Urbanisationen am Mittelmeer
Die flache Landschaft der Costa Brava sah aus wie Boomtown mit Straßen, die irgendwo ins Nichts führten. Einsame Laternenmasten, ohne Strom und Aufgabe, schaukelten wie in alten Schwarzweißkrimis im scharfen Wind, der braunen, feinen Sand in Wolken vor sich her und in unsere Augen trieb. Hier sollte eine Urbanisation
entstehe, etwas Urbanes – Städtisches also, eine Kunststadt. Wer hier wohl einst wohnen würde, – eine Familie aus Castrop Rauxel vielleicht? Wir hörten von der Moos-Gruppe aus Stuttgart, die das Geld hatte, plante und baute. Trupps deutscher Kaufwilliger karrte sie kostenlos per Flieger nach Spanien und jagten sie im Eiltempo durch die Bungalows und Appartements ihrer Neubauten am Strand. Die Deutschen kamen und zeigten Fröhlichkeit. Nur hundert Meter weiter das schöne echtspanische Bauernhaus, wie aus den Zeiten des Don Quichote. Vor dem Eingang, einem Gemälde gleich, still und stumm rauchend – die Epoche und die erobernden Deutschen nicht begreifend – Bauer Gonzales. Welch ein Kontrast.
Malaga roch nach Blumen und unnennbaren Gewürzen und nach langer Geschichte. Goldenen Kugeln gleich schwammen kleine Orangen in blauschimmernden Pfützen. Mauern uralter frommer Gebäude. Der Leihwagen brachte das Team ins Fischerdorf Torremolinos, wo die bunten Boote auf dem Strand lagen – und weiter ins schlummernde Marbella. Vom Reißbrett entstand dort eine Urbanisation
, die Kunststadt Andalusia Nueva
, puppenstubenhafte Neuromantik nach dem Vorbild hispanischer Städte, mit Kunstgittern, Kunstgiebeln, Kunsttürmchen, schreiend kitschig, dass die Augen schmerzten. Disney hätte hier lernen können. Die bunten Häuschen waren alle schon verkauft. Fünfzig Meter vom Wasser stand im Sand ein Bungalow aus dem Katalog. Zerzauste Pflänzchen rangen ums Überleben. Frau Weber auf der Veranda lächelte schmerzlich. Oh es ist schlimm, überall Sand, in allen Ritzen, er macht alles rau und knirscht zwischen den Zähnen, der Salzwind frisst alles auf, was Aluminium ist ... sechs Monate leben wir hier, wir zahlen nur noch an den Raten.... die Anwälte hier, immer nur Honorarforderungen und was man alles wissen muss, keiner kann mit denen reden, keiner von denen redet deutsch, aber wir haben es geschafft, die Nachbarn in Hamburg platzen vor Neid, hier werden wir alt werden – nicht?
Lotte lächelte vage.
Ich stellte mich ins knietiefe, warme Küstenwasser vor einen urtümlichen Felsen, vor mir der Strand mit der Kamera. Ich probte meinen Text (Liebe Zuschauer
und so....). Soll ich besser einen Panamahut aufsetzen? Ne, macht Schatten auf dem Gesicht, beschied Gerd. Ein Take, schlecht, noch mal, wieder ein Take – beim dritten drehte sich das Universum und ich verschwand im Wasser. Wachte am 3.Tag wieder auf, im Bett der kleinen Stadtklinik. Diagnose des Arztes: Hitzschlag durch fehlenden Hut. Macht doch auch kein Vernünftiger, Moderation bei senkrecht stehender Sonne, wo man die Hitze nicht merkt, weil das Wasser kühlt. Hätte sehr schiefgehen können – mit mir, mit dem Film, und eine Versicherung war, wohl aus Kostengründen, nicht abgeschlossen worden. Wochen später fielen mir die letzten Haare aus, und ich trug der Kühle wegen eine Mütze auf dem kahlen Schädel. Die Damen vom Büro meinten, ich sähe sexy aus, fast wie der berühmte Polizeimensch aus der US-Krimiserie, der immer Lollys lutscht.
