Vorbemerkung
Johannes Dittrich beschreibt seine Prag-Reise in zwei Briefen, die er an seine Eltern schrieb. Den ersten Brief schreib er bereits während der Reise aus Herrnskretschen und gab ihn in Niedergrund auf, den zweiten schrieb er nach seiner Rückkehr in Leipzig. Die Briefe ergänzen die Reisebeschreibung, die er in seinen ErinnerungenErinnerungen Teil 4 (Leipzig), Kapitel 23Klick hier für Kapitel 23 [1] veröffentlichte.
Reise nach Prag 1872
Zwei Briefe
Von Leipzig nach Prag
Herrnskretschen, den 21. Mai 1872
O Wandern, o Wandern,6. Strophe des Liedes Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus
Klick für Wikipedia [2] du freie Burschenlust,
Da weht Gottes Odem so frisch durch die Brust,
Da singet und jauchzet das Herz zum Himmelszelt:
Wie bist du doch so schön o du weite, weite Welt!
Das habe ich dieser Tage oft mit meinem guten Schnedermann gesungen, lieber Vater. Wir haben aber auch bisher eine herrliche Reise gehabt, und ich will dieselbe gleich kurz skizzieren. Ich war den Tag vor meiner Abreise, Freitag den 17. [Mai 1872], noch ziemlich unwohl und auch recht leichtsinnig, indem ich abends noch einen Kahnbummel nach Connewitz unternahm. Ich hatte infolgedessen eine ziemlich schlechte Nacht und schlief erst gegen Morgen ein, kam auch ziemlich spät aus dem Bett und deshalb nur mit Kummer und Not zum Zuge, der um halb acht abfuhr, zurecht. Ich hatte nicht mehr Zeit Schnedermann aufzusuchen, sondern löste nur rasch das Billet nach Leisnig, wie es verabredet war, und fuhr ab. In Grimma vergewisserte ich mich, dass Schnedermann mit seinem Bruder wirklich im Zug war und in Leisnig trafen wir zusammen. Wir sahen uns erst das nette Städtchen an der Freiberger Mulde an, nahmen dann von dem Fluss Abschied und wanderten nach Colditz zu, zwei Stunden von Leisnig, wo wir die Zwickauer Mulde begrüßten und uns ein wenig im Rathskeller erholten. Colditz so wie die nun folgende Tour nach Rochlitz war uns noch vom vorigen Jahr her bekannt. Wir hatten übrigens den Tag das schönste Reisewetter. Früh bei der Abfahrt von Leipzig regnete es noch, nachher aber wurde es schön und warm, und doch war noch etwas Erfrischendes in der Natur, so dass die Hitze nicht drückend wurde. In Rochlitz gingen wir ohne Aufenthalt zu nehmen durch den Schlosshof hinauf nach dem Berge auf einem Wege, wo, wie einer, den wir nach dem Wege fragten, sagte, man gar keinen Berg zu besteigen hätte und doch auf den Berg komme. Freilich war der Weg auch ziemlich lang. Wir kamen auf dem Berge unter immer mehr sich verfinsterndem Himmel an, und als wir den Turm bestiegen, fielen die ersten Tropfen. Den Regen, der sehr heftig war, warteten wir in der Restauration, ab und als es nachließ, gingen wir wieder vom Berg herab in unser Reiseziel für den heutigen Tag, das Städtchen Wechselburg. Aber der Regen wurde wieder ärger und wir regneten auf der sehr steilen Partie völlig ein. Es wurde auch ausgeglitten und hingefallen; ich hielt mich aber davon frei. An Romantik war nichts zu wünschen übrig. Schon bei völliger Dunkelheit kamen wir in dem Städtchen an, gingen ins Hotel
- es hatte sich nur der eine Gasthof diesen Namen geleistet, ließen uns was Warmes geben und gingen dann gleich zu Bett.
