Das Manuskript von Karl-Max Kober
Jutta, die Frau meines verstorbenen Freundes Max, hat mir 2009 ein Bündel loser Manuskriptseiten gegeben. Die mit Bleistift auf zerfleddertes Nachkriegspapier geschriebenen Zeilen sind zum Teil verwischt und kaum leserlich. Ich vermute, dass Max den Bericht bereits 1946, als 15-Jähriger, verfasst hat.
Zusammen mit meinem Bericht ist das nun ein Stück Zeitgeschichte. Die Aufzeichnung von Max endet dort, wo meine anfängt.
Der erste Teil dieser Notizen beschreibt die Tage während der tschechischen Revolution in Prag, Anfang Mai 1945. Max schildert, wie er mit seiner Mutter trotz gesperrter Straßen zu Fuß ins Riesengebirge marschiert, um bei Verwandten unterzukommen. Das Manuskript ist leider lückenhaft, und manches ist unklar. Offenbar kehrt Max dann allein zurück in die Prager Wohnung, um seinen Bruder zu suchen, und dabei wird er verhaftet und nach Theresienstadt verschleppt.
Ich habe mich hier an den zweiten Teil der Aufzeichnung gehalten. Wegen des recht großen Umfangs der Schilderung habe ich hier Auszüge zusammengestellt:
Im Internierungslager Theresienstadt 1945
Wir waren kaum im Innern des Gebäudes, als bereits ein wüstes Geschimpfe und Gefluche losging. Den Frauen, die teilweise noch Taschen oder Bündel bei sich trugen, wurde alles weggenommen. Auch ich musste alles abgeben, was sich in meinen Taschen befand […]
[…] Ich versuchte nun, einige Eindrücke meiner neuen Umgebung zu bekommen und sah mich ein wenig um. Da sprang einer der Partisanen, ein kleiner untersetzter Kerl mit einem Schädel, der mich stark an Mussolini erinnerte, auf mich zu und schrie mich, indem er mir einen Kinnhaken versetzte, an: Du Hitlersau, kannst du nicht stramm stehen; hast's doch gelernt bei der Hitlerjugend. Ich werd' dir helfen!
Dabei schlug er mir noch mal mitten ins Gesicht. Ich taumelte zunächst an die Wand, fasste mich aber wieder und stand stramm. Dreh dich um, und pass ja auf!
brüllte er noch und verschwand. Ich war fassungslos. Was hatte ich denn diesem Menschen getan? Meinem 14-jährigen Schädel wollte ein derartiges Vorgehen einfach nicht einleuchten.
Während mir solche Gedanken blitzschnell durch den Kopf sausten (der übrigens stark brummte), hörte ich hinter mir einen Aufschrei. Erschreckt drehte ich mich um und sah, wie einer dieser Kerle gerade eine Frau, eine von denen, die mit mir gekommen waren, schlug. Kaum jedoch hatte ich mich umgewandt, da war auch mein erster Freund
wieder zur Stelle und versetzte mir einen Schlag in den Magen, dass ich mich sofort zusammenkrümmte. Er hatte aber nur darauf gewartet, denn als ich durch die Krümmung meinen Kopf nach unten beugte, schlug er mir mit aller Gewalt ins Gesicht. Ich taumelte hin und her; der Magen schmerzte fürchterlich. Stell dich gerade, du Schwein! Hab ich dir nicht gesagt, du sollst stramm stehen und dich nicht umdrehen!
Er holte gerade zu einem neuen Schlag aus, als ihm ein anderer in den Arm fiel. Zunächst konnte ich nicht viel erkennen, denn mein ganzes Gesicht schien nur noch eine einzige Beule zu sein. An der Sprache merkte ich jedoch, dass der andere kein Tscheche war. Er trug eine dunkelgrüne Uniform, und an einem kleinen Stern erkannte ich, dass es sich nur um einen Russen handeln konnte. Er war ein ganz junger Kerl von allerhöchstens 18 Jahren. Was er sprach, konnte ich ja nicht verstehen, aber ich merkte, dass er den Tschechen zu beschwichtigen suchte und ihn von mir fort zog. Ich wandte mich wieder der Wand zu und versuchte stramm zu stehen, obzwar ich heftige Schmerzen in der Magengegend spürte. Nachdem ich so ungefähr zehn Minuten gestanden haben mochte, wurde ich durch einen Rippenstoß aufgefordert mitzukommen. Die Frauen hatte man bereits weggebracht. Ich wurde zwei Treppen hoch und dann durch einen langen Gang geführt. Mein Begleiter öffnete eine der Türen und stieß mich in einen Raum.
Ich befand mich in einem Klassenzimmer der Schule, an dessen Wänden große Büroschränke und im Raum selbst zwei Reihen Tische standen. Bei meinem Eintritt schlug mir eine Dunstwolke entgegen, die mir fast den Atem nahm. Dies rührte von einer großen Anzahl Menschen her, die sich in dem Raum befand […]
[…] Im Laufe des Gesprächs konnte ich dann Näheres über die letzten Tage in Prag erfahren. Verschiedene dieser Gefangenen waren notdürftig verbunden; manche konnten sich nicht bewegen. Als ich sie fragte, woher das stamme, sagten sie mir, sie seien geprügelt worden […]
[…] Ich fragte dann, ob nicht einer von ihnen wisse, wo mein Bruder sei, denn ich wusste ja, dass er auch in diese Schule geführt worden war, aber keiner konnte mir Auskunft geben. (Wie ich dann später erfuhr, war mein Bruder einen Tag vor meiner Ankunft von Prag aus in das Kohlenrevier Kladno abtransportiert worden.) Als wir uns über alles ausgesprochen hatten, verschenkte ich noch mein Brot, denn wie mir gesagt wurde, hatten diese Männer nun schon den zweiten Tag nichts zu essen bekommen. Schließlich legte ich mich dann todmüde auf einen der Tische und schlief sofort ein.
