Als Fremdarbeiter in Deutschland
Kapitel 4
Fremdarbeiter[*] in Schleswig-Holstein
Die Bauern hier in Stakendorf hatten ihre Stallmeister. Ich habe mich um die Pferde des Herrn Trinker gekümmert. Wenn wir bei der Haferausgabe übergangen wurden, bin ich sofort zum Stallmeister gegangen und fragte: Welchen Hafer haben Sie Ihren Pferden zugeteilt?
Der im Dienste des Bauern stehende Deutsche war eigentlich ein feiner Junge, der nie etwas gegen mich gehabt hat. Als er mir nun den Hafer für seine Pferde zeigte, nahm ich den Sack auf meinen Rücken und brachte ihn zu unseren Pferden. Der Deutsche ging sofort zu seinem Bauern und bat erneut um Hafer. Auf Vorhalt, dass er doch gerade welchen bekommen habe, antwortete er: Karol hat unseren Hafer für seine Pferde genommen.
Der Bauer aus dem Reich kam mit Gebrüll auf mich zu: Weshalb hast Du den Hafer genommen?
– Ich habe den Hafer nicht verkauft, sondern den Pferden gegeben.
– Dieser Hafer war für meine Pferde vorbereitet!
– Wo arbeiten denn meine Pferde? Sie arbeiten auf Ihrem Feld; sie werden dann auch mit Ihrem Hafer gefüttert! Und damit ist die Diskussion beendet!
Er begleitete mich zu Feldarbeiten und hatte mir auferlegt, ein Stück Acker in einem halben Tag zu bearbeiten. Ich trotzte und habe dann zwei Tage dafür gebraucht. Er schrie mich an, ich hätte zu langsam gearbeitet, worauf ich ihm zur Antwort gab: Ich arbeite, wie ich und die da - die Pferde – mit leerem Magen in der Lage sind.
Er brüllte schnell
und schlug dann mit der Peitsche zu und meinte: Wie sollte man sie denn anders antreiben?!
– Das sind meine Pferde. Die verstehen nicht, dass sie mit der Peitsche angetrieben werden. Man treibt sie einfach mit Hafer und nicht mit der Peitsche an.
Von diesem Zeitpunkt überwachte er mich, und die Jungens sagten mir: Karol, pass auf, er beobachtet dich; er schaut, was du tust!
– Er kann mich ruhig überwachen. Ich achte schon darauf, dass ich mich nicht hinsetze.
So zog ich denn meine Runden, die Peitsche hinter mir herziehend. Das Leben bei diesem Bauern war nicht leicht. Wir waren insgesamt neun Kräfte.
Am Sonntag ging jeder seiner Wege, daher waren wir nie vollzählig beim Abendessen. Wenn die Hausfrau das Essen brachte, teilten wir es auf neun Portionen, sonst wären einige hungrig geblieben. Unser früherer Bauer wusste, dass wir wahrlich nicht im Überfluss lebten. Eines Abends kam Herr Trinker zu mir und sagte: Karol, komm zu uns, wenn Du Hunger hast.
Es war mir klar, dass auch er sparen musste, aber für die nette Geste bedankte ich mich: Sie haben eine große Familie, die Sie ernähren müssen. Um mein Wohl brauchen Sie sich keine Gedanken zu machten, ich schaff' das schon!
Herr Trinker hatte sechs Kinder und die Oma, außerdem war der Sohn Paul beim Militär; da hatte er genug Topfgucker. Aber wir haben uns irgendwie durchgeschlagen.
Die Kühe wurden von einem Polen und einem Ehepaar betreut. Das nutzten wir, um morgens und abends eine 20-Liter-Kanne Milch auszutrinken. Die Leute meinten: Trinkt nur ruhig, wir füllen sie wieder auf!
Gelegentlich blieben beim Hühner-Schlachten die Köpfe übrig, die wir aber in den Kochtopf steckten. So überlebte man.
Wir schliefen zu zweit in einem Zimmer. Mich steckte man zum Schlafen in das Zimmer des Polen und warnte mich gleichzeitig: Pass auf, das ist ein Spion!
Ich hatte bei mir einen halben Sack mit Speck, den ich unterwegs organisiert hatte. Als ich schon wusste, mit wem ich es zu tun hatte, besorgte ich mir von einem der Jungen einen Koffer und versteckte den Speck. Er war in ein weißes Bettlaken eingewickelt und ab und an schnitt ich mir ein Stück Speck ab, indem ich den Deckel des Koffers aufmachte und den Speck im Koffer zerschnitt. Das hinterließ natürlich Spuren auf dem Bettlaken, denn der Speck war geräuchert und etwas gelblich. Der Junge, mit dem ich das Zimmer teilte, war nicht bei uns, sondern bei einem Tischler im Dorf beschäftigt. Deshalb kam er nur zum Schlafen. Eines Tages - ich war gerade mit Holz-Hacken beschäftigt - kamen Freunde zu mir und berichteten, dass der Spion zusammen mit einem Gendarmen in unserer Wohnung verschwunden sei. Schlimm
dachte mich mir, denn ich wusste in meinem Innern schon, was das bedeutete. Und es dauerte auch nicht lange, da kam der Spion und rief: Karol, komm in Deine Wohnung, ein Gendarm ist gekommen. Er hat mich bereits kontrolliert und jetzt bist Du dran!
Ich konnte mich nicht mehr zurückhalten: Verschwinde! Genug, was Du getan hast! Halt' wenigstens den Mund!
