Reise nach Prag 1872
Zwei Briefe
Zweiter Tag in Prag und Rückreise
An andern Morgen bezahlten wir unsere Zeche und gingen noch etwas in der Stadt herum. Wir genossen noch einmal den herrlichen Anblick vom Franzens-Quai aus, besuchten die Kreuzherrenkirche, die auch eine Kuppel hat, überhaupt, im verkleinerten Maßstabe, der Nikolauskirche, auch an Pracht der Ausstattung, ähnlich ist, nur dass ihre Gestalt die eines griechischen Kreuzes ist. Von da gingen wir noch einmal auf die Kleinseite und besuchten die Loreto-Kapelle im Hofe des Kapuzinerklosters. Dieselbe ist 1626 von einer Fürstin Lobkowitz erbaut worden nach dem Muster der Santa Casa in Ancona, und zwar dergestalt, dass auch der Schaden, den ein einschlagender Blitz in derselben verursacht hat, so wie die fragmentarische Gestalt der Fresken nachgebildet ist. Wir gingen dann noch auf den Hradschin, um noch einmal die Aussicht auf die Stadt zu genießen; es war freilich heut etwas neblig, sagten dem Dom Lebewohl und gingen dann, da zehn Uhr herannahte, dem Clementinum zu, da wir noch nicht wussten, dass die Juristenfakultät ihren Sitz im Carolinum hätte. Ein Student, den wir fragten, wo die Promotion stattfände, führte uns nach dem Carolinum auf der Eisengasse, die zum Glück dem Bahnhof viel näher liegt. Kurz vor dem Carolinum holte uns der erzbischöfliche Wagen ein und ich konnte Se. Eminenz drin sitzen sehn. Als der Wagen in die Universität einfuhr, bliesen die dort aufgestellten Spielleute einen Tusch und Alles strömte hinauf nach dem Promotionssaale, so dass wir schon keinen Platz mehr finden konnten. Wir sahen aber die Gestalt des ersten Redners, wahrscheinlich des Dekans der Juristenfakultät. Er sprach lateinisch und wir hörten heraus, wie er erst einen Lebensabriss des PromovendenEin Promovend ist eine Person, die einen Doktorgrad anstrebt.Klick für Wikipedia [12] und eine Lobrede auf ihn gab, hernach den Kardinal anredete. Derselbe sprach sodann. Wir machten lange Hälse, um ihn zu sehen; endlich gelang es uns. Er sah sehr einfach aus, trug ein Tonsurkäppchen und eine einfache Priesterkleidung, deren Farbe wir in der Entfernung nicht unterscheiden konnten, und sein einziger Schmuck war eine goldene Kette. Ich glaube auch den rector magnificus gesehen zu haben. Der, den ich dafür hielt, saß wenigstens auf einem erhöhten Sitz, trug aber nicht Purpur und Hermelin, sondern eine Art Beamtenuniform.
Als wir den Erzbischof gesehen, war unser Zweck erreicht und wir drängten uns heraus, um mit diesem akademischen Eindruck, indem uns des Erzbischofs Stimme in den Ohren klang, Prag zu verlassen. Erst hinterher erfuhren wir, dass wir in demselben Saal gewesen, in dem Johannes Hus seine Disputationen gehalten hat. - Wir wären beinah sitzen geblieben, denn auf dem Wege nach dem Bahnhof merkten wir, dass unser österreichisches Geld zur Fahrt nicht mehr ausreichen würde. Wir gingen deshalb in einen Bäckerladen, um etwas zu kaufen und dabei einen Thaler wechseln zu lassen. Die Frau wollte aber von Wechseln nichts wissen, deshalb gingen wir in eine Kneipe, tranken jeder ein Glas Pilsener Bier und ließen uns wechseln. Schnedermann wollte sich etwas zum Essen auf den Weg nehmen, da dasselbe aber über Erwarten teuer ausfiel, behielt schließlich jeder von uns noch zwei Kreuzer weniger übrig als das Billet von Bodenbach gekostet hatte. Dazu gingen wir zuerst dorthin wo wir angekommen waren, wo der Zug aber nicht abging. Wir rannten dann eilig auf die richtige Seite. Der Schalter war noch offen, es war aber die höchste Zeit. Zum Glück waren die Billets über alle Erwartung billig, da der Zug ein entsetzlicher Bummelzug war. Der Billeteur trieb uns selbst zur Eile: Nehmens Ihr Geld und machens, dass zum Tempel nauskommen.