Am nächsten Morgen wurden wir durch einen der Partisanen geweckt. Es war ungefähr, dem Stand der Sonne nach, sechs Uhr. Nach einiger Zeit wurden wir aufgefordert, auf den Flur herauszutreten und uns in Viererreihen aufzustellen. Einige Kranke wurden zurückgelassen. Nachdem man uns mehrere Male abgezählt hatte, setzte sich unser Zug, der sich inzwischen noch um die Insassen anderer Zimmer vermehrt hatte, in Bewegung. Wieder wurden wir unter starker Bewachung durch die Straßen geführt; keiner wusste wohin. Plötzlich machten die ersten halt; wir waren am Ziel. Die Bewachungsmannschaften teilten uns in verschiedene Gruppen ein und wiesen uns unsere Arbeit zu. Wir mussten die Pflastersteine, die man zur Errichtung der Barrikaden herausgerissen hatte, zunächst einmal provisorisch einsetzen, damit der Verkehr wieder aufgenommen werden könne.
Unsere Wächter waren durchweg junge Menschen, die sich zu Beginn der Arbeit, als noch kaum jemand auf der Straße war, anständig benahmen. Als es jedoch später wurde und die Passanten uns bei der Arbeit beobachteten, begannen sie uns, durch Zurufe, Schmähungen und Drohungen aufgestachelt, in der Arbeit anzutreiben.
Während bisher jeder soviel Steine nehmen konnte als er zu tragen imstande war, wurde nun streng darauf geachtet, dass wir jedes Mal fünf dieser großen Katzenköpfe
nahmen; außerdem mussten wir jetzt alle Wege im Laufschritt zurücklegen. Dabei begann man, nach uns mit Steinen zu werfen, spuckte auf uns und schlug mit Gewehrkolben auf uns ein. Gegen Mittag waren wir durch die andauernde Lauferei völlig erschöpft. Die Sonne brannte auf uns nieder, und der Staub bedeckte den ganzen Körper. Zu trinken gab es nichts.
Um 12 Uhr wurde unsere Wache abgelöst. Obzwar die neuen Wächter sich sicherlich auch nicht von Humanität leiten ließen […]
[hier fehlen Seiten des Manuskripts]
[…] Der nächste Tag verlief ähnlich dem ersten, nur dass wir diesmal nicht mehr die Pflastersteine nur einzuschichten brauchten, sondern unter der Leitung einiger Tschechen-Pflasterer, die sich uns gegenüber sehr anständig benahmen, die Straße wieder in ordnungsgemäßen Zustand versetzen mussten.
Am Abend, nach unserer Rückkehr, breiteten sich dann verschiedene Gerüchte aus, wonach wir am nächsten Tag einer Untersuchungskommission vorgeführt werden sollten. Es war dies eine kleine Hoffnung, die sich aber, wie so viele andere im Laufe meiner Internierungshaft, als trügerisch erweisen sollte.
Im Lauf der folgenden Nacht wurden wir brutal von unserem Tisch hochgejagt und zwar aus folgendem Grunde: Der kleine Russe, der bei meiner Ankunft den Tschechen gehindert hatte, mich weiter zu schlagen, trat mitten in der Nacht in Begleitung einiger Partisanen in unser Zimmer und forderte uns auf, uns zu erheben. Dann mussten wir in einer Reihe antreten, und der Russe ging an uns entlang. Dabei musterte er unsere Schuhe und forderte einige meiner Mitgefangenen auf, die ihrigen auszuziehen. Dieser Vorgang wiederholte sich zweimal in dieser Nacht. Als man uns am nächsten Morgen wieder zur selben Zeit weckte und uns auch wieder durch die Stadt zu Arbeit führte, sank unsere Hoffnung, vor ein Gericht oder eine Kommission gestellt zu werden, wo sich ja dann herausstellen müsste, ob wir schuldig waren oder nicht, auf den Nullpunkt […]
[…] Wir arbeiteten also wieder, diesmal jedoch an einer anderen Stelle, die nicht so sehr im Verkehr lag wie der Arbeitsplatz der ersten beiden Tage. So waren wir auch nicht so sehr den Misshandlungen der Passanten ausgesetzt. Wir waren noch lange nicht mit unserer Arbeit fertig, und es war auch bei Weitem noch nicht 6 Uhr, als man uns aufforderte anzutreten. Im Gleichschritt marschierten wir heim
. Wir waren kaum in unseren Stuben angekommen, da mussten wir schon wieder heraustreten, diesmal unter Mitnahme auch der Kranken. Wie wir sehen konnten, mussten auch die Gefangenen aus den anderen Stuben heraustreten. Sollte sich das Gerücht doch verwirklichen?
Wir waren voller Hoffnung, als sich unser Zug, aber jetzt ungefähr aus 500 Personen, Frauen Kindern, Männern jedes Alters bestehend, in Bewegung setzte, nachdem man uns noch mitgeteilt hatte, dass beim geringsten Fluchtversuch sofort scharf geschossen würde. Bald jedoch schon sank unsere Hoffnung wieder, als wir nämlich bemerkten, dass unser Weg nach dem großen Polizeigefängnis Prags, dem Pankraz
, führte.
Wir waren noch keine 200 Meter von unserer Schule entfernt, als sich bereits wieder ein johlender Menschenhaufen um uns gesammelt hatte, aus dem dauernd Steine zu uns herüber flogen. Unsere Bewachung hatte viel zu tun, um wenigstens einigermaßen Ordnung in dem Zug zu behalten. Mehrere der Verwundeten konnten nicht gehen und mussten von den anderen getragen werden. Eine herzkranke Frau, die ebenfalls nur sehr langsam gehen konnte, blieb immer wieder zurück. Dadurch zog sich der Zug sehr in die Länge, und ich konnte beobachten, wie der hinterher gehende Posten durch Schläge mit dem Gewehrkolben versuchte, die Frau zum schnelleren Gehen zu bewegen, dabei stürzte diese aber mehrmals hin.
Schießt sie nieder, die Sau, eine Kugel in den Kopf, das ist das einfachste!
so ertönten die Rufe aus der Menge. Schließlich erlaubte uns der Partisanenhäuptling, die Frau zu stützen und ihr weiter zu helfen. Einer meiner Kameraden und ich liefen zurück und schleppten sie, so schnell es eben möglich war, weiter, um den Anschluss an den Zug zu erreichen. Dabei erhielt ich noch mehrere Kolbenstöße in den Rücken.
