TimetunnelMachen Sie eine Zeitreise … mit der Zeitleiste zur Machtergreifung 1933
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Auf Kartoschka

Anekdote

Sherlock Holmes und Dr. Watson fahren mit einem Heißluftballon. Plötzlich kommt ein Orkan und treibt sie weiß der Teufel wohin. Als der Sturm sich legte, sah Watson unten auf dem Feld Leute, die Kartoffeln ernten und sagte: Fragen wir doch bei denen, wo wir sind.
Holms schreit laut: Where am I?
Der Mann unten: You are on the balloon!

Holmes: Alles klar, Watson. Wir sind in der UdSSR
Watson: Wie kommen sie darauf?
Holmes: Der Mann unten ist ein Physiker-Theoretiker, nur solch einer kann eine absolut präzise und absolut nutzlose Antwort geben.
Watson: Aber was hat das mit der UdSSR zu tun?
Holmes: Nur in der UdSSR wird ein Physiker-Theoretiker mit Englisch-Kenntnissen zur Kartoffelernte geschickt

In Russland heißen Kartoffeln in der Umgangssprache Kartoschka, und in der UdSSR auf Kartoschka geschickt zu werden war eine selbstverständliche Sache. Im Herbst musste die Stadtbevölkerung den Kolchosen bei der Kartoffelernte helfen. Die Schüler in Moskau wurden nicht auf Kartoschka geschickt, aber für alle Studenten im ersten Semester war es ein Muss, zwei Monate auf Kartoschka zu verbringen, damit fing das Studentenleben an. Kennengelernt auf Kartoschka, verliebt auf Kartoschka. Es war dort dreckig, kalt, man war hungrig, aber für die Jugend war es OK, sogar lustig. Aber nicht nur für Studenten war es eine Pflicht ‒ Fabrikarbeiter, Angestellte, Wissenschaftler, Soldaten mussten auf Kartoschka schuften. Und in den asiatischen Republiken wurden alle zum Baumwollpflücken geschickt, dort hat sogar das Schuljahr zwei Monate später angefangen.

Aber richtig geschuftet wurde nur bis in die 1960er Jahre, in Breschnews Zeiten (Zeit der Sastoi ‒ Stagnation) war der Idealismus weg, man sagte damals: Wir tun so, als ob wir arbeiten, und sie tun so, als ob sie uns zahlen. Der Schein, dass das Volk und die Partei vereinigt sind, musste aber bleiben, also wurden Leute wie früher in die Kolchosen und Sowchosen geschickt. Nur um die Unzufriedenheit der Menschen zu vermindern, waren verschiedene Bonbons im Gang.

Unser Institut hatte eine Patensowchose Winogradowo, 90 Kilometer von Moskau entfernt, dorthin wurden im Sommer und Herbst unsere Wissenschaftler geschickt. Der Sowchose hatte eine spezielle Wohnbaracke für zugereiste Arbeiter – ein Holzhaus mit drei Zimmern für 30 Personen, Plumpsklo im Hof, ebenso Wasser und Sommerdusche. Ich kann mich gut erinnern an so einen Arbeitsaufenthalt im Juni 1983. Unser Labor musste 15 Personen für zwei Wochen liefern. Für einen Tag in der Sowchose bekam man zwei Tage frei, die man zum Urlaub beilegen konnte. Selbstverständlich, wurde das Gehalt weiter gezahlt. Trotzdem war es nicht so leicht, Freiwillige zu finden: Wir hatten nur 30 Mitarbeiter, manche waren krank oder hatten kleine Kinder oder mussten unterrichten. Also bat mich mein Chef meine Tochter, die damals dreizehn war, mitzunehmen. Für eine Woche in der Sowchose hätte ich vier Wochen Urlaub gekriegt. Es war mehr als OK. Noch eine Kollegin hat auch ihre Tochter im selben Alter mitgenommen. Das benachbarte Labor hat auch 15 Menschen geliefert, also waren wir zehn Frauen und zwanzig Männer. Wir sind herausgefahren mit großem Gepäck – Bettwäsche, Kleidung, Wasserstiefel, einer Menge Lebensmittel und reichlich Wodka und Wein. Als Erstes musste man das Haus und das Klo saubermachen, es war ein ziemlicher Schweinestall. Am Abend gab es ein Lagerfeuer und einen großen Umtrunk, wie an allen anderen Tagen auch. Am Morgen um sieben Uhr fuhr uns ein Bus zur Kantine zum Frühstück. Es gab immer das gleiche – grauer Grießbrei und eine Brühe, die Kaffee sein sollte. Aber wir hatten eigenes Zeug mit. Derselbe Bus fuhr uns dann zum Feld. Wir mussten Möhren jäten. Das Beet war einen Kilometer lang, und die Möhren waren so mit Unkraut verwachsen, dass man sie nicht sah. Wir Frauen, haben zuerst noch probiert, gewissenhaft zu arbeiten, nachher aber die Idee verworfen. Die Männer haben einfach alles herausgerissen oder sich im Beet schlafen gelegt. Die Einheimischen haben auf solch einem Feld nicht gearbeitet – die Normen waren zu hoch, man konnte dort nichts verdienen. Alle paar Stunden kam der Brigadier um zu sehen, ob wir noch auf dem Feld sind. Nachmittags sind wir in den Wald gegangen oder wir badeten im Fluss, wenn es heiß war. Und am Abend: Lagerfeuer und Abendbrot mit Wein. Ein Kollege hatte eine Gitarre mitgebracht und sang gut. Schön war es, abgesehen vom Dreck, Lehm an den Stiefeln und Klo im Hof. Die Sowchose musste uns noch für unsere Arbeit bezahlen. Für eine Woche für 30 Personen ist eine stolze Summe entstanden, die aber für den Grießbrei nicht reichte. Unser Institut hat die Rechnung beglichen.