Wir rannten, kamen aber noch zurecht und kehrten den Rücken einer der schönsten und interessantesten Städte der Welt, doch froh, dem österreichischen Gelde entkommen zu sein.
Auf der mehr als sechsstündigen Fahrt hatten wir Zeit, uns die Gegend noch genauer anzusehen. Wir passierten Melnik, konnten aber die Mündung der Moldau in die Elbe nicht sehen, ferner Theresienstadt, Leitmeritz und Lowositz. Von Theresienstadt an wird die Gegend schön. Die Eisenbahn muss viele Windungen durch die Berge hindurch machen und geht fast fortwährend neben der Elbe her.
Endlich nach fünf Uhr kamen wir in Bodenbach an. Wir wollten noch bis Schandau fahren. Bis der Zug dorthin abging, hatten wir noch fast zwei Stunden Zeit. Wir gingen also über die Elbkettenbrücke hinüber nach Tetschen und restaurierten daselbst unseren Magen. Den schönen Schlossgarten anzusehen erlaubte leider unsere Zeit nicht mehr. Wir fuhren dann in dem schönen Elbtal weiter, passierten Herrnskretschen und kamen noch bei guter Zeit in Schandau an. Wir ließen uns über die Elbe setzen, gingen in einen, Schnedermann schon bekannten Gasthof, wo wir noch im Freien am Abhang mit der Aussicht auf die Elbe unseren Schoppen tranken und dann bald uns schlafen legten. Freitag früh wollten wir nun mit dem Dampfschiff die Elbe abwärts.
Es war ein schöner Morgen, freilich um sechs Uhr, als das Dampfschiff abging, noch ziemlich kalt. Wir hüllten uns fest in unsere Plaids ein. Die Elbe dampfte. In Rathen stiegen wir ans Land, um noch, bis zum nächsten Dampfschiff, eine kleine Partie zu machen. Wir gingen durch den Amselgrund bis zum Amselfall und dann hinauf auf die Bastei, wo wir uns an der herrlichen Aussicht erfreuten. Dann gingen wir durch den Uttewalder Grund abwärts. Derselbe ist sehr wildromantisch, stets sehr eng, an einigen Stellen kaum einen Klafter breit. Wir verfolgten den Grund bis zum Felsentor, gebildet durch einen anscheinend herabgefallenen Felsblock, der aber, da die Schlucht unten enger wird, in einer solchen Höhe sitzen geblieben ist, dass ein großer Mann durchgehen kann. - Zurückkehrend erreichten wir Wehlen, wo wir um halb zwölf mit dem Dampfschiff weiter fuhren, das uns halb zwei Uhr in Dresden absetzte. Schade war's, dass wir so am Ende auf dem Dampfschiff fuhren. Ich war durch die Menge dessen, was ich schon gesehen, etwas übersättigt, so dass mir die Fahrt nicht das Vergnügen machte, das sie mir wohl am Anfang der Reise gemacht haben würde. Schnedermann nahm mich nach Hause mit und es wurde uns noch nachträglich aufgetischt. Wir mussten nun tüchtig erzählen. Nachmittags gingen wir fünf Mann hoch, beide Gebrüder Schnedermann und ihre beiden Schwestern und meine Wenigkeit durch die Stadt in den großen Garten
spazieren. - Sie wollten mich bis Sonntag da behalten, aber das ging nicht gut. Es war Zeit, dass ich wieder zurückreiste und ich war auf ein Bleiben, zumal sonntags, gar nicht eingerichtet. Meine Wäsche sah in Folge der Reise ins Land der Tschechen zwar nicht eben slowakisch aus, aber sauber konnte man sie auch nicht eben mehr nennen, und nur um nicht ungezogen zu sein, blieb ich noch bis Sonnabend. Es ist eine ganz nette Familie, die Schnedermannsche, von einer patriarchalischen Frömmigkeit: Er ist leidend, aber trotzdem Herr im Hause, wie mir scheint ein strenger Mann, bei dem man, wenn man mit im spricht, die Worte wägen muss. Sonnabendvormittag gingen wir in das Mengssche GypsmuseumDie Mengssche Abgusssammlung ist eine