Meine Soldatenzeit 1942 bis 1945
Kapitel 1, Teil 3
Schießplatz Munsterlager
Es muss wohl Mitte bis Ende November gewesen sein, als Oberleutnant Leineweber die fixe Idee in die Tat umsetzte, uns im Schießplatz Munsterlager Krieg spielen zu lassen. Mit dem Güterzug ging es von Neumünster aus zum Schießplatz in der Heide. Dort angekommen, marschierten wir schnurstracks ins Gelände, um einen geeigneten Platz für den beabsichtigten Bunkerbau zu finden. Ohne jegliche Materialien sollten wir also an Ort und Stelle unsere Unterkunft selbst bauen, wie im wirklichen Krieg
. Offensichtlich hatte der Chef
diese Absicht nicht mit der Lagerleitung abgesprochen, denn plötzlich kam eine Ordonanz und machte ihm klar, dass wir hier keineswegs biwakieren könnten, weil wir uns mitten im Schießgebiet aufhielten. Das heißt, wir wären dann vermutlich auch scharf beschossen worden. So mussten wir Gott sei Dank umkehren, um die festen Unterkünfte im Lagerrevier aufzusuchen. Diese waren auch nicht viel besser als der Bunker. Es handelte sich um gemauerte Baracken
für jeweils etwa 30 Mann. Vorhandene Bettgestelle konnten belegt werden. Nachts, es war inzwischen kalt geworden, musste die Wache dafür Sorge tragen, dass der kleine Ofen nicht ausging. Für die Körperwäsche stand draußen eine Pumpe und man konnte sich mit Blechschüsseln bedienen. Ungemütlich!
Im Gelände wurde dann scharf geschossen, vor allem mit dem Maschinengewehr (MG). Ob dieser Ausflug
acht oder 14 Tage dauerte, erinnere ich nicht mehr. Auf jeden Fall waren wir froh, als es wieder nach Hause
in die Kaserne ging.
Um die Weihnachtszeit 1943 galt die Ausbildung als abgeschlossen und die Rekruten (bis auf die KOB‘s) bekamen Urlaub. Vorher fand noch eine Art Abschiedsfeier statt. Nach der Rückkehr vom Urlaub ging es gleich an die Front. Die KOB‘s wurden zusammengefasst, erhielten eine neue Führung und wurden geschliffen. Wer kann es den armseligen Unteroffizieren, zum Teil aus Österreich und dem Sudetenland, verübeln, wenn sie die nach Strich und Faden schliffen, die vielleicht einmal ihre Vorgesetzten sein würden. Zu Silvester gab es dann auch für uns Urlaub. Ich traf mich mit Klaus, der in seiner Arbeitsmanndienstuniform flott aussah, – absichtlich oder zufällig, weiß ich nicht mehr – im Parkhof am Ochsenzoll. Wir setzten uns an einen Tisch, an dem ein ganz entzückendes Mädel allein bereits Platz genommen hatte. Da Tanz um diese Zeit (1942 - 43) bereits verboten war, durften wir wahrscheinlich nur mit musikalischer Untermalung rechnen und im Übrigen darauf angewiesen sein, uns gegenseitig zu unterhalten.
Das hübsche Mädel hieß Martha genannt Peter
und stammte aus Fuhlsbüttel. Peter
deshalb, weil der Vater einen dritten Sohn erwartete, aber nur
ein Mädel ankam. Klaus und ich legten uns mächtig ins Zeug, um Eindruck zu schinden. Es wurde draußen schon hell, als wir sie per Hochbahn bis Fuhlsbüttel begleiteten. Mal ein Küsschen vom Klaus, mal eines von mir ‒ mehr hatten wir nicht zu bieten. Es war und blieb ein harmloses und armseliges Sylvester. Es war wohl kurz nach dem Krieg, als ich Peter
zufällig in der Hochbahn traf. Auch ihre beiden Brüder lernte ich später kennen.
Etwa um diese Zeit, Anfang 1943, hatte ich mich mit Furunkeln im Nacken herumzuschlagen, die dann vom Stabsarzt geschnitten werden mussten (da freut sich der Alte
!) ‒ natürlich ohne Betäubung. Das war nicht sehr angenehm.
Nach der Rückkehr vom Urlaub ging zunächst der Dienst weiter. Um die Zeit, als die Kameraden nach Lübeck in die Graf Waldersee-Kaserne abkommandiert wurden, erwischte mich eine starke Angina, die mich ins Lazarett brachte ‒ wieder eine neue Erfahrung. Ich kam zunächst in eine Isolier-Baracke und lag dort teilweise ganz allein. Dort machte sich auch die Schwierigkeit bemerkbar, mir aus der Armvene Blut zu entnehmen, was heute noch so ist. Die Schwester versuchte es viermal in jeder Armbeuge, bis sie Blut von mir hatte. Auch diese Zeit ging vorüber und ich kam in das Lazarett in Neumünster.
