Als Fremdarbeiter in Deutschland
Kapitel 2
Ernteeinsatz in Steintal, Ostpreußen
So langsam fing ich an, mich heimisch zu fühlen. Die Bauernfamilie wohnte in einem sehr großen Haus mit drei Schornsteinen, wir in einem kleinen Haus auf demselben Grundstück. Gemessen an dem Wohnhaus des Bauern sah unser Haus wie eine Baracke aus. Wir waren in sechs Räumen untergebracht: Stanislaw 1, Stanislaw 2 und ich in zwei Zimmern, das Hausmädchen Bronislawa im dritten Zimmer und in den restlichen drei Zimmern die Familie Pawlak.
Im Dorf – ungefähr anderthalb Kilometer entfernt - fanden gelegentlich Tanzabende statt. Die Bronislawa und ein anderes Mädchen habe ich beim Tanzen bewegt. Die eine setzte sich hin und mit der anderen drehte ich die Runden. So ging es den ganzen Abend durch. Die Mädchen waren so geschafft, dass sie, nachdem sie wieder Platz genommen hatten, schwer atmeten. Die Gendarmerie ließ sich auch blicken, wollte uns einfangen. Es genügte aber, den Namen des Bauern zu nennen - und schon war alles in bester Ordnung.
Der Bauer - er hieß Fritz Trinker - und ich haben uns gemocht, wir haben uns gut verstanden. Wenn eine Fahrt anstand, tauchte immer die Frage auf, wer ihn fahren sollte, Mich fährt nur Karol
lautete stets des Bauern Antwort. Während der Fahrten schien uns der Weg immer zu kurz; wir hatten uns so viel zu erzählen. Wenn ich dann am nächsten Tag ins Herrenhaus kam, fragte mich die Hausfrau, was ich dem Alten alles erzählt hätte. Nichts habe ich ihm erzählt
, antwortete ich. – Red' nicht! Die ganze Nacht hat er keine Ruhe gegeben, er hat mir nur erzählt und erzählt. Ihr beide passt zusammen wie ein Scheffel Mohn!
Der Bauer besaß sieben eigene und meine beiden Pferde. Der Junge aus Suwalki und mein Freund aus Weißrussland hatten uns bereits verlassen. Aber mich behielt der Bauer zur weiteren Arbeit bei sich. Mit dem Militär in Lötzen war der Bauer eine Verpflichtung eingegangen, wonach er täglich zwei Pferde mit Wagen für Transportarbeiten zur Verfügung stellte. Aber Militär ist eben Militär – keiner verstand dort, dass ein Pferd auch nur ein Lebewesen ist und keine Zugmaschine oder ein Auto. Die Pferde hatten sie ihm dort so zuschanden gemacht, dass schon ein Windstoß sie umzuwerfen drohte. Als mich eines Tages Freunde besuchten, erzählten sie mir, dass meine Pferde am nächsten Tag zur Arbeit beim Militär sollten. Meine Pferde bekommt das Militär nicht!
rief ich aus, woraufhin die Gesellschaft in Lachen ausbrach, weil ich doch ohnehin nichts zu sagen hätte.
Nach dem Aufstehen teilte uns der Bauer zur Arbeit ein so wie es gerade kam. Du gehst kultivieren
sagte er zu mir. Da ich noch das Gespräch vom Vorabend gut im Gedächtnis habe, fragte ich ihn, mit welchen Pferden ich arbeiten solle. Nimm den Rappen und den Braunen!
– Und weshalb nicht meine Pferde?
– Deine Pferde gehen heute zur Arbeit bei der Militärverwaltung!
Das empfand ich als ungeheuerlich. Wenn der Bauer das zulassen sollte, würde ich überhaupt nicht mehr aufs Feld gehen. Da die Kartoffelernte schon eingebracht war, beschloss ich, das Kartoffelfeld zu pflügen. Ich drehte mich um und wollte gehen. Da trat der Bauer aus dem Scheunentor und meinte nachdenklich: Meine Pferde hat das Militär schon kaputt gemacht, sie halten sich kaum noch auf den Beinen. Und Du willst Deine Pferde nicht hergeben.
– Die Pferde können sich kaum noch bewegen, weil das Militär nicht versteht, dass Pferde auch Lebewesen sind.