Der Zug näherte sich nun dem großen Gebäude des Polizeigefängnisses, dessen einer Teil völlig zerstört war, denn um den Pankraz waren während der Revolution heftige Kämpfe entbrannt. Er hatte mehrmals den Besitzer gewechselt. Das riesige Tor öffnete sich vor uns, und unser Zug schwankte in den Gefängnishof.
Zunächst wurde unser Zug wieder in der Ordnung aufgestellt, in der wir die Schule verlassen hatten; dann wurde […] im Manuskript unklarabgezählt. Schließlich wurden die Frauen auf der einen Seite des Hofes, die Männer auf der anderen aufgestellt, wo wir ziemlich lange stehen mussten. Die hohen Gefängnismauern, die kleinen vergitterten Fensterchen, das dauernde Geschrei und Geprügel unserer Wachmannschaften, all das machte einen deprimierenden Eindruck auf uns. Das Sprechen war uns strengstens verboten. Auch mussten wir stramm stehen, die Hände an der Hosennaht halten, und durften uns nicht rühren.
Nun begann man, kleine Gruppen von immer 30 Mann in eines der vielen den Hof bildenden Gebäude hineinzuführen. Endlich kam auch ich dran. Im Laufschritt ging es einige Treppen hoch, durch eine schmale Tür hindurch und einen langen engen Gang entlang bis zu einem schweren Eisengitter, vor dem wir gezwungen waren, Halt zu machen. Zwei Gendarmen mit Gummiknüppeln, Gewehren und langen ledernen Hundepeitschen nahmen uns dort schreiend in Empfang; sie stellten uns an die lange Wand und zwar so, dass wir mit der Nase die Mauer berühren mussten. Dann wurde uns befohlen, die Hände hochzunehmen und uns nicht mehr zu rühren. Das ging eine Zeitlang gut, aber schließlich begann der eine oder andere doch zu ermüden und senkte die Arme ein wenig; schon gab es Schläge mit dem Knüppel bzw. Gewehrkolben.
Wir hatten ungefähr fünf Minuten so gestanden, da öffnete sich das Eisengitter, und durch einen Schlag mit der Hundepeitsche wurde den ersten drei Mann bedeutet, durch das Gitter hindurchzulaufen. Wir anderen mussten stehen bleiben. Dieser Vorgang wiederholte sich rund alle fünf Minuten.
Da ich einer der letzten der langen Reihe war, war ich also gezwungen, eine Dreiviertelstunde mit erhobenen Armen und der Nase an der Wand still zu stehen. Ich habe mir später oft die Frage vorgelegt, woher ich damals die Kraft genommen habe, das auszuhalten. Scheinbar war es die ungeheure Angst, die mir und den anderen diese Kraft verliehen hatte, denn normalerweise hält eine solche Stellung ein Mensch fünf, höchstens zehn Minuten aus.
Einige meiner Mitgefangenen, die doch hin und wieder die Hände langsam sinken ließen, weil ihre Kräfte ganz einfach zu Ende waren, mussten dies teuer bezahlen. Dauernd hörte ich das Klatschen der Hundepeitschen und das leise Wimmern der Getroffenen. Auch konnte man in manchem ruhigen Augenblick ein wildes Schreien und Kreischen von der Gittertür her hören, durch die wir ja durchgehen mussten.
Endlich war die Reihe an mir. Ich hörte wieder das Klirren der Schlüssel, und dann spürte ich auch schon einen brennenden Schmerz in meinen Händen; einer der Wächter hatte uns, den nächsten dreien, die an der Reihe waren, mit seiner langen Hundepeitsche über die hocherhobenen Hände geschlagen. Los, ihr Hunde, macht, dass ihr vorbei kommt!
Endlich konnten wir unsere Hände herunterlassen; es war wie eine Erlösung, obwohl eine jede Bewegung heftigen Schmerz in der Schulter verursachte. So schnell wie es uns möglich war liefen wir jetzt durch das Gittertor hindurch und wieder einen schmalen Gang entlang, von dessen Ende her wir ein furchtbares Schreien und das dumpfe Schlagen von Gummiknüppeln hören konnten. Aus einer bereits offenen Tür trat ein Gendarm hervor und stellte uns drei wieder an die Wand, und wieder mussten wir die Hände hochnehmen. Dies fiel uns jetzt doppelt schwer. Gott sei Dank dauerte es jetzt nicht mehr so lange wie vorhin.
Dem ersten von uns dreien wurde wieder durch einen Peitschenschlag bedeutet, in das offen stehende Zimmer zu treten. Als nächster war ich an der Reihe. Das Schreien und Wimmern, das wir schon vom anderen Ende des Ganges vernommen hatten, musste aus irgendeiner der Türen dringen, von denen es unzählige in diesem Gang gab. Ja, jetzt war ich dran. Ich betrat das kleine Zimmer, in dem sich außer einem großen Schreibtisch nichts weiter befand. Ein Zivilist nahm meine Personalien auf, dann verließ ich den Raum durch eine andere Tür, die wieder auf einen Gang führte. Dieser war nach oben hin durch ein Drahtgitter abgesperrt.
Die vielen kleinen Türen mit den Guckfensterchen sagten mir, dass ich mich jetzt im eigentlichen Innern des Gefängnisses befand. Mir wurde bedeutet, mich zu einer Gruppe von Häftlingen zu stellen und ebenso wie diese meine Kleider abzulegen. Der Wärter, der uns dabei zu bewachen hatte, bildete eine rühmliche Ausnahme unter seinen Kollegen. Er war freundlich und unterhielt sich mit uns.
Ich war gerade damit beschäftigt, meine Schuhe auszuziehen, als mir jemand auf die Schulter klopfte, und groß war mein Erstaunen, als ich einen alten Schulfreund meines Bruders erkannte. Er war der erste Bekannte, den ich traf, und wir beschlossen, den Wärter zu bitten, uns zusammen zu lassen, denn inzwischen hatte er uns gesagt, dass wir jetzt in die Zellen geführt würden. Es gelang uns dann auch, unsere Bitte durchzusetzen.