Dort hieß es gurgeln, gurgeln und nochmals gurgeln. Am Bett stand ein Glas mit etwa einem Liter Salbeitee, der am Tag ausgegurgelt
werden musste. Zu meinem Geburtstag am 3. Februar 1943 kam sogar meine Großmutter mich besuchen. War das eine Freude! Wenn ich heute darüber nachdenke, war meine Oma zu dieser Zeit bereits 68 Jahre alt und musste die Fahrt mit der Bahn bewältigen. Vater war in Polen Soldat, Mutter bei der MESSAP
[1] dienstverpflichtet. Die MESSAPDie Deutsche Messapparate GmbH
ging aus einer Kooperation des Schwarzwälder Uhrenherstellers Junghans mit dem Oberkommando des Heeres hervor und produzierte auf dem Werksgelände an der Essener Straße Zeitzünder für Granaten. Eingesetzt wurden KZ-Häftlinge aus dem KZ Neuengamme, Zwangarbeiter und Frauen, die hier als Dienstverpflichtige
ihren ganz normalen
Arbeitsplatz hatten. war ein Rüstungsbetrieb in im Langenhorn. Es war schon eine schwere Zeit, die eigentlich keiner wollte.
Meine Begeisterung für den Krieg war nicht sehr hoch, nur deutlich werden lassen durfte man das nicht. Jeder, der aus dem Tritt kam, wurde aus dem Verkehr gezogen. Das ging mitunter sehr schnell und gründlichIn der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Begriff Volksfeind
zur rechtlichen Verfolgung und Bestrafung verschiedener Teile der Gesellschaft verwendet. Als Volksfeind galten politische Gegner der NSDAP wie Kommunisten und Sozialdemokraten. Ebenso konnten auch Homosexuelle als Volksfeinde
verfolgt und bestraft werden. Im Mittelpunkt dieser Verfolgungen standen Juden und Zigeuner. Wer als Volksfeind
in den Fokus der GESTAPO (Geheime Staatpolizei) geriet, verschwand
über Nacht.Anmerkung der Readktion (HK). Es war zu Anfang des Krieges, möglicherweise 1940 oder 1941, als mein Schulkamerad Erich, der später in Italien als Soldat mit dem Auto tödlich verunglückte, und ich uns zufällig in der Nähe unseres Hauses an der Ohechaussee trafen und Neuigkeiten austauschten, als plötzlich unser Fähnleinführer Norbert, der beim späteren Einsatz in der Waffen-SS ein Auge verlor, ebenfalls per Fahrrad auftauchte und bei uns anhielt. Norbert war einige Jahre älter als wir, ich glaube Jahrgang 1920, und Schiffbauer im Hafen. Norbert war ein netter Kerl und eigentlich immer gut drauf. Als wir ihn ansprachen, druckste er herum und wollte gar nicht recht mit der Sprache heraus. Dann kam es mit betrüblichen Worten: Ich habe meinen Einberufungsbefehl erhalten und muss zum Kommis
. Erich und ich waren betroffen, hatten wir doch angenommen, dass er als HJ-Führer darüber begeistert sein musste. Dem war nicht so, und das gab uns zu denken.
Anfang März 1944 wurde ich aus dem Lazarett entlassen und bekam Urlaub. In der Zwischenzeit war ich Hilfskraft in der Schreibstube der Kompanie. Der dort beschäftigte Obergefreite Braun entpuppte sich als origineller Geschichtenerzähler. Angeblich war er mal als Agent tätig gewesen. Vermutlich hatte er das aber alles nur geträumt, so unwahrscheinlich waren seine Berichte. Der ebenfalls dort tätige Geldverwalter hatte Zugang zu den Ausgangskarten und so erlaubten wir uns späte Kinogänge. Dort sah ich den Film FrasquitaFrasquita ist eine österreichische musikalische Filmkomödie des tschechischen Regisseurs Karel Lamač aus dem Jahr 1934. Sie basiert auf der gleichnamigen Operette von Arthur Maria Willner und Heinz Reichert mit der Musik von Franz Lehár (1922). In den Hauptrollen verkörpern Hans Heinz Bollmann und Heinz Rühmann die befreundeten Männer Harald und Hippolit.
nach der Operette von Franz Lehár, der mir sehr gefiel.
Auch als Unteroffizier vom Dienst (UvD) durfte ich tätig werden. Es waren gerade einige Neumünsteraner von der Kriegsschule als Offizier zurückgekehrt und sollten an einer Übung teilnehmen. Einer der jungen Leutnants war in unserem Block einquartiert und gab mir abends die Weisung, ihn morgens zu einer bestimmten Uhrzeit zu wecken. Ich gab dies weiter an die Wachstube am Kasernentor, denn die überwachte auch die Weckzeiten. In der Nacht war dann zweimal Fliegeralarm und ich kam erst gegen 4.00 Uhr morgens in den Schlaf. Es war wohl so gegen 8.00 Uhr, als ein aufgeregter junger Leutnant sich vor meinem UvD-Zimmer bemerkbar machte. Er erteilte mir ein heftiges Donnerwetter, weil ich ihn nicht geweckt hatte und nun käme er zu spät zu seinem Einsatz. War mir das peinlich und ich versuchte, mich zu erinnern. Ja, da war ein kurzer Anruf gewesen, den ich aber kaum bewusst wahrgenommen hatte. Das könnte die Wachstube gewesen sein. Ich aber hatte mich übermüdet umgedreht und war sofort wieder eingeschlafen. Es stellte sich heraus, dass im Wachbuch meine Quittung über den Weckvorgang fehlte. Das war mein Glück. Anscheinend war niemand von der Wache losgeschickt worden, mich offiziell
zu wecken, wie es vorgeschrieben war.
