Shahin – in der Revolution verschollen
Frühjahr 1977. Auf den Straßen Teherans herrschte Krieg. Mann gegen Mann. Auto gegen Auto. Auto gegen Mann. Jeder drängelte, schubste, hupte im schrillen Diskant, rempelte, brüllte aus geöffnetem Fenster, beleidigte den Anderen so gut es ging. Taube Ohren, Nerven wie Stahl - sind die Iraner nicht ein altes, kriegerisches Eroberervolk? Schrille Schreie ausstoßend, mit den Armen rudernd, in gewollte Richtung zeigend, stürzten sich Menschen geballt auf den Fahrdamm, sobald sich in der Ferne eine Taxe näherte. Der Driver, falls frei, hielt kurz an, und wenn das erwünschte Fahrziel in einer von ihm bevorzugten Richtung lag, ließ er einen oder mehrere Fahrgäste einsteigen. Wenn nicht, fuhr er ungerührt davon, und die Zurückgelassenen stürzten sich von neuem ins Abenteuer der Taxensuche. Es fuhren auch Busse, doch die wollte niemand, weil nicht fein genug für den verwöhnten Geschmack der kultivierten Perser.
Teheran schien mir wie eine riesige, staubige Baustelle. Man zog Wohnungen hoch im Akkord, denn abertausende Arbeitswillige strömten aus dem Umland in die Hauptstadt, hoffend auf das bessere, modernere Leben. Mein Hotel war erst im Werden, da hämmerte es an vielen Wänden, nachts fauchte die gestörte Klimaanlage, Schlaf war Glücksache. Die Augen des Geheimdienstes Savak ahnte man überall, auf den Besitz kleinster Drogenmengen stand der Tod. Von den Wänden leuchtete das Antlitz des Herrschers. Der Märchenkaiser, Lesern der bunten Presse wohlbekannt, wegen der schönen Soraja – die aber war verbannt worden, weil sie keinen Erben gebar. Dafür nun die nicht minder schöne Farah Diba als dritte Ehefrau des Märchenkaisers, die sich pressewirksam um die Belange der Frauen kümmerte, so hatte sie den Shador verboten, iranische Frauen sollten sich europäisch kleiden.
Mohammad Reza Schah Pahlavi Schahinschah war der letzte Herrscher auf dem Pfauenthron. 1967 besuchte das Kaiserpaar die Bundesrepublik Deutschland, die Visite war überschattet vom Tod des Studenten Benno Ohnesorge. Reza Pahlewi versuchte, sein Land zu modernisieren und dem Westen zu öffnen. Er holte sich Wissenschaftler, Techniker und Fernsehleute ins Land. Aber am 11. Februar 1979 hat die islamische Revolution mit Ajatollah Khomenei den Schah gestürzt und aus dem Land getrieben. Aus der Märchentraum.
Mein Gastgeber war ein Mann, der seinen Millionen Fernsehzuschauern etwas Neues, Fremdes bieten wollte, Dokumentarfilme aus Europa! Amerikanische Schnulzen kannte man, auch Sexfilme, aus denen alles, was nach Sex aussah, herausgetrennt worden war. Aber die freie Natur, Tierwelt, Evolution, der Blick ins Allerkleinste – das war im Lande der Perser neu und ungewohnt. Andererseits hatte der gütige Schah allen Schulen im Lande schöne Grundig-Fernseher geschenkt, und die mussten gefüttert werden. Dr. Hossein Seradj leitete das Wissenschaftsressort im Nationalen Iranischen Fernsehen. (NIRT) Seine schwarz schimmernden Augen machten Frauen schwach, und er wusste es. Seine Manieren untadelig, sein Englisch mit dem aparten Akzent perfekt. Er hatte nichts einzuwenden gegen private Zuwendungen seiner Gastgeber, die mit Geld und Gütern sein Wohlwollen fütterten, um sich später in der Kooperation mit der fremden Macht zu sonnen.