Plötzlich wurde eine der vielen Türen heftig aufgerissen; es war die, hinter der man bis vor kurzem noch das Schreien und Jammern hören konnte; ein Mann stürzte hervor und hinter ihm drei tschechische Gendarmen in Uniform, die unaufhörlich auf ihn einschlugen. Der Mann war kaum imstande, gerade zu gehen; sein Gesicht war völlig mit Blut überströmt. Da hatte ihn einer seiner Peiniger eingeholt und hielt ihn fest. Die anderen beiden schlugen weiter auf ihn ein. Wie ich aus dem Rufen und Fluchen entnehmen konnte, glaubte man in dem Mann einen ehemaligen Gefängniswärter erkannt zu haben, obzwar er immer und immer wieder jammernd beteuerte, er sei es nicht, und er sei unschuldig. Schließlich hörten die drei mit dem Prügeln auf. Dafür musste ihr Opfer aber jetzt, auf den Zehenspitzen stehend, mit vorgestreckten Armen Kniebeugen machen und dabei laut zählen. Immer wieder schrie man ihn an, er habe sich verzählt, und er musste noch mal von vorn anfangen. Die anderen standen dabei, schrien, lachten und schlugen hin und wieder zu.
Einem von ihnen schien ein Gedanke gekommen zu sein. Er entnahm seiner Brieftasche ein Stück Papier, hielt es in Augenhöhe an die Wand und befahl dem Manne, das Papier mit der Nase an der Wand auf und ab zu schieben. Dies war natürlich ein unmögliches Verlangen, zumal die Mauer ziemlich rau war. Sobald das Papier, das bereits nach ganz kurzer Zeit völlig rot war, herunterfiel, setzte es wieder Schläge über Schläge. Ich werde das Winseln und Jammern dieses Menschen, dessen Gesicht von Blut überströmt und dadurch unkenntlich war, nie vergessen […]
[…] Nachdem man alle unsere Kleider gründlich untersucht hatte, ob wir nichts bei uns führten, durften wir sie wieder anziehen und wurden dann zu je fünf Mann in eine der Einzelzellen geführt. Als die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, atmeten wir alle erleichtert auf, denn nun waren wir ja unter uns, und die Gefahr, die uns draußen umgeben hatte war zunächst etwas gebannt.
Selbstverständlich ging es nun erst einmal ans Erzählen. Ein jeder berichtete, was er erlebt hatte, und es würde mir nicht schwer fallen, die Erlebnisse eines jeden Einzelnen dieser vier hier wiederzugeben, denn derartige Dinge prägen sich einem fürs ganze Leben ein. Aber ich sehe meine Aufgabe hier lediglich darin, mein eigenes Erleben zu erzählen.
Ich kann es nicht genau sagen, wie lange wir ungefähr schon in unseren Zellen gesessen haben mochten, als plötzlich an der Tür das Klirren von Schlüsseln zu vernehmen war. Ein Wärter öffnete die Tür und gab die Gefängnisordnung bekannt, die ich den anderen verdeutschen musste. Er machte mich dafür verantwortlich, dass alles nach seinen Weisungen geschehen solle. Dann wurden uns Strohsäcke und Decken hereingereicht, denn in der Zelle befand sich nur ein Bett. Um acht Uhr ertönte ein Gong, das Zeichen zur Ruhe; von da an hatten wir alle auf den Strohsäcken zu liegen und uns ruhig zu verhalten. Obzwar ich todmüde war, konnte ich lange nicht einschlafen und hörte von Zeit zu Zeit das Klappern des Spions an der Tür.
Als am nächsten Morgen der Gong zum Wecken ertönte, war ich kaum imstande, mich von meinem harten Lager zu erheben. Ich fühlte mich wie zerschlagen, und den anderen ging es ebenso. Die Gefängnisordnung besagte aber, dass sich mit dem Weckzeichen alle zu erheben hätten, und dass um halb acht die Zelle bereits tadellos sauber, d.h. geschrubbt sein müsse.
Ich war ja für alles verantwortlich und hatte mich also auch darum zu kümmern. Das Wasser zum Schrubben stand in einem Eimer bereit. Punkt halb acht hörten wir wieder das Klappern des Spions, durch den der diensthabende Wächter nachsah, ob alles fertig sei. Einige Minuten später gab es den Kaffee
für alle fünf zusammen und zwei Pfund Brot.
Ungefähr um zehn Uhr hörten wir draußen im Gang, im Gegensatz zu sonst, wo es immer totenstill war, ein heftiges Stimmengewirr, das Klappern der Schlüssel, das Fluchen der Wächter und das Schlagen von Türen. Auch wir wurden aufgefordert, aus den Zellen herauszutreten. Zunächst dachten wir, wir würden abtransportiert, aber dem war nicht so. In der Mitte des Ganges hatte man einige Stühle aufgestellt, auf die wir uns der Reihe nach setzen mussten. Ungefähr zehn Friseure waren damit beschäftigt, uns die Haare abzuschneiden. Als wir dann einer nach dem anderen wieder in die Zelle kamen, brachen wir, trotz des Ernstes unserer Lage, alle in lautes Lachen aus, denn der Anblick war doch zu komisch.
Um zwölf Uhr gab es dann das Mittagessen, das aus gekochtem Trockengemüse und Sauerkraut bestand. Es schmeckte abscheulich, aber in Anbetracht des Hungers, den wir alle hatten, waren wir froh, überhaupt etwas in den Magen zu bekommen. Für den Rest des Tages ließ man uns dann in Ruhe. Zu essen gab es nichts mehr.
Der nächste Tag jedoch brachte ein wenig Abwechslung und ließ uns so ein wenig den nagenden Hunger vergessen. Vormittags wurde unsere Zelle zum Kartoffelschälen bestimmt, und nachmittags mussten wir im Gefängnisgarten Unkraut jäten. Obzwar es empfindlich kalt war, zwang man uns, die Oberhemden abzulegen und so draußen zu arbeiten. Irgendetwas über unsere Zukunft zu erfahren, gelang uns nicht.