Skulpturensammlung von Werken, die Anton Raphael Mengs (1728-1779) während seines Aufenthaltes in Rom zusammengetragen hat. Heute ist sie ein Bestandteil der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.Klick für Wikipedia [13]. Nachmittags fuhr ich ab und war gegen sechs Uhr wieder in Leipzig. Der Prinz war nicht zu Hause. Ich fand einen Brief von Onkel Bernhard vor, der dieser Tage Leipzig passieren will. Abends ging ich in die Vorbereitung zur Sonntagsschule und sah, wie gut es war, dass ich wieder da war, denn es fehlten viele von den Katecheten. Als ich abends nach Hause kam, war Jentsch immer noch nicht da und kam erst später nach Hause. Er war bei seinem Onkel in Reudnitz gewesen, bei dem HarleßAdolf Harleß, (1806-1879) war ein lutherischer Theologe und ein Mitbegründer der sogenannten Erlanger Schule.Klick für Wikipedia [14]
logierte. Derselbe ist noch in Leipzig oder vielmehr in Reudnitz, und da hatte er von demselben sich viel erzählen lassen.
Sonntagvormittag in St. Jacobi bei Michaelis, der über den apostolischen Segen predigte. Hernach Sonntagsschule in Thonberg. Ich hatte diesmal die Gruppe Mädchen, die im Allgemeinen besser aufpassen als die Jungen. Nachmittags war ich bei Kahnis und erzählte ihm von meiner Reise. Sie konnte ich nicht sprechen. - Nachher machte ich mich an vorliegenden Brief, an dem ich bis heute, Montag schreibe. - Abends suchte ich den eben angekommenen Schnedermann auf. Derselbe lässt sich bestens empfehlen. - Nun geht es wieder in die Kollegia. - Ich hörte schon bei meiner Ankunft, dass ein recommendierter BriefWenn ein Brief besonders nachgewiesen werden sollte, dann musste er mit recommandirt oder empfohlen beschriftet sein. Dem Absender wurde ein Einlieferungsschein ausgestellt und die Ablieferungsbescheinigung zugestellt.Klick hier für Wikipedia [15] von Vatern gekommen sei. Ich habe ihn aber noch nicht erhalten, da der Postbote mich noch nicht zu Hause getroffen hat. Sie könnten doch den Brief dann auch auf der Post liegen lassen, da sie sich denken können, dass ein Student nicht zu Hause zu treffen ist. Hoffentlich kriege ich ihn bald.
Da ist nun in diesen Tagen der Kleinenseine beiden Brüder, die Zwillinge Jonathan und Julius [16] ihr Geburtstag gewesen und ich bin noch nicht dazu gekommen, ihnen etwas auszusuchen geschweige zu schreiben. Sie sollen mir deshalb nicht böse sein. Bitte, richte ihnen inzwischen meine Glück- und Segenswünsche aus. Heut oder morgen will ich noch an sie abschicken. Nun lebe wohl. Ich habe dir einen langen Brief geschrieben; er wird wohl trotz des Schreibpapiers doppelt werden. - Die ganze Reise hat mich übrigens doch Alles in Allem gerechnet 20 Thaler gekostet.
Grüße den lieben Vater und alle Geschwister herzlich von mir.
Stets derselbe
Dein gehorsamer Sohn
Johannes
[13] Die Mengssche Abgusssammlung ist eine Skulpturensammlung von Werken, die Anton Raphael Mengs (1728-1779) während seines Aufenthaltes in Rom zusammengetragen hat. Heute ist sie ein Bestandteil der Skulpturensammlung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden.
[14] Adolf Harleß, (1806-1879) war ein lutherischer Theologe und ein Mitbegründer der sogenannten Erlanger Schule.
[15] Wenn ein Brief besonders nachgewiesen werden sollte, dann musste er mit recommandirt oder empfohlen beschriftet sein. Dem Absender wurde ein Einlieferungsschein ausgestellt und die Ablieferungsbescheinigung zugestellt.
[16] seine beiden Brüder, die Zwillinge Jonathan und Julius