Der herrliche Pfingstmorgen weckte uns um drei Uhr aus dem Schlafe. Wir frühstückten im Freien und gingen weiter im Muldetal über Lunzenau nach Rochsburg. Rochsburg mit seinem gräflich Schönburgischen Schlosse hat eine herrliche Lage. An der einen Seite der Mulde liegt das Dorf mit der Kirche und dem Pfarrhaus hoch oben, auf der anderen Seite ebenso hoch oder noch höher, über einem herrlichen grünen Abhange das Schloss. Schnedermann meinte, es sehe ähnlich aus wie Schwarzburg. Da gerade Kirchenzeit war, gingen wir in die Kirche und hörten eine Predigt vom Hofprediger. Nachher wanderten wir weiter nach dem eine gute Stunde entfernten Burgstädt, von wo wir nach Chemnitz fahren wollten. Wir hatten die Absicht, von da nach Lichtenwalde an der Zschopau zu fahren, da aber der Zug nach Chemnitz sich verspätete wegen der starken Frequenz, wegen der wir auch im Schweineregen
Unterkommen suchen mussten, konnten wir nicht mehr dahin fahren und wanderten daher per pedes hin und besuchten auf dem Wege dorthin in Ebersdorf noch Wagners Eltern. In Lichtenwalde war Konzert im Park, das wir uns anhörten, worauf wir dann an der Zschopau weiter marschierten, um heute noch möglichst weit zu kommen. Das Zschopautal ist wo möglich noch schöner als das Muldetal. Wir passierten dann HarrassprungBallade von Harras, den kühnen SpringerKlick für Wikisource [3], während ein starkes Gewitter aufzog. Unmittelbar ehe es in seiner ganzen Macht losbrach, waren wir in der Stadt Frankenberg unter Dach und Fach, wo wir auch übernachteten.
Der andere Tag brachte uns früh einigen Regen; hernach aber ward's schön. Wir gingen über Mittweida nach Ehrenberg und Kriebstein, einem Glanzpunkte des Zschopautales, wieder mit einem hochgelegenen alten Schlosse, wo wir eine Zeit verweilten. - Es war dort ganz herrlich. Von da marschierten wir im Thale weiter nach der Station Waldheim, fuhren von da nach Döbeln und dann nach Dresden, wo wir noch nachmittags ankamen. Beim Hofrat Schnedermann, einem ältlichen, ziemlich kleinen Herrn mit strengem Gesicht und seiner freundlichen Frau langten wir eine halbe Stunde später an.
Über Erwarten schnell erlangte Blondel
, wie wir unsern Schnedermann nennen, Erlaubnis zur Reise nach Prag, wir erkundigten uns genau über Züge etc. und fuhren heut früh sieben Uhr, wieder bei Regen, von Dresden abBahnstrecke Dresden-DecínKlick für Wikipedia [4]. Nach anderthalbstündiger Fahrt bei der Bastei, Königstein und Lilienstein langten wir in Schandau an. Dort stiegen wir aus, gingen, während das Wetter immer schöner wurde, durch das herrliche Kirnitzschtal, das bei den verschiedenen Windungen der Kirnitzsch, einem rauschendes Gebirgsfluss, stets ein anderes Bild zeigt. Nach elf [Uhr] langten wir auf dem KuhstallFelsentor im ElbsandsteingebirgeKlick für Wikipedia [5] an, bewunderten die grotesken Felsbildungen und krochen in ihm herum und von da ging's über den kleinen nach dem großen Winterberge. Ein prächtiger Weg! Schon vom kleinen Winterberge die schöne Aussicht nach dem südlichen Teil der sächsischen Schweiz bis zur Lausche bei Zittau, und auf dem großen Winterberge nun eine ausgedehnte Aussicht nach allen Seiten. Auf letzterem aßen wir Mittag und tranken zusammen eine Flasche herben Ruszti aus, zuerst auf das Wohl unserer beiderseitigen Eltern, dann auf unsere Alma Mater, auf Kahnis und DelitzschErinnerungen Teil 4 (Leipzig), Kapitel 5 und 6Klick hier für Kap. 5 [6] und endlich auf eine glückliche Weiterreise trinkend. Dann stiegen wir hinab nach dem Prebischtor mit seinen großartigen Sandsteinfelsen und seiner schönen Aussicht - schon auf böhmischem Boden.
Nach gutem Ausruhen gingen wir von da weiter durch das enge Thal des Kamnitz-Baches und gelangten hier in HerrnskretschenHerrnskretschen, heute: Hrensko, ist das Tor zum Nationalpark Böhmische Schweiz.Klick für Wikipedia [7] wieder an die Elbe. Auch hier ist es wunderschön. Die Elbe fließt in einem engen Tal und der Ort dehnt sich teils im Elbe-, teils im Kramnitz-Tal aus. Wir haben unten an der Elbe gesessen und nun sind wir hier in die Restauration gegangen, um noch Grüße zu schreiben.
