Gute Lehrer
In meinem Leben hatte ich zwei besondere Lehrer, Herrn Bäcker und Manfred.
Herr Bäcker war von der vierten bis zur sechsten Klasse unser Klassenlehrer in der Volksschule für Jungen, Humboldtstraße. Das war im Jahr 1950, wir waren zwischen zehn und vierzehn Jahre alt, je nachdem, wie oft die Schüler sitzen geblieben
waren. Noch heute denke ich oft an Herrn Bäcker. Er war ein beleibter, älterer Herr, er hätte unser Opa sein können.
Als Erstes schlug er uns vor, eine Klassenkasse einzurichten, in die jeder zwanzig Pfennig im Monat einzahlen sollte. Auch fürs Schulschwänzen und nicht gemachte Hausaufgaben waren ein paar Pfennige einzuzahlen. Die Kasse übertrug er einem Jungen, der schon mal eine Klasse wiederholen musste und von dem bekannt war, dass er schon mal gestohlen hatte. In der folgenden Zeit lobte Herr Bäcker ihn vor der Klasse, wie akkurat er die Kasse führte.
Unterrichtet hat er uns in Erdkunde und Geschichte. Er erzählte uns Geschichten. Da wir alle fußballbegeistert waren, erzählte er, dass die besten Fußbälle aus Ziegenleder gefertigt wurden, und Ziegenleder gab es in Ländern am Mittelmeer.
Ja, was waren das denn für Länder? Da musste der Atlas zurate gezogen werden. Aber der Fußball brauchte ja auch noch eine Fußball-Blase, und da die anderen Länder mit der Herstellung von Hüllen zu tun hatten, baute man eine Fußball-Blasen-Fabrik in der Sahara, und schon waren wir in Afrika.
Weiter ging es mit Amerika. Was, ihr kennt Tom Sawyer und Huckleberry Finn nicht? Nun aber ab in die nächste Bücherei. Unendlich spannend!
Herr Bäcker erzählte eine weitere Geschichte. Zwei Hamburger Jungs, die es Tom Sawyer und Huckleberry Finn nachmachen wollten, bauten aus leeren Fässern ein Floß. Damit wollten sie sich die Elbe heruntertreiben lassen. Schnell merkten sie aber, dass hier Ebbe und Flut herrschten, sodass sie nur langsam vorankamen. Was hatte das denn jetzt wieder mit dem Mond zu tun? So waren wir bei Sonne, Mond und Sternen. Die Geschichte endete damit, dass die Jungs auf den Ostfriesischen Inseln landeten. Und wir den Merksatz lernten Welcher Seemann liegt bei Nanny im Bett?
Von Ost nach West sind es die Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog, Baltrum, Norderney, Juist und Borkum.
Herr Bäcker hat mit seinen Geschichten meine Wissbegierde für Erdkunde und Geschichte geweckt. Noch heute denke ich dankbar an Herrn Bäcker, wenn das Gespräch mit meinen Enkeln auf schulische Belange kommt.
Der zweite herausragende Lehrer war Manfred, den ich im Erwachsenenalter kennenlernte. Er war mein Lehrer an der Lufthansa-Schule, die es heute leider nicht mehr gibt, und unterrichtete uns in Flugphysik. Wir kannten uns aus der Flugzeugwartung. Im Gegensatz zu mir machte Manfred, trotz Schichtdienst, eine Ausbildung zum Techniker.
Er war an der Schule der einzige Lehrer, der keinen Ingenieurtitel hatte. Bis heute habe ich nicht vergessen, wie Manfred mit ausgebreiteten Armen durch das Klassenzimmer segelte. Seine Hände waren die Flügel, Höhenruder und Seitenruder waren damit leicht darzustellen. Beim Landeanflug wurde es schon etwas komplizierter. Die Hinterkanten seiner Hände sanken herab, wie die Landeklappen am Flugzeug. Dann gingen seine Hände wieder nach vorne, um die Vorfläps zu demonstrieren. Das Ganze natürlich mit Informationen über Geschwindigkeit, Höhe und anderen Parametern. Bis heute habe ich Manfreds Demonstrationen über die Zusammenhänge der Steuerung eines Flugzeuges nicht vergessen.
