Mein WARTBURG
Meine Oma kam 1937 aus WienLesen Sie auch:Schicksal im letzten Jahrhundert
, während ihrer Wanderungen hat sie ihr dürftiges Russisch beinahe ganz verloren, deshalb haben wir zu Hause angefangen, Deutsch zu sprechen. Mit 17 Jahren hatte ich einen recht guten Wortschatz, aber ich war analphabetisch. Ich konnte Deutsch weder lesen, noch schreiben und von Grammatik hatte ich keine Ahnung.
Dann habe ich in den Sommerferien mein erstes deutsches Buch gelesen. Es war Feuchtwangers Roman Füchse im Weinberg
. Durch die ersten 30 Seiten hatte ich mich mit einem Wörterbuch mit Mühe durchgeschlagen, dann wurde es leichter und das Ende des Romans habe ich genossen.
Das Buch hatten wir im Buchladen Druszba
Ins Deutsche übersetzt: Freundschaft
[1] in der Gorki-Straße 15 gekauft. Dort wurden Bücher der Länder der Volksdemokratie
in originaler Sprache verkauft. Die Auswahl war natürlich sehr einseitig. In deutscher Sprache konnte man Biografien von Wilhelm Pieck und Grotewohl, Zetkin und Luxemburg, oder Lenin in Polen
und weitere bekommen. Belletristik – Anna Seghers, Feuchtwanger war auch dabei, aber zum Beispiel Böll war schon nicht koscher genug. Von Feuchtwanger hatten wir nachher alle Ausgaben erworben.
Und dann hatten wir die Zeitung Neues Deutschland
Das Neue Deutschland entstand als Lizenzzeitung 1946 im Zuge der von der sowjetischen Militärverwaltung (SMAD) betriebenen Zwangsvereinigung von SPD und KPD der damaligen sowjetischen Besatzungszone zur SED.Siehe Wikipedia.org [2] abonniert und viele Jahre erhalten. Erstens für Oma, damit sie was zu lesen hatte. Zweitens, gab es damals kein Toilettenpapier und die ND
wurde auf weichem Papier gedruckt, kein Vergleich mit der Prawda
. Drittens hatten wir doch gehofft, etwas Interessantes aus der ND
herauszufischen. In deutscher Sprache hatten wir in der Nachkriegszeit so viele schöne Filme gesehen, die als Trophäe in die UdSSR kamen, ohne zudringlicher Ideologie, solche wie Peter
, oder Die Frau meiner Träume
und andere Filme mit Marika Rökk. Und deutsche Lieder waren schön und lustig, wie Junge Leute brauchen Liebe
und der Tanz Lipsi
Der Lipsi (nach lipsiens, lat. für der Leipziger) ist ein Modetanz, der 1959 in der DDR eingeführt wurde und an Stelle des amerikanischen Rock'n'Roll etabliert werden sollte.Siehe Wikipedia.org [3] kam zu uns aus der DDR. Das Leben in der DDR schien uns leichter, reicher, lustiger zu sein, als bei uns in der Sowjetunion.
Eines Tages hat Neues Deutschland
eine ganze Seite einem Rätselspiel gewidmet. Man musste viele Fragen beantworten, zum Beispiel, welche Aufgaben Otto Grotewohl in seiner Rede zur Wirtschaft gestellt hat, in welcher Stadt und wann Karl Marx geboren wurde, wer der Autor des Anti-Dühring
war und so weiter. Es waren auch Fragen aus der Geografie, man musste sogar berechnen, wie lange man brauchte, um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen, beide in der DDR. Also, es war schon eine ganz große Arbeit. Aber der Preis war auch groß: Der Hauptpreis war ein Auto der Marke Wartburg
Wartburg war der Handelsname der von 1956 bis zum 14. April 1991 im VEB Automobilwerk Eisenach gefertigten Personenkraftwagen-Baureihe des Herstellers IFA. Der Name leitet sich von der gleichnamigen Burg am Produktionsstandort Eisenach ab.Siehe Wikipedia.org [4]. Es war, glaube ich, auch ein
Trabant
Trabant heißt die ab 1958 in der DDR im VEB Automobilwerk Zwickau, später VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau, in Serie gebaute Pkw-Baureihe. Zur Zeit seiner Einführung galt er als moderner Kleinwagen und ermöglichte neben dem Wartburg die Massenmotorisierung in der DDR.Siehe Wikipedia.org [5] dabei und eine Reise in die UdSSR und noch viele andere Preise.
