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Die Kinderstube des Fernsehens

Bescheidene Anfänge des Fernsehens gab es schon unter Hitler. Die hatte ein armer Student in Berlin bewirkt, so arm, dass er sein Studium an der Universität nicht beenden konnte – und doch brachte er im Alter von 24 Jahren fast unbewusst eine Lawine ins Rollen, die nie ein Ende fand. Weil er eine Idee hatte, wie man Bilder elektrisch von einem Ort zum anderen Ort übertragen könnte. Am Heiligen Abend 1883, so erzählte er, habe er allein in seiner Bude in der Philipstraße 13a, Berlin-Mitte, unter der Petroleumlampe gesessen, als ihm die Vorstellung einer spiralig gelochten Scheibe ins Gehirn drang, die ein Bild mosaikartig in Punkte und Zeilen zu zerlegen imstande war. Er bastelte herum und dann reichte Paul Nipkow, so hieß der junge Mann, sein Patent vom 6.7.1884 für ein Elektrisches Teleskop ein, das erste Patent für ein Fernsehen weltweit. Die Spirallochscheibe hatte 24 Löcher, die ein Bild mit 24 Zeilen schreiben sollte. Mit ihrer Hilfe konnte es Bilder in Hell-Dunkel-Signale zerlegen und wieder zusammensetzen. Die rotierende Scheibe wanderte dazu zeilenweise an Bild (bei der Zerlegung) bzw. der Projektionsfläche (bei der Zusammensetzung) vorbei. Die Zeitgenossen konnten damit wenig anfangen, vergaßen es, das Patent verfiel wegen Mangel an Interesse nach 15 Jahren. Aber es lag etwas in der Luft, es würde die Medienlandschaft in die Moderne treiben: 1928 gelang es John Logie Baird in England das erste Mal, mit der Nipkowscheibe und RGB-Filtern ein 30-zeiliges Farbbild zu übertragen. Seit 1930 bastelten Techniker mit der Lochscheibe auch in Deutschland herum.

Am 18.April 1934 wurde die erste Fernsehübertragung in Deutschland der Öffentlichkeit vorgestellt – in der Berliner Kroll Oper. Und am 22. März 1935 geschah die feierliche Eröffnung eines Fernsehversuchsbetriebes für Berlin durch das Reichspostzentralamt. Reichssendeleiter wurde Eugen Hadamovsky, und der versprach, einen nationalsozialistischen Fernsehrundfunk zu schaffen. Er rief aus: In dieser Stunde wird der Rundfunk berufen, die größte und heiligste Mission zu erfüllen, nun das Bild des Führers unauslöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen. Hadamovsky wollte dem möglichen Beginn eines BBC-Fernsehens (am 2.11.1936) zuvor kommen und beweisen, dass Deutschland in der Entwicklung des Fernsehens an erster Stelle steht. Der Fernsehsender Paul Nipkow (zu Ehren des Vaters des Fernsehens) hatte 1936 insgesamt 14 Mitarbeiter und verfügte über einen Jahresetat von 300 000 Mark. 1939 verbot die Wehrmacht das Fernsehen, Intendant Herbert Engels setzte aber durch, das Fernsehen für die Truppenbetreuung weiter zu nutzen, mit viel Erfolg. Bis 1940 wurde die Nipkow-Scheibe neben elektronischen Bildzerlegern als Zerlegungs- und Zusammensetzungsorgan eingesetzt. Auf dem Fernsehkongress Ende Mai 1935 enthüllte man eine Ehrentafel im Haus des Rundfunks für Paul Nipkow und taufte einen Filmabtaster auf den Namen Fernsehsender Paul Nipkow. Der Erfinder dieses Jahrhundertswerks bekam nicht einmal Patentgebühren, geschweige denn den Nobelpreis, er verbrachte einen bescheidenen Lebensabend. Nach seinem Tod am 24.8.1940 wurde Nipkow auf dem Friedhof III in Pankow bestattet. Das Fernsehen übertrug das Staatsbegräbnis aus dem Vorhof der Berliner Universität direkt. An dem Haus in der Pankstraße 5, wo er von 1914 bis zu seinem Tod lebte, wurde 1998 eine Gedenktafel angebracht, immerhin.

