Einmal eine Ente
fahren
Endlich hatte ich ihn in der Hand; den Führerschein! Im März 1962 war es soweit. Nach Winterfahrten bei Schnee und Regen konnte nun der Frühling kommen. Fehlte nur noch ein Auto. Das eigene ließ noch auf sich warten. Erst einmal hatte mein Vater, der selbst noch keinen Führerschein besaß, einen VW Käfer
Baujahr 1952 aufgetrieben. Der war nicht nur alt, noch mit geteilter Heckscheibe und Winker statt Blinker, sondern auch nicht mehr der Zuverlässigste.
Zuerst drangen die Abgase auf heimlichen Wegen in den Fahrgastraum, und nach ein paar Monaten verabschiedete sich der 24,5-PS-Motor. Mit dem folgenden Austauschmotor (AT-Motor) brachte er uns dann aber doch noch in den Harz und zur Verwandtschaft nach Kassel und Wuppertal. Die erste Fahrt nach Wuppertal blieb vor allem deshalb in Erinnerung, da sie mit einem unfreiwilligen Halt auf der Autobahn verbunden war. Kein Benzin! Dem Messstab im Tank nicht genug Beachtung geschenkt und das Drehen am Reservehebel brachte auch nichts. Aber wir hatten Glück. Schon bald kam durch Zufall der rettende Engel mit Benzin vorbei. Zwar war der Liter nun um einiges teurer als die 56 Pfennig, die wir an der Tankstelle bezahlten, aber wir waren froh und hatten was gelernt.
Mit 50 Jahren hat mein Vater dann auch noch den Führerschein gemacht, und so wurde es Zeit, mich nach einem eigenen Auto umzusehen.
1964 stand es dann vor der Tür: ein Citroën 2CV, die Ente
, Baujahr 1962, aus belgischer Produktion mit drittem Seitenfenster, Fliehkraftkupplung (anhalten ohne zu kuppeln) und natürlich in Rot.
Der 425 cm³ / 14 PS14 PS ≙ 10,3 Kilowatt Motor schaffte bergab mit Rückenwind knapp die Schallgrenze von 100 km/h. Nur fliegen war schöner!
Beachtenswert war auf jeden Fall das Armaturenbrett, wenn man es denn als solches bezeichnen konnte. Hinter dem Stahlrohrlenkrad: Starterzug und Choke, sowie ein Voltmeter für die Batteriespannung und ein Gummibällchen als Pumpe für die Scheibenwaschanlage.
In der linken unteren Ecke der Windschutzscheibe lag der Geschwindigkeitsmesser im Fahrradtacho-Look. Daran ein Knopf zum Betätigen des Scheibenwischers. Ziehen, und der Wischer bewegte sich während der Fahrt geschwindigkeitsabhängig über die Scheibe. Bei Stillstand drehte man den Knopf dann manuell mit der Hand. Also Technik vom Feinsten.
Zum Lüften konnte eine schmale Klappe direkt unter der Windschutzscheibe geöffnet werden oder man öffnete die halben Seitenfenster. Übrigens mit Schließautomatik
. Das heißt, beim Zuschlagen der Tür ging auch das Fenster automatisch zu, besonders, wenn der Gumminoppen, welcher das Fenster hielt, schon ziemlich ausgeleiert war.
Äußerst praktisch war auch der Innenraum. Sitze, übrigens sehr komfortabel, konnten mit ein paar Handgriffen aus dem Fahrzeug entfernt werden. Bei Solo-Urlaubsfahrten blieb die hintere Sitzbank zu Hause, der Beifahrersitz wanderte hinter den Fahrersitz und so war auf der rechten Seite Platz für eine Liege. So hatte ich auf meiner ersten großen Reise über die Alpen, bis Wien und zurück, auch immer mein Bett dabei.
An warmen Tagen war es eine Freude, mit offenem Verdeck zu fahren. Aber nicht nur das. Da die Türen wie auch die Heckklappe und die Motorhaube ein Falzscharnier hatten, konnte man ohne großen Aufwand die Türen nach oben schieben und herausheben. So saß man fast schon im Freien, sollte sich aber dabei nicht erwischen lassen. Bei späteren Modellen wurden die Türen dann mit Scharnieren befestigt.
Legendär waren Federung und Straßenlage. Unebene Strecken wurden mehr oder weniger überflogen
. Abenteuerlich die Neigung in den Kurven, welche dann aber bei späteren Modellen entschärft
wurde.
Dass der 2CV von anderen Verkehrsteilnehmern nicht ernst genommen wurde, störte uns Entenfahrer
wenig. Man grüßte sich und einmal im Jahr ging‘s zum großen Citroën Treffen nach Bad Ems. Unvergessen die Geschicklichkeitsfahrten, der Korso mit wild geschmückten Fahrzeugen und die Nächte am Lagerfeuer auf dem Campingplatz.
Ein ernsteres Kapitel war dann schon der verordnete Besuch beim TÜV. Ich erinnere mich noch gut an die Worte eines Prüfers: Ente am Morgen, bringt Kummer und Sorgen
. Bei fortgeschrittenem Alter des Fahrzeugs wurde das zu untersuchende Blech natürlich immer weniger, was der Herr Untersuchende nun nicht so lustig fand. Eigene Basteleien konnten ihn auch nicht gerade milder stimmen.
1968 gönnte ich mir dann eine neue Dyane
. Preis damals 4.780.-D-Mark. Zwar moderner, aber eben keine Diane 6 (1967–1983)
Ente
mehr. Darum 1970 reumütig zurück zum 2CV, jetzt schon mit 21 PS bei einem Neupreis von 4.330.-D-Mark.
Später kam dann noch ein Ami8
. Ein praktischer kleiner Kombi, der leider, da schon älter, wie viele Ami 8 (1969–1978)
Franzosen
mit jeder Menge Rost zu kämpfen hatte. Das Tolle an diesem Fahrzeug war das flach stehende Einspeichenlenkrad wie beim großen Bruder DS.
Zum Ende meiner Citroën-Jahre fuhr ich dann bis 1986 einen Visa
. Das war dann aber schon ein Auto, welches es an Originalität vermissen ließ. Visa (1978–1981)
Epilog
Viel später habe ich immer davon geträumt, noch einmal eine Ente
zu fahren. Ein zu mietendes Fahrzeug war aber leider nicht auffindbar.
Im Jahre 2010 war dann eine Urlaubsreise in die Bretagne geplant, mit einem viertägigen Aufenthalt in Paris. Hier nun fand meine Frau eine nette Unterkunft mit drei Appartements, jedes mit einer ganz besonderen Ausstattung. In einem stand ein roter 2CV, natürlich ohne Motor und sonstiger Technik, dafür mit einem großen Bett in seinem Inneren.
Somit konnte ich wieder wie damals in meiner geliebten Ente
schlafen.