Die Springbrunnen vor dem imposanten, gelbroten Fernseh-Hochhaus am Außenrand Teherans besprühten frühe Blumenrabatten. Ich betrat ein Gebäude, das den Geist französischer Eloquenz atmete. Im automatischen Fahrstuhl hockte stumm ein Mann auf kargem Stuhl und drückte den Knopf für den verlangten Stock – Arbeitsbeschaffung. Im Büro des Doktors mit imposanten Globen und ausgestopften Tieren und Serengetibildern: drückte man auf den weißen Knopf des Siemens-Telefons, bekam man keine Verbindung, aber den dienstbaren Geist zu sehen, der schweigend das Tablett mit Teegläsern und Zucker absetzte. Schreibmaschinen habe ich nirgends gesehen.
Die jungen und hübschen Fernseh-Damen in weißen Blusen und ohne Shador gingen unbekannten Tätigkeiten nach und schwatzten ihr schnelles Persisch mit tizianrot bemalten Lippen. Betrat ein Mann den Raum, erhoben sich die Damen und gingen rückwärts zur Tür hinaus. Draußen hörte man sie kichern. Zu Gesprächen waren sie ebenso wenig bereit wie Shila, die Sprecherin, deren unbewegt schönes Gesicht einem Museum gut angestanden hätte. Sie pflegte im teppichbelegten Studio an kostbaren Einlegetischen Gäste für die Sendung vorzustellen. Es geschieht dem Fremden selten, dass der Perser ihm Herz und Haus öffnet. Mir war feierlich zumute in der Etage, die Dr. Hossein Seradj mit Frau und Schwägerin bewohnte. Persisch-durchbrochene Stilmöbel und Paravents, gestickte und geknüpfte Teppiche, Ruhekissen, bronzene Kandelaber. Die Hausfrau mit dem geschwungenen, dunkelroten Mund und den samtenen Augen, die an alte Gemälde erinnerten. Hier und da lachte sie graziös über eine gelungene Pointe, rekelte sich in sanfter Sinnlichkeit, sprach über die und jene Story, der man so begegnet im Land der Rätsel. Die Schwester, selbstbewusst in ihrer amerikanischen Schulung der Volkswirtschaft, entsprach eher dem Bild der neuen
Frau des Orients. Ich genoss den leuchtenden Safran auf dem Zwiebelreis, die unendlich süßen Klebrigkeiten, den starken Kaffee. Was lag näher als die Ghaselen des allseits verehrten Dichters Hafis, die von der Liebe handeln und von der herrlichen Natur. Da war es nahe zum Westöstlichen Diwan des Alten in Weimar. Der Islam, der sich abzeichnende militante Fundamentalismus im Lande wurde mit keiner Silbe erwähnt, nicht einmal der Herrscher auf dem Pfauenthron, sein Arbeitgeber.
Seelisch gestärkt suchte ich den Weg in mein lautes Hotel – und fand nach kargem Frühstück pünktlich um 9 zwei kichernde Damen im Foyer, die den Blonden zu entführen trachteten. Monir, schmal und zart, Shahin, rundlich und streng. Mit kreischenden Rufen fanden die Damen ein Taxi, das uns durch die Stadt ins Viertel des Bazars brachte. Im weiten Park ruht dort der Golestan-Palast, das Herrscherhaus der vertriebenen Kadscharendynastie. Muntere Reden führend, geleiteten mich die Damen durch Treppenhäuser und Gemächer, in denen die Arbeiter Hand anlegten zur Restauration des Stucks in weiß und blau. Wandhohe Spiegel , Statuen, Porzellane. Unter Vitrinen die kunstvoll-kitschigen Geschenke europäischer Fürstenhäuser, auch eine sehenswerte Miniatureisenbahn von Queen Victoria (oh die hätte ich aber gern!) Fotografieren verboten, strenge Soldaten hinderten am Betreten des geheimnisvollen Harems, der den Damen lächelnde Kommentare entlockte. Schulklassen lärmten, eine frühe Sonne vergoldete den Park, Vogelschwärme erhoben sich in den blauen Himmel. Wir tauchten in die duftenden Tiefen des Bazars. Beturbante Bartträger blickten zornig auf die Troika aus Persien und Europa und dachten deutlich an Perversitäten und schlimmeres. Kaffee gab's nicht, dafür Safran und andere duftende Gewürze, ein frugales Mahl aus Reis, Schischkebab, Riesenzwiebel und Joghurt, zum Trinken Wasser, wie es sich bei Mohammed gehört. Ich erwerbe ein halbes Pfund des duftenden Safrans. Meine Damen lehnen es ab, im Bus zu fahren, zu dreckig, kreischen nach Taxi. Wohin? In ein Kino, stinkender Palast mit halbmeterhoch liegenden ausgespuckten Pistazienschalen. Der grausliche, synchronisierte US-Film über eine Frau, die leben will, wir flüchten. Wandeln im großen Park gegenüber, ich fotografiere meine scheuen Schönen. Shahin muss nach Hause, die rehschlanke Monir wandert mit mir händchenhaltend und in hakeligem Englisch ins Hotel, aber da geht nichts, also in die Bar. I need Sex
murmelt sie, sie habe Freunde und sei keine Jungfrau, aber die alten Eltern seien streng und ließen sie abends nicht aus dem Haus, sie sei gern allein, male und dichte. Im Taxi eilt sie unter Liebesgemurmel nach Hause.
