© Copyright by Erinnerungswerkstatt Norderstedt 2004 - 2024
https://ewnor.de / https://www.erinnerungswerkstatt-norderstedt.de
Ausdruck nur als Leseprobe zum persönlichen Gebrauch, weitergehende Nutzung oder Weitergabe in jeglicher Form nur mit dem schriftlichem Einverständnis der Urheber!
 zurück zur Normalansicht 

Vertreibung aus Ostpreußen
Kapitel 9
Ein Behelfsheim in Hamburg-Lurup

Als wir nach der langen Fahrt in Lurup ankamen, standen wir vor einem Gartenhäuschen aus Holz, das nur aus zwei Räumen bestand. Dazu gehörte ein zirka 800 Quadratmeter großer Garten. So zogen wir in das Gartenhäuschen ein. Alles war einfach und primitiv. Wasser gab‘s nicht im Häuschen. Der Wasserhahn befand sich an der Pforte. Da mussten wir etwa dreißig Meter gehen. Jedes Mal holten wir zwei Wassereimer voll. Als der Winter kam, fror die Wasserleitung ein. Papa versuchte immer mühsam, die Leitung wieder aufzutauen.

Jetzt waren wir als Familie täglich zusammen. Und wieder mussten wir zusammenwachsen, was nicht immer leicht war.

Jetzt wurden Gerd und ich in Lurup in der Schule angemeldet. Die Schule befand sich an der Luruper Hauptstraße. Unser Schulweg führte durch die Kolonie Morgenröte, Farnhornweg, Lüttkamp, Luruper Hauptstraße. Mein Klassenlehrer war Herr Gäbe. Meine Handarbeitslehrerin war Frau Wehlen. Unser Rektor hieß Herr Külper.

Zeitungsausschnitt: Klassentreffen mit Otto Gäbe

Zeitungsausschnitt: Klassentreffen mit Otto Gäbe

Die Schule bestand aus einem festen Steingebäude, wo ich zunächst hinkam. Später zog meine Klasse ins andere Schulhaus, das vollkommen aus Holz war. Dieses Gebäude hatte mindestens drei Klassenräume. Von außen hatte es einen dunkelbraunen Anstrich. Die Räume hatten alle Kachelöfen. Sie mussten täglich vom Hausmeister beheizt werden. Die Schule hatte auch einen Physikraum. Hier gab Herr Gäbe gern Unterricht, zum Beispiel mit Magneten, ihren Polen und der Anziehungskraft und wie es mit der Elektrik funktioniert.

Es gab auch eine Sporthalle mit Reck, Stangen zum Hochziehen und Kästen zum Rüberspringen. Hinter der Schule war der Sportplatz. Völkerball mochte ich gar nicht gerne. Die Jungs warfen so unverschämt hart mit den Bällen, das tat mächtig weh, wenn man unglücklich getroffen wurde.

Dafür mochte ich lieber laufen und Weitspringen. Darin war ich ganz gut. Nur werfen konnte ich nicht, kam nie über zwanzig Meter hinaus. Bislang konnte ich auch nicht schwimmen. Einmal wöchentlich sind wir mit unserer Klasse nach Altona ins Bismarckbad gefahren, da habe ich schließlich das Schwimmen gelernt.

Kochen haben wir auch mal eine Zeit in der Schule gehabt. Die Kochkurse fanden in der Schule in Osdorf statt. Eine Zeitlang hatte ich auch Haltungsturnen in der Osdorfer Schule. Meine feste Freundin war zu der Zeit Helga Völxen. Sie wohnte am Lüttkamp. Ich hatte sie jeden Morgen zur Schule abgeholt.

Einmal haben wir auch ein Theaterstück aufgeführt, ein Stück über Hexen und Feen. Ich war die Fee Wundermild. Mir fällt noch ein Satz ein, den ich sagen musste: Fee Wundermild werd‘ ich geheißen, ich will den rechten Weg Dir weisen.

Zweimal war ich in der Schulzeit auf Klassenreise. Beim ersten Mal waren wir jenseits der Elbe, und zeitweise in einem Landschulheim in Moorwerder. Leider habe ich daran noch kaum Erinnerung. Beim zweiten Mal, da waren wir schon in der neunten Klasse, ging unsere Klassenreise in den Teutoburger Wald. Eine Woche waren wir in Detmold und die anderen Wochen in Bielefeld. Unter anderem waren wir beim Hermannsdenkmal und den Externsteinen. In Bielefeld haben wir die Anstalt Bethel besichtigt. Eine Tagesfahrt führte nach Bad Pyrmont. Am Ende der Schulzeit gab es eine Abschlussfeier! Ich ging als Mädchen als Klassenbeste ab und bekam ein Buch mit Widmung, ausgerechnet ein Gartenbuch.

