Wahre Freundschaft
Friedo war zeitlebens ein Dackelfreund, und er schätzte die Anzahl seiner rotbraunen Lieblinge, die ihn nacheinander sein Leben lang begleitet hatten, auf runde Zwanzig. Schon als fünf- bis sechsjähriger war er stolzer Hundebesitzer geworden, und aus dieser Zeit wusste er eine wahre Geschichte zu erzählen.
Sein Vater war Rechtsanwalt und hatte sich als solcher in einer Kleinstadt im Sauerland einer Kanzlei angeschlossen. Man bezog also in besagter Stadt mit Frau und Sohn Friedo eine preiswerte Wohnung in der dritten Etage eines älteren Mehrfamilienhauses. Heute würde man Wohnblock dazu sagen. Friedo, wie gesagt, damals fünf oder sechs Jahre alt, bekam seinen ersten Dackel, damit die Eingewöhnung in die neue Umgebung nicht so schwer würde.
Nach kurzer Zeit des Einlebens waren die Eltern darauf bedacht, in der Stadt richtig Fuß zu fassen und einen neuen Bekanntenkreis aufzubauen. Wie macht man das als Rechtsanwalt? Man lädt sich kurzerhand alle Honoratioren der näheren Umgebung ein, bewirtet sie entsprechend und schon ist man drin - im Verein
der wichtigen Leute.
Bei solchen Gelegenheiten werden bekanntlich große Anforderungen an das Geschick der Hausfrau gestellt. Das edle Porzellan, die güldenen Bestecke, die man zur Hochzeit in weiser Voraussicht geschenkt bekam, sind natürlich bei solchen Anlässen gerade gut genug. Teure Damastdecken runden das Gesamtbild ab und wertvolle Vasen warten darauf, die mitgebrachten Blumenbuketts aufzunehmen.
Es ist also viel vorzubereiten, und dabei sind bekanntlich bei allen Hausfrauen der Welt Störungen nicht erlaubt. So auch nicht bei Friedo`s Mutter. Immer stand der kleine Sohn irgendwo im Wege und wurde gebeten, in ein anderes Zimmer zu gehen. Dort angekommen, gab es bald wieder eine neue Anweisung: Geh` doch mal ins Schlafzimmer, und nimm` den Hund gleich mit!
Der Hund, ja, den traf es noch viel arger als Friedo. Das sonst übliche Toben in der Wohnstube war absolut nicht drin. In der Küche brutzelte eine Leihköchin die feinsten Zutaten für das herrschaftliche Festmahl und die wohlriechenden Düfte hatten den Dackel immer mal wieder unwiderstehlich angelockt. Dabei hatte die Köchin in ihrer Hektik dem Hund schon mehrere Male auf den Schwanz getreten. Klar, dass der Dackel die ungewohnte Nervosität verspürte und seinen Unmut durch allmählich lauter werdendes Winseln kund tat. Das fiel dem Friedo natürlich auf: Was der Hund wohl hat?
Und dann kam ihm der Gedanke: Ob der wohl mal
muss
?
Der Weg nach unten auf den Hof bedeutete immerhin drei Treppen, man konnte ja für den Zweck aber auch die Toilette benutzen. Locus
nannte man das damals, auf gut deutsch also Örtchen
oder auch ganz einfach Klo
.
Der Leser sollte jetzt wissen, dass zu damaliger Zeit in derartigen Häusern sogenannte Etagen-Klos eingebaut waren, nicht innerhalb des Hauses, sondern sozusagen draußen an der Außenwand hängend, alle übereinander und alle mit einem senkrechten großvolumigen Fallrohr verbunden, das unten auf dem Hof irgendwo in eine Sammelgrube mündete. Der Zugang war meistens vom Treppenhaus aus. So auch hier.
Friedo nahm den kleinen Dackel, ging mit ihm zum Klo und hielt ihn dort mit gestreckten Armen über die runde Öffnung. Aber der Hund musste anscheinend gar nicht so dringend, fing an zu zappeln - und plötzlich hatte Friedo keinen Dackel mehr in der Hand! Der Hund war weg! Nicht mehr zu sehen, soweit Friedo sich auch nach vorn beugte.
Als er sich vom ersten Schreck erholt hatte, gingen dem kleinen Jungen zwei Begriffe durch den Kopf: Fallrohr nach unten und Sammelgrube mit Holzdeckel. Er rannte so schnell seine kurzen Beine es erlaubten die drei Treppen nach unten.
Eine detaillierte Beschreibung über das, was jetzt geschah, sollte dem Leser aus Gründen des Anstandes erspart bleiben. Nur soviel: der Dackel wurde nach einer geraumen Zeit gerettet, und zwar von Friedo selbst.
Die nächste Szene sollte auch nur in ihrem Ergebnis und in Kurzform geschildert werden: Man stelle sich vor: die gute Stube ist auf`s Beste hergerichtet, die Hausfrau hat das beste Kleid angezogen, um die Honneurs zu empfangen und auch der Hausherr macht eine elegante Figur in seinem vornehmen Zwirn. Da klingelt es auch schon an der Haustür. Die Köchin macht auf - und in dem Moment stürmt der kleine Friedo mit einem triefenden Dackel in den ausgestreckten Händen an ihr vorbei und läuft Hilfe suchend in die gute Stube. Der Aufschrei der Mutter soll herzzerreißend gewesen sein, wie Friedo erzählte. Einige Sekunden später klingelte es wieder an der Tür und der Hausherr begrüßte die ersten Gäste. Guten Abend, die Herrschaften. Seien Sie uns herzlich willkommen…!