Khodadad im Stadtteil Kocheh liegt am Rande Teherans. Ein betonstaubendes, unendlich hässliches, kahles Neubauviertel. Hausgerippe, hier und da bewohnt. Im Parterre die gedrängt volle Wohnung der Rahimis, Shahins Eltern. Vater ein leidender Patriarch, strenge Worte werfend nach den Frauen und Mädchen, die barfuß ins Zimmer traten. Das verkümmerte Dienstmädchen brachte dem Alten die Wasserpfeife. Die Küche hinter durchbrochener Holzwand. Dort bereiteten die Frauen unter munteren Reden und Gelächter das reichhaltige Essen auf vielen Tellern und Platten. Zeigten dem Fremden stolz ihre hübschen Handarbeiten und bunten Hochzeitsbilder. Erwärmende Gastlichkeit. Offenen Mundes lauschte der Patriarch dem Fernseher mit einem US Krimi. Shahin zog mich an einen Holztisch und versuchte, mir das unendlich schwierige altpersische Kampfspiel Takhteh-Nard
beizubringen. Man braucht zwei Würfel und viele runde Holzscheiben dazu. Ich verstand wenig. Mit Monir wanderten wir über Sand und Steine und Teerklumpen durch die deprimierende Neubaulandschaft. Monir erzählte vom zukünftigen Gatten, den ihre Mutter nicht mochte, weil er nicht studiert hatte, im Iran die Voraussetzung eines standesgemäßen Lebens. Im kahlen Treppenhaus führte Shahin mich in ein unbewohntes Geschoss, wo Ratten huschten und der Wind mit Holzlatten klapperte. Ich tanze für dich, murmelte sie, wirst du es verstehen ohne Musik? Graziös schwang sie die weißen Arme, verdrehte sie zur orientalischen Gebärde. Wie ein freundlicher Geist brachte sie ein Licht in das dunkle Gemäuer, ließ das Hässliche schwinden, verzauberte. Da kreischte es von unten: Shahin! Der Vater will dich sehen, eil dich. Der Zauber blieb.
Hossein bezahlte ein paar Münzen für die Autobahngebühr, und wir fuhren im bequemen Mercedes (den meine Firma ihm in Hamburg gekauft hatte) durch das traumschöne Gebirge, durch Schründe ohne Halm und Busch, am Schotter der Wildflüsse entlang, grüßten einen Bauern am Wege und hielten am berühmten Staudamm, der den Sefid-Rud aufstaut, mit dem Ergebnis, dass der Fluss unterhalb des Damms nur wenig Wasser führt, schlimm für die wandernden Fische. Es wurde feuchter und wärmer. Das Grün der Vegetation saftiger, doch nirgends eine Blüte. Am frühen Nachmittag erreichten wir die Kleinstadt Rasht und rutschten über schlammige Wege zur Außenstelle des Senders. Ali hatte den Tee bereit und freute sich über den hohen Besuch. Zum Schlafen ging man in ein altes herrschaftliches Haus im Park, es strömte einen stechenden Uringeruch aus und die sanitären Anlagen mussten aus der industriellen Frühzeit stammen. Unter dem Quirilieren der Parkvögel schlief ich fest und begrüßte morgens ein Huzzelmännchen, das Eier, Brot, Honig und Milch brachte.