Am Morgen des dritten Tages wurden wir zum Spaziergang
auf den Hof geführt. Dieser Spaziergang sollte an und für sich eine Erholung für uns werden; unsere Wächter verstanden es aber meisterhaft, ihn zu einer Anstrengung und neuen Schikanen zu gestalten. Unter Schlägen und Geschrei wurden wir gezwungen, so schnell wie es uns irgend möglich war, zu laufen, und zwar eine halbe Stunde lang. Als wir wieder unsere Zellen erreichten, waren wir völlig erschöpft.
Zu Mittag, kurz nach der Essenausteilung, bekamen wir Wäsche und Häftlingskleider. Das ließ natürlich unsere Stimmung auf den Nullpunkt sinken, denn wir sahen daran, dass man gewillt war, uns auf längere Zeit dort gefangen zu halten. Es sollte aber anders kommen.
Wir waren mit dem Ankleiden gerade fertig, als ein tschechischer Zivilist in unsere Zelle kam, unsere Personalien aufnahm und uns befahl, wieder eigene Kleider anzuziehen, und zwar sollten wir uns dabei beeilen. Bereits nach einigen Minuten wurden wir aufgefordert, auf den Gang zu treten. Die Insassen der vor uns liegenden Zellen standen bereits da. Im Gleichschritt marschierten wir dann denselben Weg zurück, den wir vor drei Tagen gekommen waren; erst auf dem großen Hof machten wir Halt. Dort befand sich bereits eine große Menge Menschen, und immer mehr kamen hinzu.
Wir wurden wieder, wie bei unserer Ankunft, an die Wand gestellt und warteten nun der Dinge, die da kommen sollten. Durch das dauernde Hin und Her und das viele Geschrei der Wächter war es uns auch hin und wieder möglich, ein Wort mit dem Nachbarn zu wechseln. So erreichte uns das Gerücht, dass wir nach Deutschland abtransportiert werden sollten.
Plötzlich wurde uns befohlen, die Hände zu erheben und kein Wort zu sprechen. An den Stimmen war zu hören, dass man auch Russen mit auf den Hof gebracht hatte. Auch diese standen mit erhobenen Armen, das Gesicht zur Wand gedreht. Bisher war das Wetter sehr schön gewesen; plötzlich begann sich jedoch der Himmel mit dunklen Wolken zu bedecken, und ein Gewitter ging nieder. Viele von uns standen barfuss oder in Socken da; keiner besaß einen Mantel. Da wir die Arme erhoben halten mussten, lief das Wasser durch die Ärmel den ganzen Körper entlang. Wir froren empfindlich. Nach ungefähr zwei Stunden, bis dahin hatten wir mit erhobenen Armen gestanden, wurden wir dann auch in die große Kolonne eingereiht, die man auf dem Hof zusammenstellte. Und dann endlich setzte sich der lange Zug unter stärkster Bewachung in Bewegung.
Kaum hatten die ersten das große Tor des Gefängnisses durchschritten, als sich auch schon wieder eine Menge Menschen um uns herum sammelte und Schimpfworte, Drohungen und Flüche auszustoßen begann. Wir mussten ja einen sehr eigenartigen Eindruck gemacht haben mit unseren Glatzen - viele von uns waren barfuss, anderen wieder hatte man die Kleidung zerfetzt.
So ging es also unter Begleitung einer johlenden Volksmenge durch die Straßen. Oftmals mussten die Bewachungsmannschaften einschreiten, sonst hätte man uns wohl gesteinigt oder totgeprügelt. Meine Empfindungen zu schildern, die ich hatte, als ich unter diesen Umständen durch die altbekannten Straßen marschierte, wäre vergebliches Bemühen.
Nach ungefähr einstündigem Marsch - der Weg war lang, und wir mussten mit Rücksicht auf die Verwundeten langsam gehen - erreichten wir den Hyberner Bahnhof, der im Zentrum der Stadt gelegen war. Eine ungeheure Volksmenge hatte sich inzwischen um uns versammelt und war mitgezogen. Als wir nun durch das große Gittertor gingen, das das Bahnhofsgelände zur Straße hin abschloss, versuchte dieser Mob, sich mit durchzuzwängen, und unsere Begleiter mussten ihre Knüppel, die sie unsretwegen mitgenommen hatten, gegen die eigenen Volksgenossen in Anwendung bringen. Hinter uns musste das Tor geschlossen werden. Noch lange konnten wir das Gejohle und Geschrei des Pöbels vernehmen.
Nun begann man uns in bereitstehende Güterwagen zu verladen. Dabei wurde von Seiten unserer Bewachung natürlich keine Gelegenheit zum Prügeln versäumt. So mussten wir eine lange, ganz schmale Rampe entlang laufen, auf der sich mehrere Gendarmen aufgestellt hatten und einem jeden, der vorbei kam, mit dem Gummiknüppel oder auch mit einem Pistolenkolben einen Schlag versetzten. Bis wir uns dann endlich in dem uns zugewiesenen Wagen, so gut das bei der Enge des Raumes eben ging, platziert hatten, kamen einige Russen herein und besichtigten unsere Schuhe. Mehrere meiner Kameraden mussten ihre ausziehen, und dabei gab es wieder Prügel.
Wir glaubten, alles bald überstanden zu haben, denn wir waren davon überzeugt, dass wir nach Deutschland transportiert würden. Ein tschechischer Eisenbahner jedoch belehrte uns eines anderen: Unser Transport sei nach Theresienstadt bestimmt, sagte er und löste damit natürlich bei mir ein ungeheures Erschrecken aus. Wenn man auch bisher nicht viel von Theresienstadt gehört hatte, so war es doch bekannt, dass unter der deutschen Besatzung ein Judenghetto sowie ein Konzentrationslager errichtet worden war - dort also sollten wir hinkommen! Nach einer Wartezeit von ungefähr drei Stunden setzte sich unser Zug dann in Bewegung, nachdem man die Türen von außen her verschlossen und uns vor jedem Fluchtversuch gewarnt hatte.
