Erinnerungen einer Marinehelferin 1941 bis 1945
Kapitel 6
Überleben nach dem Krieg
Nachdem ich als MarinehelferinLesen Sie auch:
Erinnerungen einer Marinehelferin 1941-45 von Margot Fischer den Krieg und das Internierungslager überlebt hatte, mein Mann kurz nach dem Krieg verstorben war, kam ich in meine zerbombte Heimatstadt Offenbach zurück. Ich hatte keine Unterkunft und musste mit meiner kleinen Tochter bei meiner Großmutter unterkommen. Die Wohnung meiner Großmutter war völlig überbelegt und das Zusammenleben entsprechend schwierig. Ich suchte verzweifelt eine andere Unterkunft und bekam nach einiger Zeit auch ein Zimmer mit Küchenbenutzung zur Untermiete. Dieses Zimmer hatte man einem Nazi abgenommen und man kann sich vorstellen, wie wir hier aufgenommen wurden.
Eine eigene Wohnung zu bekommen, und wäre sie noch so klein gewesen, war ganz unmöglich. Es lebten damals ganze Familien der Ausgebombten in einem Zimmer wie bei meiner Großmutter. Die Aufräumungsarbeiten waren bereits in vollem Gange, aber an Bauen war noch lange nicht zu denken. Die Menschen waren schon froh, wenn sie wenigstens etwas zu essen hatten. Die Amerikaner schickten Mais, woraus man alles Mögliche kochen und backen konnte. Etwas Gutes war auch Milchpulver und einiges mehr, was für uns von unschätzbarem Wert war. Es wimmelte auf den Straßen von amerikanischen Soldaten. In meiner Heimatstadt und den umliegenden Städten waren auch sehr viele schwarze Soldaten. Es dauerte nicht lange, da waren die ersten schwarzen Babys zu sehen. Es gab Frauen, die für Essen und Zigaretten eine Liebschaft eingingen.
Ich stellte fest, dass die schwarzen Kinder überwiegend in den Straßen zu sehen waren, die von der armen Bevölkerung bewohnt wurden. Viele Frauen gaben ihre Kinder, denen man sofort ansah, wer die Väter waren, in ein Heim. Ich vermute, dass die Kinder zum größten Teil nach Amerika adoptiert wurden, denn nach ein paar Jahren waren sie vom Straßenbild fast verschwunden.
Wir lebten von der Hand in den Mund. Das bisschen Geld, das ich verdiente, brauchte ich für die Miete und die Unterbringung meines Kindes. Eines Tages bekam ich von der Caritas ein paar Kleidungsstücke für meine Tochter. Die Sachen waren von Amerikanern gespendet. Es war ein hübsches Teddymäntelchen dabei. Als ich mir das Mäntelchen genau ansah, bemerkte ich im Innenfutter einen Zettel, der mit einer Sicherheitsnadel befestigt war. Dieser Zettel enthielt eine Adresse in Nebraska/USA. Ich dachte, dass die Amerikaner auch gerne wissen wollten, wo ihre Sachen abgeblieben sind und so schrieb ich einen Brief, in dem ich etwas von mir und meinem Kind erzählte. Ich bekam lange keine Antwort, aber ich erwartete auch keine. Etwa ein halbes Jahr später bekam ich eine Karte vom Zollamt, dass ich ein Paket aus den USA abholen solle. Es kam von der Familie aus Nebraska. Alles Nahrhafte, was eine Farm herstellt, war darin: Schmalz, Speck, Honig. Auch Schokolade und Stoff für Kleidung war darin. Es war ein sehr wertvolles Paket und ich war glücklich und dankbar. Den Speck teilte ich mit meiner Tante Auguste, die auch häufig meine Tochter hütete. Wir hatten am Tag zuvor auf einer Hamsterfahrt ein Stück Speck eingebüßt. In dem wahnsinnig überfüllten Zug hatte die Tante den Rucksack in der Toilette des Waggons untergestellt, denn zwischen all den Füßen war kein Platz mehr, etwas abzustellen. Wenn die Leute die Toilette benutzten, machten sie natürlich die Türe hinter sich zu. So kamen wir zu Hause an und im Rucksack waren nur noch Kartoffeln. Den wertvollen Speck hatte jemand geklaut. Meine Tante, die ihre letzten Habseligkeiten dafür eingetauscht hatte, weinte bitterlich.