Der Seenforscher Dr. Emadi lud uns zu einem Essen mit Bier, Wodka und Esslöffeln voller Molosol-Kaviar, der zum Singen einlud. Und ich dachte an den kaviarliefernden Stör, der hier auf der persischen Seite des Kaspischen Meeres in akuter Gefahr schwebte, bald auszusterben, wenn nichts zur Erhaltung geschah. Natürlich wollte auch der Schah nicht auf den devisenbringenden Export des berühmten Kaviars verzichten, und so hatte man 20 Minuten südwestlich von Rasht Sangar
errichtet, ein modernes russisches Unternehmen zur Wiederbelebung der Störbestände durch künstliche Besamung und Aufzucht. Laut deklamierend empfing ein Boss namens Faris-Pak uns mit Tee, Kuchen und Orangen. Führte redend umher in den Besamungsstellen der Störe, Weißfische und Lachse. Redete über die Erfolge der letzten 5 Jahre und die Kosten. Wie das Schicksal der Störe aussehen wird, wusste niemand, denn die Tiere haben einen Lebenszyklus von 20 Jahren. Weniger appetitlich das Öffnen der weiblichen Störe zur Entnahme der Eier, das Zusammenrühren von Eiern und Samen in bunten Schüsseln.
Mit Segenswünschen versehen, fuhren wir weiter in den Hafenort Bandar Pahlewi, der einst bessere Tage gesehen hatte. Fast ehrfürchtig stand ich am sandigen Ufer des Kaspischen Meeres, lauschte den Vogelstimmen und sah nach den leise wandernden, braunen Schildkröten.
Am Holzsteg, ein paar hundert Meter weiter im Inland, warteten zwei Boote mit starken Außenbordmotoren und müde wirkende, uniformierte Ranger. Man hockte sich ins Boot, die Ranger gaben Gas und wir rauschten über die weite Wasserfläche, am Horizont das gelbgrüne Meer des Schilfs. Niemand hatte sich warm angezogen, und jeder zitterte vor Kälte im scharfen Fahrtwind. Wachttürme tauchten auf, Holzboote lagen gestapelt an den Ufern, ein paar Enten.
Ich versuchte zu rekapitulieren, was ich erfahren hatte über das Feuchtgebiet Mordab, das wir eben durchfuhren, vor allem durch die Arbeiten des Engländers und Irankenners F.A. Harrington. Er hatte erkannt, dass Iran eine Station für rastende und überwinternde Zugvögel der West-Sibirien-Kaspi-Nil-Populationen ist. Deshalb entstand 1971 die berühmte Ramsar-Konvention zum Schutz der Feuchtgebiete
. Das alte Städtchen Ramsar liegt 150 km von Bandar Pahlewi entfernt im Wald dicht an der Küste des Kaspischen Meeres. Dort werden vor allem Watvögel beringt. Der Druck auf die Vogelwelt durch starke Bejagung von Privatleuten war besorgniserregend. Aus der Mittwinterzählung 1974-75 ergaben sich folgende geschätzte Bestandszahlen für den Mordab: Bläßhühner 14 000, Enten 10 000, Krickenten 90 000, Spießenten 19 000. Ornithologen beobachteten Schwärme von Zwerggänsen (Anser erythropus), Höckerschwänen (Cygnus olos), überwinternden Kranichschwärmen (Grus grus). Zahlreich war noch das Chukar Huhn (Alectoris chukar), das Rebhuhn (Perdix perdix), die Wachtel (Coturnix coturnix). Als heimisch im Iran bezeichnet wurden 490 Vogelarten.