In der UdSSR schwärmten viele Menschen vom eigenen Auto. Für die meisten war es ein unerreichbarer Traum. Erstens waren die Autos teuer, das billigste, der Saporoshez
Der Saporoshez (ukrainisch Запорожець, russisch Запорожец – Saporoschez, "der aus Saporischschja") war eine Automobilbaureihe des sowjetischen, beziehungsweise ukrainischen Herstellers Saporisky Awtomobilebudiwny Sawod (SAS) in der Stadt Saporischschja; die Baureihe wurde von 1960 bis 1994 hergestellt. [6], man nannte ihn
der Bucklige
oder Seifenschale, kostete ungefähr 20 Durchschnittslöhne. Der Moskvitsch
Der Moskwitsch-412 (russisch Москвич-412) ist ein sowjetischer Personenwagen der unteren Mittelklasse, der von 1967 bis 1976 gebaut wurde. Der Hersteller war das Moskauer Kleinwagenwerk (Moskowski Sawod Malolitraschnych Awtomobilej, bekannt durch die Verwendung des Markennamens Moskwitsch), das 1968 in Automobilwerk des Leninschen Komsomol, kurz AZLK umbenannt wurde. [7] kostete doppelt so viel. Und die
Pobeda
Der GAZ-M20 Pobeda (russisch ГАЗ-М20 Победа, deutsch Sieg) ist ein Pkw des sowjetischen Herstellers GAZ (Molotow-Werke), der in den 1940er-Jahren entwickelt wurde. Das robuste Modell hatte eine moderne Pontonkarosserie und einen SV-Vierzylindermotor. [8] kostete schon mehr als 100 Durchschnittslöhne. Das waren die Modelle für
Normale
Menschen. Die VIP-Personen aus der Regierung und der Partei fuhren schwarze Karossen ZIS
Der ZIS-110 (russisch ЗИС-110) ist eine Oberklasselimousine des sowjetischen Herstellers Sawod imeni Stalina (kurz ZIS). [9], nach 1956
ZIL
Der ZIL-111 (russisch ЗИЛ-111) ist ein Pkw des sowjetischen Herstellers ZIL. In Abgrenzung zu Fahrzeugen wie dem GAZ-13 Tschaika wurde er der Oberklasse zugeordnet und war für die höchsten Regierungsvertreter vorgesehen. [10] und
ZIM
Der GAZ-12 ZIM (russisch ГАЗ-12 ЗИМ) ist eine luxuriöse und repräsentative Limousine der Oberklasse, die von den sowjetischen GAZ-Werken von 1950 bis 1960 hergestellt wurde. Die Abkürzung ZIM steht für Sawod Imeni Molotowa, was innerhalb der Modellbezeichnung den Teil des damaligen Namens der Fabrik (Molotow-Werk) wiedergeben sollte. [11], diese waren nicht im freien Verkauf.
Das Geld konnte man zusammensparen. Aber die Autos waren so einfach nicht zu haben. Man musste in einer riesigen Schlange viele Jahre stehen. Das Volk nannte es Elefantenschlange
, weil die Elefanten so lange leben. Mein Stiefbruder, Jagdflieger, schwärmte von einem Auto. In seiner Stadt gab es keine Möglichkeit, deshalb bat er meinen Stiefvater in Moskau, sich in eine Schlange für einen Moskvitsch
einzuschreiben. So gingen meine Eltern einmal im Monat zu einer großen Stadionruine. Dort sammelten sich Tausende zum Appell. Wer nicht kam, wurde von der Liste gestrichen.
Also schwärmte ich auch, rein theoretisch, von einem Auto. Damals war ich jung und ehrgeizig, konnte mir noch nicht vorstellen, dass ich überhaupt nicht zum Autofahren geeignet bin. Und plötzlich – so eine Möglichkeit – kein schäbiges Saporoshez
, sondern, ein nobler, wunderschöner Wartburg! Über die Konkurrenz habe ich nicht nachgedacht: Ich war doch die Schlauste, ich schaffe es! Ich saß schon in meinem Wartburg!
Am nächsten freien Tag lief ich zur Leninskaja-Bibliothek, ich brauchte doch alte Ausgaben von Neues Deutschland
, und auch deutsche Enzyklopädien. Im großen Saal habe ich sofort Leute erblickt, bei denen auf dem Tisch Neues Deutschland
lag. Ich staunte, habe nicht gedacht, dass so viele Deutsch beherrschen, denn in der Nachkriegszeit haben sehr wenig Schulen Deutsch unterrichtet, die meisten Eltern wollten, dass ihre Kinder Englisch lernten. So eine große Konkurrenz hatte ich nicht erwartet. Ich saß noch immer im Wartburg, aber schon nicht mehr so sicher. Ich kam noch ein paarmal in die Bibliothek, und dann habe ich angefangen, auf das Ergebnis zu warten.