Obzwar der Platz in dem Wagen, wie ich schon sagte, äußerst eng war, hatte ich mir doch einen einigermaßen guten Stehplatz in der Nähe der Tür gesichert. Ich war dermaßen müde, dass ich mich nicht mehr halten konnte und so im Halbschlaf zusammensackte. Als ich nach längerer Zeit durch ein eisiges Kältegefühl erwachte, lag ich mit dem Rücken an die Tür gelehnt da. Durch den starken kalten Luftzug, durch die völlig durchnässten Kleider und die eigenartige Lage, die man weder als Sitzen noch als Liegen bezeichnen konnte, waren meine Glieder völlig erstarrt.
Ich versuchte also, mich zu erheben, was mir auch nach einiger Anstrengung gelang. So verbrachte ich den Rest der Fahrt im Stehen, indem ich vergeblich immer wieder versuchte, mich vor dem eisigen Zug irgendwie in Sicherheit zu bringen.
Nach einer Fahrt von sieben bis acht Stunden, zu der man normalerweise eine knappe Stunde benötigt, kamen wir auf dem Bahnhof Bauschowitz an. Die Türen wurden aufgerissen, und wir stiegen aus. Eine feuchte, neblige Kälte empfing uns. Es war noch Nacht. Nach vielem Fluchen, Prügeln und Geschrei hatte sich unser Zug endlich wieder formiert, und wir marschierten in Richtung Theresienstadt ab.
Es war der 24. Mai 1945. In der Ferne, hinter den Bergen des böhmischen Mittelgebirges, begann es bereits zu dämmern. Ich hatte mich gleich zu Anfang gemeldet, Verwundete oder alte bzw. kranke Frauen tragen zu helfen. Über eine Stunde waren wir schon die Straße dahingezogen, da tauchte vor uns ein Straßenschild mit dem Namen Theresienstadt
auf. Darunter hatte man eine große gelbe Tafel mit einem schwarzen Totenkopf und der Inschrift Typhus
angebracht. Diese Tafel bereits ließ in uns allen das kalte Grausen aufsteigen. Zwischen zwei Festungswällen führte die Straße ins Innere der Stadt. Wir glaubten nun, dass wir am Ziel seien, und unser Staunen war daher groß, als wir die Stadt durchschritten hatten und zum anderen Ende wieder hinausmarschierten. Außer einigen tschechischen Gendarmen bzw. Partisanen in Afrikauniform waren wir keiner Menschenseele begegnet. Wo sollte es nun hingehen?
In der Nähe tauchte ein neuer hoher Festungswall auf, auf den unsere Straße geradewegs zuführte. Als wir näher kamen, erblickten wir eine große gelbe Fahne, das Zeichen der Quarantäne. Bereits nach kurzer Zeit hatten die ersten das große geschlossene Tor erreicht. Einer meiner Kameraden, der diese Gegend von früher kannte, erklärte, dass die eigentliche Stadt Theresienstadt, durch die wir durchmarschiert waren, von der SS als Judenghetto genutzt worden sei, und dass wir uns in der Kleinen Festung
, dem KZ befanden.
Als unsere Kolonne aufgerückt war, klopfte einer der Gendarmen, der uns begleitet hatte, mit seinem Kolben an das Tor, worauf sich eine kleine darin eingelassene Tür öffnete und einige Partisanen sowie Zivilisten mit Gewehren herauskamen. Diese gingen zunächst einmal forschend und suchend an der Kolonne entlang. Dabei holten sie zwei Männer aus unseren Reihen heraus, mit denen sie durch das Tor verschwanden. Nach einiger Zeit wurden dann Tragbahren gebracht, um die Verwundeten bzw. die, welche nicht laufen konnten, fortzubringen. Dies alles verlief ziemlich ruhig, und wir glaubten schon, hier würde es uns endlich besser gehen als bisher.
Da öffnete sich das große Tor vor uns, und wir marschierten in das Innere der Festung. Der erste Eindruck, den wir hatten, war ein sehr angenehmer. Eine schöne breite Straße führte uns an kleinen schönen Häuschen vorbei. Das Ganze sah aus wie ein friedliches Dörfchen. Von einem KZ zunächst keine Spur. Nachdem wir einige hundert Meter weit gegangen waren, machte der Zug wieder vor einem großen Tor halt. Die Frauen wurden in einem besonderen Zug aufgestellt und marschierten in Richtung eines großen Gebäudes ab.
Plötzlich gingen die großen Flügel des Tores vor uns auf, und da hörte ich auch schon ein Schreien, das mit eigenartig klatschenden Schlägen vermischt war. Ein Stoß, der mir von hinten versetzt wurde, ließ mich auf meinen Vordermann taumeln. So begann die ganze Kolonne ruckartig nach vorn zu drängen; die Vordersten begannen zu laufen. Die Straße, die bisher eben gewesen war, begann sich stark zu senken.
Wir wurden in eine lange finstere Toreinfahrt getrieben, die schon fast als ein Tunnel bezeichnet werden konnte, nach vorn hin jedoch abgeschlossen war. Nur ein ganz kleines Türchen hatte man aufgelassen, durch das ein Mensch nur in gebückter Haltung hindurchschlüpfen konnte. Das Schreien von hinten wurde immer lauter und der Druck immer stärker. Ich sah, wie einige Männer mit langen Knüppeln bewaffnet auf die hintersten Kameraden einschlugen. Nach vorn war aber nur das kleine Türchen geöffnet, hinter dem rechts und links ebenfalls Tschechen mit Knüppeln standen und auf jeden, der durchkam, einschlugen, was zur Folge hatte, dass, sobald einer von uns gestürzt war, durch das Drängen der Nachfolgenden sich ein Knäuel von Leibern bildete. Das Geschrei war entsetzlich.
Nach einiger Zeit erreichte auch ich schließlich das Türchen und musste, ob ich wollte oder nicht, hindurch. Ich sprang über einen gestürzten Kameraden hinweg, erhielt einen heftigen Schlag in den Rücken und stürzte ebenfalls, jedoch besaß ich noch genug Geistesgegenwart, mich sofort weiterzurollen und dadurch aus der Reichweite der Knüppel zu kommen. Eiligst erhob ich mich und lief weiter.
Vor mir lag ein ungefähr 100 Meter langer und 30 Meter breiter Hof, der nach hinten durch eine kleine Terrasse, hinter der sich die hohe Festungsmauer erhob, abgeschlossen war. Auf dieser Terrasse hatte man ein großes Kreuz und zwei Fahnen aufgestellt. Nach den Seiten war der Hof durch lange flache barackenähnliche Gebäude mit vergitterten Fenstern abgeschlossen.