Das Mordab ist rund 140 Quadratkilometer groß und bedeckt mit dem charakteristischen hohen Schilf (Phragmites communis), das auch als Futter geschnitten wird. Ein reiches Studienfeld für Botaniker und Liebhaber des Grünen: Wassernuss (Trapa natans), Wasserlinse (Lemna), Wassernabel (Hydrocotyle), Wasserschraube (Valesneria), Froschbiß (Hydrocharis), Hornblatt (Ceratophyllum), Tausendblatt (Myriophyllum) und der Liebling aller Dichter: Lotus (Nelumbium).
Ich musste Mordab auf den Film bannen. Früh am Steg warteten wieder die Guards. Aus dem trockenen Holz beschlagnahmter Schmugglerboote machten sie ein wärmendes Feuer im Windschatten des Wärterhauses. Aus Teheran war strenger Befehl gekommen: Alle Guards hatten wohlrasiert zu sein und ihre schicken dünnen Sommeruniformen, ohne Mantel, anzuziehen. Nun trugen sie, für das Fernsehen, glatte, blaugefrorene Gesichter, doch niemand wagte eine Beschwerde. Gegen geringes Entgelt mimten für uns zwei arme Fischer die bösen Schmuggler. In alter Tatortmanier wurden sie von wildblickenden Guards durchs rauschende Schilf verfolgt, gestellt, gefesselt und abgeschleppt. Eine Krimistory in 13 Einstellungen. Die Kommunikation Regie-Kamera lief über Handzeichen und Gebrüll, denn Walki-Talkis waren aus militärisch-geheimdienstlichen Gründen streng untersagt. Das Paddeln in der starken Strömung wurde zu einem harten Job. Alle hielten sich tapfer, ob auf Befehl oder aus Begeisterung, blieb offen. Die Guards jedenfalls kamen sich vor wie Westernsheriffs.
Auf der Suche nach den chemiebeladenen Zuflüssen Richtung Selkeh gefahren. Straßenkarten gab es so wenig wie Schilder oder Ortskenntnisse. Befragte Leute wussten nichts, oder sagten nicht, was sie wussten, wie beim Geheimdienst. Wir irrten Stunden durch eine übersonnte Bilderbuchlandschaft mit sanften Wiesen, Buschland und Wald, auf kleinen Reisfeldern weideten Pferde, hier und dort ein freundliches Bauernhaus mit sauberem Strohdach, iranisch der Stil mit weißer, überdachter Veranda. Aber niemand redete. Auf den Wasserflächen große Vogelschwärme, doch als der Kameramann sich hoffnungsfroh anschlich, flog alles laut rufend auf.
Nach dem Kaspischen Meer und dem Feuchtgebiet musste ich in die Wüste. Ortswechsel also in den Süden Teherans, Shahin war mit von der Partie. Erinnerungen werden wach. Mir geschah es im Wagen auf der holperigen Fahrt in die alte Salzwüste Kavir. Bilder schoben sich darüber von der Staubstraße von Windhoek nach Gobabeb zu den roten Dünen der Namib. Die Wüsten dieser Erde rühren mich an mit ihrer unerklärbar stillen Faszination, mit ihrer wuchtigen Kraft der Imagination. Wüsten ließen Religionen entstehen.
Unser Wagen hielt am Straßenrand. Laster dröhnten vorbei auf ihrem Weg nach Kashan. Mein Fachberater Wüstengeologe Dr.Kardavani holte die Thermosflasche aus dem Fach und goss heißes Wasser über die Teeblätter in der Kanne. Zucker dazu. Herrlich erfrischend. Shahin reichte das Fladenbrot und den trockenen Käse, die Oliven. Achten Sie auf die Randgebirge drüben, sagte Kardavani im guten Deutsch, das er in Göttingen lernte. Ich bin mit der Wüste verheiratet. Die Gebirge dort, das sind weiche und a priori salzhaltige Gesteine. Das ober- und unterirdisch abfließende Wasser nimmt Salz mit und lagert es beim Verdunsten ab. So sind die Kavire, Irans Salzwüsten, entstanden.