Eine Woche lang schwieg die ND
. Nachher schrieben sie, dass so viel Post eingegangen ist und die Redaktion noch keine Möglichkeit gehabt hat, alles durchzulesen. Noch nach einer Woche erschien auf der letzten Seite ein Foto: Ein Zimmer bis zur Hälfte mit Briefen gefüllt, auf dem Haufen sitzt eine Mitarbeiterin und lächelt. Dasselbe Foto kam jede Woche mit Entschuldigungen der Redaktion. Mein Wartburgtraum wurde immer blasser. Noch eine Woche verging und es kam wieder ein Foto: Die Frau auf dem Haufen von Briefen hatte verbundene Augen und zog ein Los. Und dann hat man eine Liste von Gewinnern gedruckt, ich war nicht dabei. Da bin ich endgültig aus meinem Wartburg ausgestiegen und habe mich von ihm verabschiedet.
Komisch – trotz verbundener Augen waren unter den Gewinnern nur würdige Bürger – Bestarbeiter, Aktivisten und Mitglieder der FDJ.
Anmerkung
[1]Druszba; ins Deutsche übersetzt:
Freundschaft
[2] Das Neue Deutschland entstand als Lizenzzeitung 1946 im Zuge der von der sowjetischen Militärverwaltung (SMAD) betriebenen Zwangsvereinigung von SPD und KPD der damaligen sowjetischen Besatzungszone zur SED.
[3] Der Lipsi (nach lipsiens, lat. für der Leipziger) ist ein Modetanz, der 1959 in der DDR eingeführt wurde und an Stelle des amerikanischen Rock'n'Roll etabliert werden sollte.
[4] Wartburg war der Handelsname der von 1956 bis zum 14. April 1991 im VEB Automobilwerk Eisenach gefertigten Personenkraftwagen-Baureihe des Herstellers IFA. Der Name leitet sich von der gleichnamigen Burg am Produktionsstandort Eisenach ab.
[5] Trabant heißt die ab 1958 in der DDR im VEB Automobilwerk Zwickau, später VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau, in Serie gebaute Pkw-Baureihe. Zur Zeit seiner Einführung galt er als moderner Kleinwagen und ermöglichte neben dem Wartburg die Massenmotorisierung in der DDR.
[6] Der Saporoshez (ukrainisch Запорожець, russisch Запорожец – Saporoschez,
der aus Saporischschja) war eine Automobilbaureihe des sowjetischen, beziehungsweise ukrainischen Herstellers Saporisky Awtomobilebudiwny Sawod (SAS) in der Stadt Saporischschja; die Baureihe wurde von 1960 bis 1994 hergestellt.
[7] Der Moskwitsch-412 (russisch Москвич-412) ist ein sowjetischer Personenwagen der unteren Mittelklasse, der von 1967 bis 1976 gebaut wurde. Der Hersteller war das Moskauer Kleinwagenwerk (Moskowski Sawod Malolitraschnych Awtomobilej, bekannt durch die Verwendung des Markennamens Moskwitsch), das 1968 in Automobilwerk des Leninschen Komsomol, kurz AZLK umbenannt wurde.
[8] Der GAZ-M20 Pobeda[1] (russisch ГАЗ-М20 Победа, deutsch Sieg) ist ein Pkw des sowjetischen Herstellers GAZ (Molotow-Werke), der in den 1940er-Jahren entwickelt wurde. Das robuste Modell hatte eine moderne Pontonkarosserie und einen SV-Vierzylindermotor.
[9] Der ZIS-110 (russisch ЗИС-110) ist eine Oberklasselimousine des sowjetischen Herstellers Sawod imeni Stalina (kurz ZIS).
[10] Der ZIL-111 (russisch ЗИЛ-111) ist ein Pkw des sowjetischen Herstellers ZIL. In Abgrenzung zu Fahrzeugen wie dem GAZ-13 Tschaika wurde er der Oberklasse zugeordnet und war für die höchsten Regierungsvertreter vorgesehen.
[11] Der GAZ-12 ZIM (russisch ГАЗ-12 ЗИМ) ist eine luxuriöse und repräsentative Limousine der Oberklasse, die von den sowjetischen GAZ-Werken von 1950 bis 1960 hergestellt wurde. Die Abkürzung ZIM steht für Sawod Imeni Molotowa, was innerhalb der Modellbezeichnung den Teil des damaligen Namens der Fabrik (Molotow-Werk) wiedergeben sollte.