Mir konnte so etwas nicht passieren. Ich hatte ja nichts zum Tauschen. Ich musste mich aufs Betteln verlegen und so bekam ich immer nur eine Hand voll Kartoffeln. Die Bauern hatten zwar den Krieg genauso verloren wie die Städter, waren aber weniger vom Bombenhagel heimgesucht worden und mussten nicht hungern wie die Stadtbevölkerung. Aber jetzt war sich jeder selbst der Nächste. Doch das Leben ging weiter. Jede Woche quetschte ich mich in die überfüllten Züge und fuhr aufs Land, um ein paar Lebensmittel zu hamstern. Ein alter Müller im Spessart hatte sicher Mitleid mit mir, denn obwohl ich nicht mehr als eine Zigarre, die ich irgendwo geschnorrt hatte, als Gegenwert zu bieten hatte, gab er mir immer wieder Mehl. Immer einen Kissenbezug voll. Das Mehl konnte man beim Bäcker gegen Brot tauschen – ein Segen für mich. Ich war nur so dumm, einer Bekannten, die auch mein Kind manchmal in Obhut nahm, zu erzählen, woher das Mehl kam. Als ich das nächste Mal wieder zu dem Müller kam, war die Quelle versiegt. Der alte Mann sagte, dass zwei Frauen da waren – er beschrieb sie als meine Bekannte und ihre Mutter – und Mehl haben wollten. Sie bekamen aber keines. Dann beschimpften sie den Mann und sagten: »Ja, wenn die junge Hübsche kommt und schöne Augen macht, dann bekommt sie Mehl.« Der Müller sah mich nochmal sehr ernst an und schloss die Tür.
Ich hatte gehört, dass die Engländer auswanderungswillige Mädchen – auch mit Kind – aufnehmen wollten zum Arbeiten. Ich überlegte, ob das etwas für mich wäre. Aber mein Onkel, der gerade aus englischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrte, meinte, die Engländer wären so arm wie wir. Das Schlaraffenland wäre Amerika. Nun dachte ich wieder an meine amerikanische Familie in Nebraska. Ich schrieb einen sehr ausführlichen Brief an sie. Ich schilderte meine Verhältnisse in Westdeutschland, die hoffnungslose Situation und meine Hoffnung. in ein freies Land auszuwandern. Ich bat sie, mir zu helfen. Ich wollte arbeiten und alles abbezahlen, ich war ja noch so jung, erst 24 Jahre alt, mein Kind war zwei Jahre alt und man schrieb das Jahr 1948.
Ich hörte lange Zeit nichts, doch dann kam endlich eine Antwort. Die Leute hatten in Nebraska eine große Farm. Sie hatten fünf Kinder, die alle noch zur Schule gingen. Ja, Hilfe könnten sie schon gebrauchen und sie würden mir gerne helfen, dass ich nach Amerika kommen könnte. Der Vater hätte sich schon erkundigt, was er tun könne und man hatte ihm gesagt, dass ich in Deutschland einen Antrag stellen müsse, er würde dann für mich bürgen. Ich ging nach Frankfurt zum Konsulat und stellte meinen Antrag. Ich musste einige medizinische Untersuchungen über mich ergehen lassen und bekam dann eine Nummer, die mich berechtigte, einen Platz auf einem Auswandererschiff zu belegen. Jetzt galt es nur noch zu warten, bis der Tag gekommen war. Ich richtete mich darauf ein, dass es lange dauern würde. Aber dass ich schon die Nummer hatte, darum wurde ich glühend beneidet. Mit meinen Amerikanern entwickelte sich ein reger Schriftverkehr. Aber all das war vergebens, denn aus der Reise wurde nichts. Ich lernte meinen zweiten Mann Franz kennen und blieb in Deutschland.
Es gab eine Hochzeit, so einfach wie unser Leben damals war. Franz war gerade aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden und stand vor den Trümmern seines Hauses. So wohnten wir die erste Zeit zusammen in meinem möblierten Zimmer zur Untermiete. Wir gingen zu Fuß zum Standesamt und zurück auf unser Zimmer, wo nur die nächsten Angehörigen, die ihre Lebensmittelkarten zusammengelegt hatten, mit einem Festessen auf uns warteten.
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Als Nachkriegskind will ich aus eigener Erfahrung berichten, wie stark meine Kindheit und Jugend von den US-Amerikanern geprägt wurde.…klick von Margot Bintig
EPILOG
Margot und Franz Fischer brachten es zu einem bescheidenen Wohlstand, die Ehe war nicht glücklich, hielt aber trotzdem, bis Franz 1983 starb. Nachdem Margot Fischer erneut Witwe wurde, brach sie alle Zelte in Deutschland ab und übersiedelte nach Gran Canaria. Hier fand sie das Glück, dass sie all die Jahre vergeblich in der Heimat suchte. Margot Bintig, September 2016