Er zog ein Satellitenfoto aus der Tasche. Hier in der Mitte sehen Sie das strahlend weiße Rund des Daryatsche-ye-Namak, das ist der große Salzsee, eine abiotische Salztonfläche, die sich in der feuchten Jahreszeit in einen tückischen Salzsumpf verwandelt. Niemand weiß, wie viele Karawanen darin schon versunken sind, auf Nimmerwiedersehen.
Ein gespenstisches Bild, es erinnerte mich an eine Stelle bei Karl May.
Einfahrt in Ghom, die heilige Stadt, die Stätte der Moscheen. Vorsichtig um sich schauend, führte Kardavani uns in die riesige, unvorstellbar schöne Hauptmoschee und deutete an: Fotografieren Sie, aber schnell! Solch eine Profanierung ist verboten; der Islam verbietet auch in seinen Gotteshäusern die Abbildung von Gesichtern, manchmal aber haben Künstler Gesichter versteckt in den Arabesken. Zehn Fotos hatte ich geschafft, dann schob der Wagen sich wieder durch enge Gassen. Schwarz verschleierte Frauen wichen aus, schüttelten die Fäuste, schrien etwas, das nicht nach Liebe klang. Wer ahnte, dass hier bald die Hölle der Revolution losbrechen würde, mit noch mehr schwarzverschleierten, schreienden Frauen?
In Kashan findet sich die Wüstenstation mit Kardavanis Labor und Basis für Exkursionen mit den Studenten. Kardavani drängte zum Aufbruch in die Wüste. Seinen Jeep dirigierte er wie ein Akrobat im Auf und Ab der rutschigen Sandpisten. Auf dem Dach festgezurrt die Stahlmatten, notwendige Hilfsmittel im mahlenden Sand. Der Geologe dozierte stehend auf der Düne: Das ist eine klassische Barchane, eine Sicheldüne. Ihre konvexe Seite weist der Windrichtung entgegen, der Steilhang liegt an der Leeseite. Wir kennen hier geschlossene Dünenfelder im reinen Sandgebiet und Dünen, die über weite Flächen wandern.
Daneben wie aufgereiht mit gleichen Abständen die Löcher der Qanats. Foggara sagen die Araber. Seit 25oo Jahren kennt man die endlosen unterirdischen Stollen, die das Grundwasser sammeln und zur Bewässerung bereitstellen. Männer steigen ein und reinigen die Röhren vom Sand, werden oft verschüttet. Hier gäbe es keine Landwirtschaft, keine Kultur ohne die Qanats. Aber sie verfallen. Schuld daran sind die neuen Tiefbrunnen, die zur Versalzung führen. Moderne Technik, lehrte Kardavani, ist in diesem alten Lebensraum vom Übel.
Weiter fuhren und rutschten wir alle lehrend und hörend auf der alten Seidenstraße, begegneten den würdigen buntgeschmückten Kamelen mit ihren klingenden Glöckchen, wie sie gemessenen Schrittes in der langen Karawane gehen, zur nächsten Karawanserei, manche davon 400 Jahre alt, wie Burgen im Sand. Dicht an die Dünen geschmiegt und in Sichtweite des großen Salzsees liegt die Karawanserei Maranjob. Architekt Hariri ließ sie im Auftrag des Schahs ausgraben und aufwendig restaurieren. Monatelang schaufelten die Arbeiter den meterhohen Schutt, gemischt mit Kameldung, aus den weiten Gewölben und dem Innenhof. In den meterdicken Mauern sind Nischen eingelassen, in denen schliefen die Kamelführer beim Schein der Öllampen deren Ruß noch die Wände färbt. Ein Museum sollte Maranjob werden, eine Begegnungsstätte von Wissenschaftlern aus Europa und dem Iran. Kaiserin Farah Diba hatte das Patronat übernommen. Schüler servierten den Tee auf bunten Teppichen. Kamele standen wie scharf geschnittene Silhouetten gegen den Himmel. Mühelos träumte ich mich in die Welt der Seidenkarawanen, in die Zeit, da Tier und Mensch hier lagerte im Schutz der Mauern, die noch manche Kugel aufwiesen von Kämpfen der Vergangenheit.