Wenn Manfred merkte, dass wir etwas überfordert waren, gab er auch mal einen Witz zum Besten. Zum Beispiel: Der Pilot bittet die schöne Flugbegleiterin, einen Kaffee ins Cockpit zu bringen. Dann sagt er, Habt ihr den schönen Ring gesehen? Der ist von mir.
Da sagt der Copilot: Habt ihr denn nicht die schöne Halskette gesehen? Die ist von mir!
Dann mischt sich der Flugingenieur ein: Habt ihr nicht die schwarzen Ringe unter ihren Augen gesehen? Die sind von mir.
Kurz vor Ende des Lehrganges kam Manfred eines Morgens vollkommen aufgelöst in die Klasse, mit hängenden Schultern und blassem Gesicht. Ich bin heute nur hier, um meinem Gedanken-Karussell zu entkommen! Ich habe heute Nacht meine 19-jährige Tochter an ihr Bett gefesselt, begann er zu berichten. Dass seine Tochter seit einem halben Jahr einen neuen Freund hatte, wussten er und seine Frau, die ebenfalls Lehrerin war. Dass dieser neue Freund von Lisa drogenabhängig war, wusste natürlich keiner. Lisa, in einer intakten Familie aufgewachsen, wollte ihren neuen Freund von den Drogen abbringen. Aber das Gegenteil geschah. Lisa geriet nach und nach selbst in eine Drogenabhängigkeit. Immer wieder fragte sich Manfred, Warum haben wir nichts gemerkt? Was haben wir verkehrt gemacht?
Im Nachhinein fielen uns kleine Begebenheiten ein. Wir hatten zum Beispiel eine gemeinsame Haushaltskasse, aus der alle kleineren Ausgaben für den Haushalt entnommen wurden. Auch Lisa hatte Zugang zu dieser Kasse. Warum hatten wir nicht gemerkt, dass immer größere Beträge in der Kasse fehlten? Meine Frau und ich haben gedacht, na, da hat der Andere sich ja wohl was gegönnt, angesprochen haben wir das aber nicht! Durch Zufall entdeckte meine Frau als sie ohne anzuklopfen in Lisas Zimmer kam, dass diese gerade etwas Weißes in die Nase saugte. Wir gerieten in Panik, was war mit unserem Kind? Lisa erhielt sofort Hausarrest, wir verschlossen die Türen.
Am dritten Tag, nach dieser Maßnahme, rastete Lisa vollkommen aus. Sie hatte einen sogenannten kalten Entzug
, was wir aber nicht wussten. Dann tauchte auch noch ihr Dealer vor unserem Haus auf. Er ging einfach nur auf der Straße hin und her. Das war der Zeitpunkt, an dem ich mir nicht anders zu helfen wusste, als meine Tochter ans Bett zu fesseln. Ich rief bei der Polizei an und schilderte meine Situation. Die Antwort war: Befindet sich der Mann auf ihrem Grundstück?
Meine Antwort war Nein
, dann bekam ich zur Antwort, wenn er auf einem öffentlichen Weg geht, können wir nichts machen.
Wutentbrannt antwortete ich: Ich gehe jetzt raus und schlage den Kerl mit einer Latte kaputt.
Daraufhin sagte mir der Polizist: Das lassen Sie mal lieber sein, denn dann landen Sie im Gefängnis und der Dealer macht weiter seine Geschäfte.
Manfred erschien ab dem nächsten Tag nicht mehr in der Schule. Ich habe nie wieder etwas von Manfred gehört.
(PS: Die Namen sind natürlich geändert.)