Nachkriegszeit 1945, Leben im Behelfsheim
Nachdem meine Eltern im Juli 1943 ausgebombt wurden und sie deshalb die darauffolgenden Jahre in der nordhessischen Heimat meiner Mutter verbrachten, war 1947 das Jahr unserer Rückkehr nach Hamburg. Meine Mutter wäre sicher gern in ihrer Heimat geblieben, aber da gab es wohl keine lange Diskussion. Mein Vater, aufgewachsen in der Hamburger Neustadt, immer in Sichtweite des „Michels“, zog es wieder zurück ans Wasser. Ich war inzwischen schon vier Jahre alt und kann mich noch an vieles erinnern.
Das Gartenhaus meiner Großeltern in Wandsbek-Hinschenfelde wurde zu einem etwa 40 Quadratmeter großen Steinhaus ausgebaut. Stube und Elternschlafzimmer, die Küche mit dem großen gusseisernen Herd, welcher jedes Jahr durch einen Bronzeanstrich „versilbert“ wurde, sowie ein kleines Kinderzimmer, in dem noch der blanke Erdboden anstand und das erst später ausgebaut wurde. Hier befand sich bis zum Ausbau der „Kühlschrank“, ein in den Boden gegrabenes Loch mit einem Holzdeckel darauf. Strom war vorhanden, aber das Wasser musste noch lange von der ungefähr fünfzig Meter entfernten Pumpe geholt werden. So standen immer zwei Zehnliter-Eimer Wasser in der Küche bereit. Der einzige Luxus war wohl, dass sich das Plumpsklo innerhalb des Hauses befand. Der Inhalt des „Goldeimers“ und alle anderen Abwässer wurden aber noch bis Mitte der 1950er Jahre im Garten entsorgt. Erst dann wurde für die gesamte Gartenanlage eine Fäkalien-Grube gebaut. Für die Morgentoilette gab es eine Schüssel und für den Badetag stand eine Zinkwanne bereit, in der auch die Wäsche gewaschen wurde. Ich sehe heute noch meine Mutter schwitzend an der Wanne stehen, wie sie die Wäsche am Waschbrett bearbeitet. Im Garten wurde natürlich Gemüse für den Eigenbedarf angebaut. Es waren auch ein Birnbaum, ein Kirschbaum und einige Beerensträucher vorhanden.
Gern erinnere ich mich an das „Schwedenessen“ für uns Kinder. Dann ging es mit dem Henkeltopf los um, die leckere Schokoladensuppe zu fassen. Wunderbar, wann bekam man schon mal was Süßes? Ich kann mich nicht erinnern, dass ich, obwohl sicherlich nicht immer alles zur Verfügung stand, jemals Hunger gelitten habe.
Im Jahre 1949 wurde ich eingeschult. Die Schule Hinschenfelde (heute Eichtal) war ungefähr anderthalb Kilometer entfernt. Autoverkehr war nicht der Rede wert, sodass in dieser Hinsicht wenig Gefahr bestand. Das alte Schulgebäude, in dem wir noch an Schulbänken saßen und mit Griffel auf der Schiefertafel schrieben, steht schon lange nicht mehr. Und auch die neue Schule, in welche wir später umzogen, wich in den 1980er Jahren neuen Gebäuden. Der Unterricht fand wechselweise in Früh- und Spätschicht statt. In den Wintermonaten sah man dann nachmittags auf dem Nachhauseweg den Laternenanzünder mit seinem Zugstab die Straße entlang gehen und die Gaslaternen anzünden.
Unsere Gartenanlage, zwischen der Walddörferstraße und dem Wandsetal gelegen, bot viele Möglichkeiten, gefahrlos zu spielen. Freunde fand man schnell. Besonders mit zwei Jungen in meinem Alter war ich viele Jahre, bis zu unserem Umzug im Jahre 1962, zusammen. Im Sommer gab es Badevergnügen am kleinen Badeteich auf dem Gelände, oder es ging zum nahegelegenen Freibad „Ostende“. Sommerliche Familienausflüge fanden mit der Hochbahn statt, die uns meist in den Wald nach Ohlstedt und Schmalenbeck führten. Etwas Besonderes war ein Besuch bei Oma und Opa, die in einem Siedlungshaus in Kirchdorf (Hamburg-Wilhelmsburg) wohnten. Das war dann immer schon eine Tagesreise. Zu Fuß, Straßenbahn, Hochbahn, Vorortbahn und nochmal zu Fuß. Und zurück natürlich genauso.
1953 gab es dann einen Einschnitt in unser Leben. Mein Hamburger Großvater war verstorben und nun war die Frage: „Wohin mit Oma?“, denn Oma war schon seit einigen Jahren erblindet. Keine einfache Frage, die sie aber gleich selbst beantwortete: „Ich geh zu Paul (mein Vater) in den Garten!“ So wurde es dann beschlossen, und besonders die Geschwister meines Vaters waren froh. Das Kinderzimmer wurde für Oma ausgebaut und sie lebte dann bis zu ihrem Tod 1956 bei uns. Es war wohl auch von Vorteil für sie, weil sie den Garten noch von früher kannte. So ging sie auch selbstständig einige Wege in der Gartenanlage, immer an den Hecken entlang.
An der Walddörferstraße, am nördlichen Abschluss der Gärten, befand sich eine Reihe von kleinen Geschäften, in denen man die Waren des täglichen Bedarfs erwerben konnte. So der Milchmann, der die Milch noch in die mitgebrachte Kanne schöpfte. Ein Kolonialwarenladen, sowie ein „Grünhöker“, der noch mit Pferd und Wagen zum Großmarkt fuhr, um dort die Obst- und Gemüseerzeugnisse einzukaufen. Des Weiteren ein kleines Geschäft mit Papierwaren, Zeitungen und Leihbüchern. Da habe ich mal ein geliehenes Buch schön bemalen, was die Inhaberin und meine Eltern allerdings nicht so lustig fanden. Ferner eine Tabakbude, bei der man die Zigaretten noch einzeln bekam. Etwas weiter eine Fischbude und der Frisör, bei dem der Kinderhaarschnitt damals 50 Pfennig kostete.
Die Endstation der Straßenbahn Linie 8, „Farmsen“, war nicht weit von uns entfernt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass, wenn wir in die Stadt fuhren, uns die Ruinen der Wohnblocks am Friedrich-Ebert-Damm mit ihren leeren Fensterhöhlen grüßten. Auch die alten Straßenbahnwagen mussten sich anfangs vielfach noch mit Pappe statt Glasscheiben begnügen.
Eine Besonderheit an der Straßenbahnendstation war das Hotel „Wichmann“. Hier ein Hotel? Ja, denn unweit befand sich die Trabrennbahn Farmsen, welche sich damals regen Zuspruchs erfreute. In späteren Jahren wurden dort auch Sandbahn-Motorradrennen veranstaltet, welche ich dann auch gern mal besuchte. Wer erinnert sich noch an den Lokalmatador Alfred Dannmeyer? Er verstarb übrigens 2024 im Alter von 95 Jahren.
Bis 1962 haben wir „auf dem Garten“ gewohnt. Dann bekamen meine Eltern in Barmbek eine Wohnung.
Obwohl alles lange Zeit aus heutiger Sicht sehr primitiv war, kann ich mir, da ich außer der Schule keine Sorgen hatte, keine schönere Kindheit vorstellen. Bin mir aber auch sicher, dass es für meine Eltern, zumal mein Vater als Schneider nicht gerade viel Geld nach Hause brachte, keine einfache Zeit war.


