Wie ich das Kriegsende erlebte
Mein Vater bekam Sonderurlaub ‒ ja er war unverletzt vom Russlandrückzug nach Hause gekommen. Dann das noch ‒ ihm folgte das Eiserne Kreuz als Anerkennung! Wofür? Er meinte: ich werde es nicht tragen, bin froh, mein eigenes zu haben
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Die Überraschung nahm kein Ende. Eine freundliche junge Dame aus Russland meldete sich bei uns und bekam Asyl. Es war die Sekretärin meines Vaters im Kaukasus. Er war dort Landwirtschaftlicher Sonderführer und, wie ich ihn kenne, auch bei den Einheimischen sehr beliebt. Sie schickten ihm auch Päckchen mit Honig und Pelzen, was ich im Zusammenhang mit dem Kommen der Russin sah. Mein Vater musste nach Weihnachten wieder an die Front, diesmal war es Frankreich und Holland. Dort wurde er als Unteroffizier eingesetzt. Meine Mutter hat die Russin dank ihrer Qualifikation unterbringen können. Bis heute mache ich mir Gedanken: War sie eine Spionin oder hat sie mit Deutschland kooperiert?
Meine Heimat ist Mitteldeutschland, dort ging der Krieg bis kurz vor dem 8. Mai 1945. Unser kleines Dorf bekam im Februar 1945 Besuch von 18-jährigen Soldaten. Es wurde ein Dorffest veranstaltet. Viel Später wurde mir der Grund auch klar: Es sollte Freude erzeugt werden, den Widerstand zu stabilisieren. Die Soldaten sollten das Dorf und die Umgebung kennenlernen. Im April waren sie wieder zurück, jedoch nur, um Gräben auszuheben und Panzersperren zu errichten. Es stellte sich später heraus, dass die Bewohner unseres Dorfes die einzigen waren, die diesen Anordnungen folgten.
Aus heutiger Sicht ist mir bewusst, dass unser Dorf mitten im ehemaligen Deutschen Reich dicht an der Autobahn gelegen hat, im Eck von Elbe und Mulde. Dieses wurde uns zum Verhängnis. Ende April waren die Amerikaner bis zu uns vorgerückt und fragten, was diese kleine Hürde noch soll. Das fragten sich wohl schon viele. Doch nun waren wir von der Außenwelt abgeschnitten, was die Informationen betraf. In aller Ruhe kamen sie in unser Dorf und stellten Frauen mit Englischkenntnissen in ihren Dienst. Wir mussten unseren Hof räumen und kamen in eine andere Unterkunft. Wir dachten, alles wäre überstanden und begaben uns zur nächtlichen Ruhe. Wir glaubten uns erobert und meinten, der Krieg wäre zu Ende.
Im Nachbarzimmer hielten sich die Amerikaner auf. Wir sahen sie schon als unsere Beschützer, doch die Schießerei ließ nicht lange auf sich warten. Gegen unsere verschlossene Tür riefen die deutschen Soldaten. Nach Öffnung traute sich niemand heraus. So flogen Handgranaten, bis meine Mutter und Oma riefen: Wir sind doch Deutsche! Die Amis hatten sich im Keller hinter Deutschen versteckt. Mein Opa und ich waren dann im Keller gelandet, während meine Mutter, Oma und mein dreijähriger Bruder von den Deutschen durchs Fenster gehoben wurden und auf die andere Seite der Straße geschickt ‒ dort wäre alles freigekämpft.
Aus diesem Haus mussten alle Deutschen raus. Sie wurden in der gegenüberliegenden Schule untergebracht. Meine Mutter, Oma und Bruder kamen auch dort hin. In der kommenden Nacht hatten die Amerikaner das Sagen. Wenn man ein Flugzeug über uns hörte, brauchte man nur bis fünf zu zählen, dann war wieder ein Treffer gelandet. In den Waffenpausen wurde gelöscht. Unser Hof war erheblich geschädigt, das Wohnhaus ausgebrannt. Das Vieh konnte aber noch ausreichend versorgt werden.
Spannend wurde es dann im Keller unserer Schule, wo wir mit mehreren Familien untergebracht waren. Einige Leute mussten zum Verhör, was sich als notwendig erwies. Zwei Familien waren aus Koblenz, die Väter waren heimlich dazugekommen. Einer davon soll SS-Arzt gewesen sein. In einem kleineren Kellerraum haben sie ihrem Leben ein Ende bereitet. Weil die tödliche Medizin nicht reichte, hat sich einer die Pulsadern durchgeschnitten. Irgendwann waren die Kämpfe dann zu Ende. Mit einigen Mitleidenden sind wir mit unserem Pferdewagen zwei Dörfer weiter zu meiner Tante gefahren. Pflügenderweise trafen wir sie auf dem Feld an. Dort blieben wir einige Tage, bis wir den Mut hatten, in das eigene Dorf zurückzukehren.