Mein beruflicher Werdegang
Was muss man alles kennen und können, wenn man ‒ in diesem Falle wie ich ‒ einen Beruf erlernen will?
Mein Werdegang war eigentlich sehr früh vorbestimmt durch meinen Vater. Ich sollte mich niemals von einem Mann abhängig machen, predigte er mir bei jedem Berufsgespräch
. Für mich stand schon lange fest, ich wollte Verkäuferin werden.
Als ich dies meinem Vater sagte, war er geradezu erschüttert. Kind, das musst du wirklich nicht lernen, das hast du schon bei vielen Gelegenheiten bewiesen, dass du das kannst. Für dich gibt es zwei Möglichkeiten: entweder du wirst Finanzbuchhalterin oder Dolmetscherin ‒ also du lernst Sprachen.
Dieses Gespräch führten mein Vater und ich sehr vertraulich kurz vor dem Abschluss meiner Mittleren Reife. Meine Mutter wäre bestimmt in Ohnmacht gefallen, wenn sie mitbekommen hätte, dass mein Vater mich ins Ausland schicken wollte. In diesem Gespräch erklärte er mir, ich könne Sprachen nur richtig in den entsprechenden Ländern lernen. Bevor ich aber dort hinkomme, müsste ich erst einmal entsprechende Zeugnisse vorlegen. Für mich stand sofort fest: Ich lerne Sprachen Englisch und Französisch. Buchhalterinnen, die ich kannte, waren alle besonders kräftig gebaut und entsprachen überhaupt nicht meiner Vorstellung von erfolgreichen Frauen im Beruf und sie waren alle unverheiratet.
Zwei Jahre benötigte ich, um meinem Vater die entsprechenden Zeugnisse als Dolmetscherin für Englisch und Französisch vorzulegen. Ich fand ganz schnell eine Familie in Frankreich und im Anschluss daran, eine Stelle in England als Au-pair-MädchenLesen Sie auch:
Als Au-pair-Mädchen in Frankreich.
Am 22. November 1960 standen meine Eltern in Ostende am Kai, um mich in Empfang zu nehmen, ich hatte die erste Etappe geschafft; und es war der Tag ihrer silbernen Hochzeit, den wir dann gemeinsam in Holland feierten. Ich wusste nun genau, was ich alles anschließend ‒ nach fünf Tagen Urlaub mit meinen Eltern ‒ machen musste. Es war schön, wieder daheim zu sein. Ich stürzte mich auf alle Zeitungen, um endlich einer richtigen Arbeit nachgehen zu können, wie mein Vater es sich so schön für mich vorgestellt hatte. Jetzt gab es keine Vorgaben mehr für mich. Ich hatte inzwischen Stenografie, Schreibmaschine und Wirtschaftslehre mit Zertifikat abgeschlossen und traute mir jede Bürotätigkeit zu.
Die Firma Philipps suchte eine Fremdsprachensekretärin für Englisch und Französisch. Na, das war doch genau der Job für mich! Hanseatisch gekleidet mit dunkelblauem Kostüm, weißer Bluse und blau-weißen Stöckelschuhen machte ich mich auf den Weg.
Natürlich hatte ich vorher den zuständigen Herrn angerufen und einen ihm passenden Termin vereinbart. Ich erschien pünktlich und wurde sehr wohlwollend aufgenommen. Ich erzählte alles, was ich über das Unternehmen Philips wusste und merkte, dass ich damit punktete. Mir wurde sogar mein zukünftiger Arbeitsplatz gezeigt. Ich war sehr begeistert, wie mir dieser Herr alles erklärte. Leider merkte ich zu spät, dass ich nicht für den Personalleiter, sondern für ein Vorstandsmitglied arbeiten sollte.
Ja, und das Vorstandsmitglied hielt mich für zu unerfahren, um den Vorstand entsprechend zu entlasten. In zwei Jahren sollte ich mich doch noch einmal bei dem Personalleiter melden. Das kam für mich nicht in Frage. Meine Eltern versuchten, mich zu trösten, dass ich ja mit 20 Jahren auch wirklich noch sehr jung für so eine Tätigkeit sei. Es war lieb, wie sich alle bemühten, mir Mut zu machen, aber meine Euphorie war dahin.
Ich hatte mal wieder Glück, denn ich fand schnell eine neue Herausforderung, warum ich unbedingt Geld verdienen musste. Ich hatte mich verliebt, nicht in einen Mann, sondern in ein Auto ‒ einen Karmann-GhiaDer VW Karmann-Ghia (Typ 14) (['gia], nicht ['dʒia]) ist der Name eines Automobils des Volkswagenwerkes, das bei Karmann in Osnabrück gebaut wurde. Insgesamt 443.466 Wagen (362.585 Coupés und 80.881 Cabriolets) konnte Volkswagen zwischen 1955 und 1974 absetzen. Die Technik des Karmann-Ghia Typ 14 war bis auf wenige Details weitgehend identisch mit dem VW Käfer.Siehe Wikipedia.org. Da ich auch noch keinen Führerschein hatte, lagen also bedeutende Wünsche an, für die es sich lohnte zu arbeiten. Ich las wieder Anzeigen in der Zeitung. Da fiel mir eine sehr kleine Anzeige ins Auge. Ein Getreidehändler suchte für sein Sekretariat eine Nachwuchs-Sekretärin
mit englischen und möglichst auch französischen Sprachkenntnissen.
