Start ins Leben 1939 in einem kleinen Eifeldorf
Kapitel 5
Weihnachten 1947
Unser Eifeldorf lag tief verschneit, alle Spuren des Krieges waren vom Schnee bedeckt. Überall herrschte eine tiefe Ruhe. Heiligabend war bei uns ein ganz normaler Arbeitstag. Doch wir Kinder hatten schulfrei. Mein Bruder Paul ging nun in die erste Klasse, ich war bereits im dritten Schuljahr. Das Christkind sollte in der Nacht kommen. Am ersten Feiertag war die Bescherung. Wir Kinder waren natürlich aufgeregt, was das Christkind uns schenken würde.
Überall herrschte noch große Not, Hunger und Kälte, aber wir hatten mittlerweile wieder ein warmes Zuhause und auch zu essen. Der Schnee lag so hoch, dass in unserem Dorf kein Durchkommen möglich war.
Wir waren alle Selbstversorger auf den Bauernhöfen. Die Hilfsbereitschaft untereinander war groß, denn die meisten Frauen mussten ohne ihre Männer, die im Krieg gefallen oder vermisst waren, alleine zurechtkommen.
Einen Tag vor Heiligabend holte mein Vater einen Tannenbaum aus unserm Wald. Mit dem Pferd Frieda ritt er los. Den Baum hatte er frisch im Wald abgesägt und mit einem Seil an das Pferd gebunden. Der Tannenbaum hat mit dem Fell von Frieda Kontakt gehabt. Ob ihr das gefallen hat, weiß man nicht. Der Baum wurde im Zimmer aufgestellt. Abends roch das ganze Zimmer nach Pferdestall. Meine Mutter meinte zu Vater, morgen holst du uns einen neuen Tannenbaum aus dem Wald, der nach Wald riecht und nicht nach Pferd
. Heiligabend spannte mein Vater dann den Pferdeschlitten an und fuhr mit uns Kindern los, um einen neuen Tannenbaum zu holen.
Ich hatte einen schönen Baum ausgesucht. Vater meinte, der ist zu schade
, er müsse stehen bleiben. Das Ergebnis war, ein krummer mit wenigen Ästen wurde abgesägt und aufgeladen.
Zuhause meinte meine Mutter, der ist aber nicht so schön
. Vater bohrte Löcher in den Stamm und ersetzte die fehlenden Äste mit Tannenzweigen. Wir Kinder schmückten den Baum mit Äpfeln aus dem Garten. selbstgebackene Kekse wurden befestigt und der hässliche Tannenbaum sah nun ganz gut aus.
Mein Vater hatte eine Krippe aus Holz mit einem Strohdach gemacht. Ein Stern zierte das Dach. Wir Kinder hatten unter Anleitung aus Wolle und Pappe die Krippenfiguren gemacht. Auf den ersten Blick sahen Maria und Josef etwas merkwürdig aus, aber uns Kindern haben sie gefallen.
Mein Bruder Engelbert, noch ein Baby, lag gewickelt im Kinderbett. Ich hatte die Idee, ihn unter den Tannenbaum zu legen. Das war nicht so gut, er hat gleich losgeheult.
Abends ging es früh mit einem warmen Ziegelstein ins Bett. Die Schlafzimmer waren nicht geheizt und die Fensterscheiben vereist. Wir Kinder haben Löcher auf die Scheiben gehaucht, damit wir nach draußen sehen konnten. Lange konnten wir vor Aufregung nicht einschlafen. Wann wird das Christkind bei uns sein?
Nachts zog die Blaskapelle Eifelklänge
durch das Dorf und spielte Weihnachtslieder. Wir wurden davon geweckt und haben nur geflüstert, jetzt kommt das Christkind. Vater spielte mit in der Blaskapelle und kam später verfroren nach Hause. Auf die Bescherung mussten wir warten, bis das Vieh versorgt war.
Endlich war es soweit, wir durften in die warme Stube, wo der Holzofen für Wärme sorgte. Kerzen am Tannenbaum gab es keine, aber das machte uns nichts aus. Ich hatte eine Puppe aus Stoff und Garnresten bekommen. Die habe ich auf den Namen Liesel
getauft. Sie war wunderbar zum Kuscheln, ich habe sie geliebt und lange gehabt. Meine Patentante hat mir später eine wunderschöne echte Puppe geschenkt, aber ich habe sie nicht so knuddeln können, sie war nur zum Anschauen. Mein Bruder Paul hat eine Holzeisenbahn bekommen, auch Handarbeit. Damit hat er viel gespielt.
Einen Naschteller gab es auch für uns. Da waren die Haselnüsse, die hatte ich mit Opa im Herbst gesammelt. Opa hat mit dem Spazierstock die Äste vom Haselbusch heruntergezogen und ich habe sie gepflückt. Auf dem Speicher wurden sie zum Trocknen ausgelegt. Apfelscheiben wurden auf Fäden gezogen und zum Trocknen aufgehängt. Walnüsse von unserm Baum lagen auch auf dem Teller. Wir sangen Weihnachtslieder, begleitet von Vaters Mundharmonika. Die Trompete war noch gefroren vom Rundgang durch das Dorf. Wir fühlten uns glücklich und geborgen, was viele leider in der Zeit nicht hatten.
Nach dem Frühstück ging es zum gemeinsamen Gottesdienst in die Kirche. Es war bitterkalt in der Kirche, da sie im Krieg sehr beschädigt und nur notdürftig repariert worden war. Trotzdem war die Kirche voll und die Menschen sangen Weihnachtslieder. Sogar eine Krippe war aufgebaut. An der Krippe stand eine Figur als Spartopf, ein kleines Negerlein
wurde uns gesagt. Mein Bruder und ich bekamen jeder einen Groschen von Mutter. Den steckten wir dem Negerlein zu für die armen Kinder in Afrika. Bei jedem Geldeinwurf nickte das Negerlein mit dem Kopf und bedankte sich so bei uns. Wir fanden das ganz lustig und wollten das Ganze wiederholen. Aber wir hatten keinen Groschen mehr. Mutter rückte auch keinen mehr raus und drängte nach Hause.
Freunde durften wir zu den Feiertagen nicht besuchen. Es war Weihnachten, da blieb jeder zu Hause. Zu gerne hätte ich mich mit meiner Freundin ausgetauscht, aber das musste warten.
So wie heute üblich gab es kein großartiges Weihnachtsessen, es wurde gegessen, was vorhanden war. Hauptsache, wir wurden satt. Den täglichen Rosenkranz, den Oma betete, brauchten wir Kinder Weihnachten nicht zu machen. Oma betete ihn täglich um 18 Uhr, wenn meine Eltern die Tiere fütterten. Paul und ich mussten uns die ganze Zeit hinknien und mitmachen. In dieser Zeit konnten wir nichts anstellen, uns sollte es zur Ruhe bringen. Wir haben dann alles Mögliche versucht, dem zu entkommen. Unsere Freunde hatten es gut, sie sind schnell nach Hause abgehauen. Oma meinte mal, wir beten aus Dankbarkeit, dass der Krieg endlich zu Ende ist, und wir wieder alle zusammen sind.
Die Weihnachtszeit ging so schnell vorbei und wir Kinder gingen wieder zur Schule. Es gab viel zu erzählen und wir freuten uns, unsere Freunde wiederzusehen.