Unser Holzhäuschen war auf Dauer zu klein. In der Nähe, hinter dem Farnhornweg, Hellgrundweg befand sich, und befindet sich heute noch, der Hamburger Schüttberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Trümmerschutt von der Hamburger Innenstadt nach Lurup auf die freien Flächen beim Volkspark hingeschafft. Papa ist zu diesen Trümmerschutthaufen x-mal mit dem Handkarren gefahren und hat sich die besten und heilsten Steine rausgesucht und sie in die Morgenröte geschafft.

Papa fing an, unser Holzhaus mit den Steinen zu umbauen und des Weiteren anzubauen. Ja, und was haben wir in der Freizeit gemacht? Übrigens, wir besaßen nur ein Paar Schuhe. Nach der Schule mussten wir die Hotschen anziehen, die Papa selbst hergestellt hatte. Papa war sauer, wenn wir zum Spielen unsere guten Schuhe anzogen.Holzschuhe

Gerd spielte, wie alle Jungen gerne Fußball. Eines Tages hat er mit dem Ball Person's Fensterscheibe zerknallt. Person's haben sich beschwert. Papa musste die Scheibe bezahlen. Gerd bekam natürlich Ärger.

Nebenan wohnte Familie H., Vater Hugo, Mutter Lisa und die Kinder Waltraut und Christel. Waltraud war und ist auch heute noch meine Freundin. Gerd hat viel mit Christel gespielt. Einmal haben Gerd, Waltraud und ich gestritten. Gerd war sehr wütend. Er hatte eine Harke in der Hand und lief hinter Waltraud her. Bei Hengstenberg‘s stand das Fenster offen. Die Fenster waren nach außen zu öffnen und mit Haken festzusetzen, damit sie vom Wind nicht zuschlugen. Gerd stieß in vollem Lauf durch die Fensterscheibe, es klirrte nur! Nun gab‘s wieder Ärger.

Wir hatten auch einige Hühner, am meisten weiße Leghorn. Ich saß oft im Stall und hatte ein Huhn auf dem Schoß. Außerdem hatte Papa einen kleinen Teich angelegt, ihn umzäunt und dazu ein paar Enten gekauft. Hinter dem Ententeich stand ein Fliederbaum. An einem Ast hing eine alte Mütze von Papa, die hing da schon eine ganze Zeit. Durch den Regen war die Mütze ziemlich durchfeuchtet. Ja, aber die Mütze war bewohnt. Hier hatten sich Kellerasseln häuslich eingerichtet, sogenannte Schäfchen.

Zu der Zeit war ich öfters mit Hans-Dieter zusammen, er war etwa zwei Jahre älter als ich. Hans-Dieter, Waltraud, Gerd und ich haben einen Club gegründet, wir wollten jeden Tag eine gute Tat tun. Aber das funktionierte nicht so gut, wie wir uns das gedacht hatten. Ich hatte mit Hans-Dieter Meinungsverschiedenheiten. Ich war wütend, da nahm ich die Mütze von dem Ast und schmiss sie Hans-Dieter an den Kopf, und somit bekam er auch all die Schäfchen ins Gesicht. Das wiederum machte Hans-Dieter wütend, er zischte ab und hat eine lange Zeit nicht mit mir geredet.

Nach einiger Zeit haben wir uns wieder vertragen. Für einige Zeit waren wir auch näher befreundet, gingen zusammen spazieren, haben uns auch geküsst. Da ich nicht aufgeklärt war, habe ich gedacht, vom Küssen würde man ein Kind bekommen. Hans-Dieter ist später Polizist geworden.

Papa arbeitete in Eidelstedt bei der Bundesbahn als Gleiswärter, das heißt, er war Aufpasser. Während die Gleiswerker auf dem Bahngelände und den Gleisen arbeiteten, musste Papa die Augen offenhalten und sehr wachsam sein. Sobald sich ein Zug näherte, musste er laut tuten, er hatte nämlich ein Dreiklanghorn, in das er dann kräftig hineinblies. Dreiklanghorn

Zum Heizen holte sich Papa auch alte, ausgediente Bahnschwellen. Da musste ich manchmal mitgehen und Papa helfen. Die Bahnschwellen mussten wir von der Elbgaustraße am Bahnaufgang holen. Zum Heizen taugte das Holz normalerweise nicht, es stank. Wegen der längeren Haltbarkeit wurden die Schwellen mit Karbolineum getränkt.


Sie sind hier: Kapitel 11 / 11 1 6 7 8 9 10 11