Mit meinem alten Elan ging ich an die Bewerbung heran und wurde sofort für den nächsten Tag bestellt. Die Firma hatte ihre Büroräume im fünften Stock am Jungfernstieg.
Dieses Mal war ich besser vorbereitet, ich war wieder hanseatisch
gekleidet und punkte hiermit sofort bei der Frau des Inhabers. Als dann die Frage nach meinen Gehaltswünschen kam, konnte ich wie aus der Pistole geschossen antworten 320 D-Mark netto
Alle lachten und der Chef fragte, warum gerade diese Summe. Ich zog einen DIN A4-Bogen aus meiner Tasche und sagte, das sind meine festen Ausgaben und den Rest muss ich sparen, damit ich bald meinen Führerschein und ein Auto bekomme
. Der Chef, was ich damals noch nicht wusste, war Carl-Heinz MahlmannCarl-Heinz Mahlmann (* 17. September 1907; † 7. November 1965 in Großensee) war 1929 bis 1935 Fußballspieler und vom 26. Januar 1951 bis zu seinem Tode 1. Vorsitzender des Hamburger SV. Als Carl-Heinz Mahlmann 16 Jahre später, am 26. Januar 1951, zum 16. Präsident des HSV gewählt wurde, ahnte wohl noch keiner das seine Amtszeit ein absoluter Glücksfall für den Verein und die Hansestadt werden sollte. In seiner fast 15- jährigen Präsidentschaft (Vereinsrekord) machte er den HSV zu einem der wohlhabendsten Clubs in Europa und auch sportlich führte er den Verein an die Spitze. !Siehe Wikipedia.org, Präsident des HSV, und sein Bruder war der damalige Trainer des HSV. Er erklärte mir, dass ich diese Summe nicht netto verdienen kann, weil seine langjährigen Mitarbeiter diese Summe nicht einmal brutto erhielten. Darauf erwiderte ich, dann sei heute doch ein schöner Tag, wenn er seinen Mitarbeitern berichten kann, dass er bis heute vergessen habe, die Gehälter einmal zu überdenken. Ich würde dann auch noch etwas zurückgehen.
Und so geschah es. Ich hatte fast den Job, da sagte Herr Mahlmann, ich muss Sie jetzt noch meinen beiden Prokuristen vorstellen, denn Sie werden vorwiegend mit den beiden Herren zu gleichen Teilen zusammenarbeiten und da muss die Sympathie stimmen
. Die beiden Herren machten auf mich einen guten Eindruck, sodass ich glaubte, ich könnte mit Ihnen gut zusammenarbeiten. Herr Mahlmann verschwand und ich saß mit den beiden Prokuristen an einem Tisch. Der ältere von beiden fragte mich Können Sie eigentlich Skat spielen?
Ich war einen Moment fürchterlich irritiert. Ich konnte keinen Skat, aber meine Eltern konnten beide Skat spielen, und da ich noch 14 Tage Zeit hatte, antwortete ich ich spiele ganz passabel, aber bis jetzt ohne große Leidenschaft
. Sie spielen also Skat, gut die Leidenschaft lernen Sie bei uns, dann sind Sie hiermit angestellt, um Ihr Gehalt kümmern wir uns auch
.
Zehn Tage lang spielte ich mit meinen Eltern jeden Abend eine Stunde Skat. Es ist ein Spiel, welches ich heute noch liebe. Fast auf jedem meiner PCs ist ein Skat-Spiel oder es wird sofort installiert.
Hurra, ich hatte einen tollen Job und dabei noch Kontakt zu Leuten wie Uwe Seeler, Klaus Stürmer und wie sie damals alle hießen. Auch mit meinen beiden Kolleginnen verstand ich mich prima. Sie führten mich sehr verständnisvoll in meine erste Arbeitsstelle ein. Noch heute ‒ nach 55 Jahren ‒ habe ich zu einer Kollegin einen freundschaftlichen Kontakt.
Übrigens ‒ an meinem ersten Arbeitstag musste ich einen fünf Seiten langen Maisbericht aus dem Englischen ins Deutsche übersetzen. Das Übersetzen klappte bestens, aber das Schreibmaschineschreiben machte mir sehr viel Ärger (ein Original und fünf Kopien!). Dank einer lieben Kollegin habe ich das aber an einem Tag gelernt. Die beiden Prokuristen fanden meine Schreibmaschinenkünste nicht besonders beeindruckend und baten mich nun zum Skatspiel. Das hatte ich nun bei meinen Eltern gut gelernt, aber zum Kartenspielen gehören Glück und gute Karten. Ja, und ich hatte Superkarten und konnte beide Herren von meinem Können
überzeugen.