Start ins Leben 1943, Hamburg im Feuersturm
Geboren wurde ich am 2. März 1943 in Hamburg-Barmbek. Hier hatten meine Eltern im November 1942 eine kleine, einfache Wohnung gefunden. Doch lange sollten sie keine Freude daran haben, denn schon im Juli 1943 wurden sie hier ausgebombt.
Meine Mutter, Jahrgang 1913, hat später, in den 1970er Jahren, über die Bombennächte und die darauffolgende Evakuierung noch etwas geschrieben, was ich hier gern wiedergeben möchte:
Am 24. Juli 1943 rückte der Krieg immer näher. Am nächsten Tag sollte unser Kind getauft werden. In der Nacht zum 25. Juli hatte Barmbek dann den ersten schweren Angriff durch die feindlichen Flieger. Es war die Hölle und wir glaubten nicht, lebend dieses Inferno zu überstehen. Unser Schutzraum war eine Wohnung im Erdgeschoss mit zugemauerten Fenstern. Wir hatten alle eine irrsinnige Angst. Schlag auf Schlag fielen die Bomben. Nach jedem Aufprall und der Explosion der Bomben flog die Tür zu unserem Schutzraum auf. Die Frau des Verwalters, barfüßig und nur mit einem Nachthemd bekleidet, warf sich immer wieder weinend gegen diese Tür. In dieser Nacht der Angst und des Grauens lag unser Kind in seinem Wagen und lächelte im Schlaf. Wie gut, dass dieses kleine Wesen noch keine Angst empfinden konnte.
Nach dieser Nacht waren wir nicht mehr in der Lage, zur Kindstaufe zu gehen. Wir packten am nächsten Morgen etwas Wäsche fürs Kind ein, und fuhren mit der Straßenbahn im Pendelverkehr, da die Straßen hin und wieder durch Bombentrichter blockiert waren, nach Hinschenfelde in Hamburg-Wandsbek zu Oma und Opa, die dort in ihrer Wohnlaube den Sommer verbrachten. Hier fühlten wir uns etwas sicherer, war es doch am Rande der Stadt und die Lauben lagen sehr verstreut. Opa hatte dort einen Erdbunker gebaut und wir konnten mit einer Nachbarfamilie, insgesamt sechs Erwachsene und zwei kleine Kinder, darin sitzen.
Drei Nächte lang hatten wir dann wieder schwere Angriffe. Als wir am Mittwoch aus unserem Bunker kamen, war in der Laube ein einziges Chaos. Nichts hing oder stand mehr an seinem Platz. Scherben über Scherben! Aber trotzdem ging Oma, Jahrgang 1876, wieder gelassen ihren hausfraulichen Pflichten nach. Wie gewohnt nahm sie ihren Korb und ging zum Schlachter. An diesem Tag lohnte es sich ja, gab es doch zum Trost nach diesen Nächten, eine Sonderration an Fleisch. Wo nahm diese Frau nur die Kraft her, so zu tun, als lebten wir in ganz normalen Zeiten, wo wir Jüngeren schon seelisch am Boden waren.
Nach diesen furchtbaren Nächten kam am 28. Juli der Befehl, dass die nun wohnungslosen Einwohner die Stadt verlassen mussten. Es war nicht weit bis zur Trabrennbahn Farmsen, von wo aus wir mit kleinen Lieferwagen zum Bahnhof Rahlstedt gefahren wurden. Dort war alles schwarz von Menschen, alle mit der Absicht, Hamburg weit hinter sich zu lassen. Nach langem, vergeblichen Warten auf einen Zug machten wir uns zu Fuß in Richtung Ahrensburg auf. Viele hatten natürlich die gleiche Idee und somit war es die reinste Völkerwanderung.
Heute, nach all den Jahren, muss ich darüber lachen, wie ich mit Kittelschürze und kleinem schwarzen Strohhut mit Schleier, weinend die Landstraße entlanggetrabt bin.
Irgendwann kamen meine Eltern mit mir auf dem ihnen zugewiesenen Bauernhof in Mehlmeisel im Fichtelgebirge an. Erfreut war man hier nicht über die Flüchtlinge. Wir blieben auch nicht lange. Meine Mutter zog es in ihre Heimat, nach Kassel. Da auch Kassel schwere Angriffe zu erleiden hatte, waren die Eltern meiner Mutter schon in die nahegelegene Kleinstadt Hofgeismar ausgewichen, wo dann auch wir eine Unterkunft fanden.
Dort wurde am 25. Dezember 1943 in der Altstädter Kirche meine Taufe nachgeholt. Meinem Vater, von Beruf Schneider, blieb die Einberufung zum Militär erspart, da er körperbehindert war. Er konnte dann mit einer Ausnahmegenehmigung das Schneiderhandwerk in Hofgeismar selbstständig betreiben.
Meine ersten Erinnerungen drehen sich um das windschiefe Haus in der „Kleinen Pfarrgasse“, in dem meine Großeltern wohnten. So erinnere ich mich, dass ich mit meinen Eltern vor diesem Haus stand und Oma und Opa rufen sollte, oder dass ich mit Opa in den Hof ging um Wasser zu holen, was mir nicht ganz geheuer war, da dort ein Pferd angebunden stand. Diese Begebenheiten, meine frühesten Erinnerungen, haben mich immer wieder, ob bei Familienbesuchen oder sonstigen Gelegenheiten, nach Hofgeismar geführt.
Im Jahre 1947 kehrten wir nach Hamburg zurück. Hier wurde das Gartenhaus meiner Hamburger Großeltern ausgebaut und war bis 1962 unsere Heimat. Ich soll anfangs gar nicht begeistert gewesen sein und wollte unbedingt wieder „nach Hause“. „Aber du bist doch zu Hause“ wurde mir gesagt. Ja, trotz aller Einfachheit, ohne fließendes Wasser oder anderen Annehmlichkeiten des modernen Lebens, wurde es ein schönes Zuhause.
… wird fortgesetzt