Wir wollen heut Abend noch nach BodenbachBodenbach, heute: Podmokly, ist ein Stadtteil von Tetschen (Decín).Klick für Wikipedia [8] fahren, weil hier das Tetschner SchlossDas Tetschner Schloss, heute: Schloss Decín, befindet sich auf einem Felsriegel nahe der Elbe im Stadtgebiet von Decín (Tetschen).Klick für Wikipedia [9] ist, wie ich hörte, und morgen früh wollen wir die alte Königsstadt mit dem Hradschin begrüßen. - Gott sei Dank, dass er uns bis jetzt so schönes Reisewetter gegeben hat. Hoffentlich bleibt's auch ferner so. - Du wirst freilich aus dieser mageren Skizze kaum sehen, wie es mir auf meiner ganzen Reise gefallen hat, wie wohl mir jetzt ist, seitdem ich dem dumpfen Studierzimmer entflohen, aber die Zeit verhindert mich, mehr zu schreiben.
Schnedermann lässt sich empfehlen. - Bitte, grüße die liebe Mutter und alle Geschwister und nimm selbst einen Gruß aus Böhmen von
Deinem gehorsamen Sohn
Johannes.
Leipzig, den 26. Mai 1872.
Meine liebe Mutter!
Wenn der Österreicher sagt: 's gibt nur a Kaserstadt, 's gibt nur a Wien
, so kann der Böhme mit vollem Rechte sagen: 's gibt nur a Prag
. Ja, es gibt nur ein Prag. Ich habe eine schöne Pfingstspritze gehabt, und habe viel gesehen, aber die Krone von Allem war doch Prag. Von meiner Reise nach Prag und von dem, was ich in Prag gesehen, will ich dir erzählen und bediene mich dazu, da es etwas viel Raum einnehmen wird, nicht meiner kleinen Briefbögen, sondern nehme einfaches Schreibpapier. Bis Herrnskretschen habe ich unsere Reise in der Eile erzählt. Es war ein schöner Tag in der sächsischen Schweiz. Ja es ist schön dort, wenn es auch nicht gerade an das Riesengebirge heranreicht. Es hat auch seine eigene Großartigkeit, und wenn man auf dem kleinen Winterberge steht und auf die Sandsteinkegel hernieder blickt, so begreift man wohl, warum dies Bergland gerade die sächsische Schweiz heißt.
Als wir fertig geschrieben hatten, war uns noch eine Stunde übrig bis zur Ankunft des Zuges, der uns nach Bodenbach nehmen sollte, und da es so schön war, wollten wir sie noch ausnutzen und gingen das Elbtal aufwärts und gelangten auch nach nicht langer Zeit an die nächste Station Niedergrund, wo ich meinen Brief aufgab und wo uns auch bald der Zug einholte, mit dem wir nach Bodenbach fuhren. Wir hatten erst in dem gegenüberliegenden Tetschen übernachten wollen, da wir aber den anderen Tag früh drei Uhr 26 Minuten weiterzufahren gedachten, ließen wir uns bereden, in Bodenbach im Hotel zur Post, wo zu jedem Zug auf Verlangen geweckt wurde, zu übernachten, ungeachtet das Nachtlager einen Gulden kostete.
Um halb drei standen wir dann auch auf. Der Morgen begann zu grauen und das Schloss von Tetschen sah in der Dämmerung zu uns herüber. Wir machten uns bereit und gingen auf den Bahnhof, wo wir unsere Billets lösten. Etwas unheimlich wurde mir bei der Kreuzerrechnung und in dem Gewühl auf dem Bahnhof zumute, und als Schnedermann kurz vor Abfahrt des Zuges erzählte, er sei um zwei Gulden geprellt und zurücklief, um es sich wiedergeben zu lassen. Er kam aber noch zu rechter Zeit mit dem wiedererbeuteten Gelde zurück, und so ging's dann vorwärts. Es ist nach Prag noch weiter als man sich denkt. Der Zug brauchte von Bodenbach noch volle vier Stunden. - Wir fuhren zuerst durch eine höchst romantische Gegend, durch das Elbsandstein- und das böhmische Mittelgebirge; nachher wurde es eintöniger und wir fuhren durch eine Hügellandschaft, bis wir nach sieben Uhr den Turm von St. Veit erblickten und einige Minuten später die Heilige Stadt an der Moldau begrüßten.
…
[2] 6. Strophe des Liedes
Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus
[3] Ballade von Harras, den kühnen Springer
[4] Bahnstrecke Dresden-Decín
[5] Felsentor im Elbsandsteingebirge
[6] Erinnerungen Teil 4 (Leipzig), Kapitel 5 und 6
[7] Herrnskretschen, heute: Hrensko, ist das Tor zum Nationalpark Böhmische Schweiz.
[8] Bodenbach, heute: Podmokly, ist ein Stadtteil von Tetschen (Decín).
[9] Das Tetschner Schloss, heute: Schloss Decín, befindet sich auf einem Felsriegel nahe der Elbe im Stadtgebiet von Decín (Tetschen).