Man muss wissen was man will
Waltraut, meine beste Freundin im DorfLesen Sie auch:Dorfmädchen in der Nachkriegszeit
zu Hause im Dorf Bockhorn
von Renate Krohn, wusste schon sehr früh, dass sie Frisörin werden will. Ich hatte überhaupt keinen Plan, aber dafür noch etwas Zeit bis zum Abschluss der Mittelschule.
Ab der neunten Klasse konnte ich mit zehn Fingern Maschine schreiben und erledigte auf einer Reiseschreibmaschine die Geschäftspost für meinen Vater. Er sah meine Zukunft ganz klar als Büroangestellte, die auch Buchhaltung konnte und dann nebenbei seine Arbeiten übernahm.
Ins Büro wollte ich auf keinen Fall. Aber was konnte ich sonst mit der Mittleren Reife anfangen? Meine Lieblingsfächer waren Mathe, Physik und Zeichnen, da war ich gut und die Zensuren der restlichen Fächer nur so mittelmäßig.
Dann sah ich im Fernsehen eine Frau im weißen Kittel am Reißbrett zeichnen. Das ist es! Ich werde technische Zeichnerin
und davon ließ ich mich nicht mehr abbringen. Aber eine Lehrstelle als technische Zeichnerin gab es in der Nähe nicht, auch nicht im Industrieort Wahlstedt. Die Berufsberatung schlug mir eine Bauzeichnerlehre bei der Kreisverwaltung Segeberg vor. Gut, dann werde ich eben Bauzeichnerin.
1. April 1965 war der Beginn meiner Ausbildung. Die Kreisverwaltung begrüßte drei zukünftige Bauzeichnerinnen zusammen mit mehreren jungen Leuten, die eine Lehre in der Verwaltung antraten. Wir Zeichnerinnen trugen weiße Kittel, genau wie die Ingenieure im Bauamt. Wir fanden es gut, dass man uns durch den Kittel nicht mit den Verwaltungslehrlingen verwechselte. Vielleicht meinten wir auch, etwas Besseres zu sein.
Der Traum vom Reißbrett erfüllte sich hier nicht, wir zeichneten auf einem Tisch, der mit weißer Pappe bezogen war und an der linken Seite eine Magnet-Schiene hatte.
Im ersten Lehrjahr erwarben wir Kenntnisse in der Hochbauabteilung. Zu unseren Aufgaben gehörte auch das Aufmaß von Räumen im Kreiskrankenhaus, wenn Malerarbeiten anstanden, oder wir gingen mit einem Ingenieur im Kreisgebiet die Wohnungen von Lehrern aufmessen, die dem Kreis Segeberg als Grundlage zur Mietenfestlegung diente.
Ein älterer Ingenieur war für die Bauleitung des Computerraumes der Kreissparkasse Segeberg zuständig. Man muss sich das so vorstellen, da wurde ein großer Raum mit doppeltem Boden gebaut für einen riesigen Rechner, der weniger konnte als jeder Taschenrechner heute. Wir Mädchen amüsierten uns, wenn der Ingenieur Computer
sagte, so wie man es eben schreibt.
Im ersten Jahr war die Berufsschule in Lübeck. Super, jede Woche nach der Schule noch durch Kaufhäuser bummeln, bevor es wieder nach Hause ging. Leider wurde im zweiten Jahr der Berufsschulunterricht nach Bad Segeberg verlegt und zwei Jahrgänge in einer Klasse zusammengefasst. Nicht gerade zu unserer Freude, denn Segeberg hatte keine Kaufhäuser.
Ein neunmonatiges Baustellenpraktikum musste im zweiten Lehrjahr absolviert werden. Christel und ich bewarben uns bei der Firma Meier, einem großen Bauunternehmen. Von März an erlebten wir den Baufortschritt, angefangen von den Erdarbeiten bis zum Richtfest und dem Bezug des ersten Bauabschnitts von Firma Möbel Kraft.
Wir mauerten natürlich an so mancher Wand mit. Für die 2DF Steine waren unsere Hände zu klein, wir konnten kaum über die Breite von 11,5 cm reichen und mussten die Steine mit beiden Händen anfassen. Aber die 3DF Steine mit 17,5 cm Breite und einem Griffloch in der Mitte konnten wir prima vermauern und eine Zeitlang mit den Maurern mithalten. Die Wände stehen heute noch.
Für das Frühstück und Mittagessen kauften wir Praktikantinnen für die Bauleute Wurst, Zigaretten und so manche Flasche Schnaps ein. Besonders chic fanden wir uns, wenn wir mit dem weißen Schutzhelm auf dem Kopf zum Einkaufen gingen.
Alle Maurer und Bauarbeiter waren nett und hilfsbereit zu uns Mädchen. Eine tolle Gemeinschaft, wenn wir dichtgedrängt im Bauwagen saßen und zusammen Pause machten. Nur gelegentlich übertrumpften sie sich mit schlüpfrigen Witzen und schauten dabei zu uns, während wir mit hochrotem Kopf nicht wussten, wohin wir gucken sollten.
Zu den 114 D-Mark Lehrlingsvergütung von der Kreisverwaltung zahlte uns die Baufirma wöchentlich 10,41 D-Mark in einer Lohntüte aus, ein richtiger Geldsegen. Und dann noch unser Zusatzverdienst vom Bierverkauf. Jede Woche brachte eine Getränkefirma fünf Kisten mit Bier, das wir an die Handwerker verkauften und pro Kiste 65 Pfennige Gewinn machten.
Zum Dezember endete die Zeit auf dem Bau und es ging wieder zurück in die Kreisverwaltung. Jetzt war die Planungsabteilung für unsere Ausbildung zuständig. Hier lernten wir Bebauungspläne und Flächennutzungspläne zeichnen. Das war die Zeit, in der ich mir überlegte: Bauzeichnerin kann nicht alles sein
und träumte davon, Architektin zu werden. Damals konnte man mit einer Lehre und Praktikum Hochbau mit Abschluss graduierter Ingenieur
studieren. Also besorgte ich mir Unterlagen von der Ingenieurschule in Lübeck und legte sie meinen Eltern vor.
Wenn du ein Junge wärst, würde ich sofort
, so die ablehnende Begründung meines Vaters. Und dann rechnete er mir vor, wieviel ihn die drei Jahre Studium als Unternehmer kosten würden.Ja
sagen, aber für ein Mädchen lohnt es sich nicht, du heiratest ja doch
Ich wollte aber unbedingt studieren und kämpfte, bis mein Vater schließlich aufgab und Na, gut
sagte. Ich brauchte sein Einverständnis, denn ich war erst 19, also noch längst nicht volljährig.
Studienbeginn war Anfang März 1968 für mich, vier Wochen bevor meine Lehre zu Ende war. Von der Kreisverwaltung Segeberg bekam ich Sonderurlaub, sodass ich schon studieren und zwischendurch meine Gehilfenprüfung als Bauzeichnerin ablegen konnte. Jetzt war ich voller Zuversicht, dass sich meine beruflichen Träume erfüllen werden.