Fernsehapparate mit dem postkartengroßen Bildschirm gab es noch kaum zu kaufen, sie wurden teuer von Hand hergestellt. Wer als Berliner in den Genuss bewegter Bilder kommen wollte, musste sich in eine der Fernsehstuben verfügen, welche die Post eingerichtet hatte. Das war kostenlos. Im August 1936 sah ich hier einige Szenen der Spiele aus dem Olympiastadion und war hingerissen. Von der Technik verstand ich noch nichts und machte mich später schlau: Mit einer großen fest montierten Kamera wurde das olympische Sportgeschehen auf Film aufgenommen, dieser Film lief nach der Belichtung durch ein Entwicklungs- und Fixierbad innerhalbHickethier, Knut, Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998 des Kamerawagens, wurde danach von einem Filmabtaster abgelesen und in elektrische Bildpunkte aufgelöst und dann übertragen. Täglich wurde in der Zeit von 10:00 bis 12:00 Uhr und von 15:00 bis 19:00 direkt vom Reichssportfeld gesendet. 150 000 Menschen sollen die Olympiade auf dem Bildschirm verfolgt haben. Olympia wurde ein starker Antrieb für das deutsche Fernsehen der Vorkriegszeit (Bruch 1956, 445)Hickethier, Knut, Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998

Die Ufa, die Tobis und Verleihgesellschaften lieferten dem Nipkow-Fernsehen geeignete Kulturfilme, die gesendet wurden, um für die Ideologie des Dritten Reiches zu werben. 1936 fanden sich darunter Mit der Reichsbahn durch die deutsche Landschaft, Vom Marschenland zum Friesenstrand, Der Sieg für Deutschland, Deutschland kreuz und quer, aber auch unpolitisch erscheinende Titel wie Kampf mit dem Bären, Das Ohr der Welt und Briefe fliegen über den Ozean.

1938/39 war das Fernsehen dabei, sich seinen eigenen Stil zu schaffen, eine charakteristische Mischung mit Zeitdienst, Aktueller Bildbericht, Filmsendung, Unterhaltung, Fernsehspiel. In der Tradition der Kino-Kulturfilme stellte das Fernsehen nun auch kleine Fernsehfilme her mit eigenen Kamerateams (wie es nach dem Krieg zur Norm in der ARD wurde).
Man produzierte einen Film über NSV-Kinderheime: Das Leben wird schöner; und über die Reichsbräuteschule Bräute auf Schwanenwerder. Zu Beginn des Krieges 1939 änderte sich das Fernsehen. Seine wichtigste Aufgabe sollte in der Aktualität liegen. Das was heute draußen geschieht, soll dem Zuschauer gezeigt werden. Man drehte militärische Ertüchtigungs- und Propagandafilme. Das Publikum sah die großen Unterhaltungsshows lieber, wie im März 1941 Wir senden Frohsinn, wir spenden Freude aus dem großen Kuppelsaal am Olympiastadion – mit Stars wie Johannes Heesters, Grete Weiser, Lale Andersen (Lili Marleen), Zarah Leander, Marika Rökk. Ab 1941 wurden Berliner Lazarette mit Fernsehgeräten ausgestattet und die Verwundeten genossen die Sendungen zur Truppenbetreuung. Am 23. November 1943 zerstörten britische Bomben den Sender. Und am 21. Juni 1944 stellte Berlin den Programmbetrieb ein. Zusammenfassend lässt sich sagen: Das NS-Fernsehen war eine Generalprobe für das kommende Massenmedium, aber doch eher eine technische Spielerei. Ihm fehlten die Zuschauer, die nach dem Krieg zu Millionen vor ihren Geräten sitzen würden, um die Glotze anzubeten, wie einst den Führer. Diese Gesellschaft war noch nicht bereit für ein visuelles Massenmedium.

 

Dabei sein mit Auge und Ohr

Der 2. Weltkrieg war zu Ende. Die BBC in Großbritannien nahm den Fernsehprogrammbetrieb am 7.Juni 1946 auf. Die Organisation des Fernsehens in Großbritannien wurde zum Vorbild für Europa.

Im Juli 1948 erlaubte die britische Militärbehörde dem NWDR im Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld einen Fernsehversuchsbetrieb aufzubauen. Im Laufe des Jahres 1948 einigten Ingenieure sich auf eine Fernsehnorm von 625 Zeilen, weil diese den Frequenzbedingungen optimal angepasst war. Im September 1949 konnten die Techniker melden, sie hätten ein Standfoto von einem Raum in den anderen per Kabel übertragenHickethier, Knut, Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998 Versuchssendungen sollten im Dezember 1950 beginnen. Volkstümlichkeit und politische Unabhängigkeit sollten zu einer kulturellen Gesamtleistung verbunden werden. Das Programm habe wahrhaftig und ansprechend, packend und gehaltvoll zu sein, weil das Fernsehen den Zuschauer in seiner Häuslichkeit treffen werde, so dachte man blauäugig.