Daraufhin beschloss der Bauer, dass wir an diesem Tag mit zwei Gespannen dem Militär Dienste leisten. Sein Gespann sollte das Militär führen und ich mein eigenes. Dadurch sollten die Pferde des Bauern an diesem Tag zumindest etwas entlastet werden. Und so geschah es: ein Soldat nahm das Gespann des Bauern und ich meine Pferde. In Lötzen kamen wir vor einem aufgeschichteten Holzstapel zum Stehen. Vor mir legten die Soldaten eine Ladung Bretter wie Heu auf den Wagen. Ich dachte mir nur, ladet ihr nur so viel auf wie ihr wollt, auf meinen Wagen wird weniger geladen! Der Soldat fuhr mit dem Gespann weg und ich musste aufrücken. Sofort fingen die Soldaten an, meinen Wagen zu beladen. Als die Hälfte dessen erreicht war, womit das Gespann vor mir beladen worden war, rief ich den Soldaten zu: Schluss, genug geladen, hier geht nichts mehr!
Einer der Soldaten hielt mir vor, dass der Wagen vor mir viel mehr geladen hätte und die Pferde hätten es dennoch geschafft, wenn auch mit Mühe. Warum sollten es meine nicht auch schaffen?! Deshalb sind die Pferde des anderen Gespanns auch kaum noch am Leben!
bemängelte ich und fuhr fort: Ich möchte meine Pferde nicht 'am Schwanz hochziehen müssen. Und das ist der Grund, weshalb nicht mehr aufgeladen wird!
Ich war entschlossen loszufahren. Da erklärten mir die Militärs, ich brauchte gar nicht mehr zu kommen. Ich drehte mich um, nickte ihnen zu und sagte Auf Wiedersehen!
Auf diese Weise entledigten wir uns der Gestellung von Gespannen.
Das Zusammenleben mit dem Bauern gestaltete sich weiterhin sehr gut. Wir waren so eng verbunden, dass zwischen uns keine Nadel passte.
In dem Gesindehaus, in dem ich wohnte, lebten vier Junggesellen, ein Mädchen und eine polnische Familie. Zu ihr gehörten der Vater, der gehbehindert war, dessen Ehefrau, eine schon fast erwachsene und eine kleine Tochter sowie ein Sohn, der beständig ohne Schuhe herumlief. Als ich sie eines Tages besuchte, weinten alle und der Vater saß mit gesenktem Kopf in der Ecke: Warum weint Ihr?
fragte ich, - Herr Trinker soll eine Person zum Getreide-Dreschen an der Grenze abstellen, Man wird meinen Mann schicken, Dabei soll sich doch die Front bereits der Grenze nähern!
sagte Frau Pawlak. Herr Pawlak eignete sich wegen seiner Behinderung nicht für Feldarbeiten. Er war nur für Botendienste tauglich. Daher sollte er fahren, um keinen von uns aus der Arbeit zu reißen. Ich tröstete die Familie, versprach ihr, mit dem Bauern zu sprechen und sicherte zu, dass Herr Pawlak auf keinen Fall fahren werde. Ich ging zu Herrn Trinker und fragte: Wen wollen Sie denn da zur Arbeit schicken?
, worauf er mir antwortete: Wen soll ich schon schicken? Du bist bei den Pferden, der eine und der andere Stanislaw arbeiten auch mit den Pferden und Franziszek ist bei den Kühen - nur der Pawlak ist frei.
– Bei Gott, gehen Sie doch und sehen sich an, was sich da tut! Die Frau weint, die Kinder weinen! Nicht auszudenken, wenn ihnen etwas zustößt! Wie werden Sie das der Frau und den Kindern erklären? In der Fremde die Familie zu trennen! Können Sie nicht einen anderen schicken? Das muss doch nicht sein, dass Sie den Kindern den Vater wegnehmen!
– Wenn das so ist
sagte Herr Trinker, dann fährt der Franek und Pawlak wird sich um die Kühe kümmern!
Franek war nicht verheiratet und vielleicht wäre das eine bessere Lösung. Doch da tat sich ein Problem auf. Der Bauer hatte einen Bullen, der niemandem gehorchte - außer Franek. Nur dieser konnte mit dem Bullen umgehen. Ich erklärte daher dem Bauern, dass Franek weiterhin die Kühe betreuen müsse, der Pawlak solle bei seiner Familie bleiben und tue das, wozu er im Stande sei und ich würde an die Grenze fahren, denn um mich würde keiner weinen. Davon wollte Herr Trinker aber nichts wissen, denn er bezweifelte, dass ich je zurückkommen würde. Ich versicherte ihm mit Nachdruck, dass ich bestimmt wiederkommen würde, daraufhin er: Schwöre, dass Du zurückkommst, dann lass ich Dich fahren!