Gerd fuhr wie ein Henker, weit nach Süden ins Gewühl Neapels mit seinen hauch-engen Gassen, die schon der junge Goethe lebhaft besungen hatte auf seiner italienischen Reise. Nur dass er mit Prinzessinnen speiste, während wir ins Hotel Bologna
zogen, nicht weit entfernt vom Zustand einer Ruine, aber preiswert für unser mageres Tagegeld-Budget. Gerd erklärte kategorisch: Heute ist kein Dreh, ich geh baden!
. Nein, Badezimmer und Duschen hatte dies preiswerte Etablissement nicht, aber eine fein geschwungene Uralt-Badewanne. Sie wurde von hilfswilligen Männern auf dunklem Flur platziert und von Frauen mit warmem Wasser gefüllt. Gerd – übrigens war er gar kein Bayer, sondern Franke – Gerd sortierte seine Utensilien auf dem Querbrett: Spiegel, Whiskeyflasche, Zigaretten, Feuerzeug. Genüsslich zurückgelehnt, trinkend, rauchend, lesend – das Dasein hatte seine schönen Seiten. Der Spiegel weichte im Wasser auf, der Kopf sank tief und tiefer, der Badende entschlief, war schon auf dem Weg ins Jenseits. Der Tonmann taperte aufs Flurklo, sah und schrie Alarm. Man rettete, der Gerettete war sauber und guckte komisch. Es sei nun Zeit für ein Weib, murmelte er, ein hiesiges. Sprach’s und verschwand, gehüllt in schwüle Düfte, im Chaos der Altstadt.
Es ging weiter ins herrliche Herculaneum, Vorbild mancher neumodischer Urbanisationen, schöner noch als Pompeji, echter. Die Kamera verliebte sich hemmungslos in das Fest der Formen für antik-trunkene Augen. Welche Bilder, welche Perspektiven! Der trunkene Pan, und die Zeichen käuflicher Liebe. Herrgott, die Leute wussten zu leben, und starben leise im Jahre 79 n. Chr., als der Vulkan über sie hereinbrach mit Asche und Staub. Gekrümmt liegen sie da im letzten Kampf, Gestalten auf der Erde. Hörte man nicht die Seufzer? Ich saß am zeitlos klassischen Marmortisch vor der Götterfigur aus der römischen Kaiserzeit und notierte Worte für den späteren Kommentar. Meine Phantasie trug mich fort in eine Vergangenheit, die hier so rasch näher rückte, wie ein Sprung in der Zeit. Wie arm dagegen die vom Salz zerfressenen Bungalows der sonnenhungrigen Deutschen an den Stränden des Mittelmeers. Weiter auf der Suche nach Urbanisationen. Die Affen von Gibraltar hätten wir gern noch gesehen, aber die Grenze von Spanien auf das britische Gebiet war hermetisch geschlossen, internationaler Querelen wegen. So sammelte ich bunte Muscheln in den weiten Dünen bei Zahata und ließ mir erschütternde Geschichten erzählen von den bettelarmen Leibeigenen, die in Erdhöhlen hausen mussten wie die Tiere, um für die Latifundienbesitzer zu schuften. Auch diese einsam-schöne Dünenlandschaft würde bald besetzt werden von wanderlustigen Germanen, die ihre Häuschen bauen auf Kredit, dicht am salzigen Seewind, der die Hütten bald verkommen ließ zu Baracken, die im Sande versinken.

Gerd Ries, der fränkische Freund mit dem kantigen Gesicht und dem guten Auge für Bild und Szene, dieser Mann, nie verlegen um eine schöne bayerische Geschichte – er hat seine Prinzessin heimgeführt, hat ihr und den Kindern ein Zuhause gegeben. Später hat er das Fernsehen vergessen und hat Filme gedreht für das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, wo die Totenkopfaffen lebten, die einst Hugh Falkus für mich drehte – und ist viel zu früh gestorben an einem heimtückischen Krebs. Ich hoffe, dass es Gerds Filme in einem Archiv noch zu sehen gibt, damit dieser Mann nicht ganz vergessen ist.