Wir haben später eine hübsche Szene gedreht, in der ein grauweißer Waran (Varanus griseus caspicus) genüßlich eine Springmaus verspeist. Der Zoologe Balooch redete wie ein Bilderbuch über den kleinen Wüstenfuchs (Vulpes cana), die kaninchenjagende Schlange (Vipera lebetina) und die Geier (Gyps fulvus und Neophron percnopterus). Derweil betrachteten wir eine Schule von unbekannten, stichlingsgroßen Fischlein im schmalen Wasserlauf, der durch die Mauer der Festung ins Freie floss. Wie sie dahin kamen? Karawansereien sind die Hiltons der Wüste
, scherzte Kardavani beim Einsteigen. Zu Abend aßen wir mit zwei iranischen Studentinnen, die fleißig Bauernmünder betrachteten, denn ihre Doktorarbeit handelte von den Zahnerkrankungen der örtlichen Bevölkerung.
Auf Anordnung des Schahs wurden 600 000 Hektar der Kavir zum Nationalpark erklärt: A-Habitat von Wüsten und Gebirgen
. Eines der zehn Wüstenreservate des Iran. Teile der Wanderdünen wurden mit Pflanzen befestigt. Ein für acht Jahre verhängtes Weideverbot genügte, um Arten wie Haloxylon ammodendron und Stipagrostis plumosa, das Futtergras, wieder erscheinen zu lassen. Ein Phänomen, dem ich später in Westafrika wieder begegnete. Vom Jeep aus ließen sich die einheimischen Gazellenarten (dorcas subgutterosa) beobachten, auch selten der Gepard.
Ein letztes Essen. Kardavani begriff nicht, wie Architekten hier heute ihre Häuser bauen mit großen Fensterscheiben und ölfressenden Klimaanlagen. Das sei gegen jede Anpassung an die Bedingungen der Wüste. Auf der Serviette zeichnete er mir die Umrisse der iranischen Wüstenbauweise mit den runden Kuppeln aus Lehm, im Sommer kühl, warm im Winter. Innen der Schacht, der dafür sorgt, dass im Sommer kühle Luft aus dem Keller hochgesaugt wird bis ins Dach. Von diesem Idealisten und Kämpfer für ein intaktes Wüstenökosystem, gegen die man-made-deserts
habe ich gelernt. Ich bewunderte ihn, weil er als Wissenschaftler die Wüste so sehr lieben konnte. Schweigend fuhren wir zurück in die Hauptstadt.
Einen Miniveteranen hatte Shahin geliehen. Seine Gänge wollten oft anders als die Fahrerin, dann hielt sie an und fuhr im 1.Gang weiter. In endlosen Serpentinen ratterte der Mini schmale Straßen hinauf in das Elburzgebirge. Immer tiefer wurden die Schluchten, unten rannen Bergbäche. Der Schnee auf den Höhen leuchtete in strahlender Sonne. Die Straße war zu Ende, ein Eselshalt. Wir ließen den Mini stehen und wanderten durch meterenge Gassen, über Kot und tauende Schneehaufen. Dunkle Schleierfrauen grüßten Salaam
Immer höher, immer verwirrter die schmalen Durchgänge. Kinder wuselten umher, Frauen spülten Geschirr am Bach, der überladen war mit Müll. Wir rasteten, blickten hinauf zum Gipfel, träumten. Ein Mögen wollte sich anbahnen zwischen der Perserin und dem Deutschen, doch es blieb beim zagen Miteinander des Wanderns und Schauens. Bedeckt vom Schmutz der Gassen sanken wir in die Polster des alten Autos.
Auf dem hektischen Flughafen Mehrabad wartete ich auf das Einchecken. Mein Name wurde ausgerufen. Hinter dem Maschendraht der hermetischen Umzäunung das Gesicht der Shahin. Sie war noch atemlos, hatte sich gehetzt, wollte Good bye sagen. Ihre schwarzen Augen hinter dem Zaun hat mein Gedächtnis bewahrt. Shahin ist in der islamischen Revolution von 1979 verschollen.