Noch sinnvoller war unsere Arbeit, wenn das Institut einen Befehl bekam, alle Mitarbeiter für einen Tag auf Kartoschka zu schicken. Das passierte im Herbst am einem Samstag und hieß Subbotnik (freiwillige kollektive Arbeit ohne Entgelt – das hat Lenin eingeführt). Subbota heißt doch auf Russisch Samstag. Am Morgen erwarten uns Busse und in einer langen Kolonne fuhren wir zu unserer Sowchose. Die Fahrt dauerte mehr als drei Stunden. Die Busse blieben am Feld stehen. Dort mussten wir die Kartoffeln aufsammeln, die trotz Erntemaschine in der Erde geblieben waren. Manchmal fehlten die Körbe oder es fing an zu regnen, sodass wir nicht arbeiten konnten. Jedenfalls nach anderthalb Stunden verließen wir das Feld und gingen zum Wald, wo wir uns mit Schaschlik und Wodka vergnügten und Kartoffeln backten. Dann fuhr die Kolonne zurück.

Und noch eine Art Sklavenarbeit hatte unser Staat für uns vorgesehen – wir wurden auf eine Gemüse – Basa geschickt. Solch eine Riesenstadt wie Moskau hatte Tausende Gemüseläden, wo auch Kartoffeln und Obst verkauft wurden. Die mussten das ganze Jahr beliefert werden, dazu dienten die Gemüselager ‒ Basa, wo die Ernte das ganze Jahr aufbewahrt wurde. Jeder Moskauer Bezirk hatte seine eigene Basa. Sie waren riesig, so ein großes Gewerbegebiet hinter Gittern, mit vielen Gebäuden, Gleisen für Güterzüge, Straßen für Lastwagen. Auf die Basa wurden außer Wissenschaftlern, auch Arbeiter, Studenten und Soldaten geschickt.

Normalerweise hatten wir dort eine Abendschicht und es gab dafür auch freie Tage. Wenn wir auf Kartoschka geschickt wurden, kamen wir zu einer Riesenhalle, dort waren die Kartoffeln aufgehäuft. Darauf waren Bretterstege gelegt. Unsere Aufgabe war, oben unter dem Dach die guten Kartoffeln in Säcke zu tun, und die verfaulten in Körbe, und unsere Männer schleppten die Säcke und Körbe nach unten. Es war ein schrecklicher Gestank und große Ratten, die keine Angst vor Licht und Leuten hatten, rasten herum. Wir beschossen sie mit Kartoffeln. Das Licht war trüb, und es sah aus wie im Horrorfilm. Eine bessere Aufgabe war, die Kartoffeln in Pakete zu packen. Es gab damals eine bejubelte kritische Komödie Garage, in der wurde ein Professor vom Parteibüro ausgeschimpft, weil er in die Pakete seine Visitenkarten gelegt hatte.

Nebenan im Raum faulten Möhren und Zwiebeln, die man auch auslesen musste.

Wir hatten unter aller Kritik gearbeitet, die Zeit verging und endlich kam ein Angestellter und unterschrieb uns die Bescheinigung. Die Lagerverwaltung war an unserer Arbeit überhaupt nicht interessiert – je mehr Ware verfaulte, desto mehr konnten sie abschreiben und schwarz verkaufen, es war für sie eine Goldgrube. Wenn das Gebietskomitee der Partei sie wegen schlechter Zahlen schimpfte, beklagten sie sich, das es an Arbeitern mangele. Dann hat man uns zur Verstärkung geschickt. Das waren solche Spielchen des Sozialismus.

Manchmal hat man uns auf Kohl geschickt. Im Gemüselager waren mehrere große Becken unter freiem Himmel, wo man Weißkohl einsäuerte. Unsere Aufgabe war es, die Kohlköpfe von schwarzen, verfaulten Blättern zu befreien und in einen riesigen Wolf zu werfen. Der geschnittene Kohl, mit Salz vermischt, wurde mit einem Förderband in ein Becken gebracht. Nachher bedeckte man das Becken mit einem Netz und bei Regen und Schnee mit einer Plane. Ich erinnere mich an einen Abend: Im Becken nebenan gärte der Kohl schon eine längere Zeit, und die Lagerarbeiter mussten das Kraut mit speziellen langen Stöcken durchstechen. Es war schon Winter, und die Arbeiter hatten große Filzstiefel (Walenki) an. Sie machten Faxen, lachten, einer schubste den anderen, und dessen Filzstiefel fiel ins Becken, der andere schubste den Stiefel mit dem Stock in die Mitte. Nachher wollten sie den Stiefel herausziehen, schafften es aber nicht. Ach, scheiß drauf, soll er dort gären, beim Abpacken nimmt man ihn schon heraus!

Damals haben wir uns totgelacht, aber seitdem kaufe ich niemals im Laden Sauerkraut, sogar hier in Deutschland nicht.

  • Autorin: Elena Orkina, April 2016
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