Ich hörte es in meinem kleinen Radio: Am 25. Dezember 1952 eröffnete Dr. Werner Pleister, Intendant des NWDR, feierlich das offizielle Fernsehen der Bundesrepublik. Und meinte, der Sinn sei ... dabei zu sein mit Auge und Ohr, wenn wir Ihnen das große Geschehen der Welt, die kleinen Dinge des Alltags, die Feste der Kunst und das heitere Lächeln der guten Laune in Ihre Wohnungen bringen .... So sprach er am Weihnachtstag. Und der Bundespostminister verglich das neue Fernsehen lyrisch mit einer von technischen Könnern kunstvoll getriebenen Schale, und es liegt nur an uns, was wir in die Schale hinein tun wollen... ...jedenfalls möge dies, so wünschte er, zur Gesundung der deutschen Seele beitragen. Spätere Medienpsychologen hatten ihre ernsten Zweifel an dieser Prognose.

Jahrelange Probeläufe, politische Debatten und Teststrecken und 15 Millionen Mark waren nötig, bis am 25. Dezember ein bescheidener Fernsehbetrieb im düsteren Bunker am Heiligengeistfeld aufgenommen wurde. Man beeilte sich über Gebühr, weil man Angst hatte, den Anschluss an die westdeutsche Entwicklung zu verlieren und aus Furcht, die DDR könne Hamburg den Rang ablaufen. Tatsächlich schaffte es Berlin-Adlershof, seine Sendungen zur Eröffnung des offiziellen Versuchsprogramms des DDR-Fernsehens bereits am 21. Dezember 1952 zu starten, denn dies war der 73. Geburtstag des geliebten Diktators Jossif (Josef) Stalin.

In Hamburg hofften die Programm-Macher auf den Beifall der 5000 deutschen Fernseh-Geräte-Besitzer und machten ein schönes Festprogramm. NWDR-Generaldirektor Dr. Adolf Grimme versprach Neue Quellen der Freude ... und verschlossene Tore zum Reich des Geistes werden aufgestoßen ... und unser Leben kann auch tiefer werden ... Dazu sang der Hamburger Knabenchor St.Michaelis Großer Gott wir danken dir! Höhepunkte des ersten Sendetages boten das Fernsehspiel Stille Nacht, heilige Nacht von Johannes Kai und das Fernseh-Tanzspiel Max und Moritz von Norbert Schultze, dem Komponisten der Lili Marleen und der Bomben auf Engelland. Diese dunkle Vergangenheit störte kaum. Schon im Februar 1951 sendete das Hamburger Programm den Klassiker Nanook of the North von Flaherty, einem der Urväter des Dokumentarfilms. Immerhin von 50 Fernsehzuschauern gesehen. Heinz Ladiges berichtete von seiner Expedition nach Bangkok, Erich Schmidt von seiner Bolivien-Reise, Max Rehbein über seine Reise Mit dem Segelschiff Pamir nach Rio de Janeiro (4.6.52)

Wie der bescheidene Alltag im Bunker aussah, schildert der Autor und Künstler Hans-Adolf Seeberg:

Ich war der erste Chef vom Dienst des deutschen Fernsehens. Ich hatte die Ansagerinnen Irene Koss und Angelika Feldmann zu betreuen. Ich musste die Ansagen verfassen, und die Damen mussten sie auswendig lernen. Ich ließ die Grafiken erstellen, die Störungen erklären, die im Ablauf der Sendefolge, deren Koordinierung mir oblag, auftraten. Wir starteten das regelmäßige abendliche zweistündige Programm zu Weihnachten 1952 – gleichzeitig gingen der WDR Köln und der Sender Freies Berlin auf Sendung. Wir produzierten den Hauptanteil im Studio des Hochbunkers, in Köln wurde nur übertragen. Intendant Dr. Pleister ließ uns an langer Leine. Die entsetzliche Bürokratie, die heute bei den Sendern herrscht, kam erst, als die Oberen nur noch nach ihrem Parteibuch ausgesucht wurden. Eine interessante Pflicht des Chefs vom Dienst war das Kundentelefon.

Anrufer: Sind Sie das Fernseh, Sie Idiot?
Ich: Ob ich ein Idiot bin, vermag ich nicht zu beurteilen, was aber unser Fernsehprogramm betrifft, so will ich Ihre Fragen gern beantworten.
Anrufer: Du sollst nichts beantworten, sondern vernünftiges Programm machen, klar? — Legt auf
3. Anrufer: Nu hamse janze Ostern schon son heiligen Quatsch und denn nochma sowat mit Engels, scheiß, ick stell ab