Waschtag
In der Mietskaserne
Pannierstraße in Berlin-Neukölln, die ich schon mehrmals beschrieben habe, wohnten allein im Vorderhaus auf vier Etagen inklusiv der drei Wohnungen, die zu den Geschäften im Erdgeschoss gehörten, 15 Mietparteien.
Oberhalb der vierten Etage war das – damals jedenfalls – unbewohnte Dachgeschoss, in dem eine rohe Holzbalkenkonstruktion die eigentliche Dachabdeckung trug. Auf dem Fußboden lagen einfache rohe Dielen, die mächtig knarrten, wenn man darüber lief. Dass man über eine Leiter durch eine Luke direkt auf das Dach steigen konnte, spielt hier keine Rolle, denn ich will ja von etwas ganz anderem erzählen. Ich habe auch nur ein einziges Mal mit dem halben Oberkörper da rausgeguckt, es war mir zu windig und außerdem war es ja auch ausdrücklich verboten!
Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte jede Mietpartei dort oben einen mit Maschendraht vergitterten Verschlag, in dem man nicht benötigte Sachen abstellen konnte. Kurz nach Kriegsbeginn wurden diese Kabuffs aber geschliffen, damit im Falle eines Luftangriffs Brandbomben ohne Behinderung sofort bekämpft werden konnten. Gesehen hatte ich diese Verschläge zwar nicht, doch die meisten Mieter – auch meine Großeltern – trauerten ihnen nach dem Krieg noch lange nach, sie wurden aber nie mehr eingerichtet. Als Überbleibsel aus jener unseligen Zeit standen dort noch in den 1950er Jahren Sandsäcke und große Feuerpatschen herum.
Direkt über dem Küchentrakt der zweiten bis vierten Etage war eine Waschküche eingerichtet, dort endeten ja auch die Steigleitung und das Abwasserrohr. Dieser Raum war mit einer schweren Blechtür abgeschlossen. In einem gemauerten, viereckigen Herd war der eigentliche Waschkessel eingelassen, den man von unten befeuern konnte. Er wurde mit einem runden Deckel aus Holzleisten abgedeckt, vielleicht gab es früher einmal einen Blechdeckel, aber daran kann ich mich nicht erinnern. Es gab auch eine größere, ovale Zinkwanne, die zum Spülen gebraucht wurde. Sie stand auf zwei kleineren Holzböcken und hatte an einer Stelle einen Ausguss, der mit einem Gummistöpsel verschlossen war. Es gab mehrere kleinere Wannen und Eimer und natürlich auch etliche Waschbretter mit dem typischen Wellblechmuster – Namensgeber für die Waschbrettbäuche der Bodybuilder, die meistens gar nicht wissen, wie so etwas ausgesehen hat. Der Boden war wegen der darunter liegenden Wohnung aus Sicherheitsgründen wasserdicht versiegelt, wahrscheinlich war das ein Teerboden.
Die Hausfrauen, die dort oben waschen wollten, mussten sich bei der Portiersfrau anmelden, die darüber ein dickes Buch führte. Sie verwaltete auch den Schlüssel für die Blechtür und guckte einen Tag später nach, ob alles noch da war und nichts entwendet wurde.
Am Waschtag musste jemand schon ganz früh mit Holz und Kohlen hochtigern, um Wasser in den Kessel einzulassen und ihn natürlich auch anfeuern. Nach einer Weile wurde dann die Kochwäsche nach oben geschafft. Weil das meist sehr viel war, mussten zwei Mann (manchmal auch meine große Schwester und ich) den Wäschekorb hochtragen.
Der Waschtag war ein Familienereignis, jeder wurde irgendwie eingespannt. Während die Wäsche dann kochte, blieb meist eine Stallwache oben. Nach einer gewissen Zeit kam die Hausfrau dazu und dann ging die Endausfertigung los. Meine Großmutter hatte eine Gummischürze umgebunden, damit sie ihre anderen Sachen nicht durchnässte. Wäschewaschen war damals eine durchaus nasse Angelegenheit. Auf jeden Fall waren immer mehrere Personen oben, denn letztenendes war das Schwerstarbeit.