Meine Kameraden, die bereits ebenso wie ich das Tor passiert hatten, drängten sich an dem hinteren Ende des Hofes zusammen, und auch ich lief in dieser Richtung weiter. Dort standen wir […] schwitzendim Manuskript unklar; die meisten von uns bluteten stark. Das Schreien und das Klatschen der Schläge dauerte noch eine geraume Weile an. Jedes Mal, sobald einer der Gefallenen sich nicht mehr erhob, ertönte der Ruf Wehrmacht
, worauf aus einer der Zellen, die den Hof nach der Seite hin abschlossen, vier Mann in deutscher Wehrmachtsuniform hervorstürzten, den Gefallenen an Händen und Füßen packten und fortschleppten. Endlich war auch der letzte durch das schmale Türchen hindurchgekommen und bei uns angelangt.
Und jetzt kamen auch unsere Peiniger wieder an. Ungefähr 20 Mann waren es im Ganzen; diejenigen, die von hinten auf uns eingeschlagen hatten, mit eingerechnet. Zwei junge Mädchen waren auch dabei. Sie kamen, jeder einen ca. 80 cm langen, am unteren Ende mit Eisen beschlagenen Knüppel in der Hand, auf uns zu und begannen auf uns einzuschlagen. Unser Häufchen begann nach allen Seiten auseinander zu laufen. Da der Hof nach allen Seiten hin abgeschlossen war, konnte keiner von uns entrinnen. Es setzte jetzt eine wüste Hetzerei ein, die ungefähr eine halbe Stunde dauerte. In dieser Zeit ertönte mindestens 15 Mal der Ruf Wehrmacht
, was ja bedeutete, dass 15 Kameraden in dieser Zeit ihr Leben lassen mussten. Auch ich erhielt mehrere Schläge, konnte mich aber immer noch aufrecht halten. Wer einmal am Boden lag, war meist verloren.
Das schrille Schreien oder das leise Wimmern, das viele Blut sowie dessen intensiver, süßlicher Geruch, die wie entferntes Holzhacken klingenden Stockschläge, sowie die Angst um das Leben, dies alles bildete eine entsetzliche Atmosphäre, die meinen Körper wie im Schüttelfrost erbeben ließ.
Es war schrecklich anzusehen, wie auf Menschen, die gefallen waren, eingeschlagen wurde. Ich sehe das Bild noch heute deutlich vor mir: Einer meiner Mitgefangenen, ungefähr vierzig Jahre alt mochte er sein, war durch einen Schlag zu Boden gefallen. Bevor er sich jedoch hatte erheben können, war bereits ein zweiter Partisan zur Stelle, der im Verein mit seinem Kumpan auf den am Boden Liegenden mit aller Wucht einschlug. Die Knüppel sausten durch die Luft und fielen krachend auf den Körper des Gestürzten. Zunächst trafen sie nur das Gesäß oder den Rücken; das schien den beiden aber nicht zu genügen, und so begannen sie den Gefangenen so zu bearbeiten, dass er auf den Rücken zu liegen kam.
Und nun spielte sich vor meinen Augen eine Szene ab, die mir das Blut in den Adern erstarren ließ. Die Stockschläge hatten bisher nur die untere Hälfte des Körpers getroffen, jetzt aber schlugen die beiden auch auf die Brust des Daliegenden, und mit den Stiefelabsätzen traten sie ihm mitten ins Gesicht. Das schrille Schreien des Mannes war ganz entsetzlich anzuhören. Blutiger Schleim stand ihm vor dem Mund, aus seinen Augen sprach der helle Wahnsinn; er lag in einer großen Blutlache. Nach und nach wurde sein Schreien schwächer, bis schließlich nur noch ein leises Wimmern und Stöhnen aus seinem Munde klang. Die beiden Mörder aber lachten und rissen Witze.
Der eine versetzte dem Sterbenden noch einen Fußtritt in den Magen, der diesen noch einmal aufschreien ließ. Wirst du wohl ruhig sein, du Schwein
, rief darauf der Tscheche, und nochmals fielen sie über den Mann her. Als er nach einer Weile kein Lebenszeichen mehr von sich gab, ertönte wieder der Ruf: Wehrmacht!
Nach und nach wurden die Geräusche, die das Schlagen der Stöcke verursachte, seltener, und wir merkten, dass sich unsere Peiniger inmitten des Platzes sammelten. Einer von ihnen, ein kleiner untersetzter ZivilistDer Pole Alfred Kling; ihm wurden später zwar Misshandlungen von Häftlingen vorgeworfen, aber eine Anklage erfolgte nie., befahl uns in gebrochenem Deutsch, wir sollten uns sammeln und antreten, was aus Angst vor weiteren Schlägen auch geschah. Als ich jetzt in Reih und Glied stand, hatte ich noch Gelegenheit, mir das Grüppchen Tschechen etwas näher zu betrachten. Einige von ihnen hatten weiße Kittel an, die jetzt aber von oben bis unten mit Blut bespritzt waren. Auch die beiden Mädchen, die ich vorhin schon erwähnte, waren ganz und gar mit Blut bespritzt. Zitternd und völlig außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen, warteten wir auf das, was da kommen sollte […] mussten wir in Dreierreihe antreten. Nun hatte man uns schön beisammen und konnte nach Herzenslust seine Wut an uns auslassen. Zunächst mussten wir auf den Zehenspitzen stehen und mit vorgestreckten Händen in die Kniebeuge gehen. Und nun begann man, uns mit Fußtritten und Fausthieben zu traktieren. Wer dabei hinfiel, wurde noch besonders behandelt.
Nach einiger Zeit gestattete man uns dann, uns aufzustellen. Das vorderste Glied musste vier Schritte, das zweite zwei Schritte vortreten, und dann nahmen unsere PeinigerAlfred Kling war maßgeblich an dieser Aktion beteiligt.
