© Copyright by Erinnerungswerkstatt Norderstedt 2004 - 2024
https://ewnor.de / https://www.erinnerungswerkstatt-norderstedt.de
Ausdruck nur als Leseprobe zum persönlichen Gebrauch, weitergehende Nutzung oder Weitergabe in jeglicher Form nur mit dem schriftlichem Einverständnis der Urheber!
 zurück zur Normalansicht 

Unsere Wohnung in Bad Grund

Wir wohnten in der Bergstadt Bad Grund in der Rathsgasse, die später in Rathsweg umbenannt wurde, in einem Werkshaus der Preussag AG.

Im Erdgeschoss wohnten Onkel Albert, Tante Adele und Hans. Ihre Wohnung umfasste vier Zimmer, Küche, eine große Speisekammer und die Toilette, die man vom Treppenhaus erreichte. Ein großer Balkon gehörte dazu, fast ein Sommerzimmer.

In den ersten Stock zogen meine Eltern mit mir, Säugling Ursula, ungefähr ein Jahr alt, ein. Diese Wohnung war fast identisch, lediglich die Speisekammer war viel kleiner, dafür war die Toilette recht groß.

Im Dachgeschoss lebte zur damaligen Zeit noch die alte Frau GeheimratGemeint ist die Frau des Geheimrats, der Titel des Mannes wurde damals sprachlich auf die Frau übertragen, man sagte Frau Geheimrat, Frau Doktor ... Dörel. Ich habe eine vage Erinnerung an ein recht dunkles Wohnzimmer mit dicken grünen Portieren vor dem Durchgang zum Schlafzimmer. Im einzigen großen Raum, der hell war, stand in der Mitte ein seltsames Möbelstück. Später habe ich erfahren, dass es sich um einen weißen Sarg handelte, den Frau Geheimrat sich für ihre Beerdigung selbst ausgesucht hatte.

Nach ihrem Tod zog meine Großmutter dort ein. Plötzlich war die Wohnung hell und verursachte mir kein Unbehagen mehr. Das Wohnzimmer, man nannte es damals die gute Stube, war gemütlich. Das kleine Dachzimmer mit den schrägen Wänden wurde ein zweckmäßiges Schlafzimmer für meine Oma. Die klitzekleine Küche hatte nur Platz für den Herd, einen Stuhl und ein sehr kleines Regal.

Mit den Toiletten aber war das so eine Sache. Die Notdurft ist ein menschliches Bedürfnis, jedoch dem Drang, Blase und Darm zu entleeren, konnte man in früheren Zeiten gar nicht immer problemlos nachkommen.

Die älteste Methode war wohl der Nachttopf, in den unterschiedlichsten Varianten stand er unter dem Bett oder, bereits etwas angenehmer, im Nachtschrank. Wer wollte denn auch mitten in der Nacht ins Freie, um das Plumpsklo aufzusuchen.

Diese Klos standen diskret im Hof, eine Holzhütte mit Bank. Die kreisrunde Öffnung in der Bank war ausgesägt und schön glatt geschmirgelt, zur Schonung des Allerwertesten. Mit einem einfachen Riegel war dieser stille Ort zu verschließen. In der Tür sah man das bekannte Herz, und hatte man das Papier vergessen, rief man um Hilfe: Steck mir mal Papier durchs Herz. Die Exkremente fielen entweder in eine Kuhle oder eine Art Tonne und die musste von Zeit zu Zeit entleert werden. Das roch nicht nur übel, sondern zog auch dicke Fliegen an.

Welch ein Fortschritt, die Aborts, abgelegene Orte, kamen in die Häuser. Allerdings noch nicht auf jede Etage und in jede Wohnung, sondern auf halber Höhe zwischen zwei Stockwerken. Also stieg man entweder eine halbe Treppe rauf oder runter.

Wir hatten in meiner Kinderzeit in den 1930er Jahren bereits ein Klo auf der gleichen Etage, aber nicht innerhalb der Wohnung. Der Zugang lag außerhalb. So war es auch bei meinen Schulfreundinnen, ein recht kleiner Raum, in den meisten Häusern mit Kloschüssel und einem Brett für das Papier ausgestattet. Manchmal gab es auch ein trockenes Tuch, um über die Brille zu wischen. Das Toilettenpapier wurde aus alten Zeitungen zurechtgeschnitten. Eine Seite wurde zu vier Blatt, die aufgefädelt an das Brett gehängt wurden. Wir nannten es Abreißkalender.