Meine Lehrzeit 1959
Was soll nur aus mir werden? So richtige Vorstellungen hatte ich im Jahre 1958 noch nicht. Und am 1. April 1959 sollte es schließlich losgehen.
Mein Berufswunsch war eigentlich Technischer Zeichner, was aber mit Volksschulabschluss leider nicht möglich war. Die Idee, Uhrmacher zu werden, wurde auch verworfen.
Mir blieb dann noch die Berufsberatung, welche mir eine Lehrstelle als Blechschlosser vermittelte. Ich begann also meine Lehre bei der Firma Hermann Huppert Herdfabrik
. Hier in Wandsbek war das eine kleine Firma mit ungefähr 15 Mitarbeitern, welche Narag-Herde herstellte. Damals in Mode, hatte man doch damit eine eigene Zentralheizung in der Wohnung. Wobei wir uns hier auf die Herstellung des Heizelements, also des Ofens, welcher in der Küche aufgestellt wurde, beschränkten. Dieser wurde in der Regel mit Koks beheizt und wärmte wie eine Zentralheizung die ganze Wohnung.
Nun lernte ich Bleche von ein bis zweieinhalb Millimeter zu schneiden, bohren, kanten. Oder Bleche drei bis vier Millimeter für die Kessel zu schneiden und zu pressen, sowie elektrisch und autogen zu schweißen.
Die fertigen Außenbleche des Herdes wurden dann zum Emaillierwerk transportiert. Das war dann in der Anfangszeit auch eine nette Aufgabe für die Lehrlinge. Bei dem einzigen Fahrzeug der Firma handelte es sich um eine Schott´sche Karre
. Diese, mit Blechen beladen, dann über das damals noch vorherrschende Kopfsteinpflaster zu bewegen, kostete einiges an Kraft. Aber gut, wir waren jung. Schlimmer war vielleicht, dass nun auch der letzte Langschläfer im Umkreis von 200 Metern geweckt wurde. Zurück vom Emaillierwerk wurden die Bleche zusammengeschraubt, der Kessel eingesetzt und zum Schluss wurde der Herd dann von einem dafür spezialisierten Kollegen mit Schamott ausgekleidet.
Der Arbeitsweg wurde natürlich mit dem Fahrrad bewältigt. Von Barmbek bis Wandsbek ja kein Thema. Das hatte aber zur Folge, dass man als Lehrling schwere Pakete, z. B. Gusseisen, zur Post befördern durfte. Oder, wenn Not am Mann
war, mal eben eine der kleineren Sauerstoff-Flaschen auf dem Rad zur Firma balancieren musste.
Als besonderes Gerät entpuppte sich der Acetylen-Entwickler. Ein etwa zweieinhalb Meter hoher Kessel mit zwei Schubladen im unteren Bereich, in welche Karbid eingefüllt und dann der Wasserzulauf geöffnet wurde. So entwickelte sich das für autogenes schweißen nötige Acetylen. Ein Blick auf das Manometer sollte dann aber nicht fehlen, um die Wasserzufuhr rechtzeitig zu unterbinden. Überdruck wäre nicht so gut und Übermut natürlich auch nicht. Den hatten wir nämlich auch. So konnte eine Flasche mit Bügelverschluss prima zur Bombe werden. Karbid zerkleinert hinein, Wasser drauf und die Flasche verschließen. Sich sodann schnell entfernen und warten, bis das Ganze explodiert. Jugendlicher Leichtsinn! Aber alles gut gegangen.
Das ging natürlich nur auf einem entfernten Teil des Werksgeländes, wo auch der Karbidschlamm gelagert wurde. Hier erhob sich ein Berg dieses Abfalls, der jahrelang vor sich hinschlämmte und den Boden sicher nicht unerheblich verunreinigte. Umweltschutz? Fehlanzeige!
Damals habe ich übrigens nicht im Traum daran gedacht, dass ich 30 Jahre später noch einmal, während diverser Höhlenfahrten, mit Karbid und Acetylen als Leuchtmittel in Kontakt kommen sollte.
Verletzungen bleiben im Handwerk natürlich nicht aus. Mal eben am Blech schneiden, was häufig vorkam, oder den Hebel der großen Blechschere an den Kopf bekommen, was eine riesige Beule zur Folge hatte, alles konnte passieren. Die Beule ist wieder abgeschwollen und der Schlag hat, so glaube ich, keine bleibenden Schäden hinterlassen! Nicht so bei meinem zwei Jahre älteren Cousin, welcher auch Blechschlosser lernte und dann im letzten Lehrjahr seinen rechten Daumen an der Blechschere verlor.
Da wurde meine Mutter aber hellwach: Pass bloß auf!
Es gab aber auch ungefährlichere Tätigkeiten wie zum Beispiel im Privathaus des Chefs, welches sich auf dem Firmengelände befand, im Keller Brikett zu stapeln oder im Herbst das Obst von den Bäumen zu pflücken.
Im Februar 1962 sollte es dann zur Gesellenprüfung auf die Howaldtswerft gehen. Die musste dann aber wegen der großen Sturmflut verschoben werden.
Ich blieb noch bis 1965 in der Firma, habe hauptsächlich Kessel geschweißt, abends in der Gewerbeförderungsanstalt einen Kursus Technisches Zeichnen
belegt, um dann im September meinen Abschied zu nehmen und die Tätigkeit als Zeichner beim Fernmeldeamt 5 in Hamburg-Harburg zu beginnen. Das wurde dann für die nächsten 34 Jahre meine berufliche Heimat. Aber das ist eine ganz andere Geschichte …
Epilog:
Bei einem Spaziergang um das Jahr 2000 kam ich am Wandsbeker Mühlenteich vorbei. Von hier aus hatte man einen guten Einblick in den rückwärtigen Teil des Grundstücks meiner damaligen Lehrfirma. Das Wohnhaus war nun nicht mehr vorhanden, aber die Werkstattgebäude waren von der Gartenseite noch wie im Dornröschenschlaf zu sehen. Also kurz entschlossen das Loch im Zaun genutzt und im Nu stand ich da, wo ich zuletzt vor 35 Jahren meinen Fuß hingesetzt hatte.
Ein Blick durch die Scheiben, einige zerbrochen, versetzte mich dann auch gleich in einen Zustand nostalgischer Erinnerung. Hier sah es tatsächlich noch aus wie zu Zeiten meiner Lehre. Nur die große elektrische Blechschere, welche 1964 noch angeschafft wurde, hatte offensichtlich den Besitzer gewechselt.
Das Geschäft mit den Naragherden hatte sich wohl schon in den 1970er Jahren erledigt.
Ein paar Monate später kam ich dort wieder einmal vorbei und erlebte eine Überraschung. Ein riesiges freies Areal breitete sich nun vor mir aus. Wahrscheinlich war mit dem Tode des Chefs nun der Weg freigeworden, die Gebäude abzureißen und das Gelände zu veräußern.
Damit war Hermann Huppert Herdfabrik
nach fast 100 Jahren nun endgültig Geschichte. Heute befindet sich dort eine Senioren-Wohnanlage.