Er hat dabei lachend auf Deutsch und Tschechisch immer wieder gerufen: Das muss sein, ihr Buben!
wieder ihre Knüppel zur Hand und gingen durch die Reihen, indem sie jedem der Reihe nach auf den Hinterkopf schlugen. Ich war trotz meines geringen Alters einer der größten und stand als erster in der dritten Reihe, musste also dementsprechend als letzter an die Reihe kommen. Da war es auch schon so weit.
Ich spürte zunächst einen furchtbaren stechenden Schmerz am Kopf, und dann verlor ich für einige Augenblicke das Bewusstsein. Mein Nebenmann, der mein Schwanken bemerkt hatte, hielt mich fest. Als es dann hieß, wir sollten wieder auf unsere alten Plätze zurückkehren, war ich schon wieder so weit, dass ich, wenn auch taumelnd, mein Glied erreichte.
Seit unserer Ankunft waren sicherlich bereits drei Stunden vergangen; in denen war mindestens fünfzig Mal der Ruf nach den Totenträgern zu hören gewesen. Wie ich später von einem im Theresienstädter […] Kommandoim Manuskript unklar […] beschäftigten Kameraden erfahren habe, gab es an jenem 24. Mai 73 Tote, von denen, die an den Folgen der Verletzungen noch gestorben sind, ganz abgesehen. Nun, nachdem man uns wieder ins Glied zurückgejagt hatte, setzte eine unheimliche Ruhe ein. Der Boden, der vorher mit hellem Sand bestreut gewesen war, war jetzt an vielen Stellen rot gefärbt und ganz zerwühlt. Kleiderfetzen lagen umher. Nachdem sich unsere Peiniger eine Weile beraten hatten, wurde uns Befehl gegeben, uns längs der Wände aufzustellen, und zwar so, dass die Nase die Mauer berühren musste. Das Sprechen sowie jede Bewegung wurde strengstens verboten.
Wir hatten bereits eine geraume Weile so gestanden, als ich etwas Warmes meinen Rücken herunterlaufen spürte. Da von Zeit zu Zeit hinter uns Schritte zu vernehmen waren, es war unsere Bewachung, die hin und wieder kontrollierte, ob auch eines jeden Nase die Wand berührte, getraute ich mich nicht, nach hinten zu greifen, um zu ergründen, was das warme Gefühl verursachte.
So standen wir denn, ohne ein Wort zu sprechen und ohne jegliche Bewegung mit der Nase an der hohen Mauer. Die Sonne brannte jetzt unbarmherzig auf uns nieder; es schien mir, als müsse mein Kopf jeden Augenblick zerspringen; der Schmerz steigerte sich ins Unerträgliche. Dabei verspürte ich ein Durstgefühl, wie ich es noch nie gekannt hatte. Mittag war längst vorüber; noch immer standen wir alle unbeweglich - ohne die geringste Bewegung. Einige Kameraden, die es in ihrer Lage nicht mehr aushalten konnten und sich irgendwie bewegten, mussten dies teuer bezahlen, der Wachposten hielt uns alle im Auge. Es war außer den Schritten der Wache kein Laut zu hören, und doch befanden sich rund 400 Menschen auf dem Hof.
Die Sonne stand schon tief im Westen, als wir merkten, dass sich in unserem Rücken irgendetwas zu tun begann, und endlich forderte man uns auf, uns umzudrehen und der Reihe nach an einen großen Tisch, den man inmitten des Platzes aufgestellt hatte, zu treten, wo unsere Personalien aufgenommen wurden. Meiner Schätzung nach hatten wir ungefähr zehn Stunden an der Wand gestanden.
Als ich an die Reihe kam, war ich kaum imstande, mich zu bewegen. Alle Glieder schmerzten mir. Auch verspürte ich im Nacken und Rücken einen mir unerklärlichen eigenartigen Druck. Nachdem ich abgefertigt war, trat ich in die Kolonne, die man nun wieder zusammenzustellen begann, wie sie am Morgen gestanden hatte. Ich versuchte zu ergründen, woher der Druck in meinem Nacken komme und fragte einen Kameraden, ob er irgendwas Besonderes bemerken könne. Darauf erklärte er mir, dass ich eine große Wunde am Hinterkopf habe, und dass der ganze Nacken mit Blut verklebt sei. Bis dahin hatte ich nicht gewusst, dass die Schmerzen am Kopf von einer offenen Wunde herrührten.
Schließlich war unser Zug wieder so beisammen wie am Vormittag. Nun hielt uns der Lagerkommandant, ein kleiner dicker Partisan, eine Ansprache, in der er uns erklärte, dass wir hergebracht worden seien, um vor eine Untersuchungskommission gestellt zu werden, die die Aufgabe habe, die Schuldigen unter uns herauszufinden und zu bestrafen. Bis zum Eintreffen dieser Kommission würden wir aber arbeiten müssen; er werde aber dafür sorgen, dass niemand, der sich willig zeige und seinen Befehlen gehorche, in Zukunft misshandelt würde. Dann warnte er uns noch nachdrücklich davor, etwa eine Flucht zu versuchen. Erstens würde jeder, den man dabei erwische, sofort erschossen, und zweitens habe er Befehl gegeben, für jeden, dem etwa doch eine Flucht gelingen sollte, zehn Kameraden zu erschießen.
Nach dieser Ansprache wurden wir, natürlich wieder mit viel Geschrei und Prügel, in unsere Zelle getrieben. Es war das ein ungefähr 20 Meter langer, 15 Meter breiter und drei Meter hoher Raum, dessen Größe jedoch durch die sich an den Wänden bis zur Decke hinziehenden vierstöckigen Holzgestelle, die als Betten dienen sollten, und vier in der Mitte stehenden Pfeiler stark geschmälert wurde. Gleich links neben der Tür befand sich ein kleiner Verschlag, der zwei offene Klosettkabinen in sich barg. Rechts des Eingangs waren drei Waschtröge mit fließend Wasser angebracht. Erhellt wurde der Raum durch zwei kleine vergitterte Fenster und ein großes Oberlicht. Am hinteren Ende der Zelle standen ein Tisch und zwei lange Bänke.
Dieser Raum sollte mein Aufenthaltsort für zwei Monate werden.
[Hier endet das Manuskript.]