Auch ich hatte das Glück
, Wache schieben zu dürfen. Ein eintöniger Dienst. Dabei wurde ich einmal, ‒ es war bitter kalt ‒ abgeordnet zum zweiten Tor am anderen Ende des Kasernengeländes. Man hatte uns eingeschärft, nach Anruf auf jeden zu schießen, der ins Kasernengelände eindringen wollte. Da stand ich nun neben dem Schilderhäuschen, eintreten durfte man erst ab 14 Grad Minus, und trat von einem Fuß auf den andern, als ich plötzlich ein Geräusch wahrnahm. Da standen drei Kameraden vor dem Tor und wollten eingelassen werden. Oh je, was sollte ich nun tun; sollte ich sie anrufen und dann erschießen? Wir kamen kurz in ein Gespräch und sie erklärten mir, dass Ihr Kasernenblock hier in der Nähe lag, weshalb sie nicht zum Haupttor gehen wollten. Bewaffnet waren sie auch nicht. Also ließ ich sie ein und die Sache war erledigt. Man lernt nie aus!
[1] Rüstungsbetriebe in Hamburg-Nord/Garstedt
Die sogenannte Schwarzwaldsiedlung
in Hamburg-Langenhorn entstand ab 1935/36 im Zusammenhang mit zwei großen Rüstungsbetrieben in der Essener Straße. Ab 1934 wurden in Langenhorn am nördlichen Stadtrand Hamburgs ein Werk für Munitionshülsen, Hanseatische Kettenwerke
und ein Werk zur Herstellung von Zeitzündern und programmierbaren Torpedosteuerungen, die Deutsche Messapparate GmbH
kurz MESSAP
errichtet.
Dies musste zunächst verdeckt und unter Tarnbezeichnungen geschehen weil mit den Werken die Bestimmungen des Versailler Vertrages unterlaufen wurden.
Die Messap entstand aus einer Kooperation der Firma Gebr. Junghans aus dem Schwarzwald und des Oberkommandos des Heeres. Für die Präzisionsarbeit bei der Herstellung der Zünder wurden Feinmechaniker gebraucht, man brachte die Uhrmacher der Firma Junghans aus dem Schwarzwald hier her. Damit diese sich mit ihren Familien ein wenig wohl fühlten, baute man ab 1936 in der näheren Umgebung mehrere Werkssiedlungen, die Schwarzwaldhäuser
, die zum großen Teil bis heute erhalten sind.
Außerdem gab es ab Anfang der 1940er Jahre auch mehrere Arbeitslager und ab Herbst 1944 ein Außenlager des KZ Neuengamme auf dem Gelände. Es wurden Zwangsarbeiter, KZ-Häflinge und diensverpflichtete
Frauen aus der näheren Umgebung als billige Arbeitskräfte eingesetzt.
Mitte September 1944 erreichten etwa 500 überwiegend litauische, aber auch polnische, tschechische und ungarische Jüdinnen das Frauenaußenlager Hamburg-Langenhorn (Ochsenzoll). Sie waren einige Tage zuvor im KZ Stutthof für den Arbeitseinsatz in Hamburg ausgewählt worden. Die Frauen, viele von ihnen im jugendlichen Alter, wurden in Langenhorn in zwei neu errichteten Baracken direkt neben dem Ostarbeiterlager Tannenkoppel
im Karree Weg, heute Essener Straße, untergebracht.
Anfang März 1945 kamen weitere 250 Frauen in das Lager. Es waren von der SS als kriminell eingestufte Häftlinge und Sinti und Roma, so genannte Zigeunerinnen
aus dem KZ Ravensbrück.
Die Frauen waren für die Hanseatischen Kettenwerke in Hamburg-Langenhorn und für einen Zweigbetrieb der Messap (Deutsche Messapparate GmbH) in der Schanzenstraße in der Rüstungsproduktion tätig. Einige von ihnen wurden in den letzten Kriegswochen im Auftrag der Stadt Hamburg bei Ausschachtungsarbeiten im Plattenhausbau eingesetzt.
Die beiden Langenhorner Werke nahmen nach den Werften die Plätze 3 und 4 unter den größten Hamburger Rüstungsbetrieben ein. Auch von den Betriebsgebäuden sind noch große Teile bis heute erhalten.
Quelle Arbeitskräfte: Gedenkstätte Neuengamme