Als ich in die Wohnung kam, befahl mir der Gendarm, meine Sachen zu zeigen. Nach deren Kontrolle fragte er mich, was ich sonst noch hätte. Ich habe sogleich reagiert, weil mir bewusst war, wozu er gekommen war. Ich holte den Koffer unter dem Bett hervor, stellte ihn auf den Hocker und sagte dem Gendarmen, dass der Koffer nicht mein Eigentum sei, doch der Speck gehöre mir. Der Deutsche machte große Augen: Woher hast Du den Speck?
– Ich bin
sagte ich so flink wie ein Flüchtling aus Ostpreußen! Während meiner neunwöchigen Reise habe ich den Speck gefunden.
Im bereits geöffneten Koffer lagen nur noch etwa 25 kg Speck, da ich immer wieder davon gegessen hatte. Das Bettlacken fiel sofort auf, es stammte aus Militärbeständen. Was sollte ich tun?! Der Gendarm holte den Jungen dazu, dem der Koffer gehörte, und zog das Betttuch heraus. Mir war bewusst, dass nichts Gutes auf mich wartete, daher erklärte ich dem Gendarmen, dass ich das Laken zusammen mit dem Speck gefunden hätte. Er reagierte nicht darauf, wollte mir stattdessen einreden, dass ich alles gestohlen hätte, worauf ich ihm erwiderte: Wir sind hier acht Leute aus dem Treck. Gehen Sie bitte und fragen Sie, ob ich jemandem Speck gestohlen hätte.
– Geh' und hole den Bauern!
verlangte er von mir. – Welchen soll ich holen, ich habe zwei.
– Den aus Ostpreußen hole hier her!
Ich ging und rief Herrn Trinker, dem ich leise sagte: Halten Sie zu mir; er hat mich mit dem Speck erwischt!
Er drückte mir fest die Hand und gemeinsam gingen wir in die Wohnung.
In der Ecke stand der Spion, vor ihm der Gendarm, und in der Mitte stand der Hocker mit dem Speck im Koffer. Herr Trinker drehte sich um, mit dem Gesicht zu mir sagte er laut auf Deutsch, dass der Gendarm es hören konnte: Karol, ist Dir bekannt, wer der Spion ist?
– Nein, woher sollte ich das wissen?
– Das ist kein anderer, das kann nur der Marzinzik sein,
sagte der Bauer. Der Gendarm wollte es nun genau wissen und nahm ihn beim Wort: Was ist das für ein Marzinzik?
Herr Trinker erzählte ihm, dass er Maurer und ohne Pferde mit auf den Treck gekommen sei. Unterwegs hätten sie ihn verloren, aber letzten Dienstag habe er sich hier eingefunden. Der Gendarm wurde nervös und meinte, dass der Bauer sich lediglich herausreden wollte: die Sachen seien doch gestohlen. Gehen Sie doch und befragen Sie die Dorfbewohner, ob hier etwas gestohlen worden ist,
antwortete der Bauer. Der Gendarm bemängelte, dass auf dem Bettlaken Spuren seien, aus denen erkennbar werde, man habe einiges abgeschnitten. Er erlaubte nur Herrn Trinker, mit ihm zu reden. Und der Bauer meinte: Sehen Sie doch hin! Frisch abgeschnitten! Wozu hat er das getan? Du hast die Courage zu fragen, weshalb er davon gegessen hat?! Sieh Dir doch an, was für eine Verpflegung er erhält! Wenn Du Dich so ernähren würdest, könntest Du weder arbeiten noch ehrliche Menschen kontrollieren. Ich bin der Eigentümer, und ich frage ihn nicht, wozu er den Speck abgeschnitten hat. Ist doch verständlich - er wollte einfach essen. Und es ist zu dumm, dass er es nicht geschafft hat aufzuessen, denn hätte er alles aufgegessen, gäbe es keinen Grund zur Anzeige
und dabei zeigte er auf den Spion und auch keinen Anlass zur Kontrolle.
Der Gendarm schien durch die Diskussion doch etwas irritiert zu sein, aber er ordnete an, das Tuch zur Polizeidienststelle zu bringen. Herr Trinker forderte mich daraufhin auf, es wegzubringen, denn es hülfe alles nichts. Ich nahm es in einen Beutel und fragte nun selbst, was damit zu tun sei. Der Gendarm benahm sich plötzlich etwas angenehmer, wohl weil der Bauer so viel zu ihm geredet hatte, und sagte: Bring' das weg - was solltest Du auch sonst damit tun!
– Ich bringe es weg, weil ich es muss. Was ich sonst damit getan hätte, wüsste ich auch. Ich hätte mir ja ein Hemd oder eine Unterhose nähen können.
Ich tat aber wie geheißen und wollte das Tuch wegbringen. Da dachte der Gendarm einen Moment nach und sagte dann: Wenn das so ist, dann behalte es für Dich!
Ein Wunder! So konnte ich dem Jungen das Betttuch zurückgeben.
[*] Zwangsarbeit im NS-Staat
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts war der Begriff Fremdarbeiter
Siehe Lexikon der alten Wörter und Begriffe eine übliche Bezeichnung für ausländische Arbeitskräfte in Deutschland. Während der Herrschaft des Nationalsozialismus wurden Ausländer im Zweiten Weltkrieg mit Gewalt zur Arbeit in und für Deutschland gezwungen. Es waren Millionen ausländische Arbeitskräfte, welche als Zivilarbeiter
aus ihren Heimatstaaten nach Deutschland deportiert wurden. Zwangsarbeiter aus Osteuropa, insbesondere aus der Sowjetunion, wurden im Sprachgebrauch des Nationalsozialismus meist als Ostarbeiter
Siehe Lexikon der alten Wörter und Begriffe bezeichnet. Wikipedia.de