Ein unheimlicher Abend
Es war ein ungemütlicher, nasskalter Novemberabend Anfang der 70er Jahre. Nach einem anstrengenden Arbeitstag freute ich mich auf einen schönen Feierabend in meinem gemütlichen, warmen Zuhause. Es war meine erste eigene Wohnung, die ich nach meiner einvernehmlichen Scheidung mit meiner kleinen Tochter bewohnte und in der ich mich sehr wohl fühlte. Es war die Erdgeschosswohnung eines Zweifamilienhauses, das in einer Vorstadtsiedlung von Offenbach in einer ruhigen Seitenstraße lag.
Nach dem Abendessen und einer Spielrunde legte ich meine Tochter ins Bett und nach der Gutenacht-Geschichte schlief sie friedlich ein.
Dann gönnte ich mir ein ausgiebiges Wohlfühlbad (Wellness wurde erst später erfunden) und setzte mich, eingekuschelt in meinen Bademantel, in das Wohnzimmer. Ich wollte noch einen Brief schreiben – ja, das machte man damals noch – und dazu etwas Musik hören.
Ich besaß eine neue Hi-Fi Stereoanlage, auf die ich sehr stolz war. Die Anlage bestand aus einem Rundfunkempfänger, einem Verstärker und einem Plattenspieler. Die zwei Lautsprecher waren in den großen Wohnzimmerschrank eingebaut. Ich legte eine Schallplatte mit meiner Lieblingsmusik auf den Plattenteller, stellte das Gerät an und der Tonarm legte sich sanft auf die Scheibe und ließdie Musik abspielen.
Dann setzte ich mich an den Wohnzimmertisch und begann mit meinem Brief. Ich war so in das Schreiben versunken, dass ich es nicht bemerkte, als die Musik zu Ende war und der Tonarm automatisch wieder zurück auf die Ausgangsstellung ging.
Es war mucksmäuschenstill. Plötzlich hörte ich eine laute Männerstimme im Raum. Dann war es wieder still. Ich war sehr erschrocken, aber als es ruhig blieb, dachte ich, dass ich mir das nur eingebildet habe und ich sicher übermüdet sei.
Doch dann hörte ich plötzlich wieder die Stimme. Es waren Sprachfetzen auf Deutsch. Dann war wieder Ruhe. Es wurde mir unheimlich und ich saßstarr auf meiner Couch. Ich dachte an Stimmen aus dem Jenseits, dem All, Gespenster, Außerirdische und andere Gestalten aus dem Horror- und Science-Fiction Bereich. Mein Geisteszustand machte mir Sorgen.
Dann sprach die Stimme ganz laut zu einem Manni
, um mit ihm einen Treffpunkt auszumachen. Da erwachte ich aus meiner Starre. Ein Gespenst hießganz bestimmt nicht Manni und mein plötzlicher Glaube an Übersinnliches ließwieder nach. Ich stand auf und wollte herausfinden, woher die Sprache kam. Es war sofort klar, die Stimme kam aus den Lautsprecherboxen. Der Mann redete auch wieder und bestätigte einen Treffpunkt in einem Lokal, das neben einem Blindenheim lag und nicht weit von meiner Wohnung entfernt war.
Obwohl ich von Technik kaum Ahnung habe, war ich mir ziemlich sicher, dass ich Funksprüche eines Teilnehmers gehört habe, die über meine Lautsprecher aufgefangen wurden. Ich schaltete die Stereoanlage aus und daraufhin blieb es ruhig.
Am nächsten Morgen sah ich mir die Antennen auf den umliegenden Hausdächern an. Damals waren auf jedem Haus mehrere unterschiedlich hohe Fernsehantennen. Auf dem übernächsten Haus war eine extrem hohe Antenne, die aber durch den Antennenwald auf den Dächern nicht so stark auffiel.
Um herauszufinden, wer hinter diesem Spuk steckt, ging ich in das genannte Lokal und fragte nach Manni. Die Bedienung schickte mich an einen Tisch, an dem zwei junge Männer saßen. Der eine kam mir bekannt vor. Es war ein Nachbar, der in dem Haus mit der hohen Antenne auf dem Dach wohnte. Der andere war Manni, ein blinder Bewohner des angrenzenden Blindenheims. Ich sprach sie an und erzählte, was mir am Vorabend passiert ist. Sie berichteten, dass sie beide Amateurfunker sind und auf diese Art immer in Kontakt bleiben. Als ich ihnen sagte, welche Angst ich ausgestanden hatte, war mein Nachbar ziemlich bedrückt. Er bat mich, das bitte nicht weiterzusagen, denn er hatte sein Funkgerät nicht ordnungsgemäßangemeldet. Er wollte jedoch sofort für Abhilfe sorgen.
Am nächsten Tag kam der Nachbar mit seinem Werkzeugkoffer und fragte, ob er in meine Stereoanlage eine Abschirmung einbauen dürfe, um das Phänomen zu beseitigen. Ich ließes widerwillig zu, denn wie schon erwähnt, war diese Neuerwerbung mein ganzer Stolz und ich befürchtete, dass etwas beschädigt werden könnte. Der Eingriff hatte jedoch geholfen und ich habe nie wieder Stimmen aus dem All
gehört.
Wie es sich zeigte, war mein Nachbar handwerklich und technisch sehr geschickt und er hat mir noch oft geholfen, wenn ich entsprechende Probleme hatte.
Vielleicht habe ich auch sein schlechtes Gewissen wegen seiner illegalen Funkanlage etwas ausgenutzt. Es blieb jedenfalls bei einer guten Nachbarschaft bis zu meinem Wegzug nach Norderstedt.