellten Unicenter im 22. Stock für die Bauzeit zur Verfügung. Dieser eigentlich schüchterne Kollege stürzte sich in Köln in den Karneval, lernte dabei seine zukünftige Frau kennen und innerhalb des Jahres zogen die beiden zusammen. Noch bevor die Bauvorhaben bezugsfertig waren, suchte er sich eine neue Tätigkeit in der Umgebung von Köln. Nun musste mein Chef selbst die restliche Bauleitung übernehmen.
Kurz vor der Übergabe an die Auftraggeber wurde auch ich in Köln gebraucht und wohnte kurze Zeit ebenfalls in der 22. Etage des Unicenters. Um sieben Uhr morgens war Arbeitsbeginn auf der Baustelle, und vor 19 Uhr waren wir selten zurück. Mein Chef Bernd und ich kehrten nach getaner Arbeit erst mal in die Bierbar im Erdgeschoss des Unicenters und tranken ein Kölsch, bevor wir uns frisch machten und den Abend bei einem Essen im Restaurant ausklingen ließen.
Es war gerade wieder Karnevalszeit und Bernd hatte noch einiges auf dem Bauamt zu regeln. Vermutlich war es wohl einer dieser besonderen Tage, die wir hier im Norden nicht kennen. Gleich im ersten Büro in der Baubehörde saß ihm ein Mitarbeiter mit Pappnase gegenüber, das gleiche später beim TÜV. Die Besprechungen waren an dem Tag nicht sehr erfolgreich. Vielleicht lag es an der Pappnase?
Zwischen Deutschen und Russen klafften die Auffassungen über Material und dessen Verwendung sehr auseinander. Der russische Bauleiter lief meinem Chef hinterher Herr R. gucken Sie mal, dieses Stück Fußleiste, etwa 30 Zentimeter, wurde einfach weggeworfen, das kann man noch gebrauchen.
Mein Chef versuchte ihm klarzumachen, dass es billiger ist, die passenden Stücke von der großen Leiste abzuschneiden und nicht zu warten, bis dieses Stückchen irgendwann einmal passen würde und bot ihm an, das Stückchen Sockelleiste mitzunehmen.
Nächsten Tag das Gleiche mit den Verbundpflastersteinen. Eine Überfahrt wurde mit dem Bagger aufgenommen und die Steine auf einen Lastwagen zum Abtransport geschüttet. Wieder die Erklärung, dass es viel zu teuer ist, die alten heilen Steine herauszusuchen, zu säubern und in die neue Verbundpflasterfläche einzuarbeiten. Kopfschütteln vom russischen Ingenieur.
Die Ausstattung der Handelsvertretung war schon besonders, Fußböden und Treppen mit russischem Marmor, Geländer, Türen und so weiter aus edlen Hölzern, ebenfalls aus der Sowjetunion importiert.
Zu dem Zeitpunkt, als ich 1975 in Köln war, hatten die Mitarbeiter der Handelsvertretung bereits ihre Wohnungen bezogen. Abends wurden die Angestellten von der derzeitigen Handelsvertretung mit einem Bus gebracht. Sie strömten nicht sofort in ihre Wohnungen, sondern blieben noch mindestens eine halbe Stunde oder länger auf dem etwa zwei Meter hoch eingezäunten Hof. Etwa 40 Personen standen in Grüppchen zusammen und klönten, bevor sie in ihr Zuhause gingen.
Der russische Bauleiter hatte auf der Baustelle ein kleines Depot, und zum Abschluss konnten wir bei ihm Krimsekt und Kaviar erwerben.
Zuhause feierte ich dann mit meinen Freunden einen russischen Abend. Der Krimsekt war prima, an Kaviar konnten wir uns nicht so recht gewöhnen. Aber die Freundinnen interessierte am meisten für Wie habt ihr denn geschlafen in dem Einzimmerappartement?
Ich konnte sie beruhigen, es war ein Bett und eine Schlafcouch vorhanden und die Nächte waren völlig harmlos, auch wenn sie gerne etwas anderes gehört hätten.