Welche Wäsche wirklich mit der Wurzelbürste auf dem Waschbrett mit Schmierseife gerubbelt wurde, hab ich mir nicht gemerkt. Wenn ich nach der Schule beim Schrubben zugucken durfte, konnte ich meist kaum was sehen, denn in der Regel füllte dichter Wrasen den Raum. Aber dann wurde doch jede Hand gebraucht. Nach dem Spülvorgang wurde die Wäsche zu einer Art Wurst zusammengedreht und ausgewrungen. Bei den größeren Stücken mussten das zwei Mann machen. Da kam es auf Kraft an, denn je mehr Feuchtigkeit herausgewrungen wurde, umso schneller trocknete das Wäschestück. Zuvor mussten vor allem die großen Stücke wie Laken und Bezüge an allen vier Ecken diagonal gedehnt werden, damit sie nicht einliefen. Sie kamen dann ordentlich zusammengelegt, aber noch feucht in den Wäschekorb. Für die Kleinwäsche gab es eine Quetschkurbelanlage. Zwischen zwei kleineren Holzrollen wurden die Wäschestücke durchgequetscht, das Wasser lief in einen Bottich, der schließlich ausgekippt wurde.
Dann ging es hinüber auf den eigentlichen Trockenboden. Die meterlang eng gespannten blassgelben Hanfseile hingen immer dort, aber die Wäscheklammern mussten die Hausfrauen selber mitbringen. Sie wurden im Klammerbeutel aufbewahrt. Es gab verschiedene Klammersorten: einfache Stecker aus dünnen Leisten geschnitten, die eine Kerbe bis zur Mitte hatten, andere gedrechselte, aber ebenfalls ohne Mechanik und solche, die aus zwei Teilen bestanden und mit einer Feder zusammengehalten wurden, die so genannten Kneiferklammern. Mit ihnen konnte man allerlei Dummheiten anstellen, natürlich auch kleinere Wäschestücke aufhängen.
Bei windigem Wetter trocknete die Wäsche schneller, wenn man eines der vielen kleinen Bodenfenster öffnete, aber sie war dann natürlich noch nicht schrankfertig. Meine Großmutter ging meist noch mit den großen Stücken zu einer Kaltmangel. Es gab in unserer Straße ein Seifengeschäft, dessen Inhaber in einem Hinterzimmer eine derartige Apparatur betrieb. Das war ein bettgroßes, massives Holzgestell. In Kniehöhe war die eigentliche Plattform, auf der ein schweres Oberteil hin- und herrollte. Dazwischen wurden meterlange Rollen gesteckt, auf die die Wäsche möglichst faltenfrei aufgerollt werden musste. Der Plättkasten wurde mit einer Welle bewegt, auf der ein gusseisernes Rad steckte, an dem dann eine Handkurbel befestigt war. Befand sich der Kasten an einer bestimmten Stelle, konnte man ihn mit einem Hebel anlupfen und die Wäscherolle einlegen oder herausnehmen. Nach vier- bis fünfmaligem Herumkurbeln war dann die Wäsche wirklich glatt und wieder schrankfertig.
In unserem Haus gab es seit eh ein Geschäft mit einer Heißmangel. Das Geschäft war nach Kriegsende bis zum Ende der Blockade geschlossen, weil die schwere Heißmangel mit Strom und Gas betrieben wurde – beides war ja rationiert und während der wenigen Stunden, in denen keine Stromsperre war, lohnte sich die Öffnung dieses Ladens sicher nicht. Die bisherige Inhaberin, Frau Abraham, übergab das Geschäft Ende 1948/Anfang 1949 einer Flüchtlingsfamilie. Als sich dann in Westberlin nach der Blockade das Leben langsam wieder normalisierte, öffnete die neue Inhaberin die Heißmangel wieder. Seit dieser Zeit wurde unsere Wäsche natürlich nicht mehr in der Kaltmangel geplättet. Wir gaben den Korb mit der Wäsche unten ab und konnten ihn am Nachmittag wieder abholen. Beim Hinauftragen des Wäschekorbs half mir meistens Dietrich, der Sohn der neuen Inhaberin, mit dem ich später noch lange befreundet war.
Irgendwann aber war die Zeit der Waschküchen und auch der Heißmangel dann doch abgelaufen. Nach der Erfindung der modernen Waschmaschine entstanden bald die ersten Waschsalons nach amerikanischem Muster. Großmaschinen mit Münzautomaten standen in langer Reihe und es konnten gleichzeitig 10 bis 15 Leute ihre Wäsche waschen. Der Komfort solcher Maschinen war unübersehbar: die dreckige Wäsche kam in die Trommel, es wurde portioniertes Waschpulver und Wäscheweich in die entsprechende Schublade gegeben und nach einiger Zeit konnte man die saubere Wäsche geschleudert und auf Wunsch auch knochentrocken aus der Trommel entnehmen. Als es dann aber preiswerte Waschmaschinen für Zuhause gab, endete auch die hohe Zeit der Waschsalons.
Wir können uns ein Leben ohne Waschmaschine nicht mehr vorstellen. Ob aber unsere Mütter und Großmütter unglücklicher waren, weil sie ihre Wäsche in harter Knochenarbeit mit der Hand waschen mussten, wird wohl niemand behaupten können.