Kindheit und Jugend in Ostpreußen
Kapitel 1 — Teil 9
Politischer Wandel
Politisch wurde die Zeit um 1930 bis 1933 jetzt sehr turbulent. Die vorpreschende NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) marschierte mit ihren Kampfverbänden auf den Straßen, während die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) dies zu verhindern versuchte und die gemäßigten Parteien vergebliche Schlichtungsversuche unternahmen. Die Zeitungen waren voller Sensationsnachrichten. Die Kasernenmauer, die längsseits der Maerckischen und der Artilleriestraße die Kavalleriekaserne begrenzte, war mit schwarzer Farbe beschmiert: Wähle Thälmann — KPD
. Die Eltern, politisch eher deutschnational eingestellt, aber nicht für die NSDAP, warnten mich vor den Einflüssen der extremen Parteien, deren führende Leute auch an uns Schüler herantraten mit Werbematerial ihrer Parteien, das wir verteilen oder kleben sollten.
In der Schule war ein Kamerad Tessmann, der mit einem NSDAP-Parteiabzeichen unter dem Revers seiner Jacke angab, von unserem Lehrer Paschke angehalten worden. Wegen seines Auftritts mit dem Abzeichen erhielt er zehn Schläge mit dem Rohrstock auf den Hintern vor der versammelten Klasse. Dann kam das Jahr 1933.
Am 30. Januar 1933Siehe auch:
Zeittafel der Machtergreifung 1933Klick … hatte Hitler es geschafft, Reichskanzler Deutschlands zu werden. Auch in Osterode war auf dem Marktplatz eine Großkundgebung mit einem Fackelzug der SA durch die Hauptstraßen. Ich war als Zuschauer am Neuen Markt, unwissend wie alles weitergehen würde. Die Lehrer unserer Schule starteten nun ein Erziehungsprogramm, das von den neuen Machthabern vorgeschrieben wurde und versuchten, ihre frühere Einstellung als SPD Parteigänger zu übertünchen. Der sogenannte Deutsche Gruß
durch Hochheben der rechten Hand wurde auf dem Schulhof geübt, dazu mussten wir Heil Hitler
rufen. Auch Lehrer Paschke, der unlängst noch Tessmann wegen des Parteiabzeichens geschlagen hatte, grüßte so. Selbst der Rektor, dessen Namen mir entfallen ist, versuchte mit einem Mal, ein Anhänger der Nazis zu sein, sein Heil Hitler
war besonders laut und auffällig.
Der Geschichtsunterricht, bisher ein Nebenfach, wurde aktiviert und Lehrer Sablewski als Geschichtslehrer ließ uns tausend geschichtliche Daten auswendig lernen. Vor allem mussten wir die Geschichte der Partei genau lernen und auswendig dahersagen können. Der Sport und der sogenannte Wehrsport, das waren interessante Geländespiele, wurden gefördert, unser Sportlehrer hieß Engler. Wir mussten uns hinlegen und robben üben, was unseren Kleidern gar nicht gut bekam. Wir waren eine reine Jungenschule, während die Mädchen nebenan in einem besonderen Gebäude Unterricht hatten. Ihr Schulhof grenzte an unseren und war lediglich durch einen Zaun abgeteilt. Nun hatte ein Schüler einen Hohlspiegel, mit dem er die Frühlingssonne einfing und gegen den Rock eines Mädchens lenkte, der tatsächlich eine Rauchwolke bildete und es entstand ein Brandschaden an ihrer Kleidung. Das gab ein böses Lamento und der Schüler wurde von einer Lehrerkommission zu zwanzig Schlägen mit dem Rohrstock auf das Gesäß verurteilt. Der Schüler aber lief fort und blieb der Schule einfach eine Woche fern. Während dieser Zeit hatten seine Eltern entsprechende Anträge gestellt und erreicht, dass die Strafe nicht vollstreckt wurde und eine allgemeine Anordnung den Rohrstock aus der Schule verbannte. Ein deutscher Junge darf nicht geschlagen werden
. Der Vater des Jungen war ein Parteigenosse und SA-Mann. Wir Schüler waren mit der neuen Regelung zufrieden.
Ich befand mich 1934 bis zu den Osterferien in der Klasse 2a und sollte, da ich eine achtjährige Schulzeit hinter mir hatte, ohne Erreichen der Abschlussklasse 1a entlassen werden. Das musste verhindert werden. So stellten die Eltern einen Antrag an die Schulbehörde, der mit Hilfe des neuen Rektors Herrmann
genehmigt wurde, so durfte ich noch ein Jahr lang die erste Klasse 1a der Jahnschule besuchen und erhielt mein Abschlusszeugnis zu Ostern 1935.
Am 1. Mai 1934 fanden am Tag nationaler Arbeit
große Umzüge von Parteiorganen der NSDAP und der Arbeitsfront statt, die damals den Auftrag der heutigen Gewerkschaften übernommen hatte, aber nicht unabhängig war. Das Wetter hatte aber nicht so ganz mitgespielt, es war noch einmal Schnee gefallen mit großen Verwehungen. Ulrich und ich waren mit dem Schlitten unterwegs und haben davon auch noch Fotos im Besitz.
In der Schule hatte ich beim Lehrer Pienas Werkunterricht in Holzarbeiten, was mir sehr großen Spaß gemacht hat. Das Jahr neigte sich seinem Ende zu und ich beschäftigte mich in meiner Freizeit mit Büchern. Ich las eigentlich alles, was ich erreichen konnte. So erhielt ich aus den Sachen von Tante Tilly Röring, einer Cousine meiner Mutter, Bücher nationalen Inhalts von einem Jungen, der Hirschreiter
Heinrich Sohnrey (* 19. Juni 1859 in Jühnde; † 26. Januar 1948 in Neuhaus im Solling) war Lehrer, Volksschriftsteller und Publizist. Viele seiner literarischen Werke sind der Ideologie des Nationalsozialismus verpflichtet.
Bild links: Der Hirschreiter
, ein deutsches Knaben- und Heldenbuch von Heinrich Sohnrey. Deutsche Landbuchhandlung Berlin, 1916 genannt wurde und von Abenteurern in den deutschen Kolonien, die sehr spannend geschrieben waren und die ich gerne gelesen habe. Aber auch die Hefte der damaligen Abenteuerserien Jon Shark, Rolf Torring und andere hab ich gelesen und natürlich auch die Bände von Karl May. Auch las ich Kriegsbücher vom Ersten Weltkrieg, vor allem vom Seekrieg, ohne jedoch den Krieg herbeizuwünschen.
Als das Jahr zu Ende ging haben meine Eltern und ich uns nach einer Lehrstelle für mich umgesehen.